BGE 108 II 143 | |||
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29. Urteil der II. Zivilabteilung vom 13. Mai 1982 i.S. F. gegen Genfer Lebensversicherungsgesellschaft (Berufung) | |
Regeste |
Versicherungsvertrag, Anzeigepflicht (Art. 4, 6 VVG). | |
Sachverhalt | |
A.- F. unterzeichnete am 17. Januar 1978 als zu versichernde Person ein Antragsformular der Genfer Lebensversicherungsgesellschaft für eine kombinierte Lebensversicherung, das der Vertreter der Versicherungsgesellschaft nach seinen Angaben ausgefüllt hatte. Gegenstand des Antrages waren eine Lebensversicherung von Fr. 50'000.-- mit Gewinnanteil sowie zusätzlich eine temporäre Todesfallversicherung von ebenfalls Fr. 50'000.--, eine Rente bei Arbeitsunfähigkeit von jährlich Fr. 30'000.-- mit einer Wartefrist von 24 Monaten und die Prämienbefreiung bei Invalidität mit einer Wartefrist von drei Monaten; als Dauer der Versicherung waren 32 Jahre vorgesehen. Der Antrag wurde von der Versicherungsgesellschaft angenommen, und der Versicherungsvertrag kam mit Wirkung ab 1. Februar 1978 zustande. Es wurde eine Police mit der Nummer 727 397 ausgestellt.
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Das Antragsformular enthielt nach einem Hinweis auf die Anzeigepflicht und die Folgen von deren Verletzung ein Frageschema. Die erste Frage lautete dahin, ob ein Versicherungsantrag auf das Leben des Antragstellers bereits bei einer andern Lebensversicherungsgesellschaft gestellt worden sei. Für den Fall der Bejahung dieser Frage standen vier Zeilen zur Verfügung, auf denen die erforderlichen Angaben in vier Kolonnen eingetragen werden konnten. Diese waren wie folgt überschrieben: "Jahr?" "Welche Gesellschaft?" "Versicherungskapital?" "IV-Rente?" In drei Unterfragen wurde sodann danach gefragt, ob der Versicherungsantrag zu den gewöhnlichen Bedingungen angenommen worden, ob er zu erschwerten Bedingungen angenommen, abgelehnt oder zurückgestellt worden sowie ob er noch unerledigt sei. F. bejahte die Hauptfrage und gab auf der ersten der hiefür vorgesehenen Zeilen an, im Jahre 1967 bei der "Patria" einen Antrag für eine Versicherung über ein Kapital von Fr. 15'000.-- und mit einer Invalidenrente von ca. Fr. 1'200.-- gestellt zu haben. Die Unterfragen nach der Annahme des Antrages zu erschwerten Bedingungen, bzw. Ablehnung oder Zurückstellung des Antrages sowie danach, ob der Antrag noch unerledigt sei, verneinte er.
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B.- Am 20. Februar 1978 soll F. angeblich einen Unfall erlitten haben. Als einziger Angestellter der Firma Ewis, E. Wildi, mechanische Werkstätte, Schafisheim, will er beim Wechseln einer defekten Fluoreszenzröhre rücklings von einer Leiter zu Boden gefallen sein. Dieser Schadenfall löste die Frage nach der Leistungspflicht der Genfer Lebensversicherungsgesellschaft auf Grund des kurz vorher in Kraft getretenen Versicherungsvertrages aus. Im Zusammenhang mit internen Abklärungen erhielt die Gesellschaft am 25. Oktober 1979 davon Kenntnis, dass F. am 28. Februar 1977 bei der Union des Assurances de Paris Vie (UAP) eine Risikoversicherung von Fr. 100'000.-- mit Invalidenrente von Fr. 30'000.-- abgeschlossen habe. Gestüzt auf diese Mitteilung erklärte die Genfer Lebensversicherungsgesellschaft mit Schreiben an F. vom 15. November 1979 den Rücktritt vom Versicherungsvertrag wegen Verletzung der Anzeigepflicht, weil er ihr die Versicherung bei der UAP verschwiegen habe.
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C.- Am 19. April 1980 liess F. gegen die Genfer Lebensversicherungsgesellschaft beim Amtsgericht Olten-Gösgen Klage einreichen. Er stellte das Begehren, es sei gerichtlich festzustellen, dass die Beklagte weiterhin an den mit ihm abgeschlossenen Versicherungsvertrag, bzw. die Police Nr. 727 397, gebunden sei. Mit Urteil vom 17. Dezember 1980 wies das Amtsgericht die Klage ab.
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Am 20. Oktober 1981 wies das Obergericht des Kantons Solothurn eine Appellation des Klägers gegen dieses Urteil ab und bestätigte das erstinstanzliche Urteil.
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D.- Gegen das obergerichtliche Urteil hat der Kläger Berufung an das Bundesgericht erhoben, mit dem Antrag, seine Klage sei in Aufhebung des angefochtenen Urteils zu schützen. Die Beklagte beantragt, die Berufung sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Nach Art. 4 VVG hat der Antragsteller dem Versicherer an Hand eines Fragebogens oder auf sonstiges schriftliches Befragen alle für die Beurteilung der Gefahr erheblichen Tatsachen, soweit und so wie sie ihm beim Vertragsabschlusse bekannt sind oder bekannt sein müssen, schriftlich mitzuteilen. Als erheblich gelten jene Gefahrstatsachen, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu den vereinbarten Bedingungen abzuschliessen, einen Einfluss auszuüben. Die Gefahrstatsachen, auf welche die schriftlichen Fragen des Versicherers in bestimmter, unzweideutiger Fassung gerichtet sind, werden als erheblich vermutet.
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Gefahrstatsachen sind alle Tatsachen, die bei Beurteilung der Gefahr in Betracht fallen und den Versicherer demzufolge über den Umfang der zu deckenden Gefahr aufklären können; dazu sind nicht nur jene Tatsachen zu rechnen, welche die Gefahr verursachen, sondern auch solche, die bloss einen Rückschluss auf das Vorliegen von Gefahrenursachen gestatten (BGE 99 II 77 unten/78 oben mit Hinweisen). Hat der Antragsteller beim Abschluss einer Versicherung eine für ihn erkennbare erhebliche Gefahrstatsache im soeben dargelegten Sinn, nach der er ausdrücklich und in unzweideutiger Art gefragt worden war, unrichtig beantwortet oder verschwiegen, so steht dem Versicherer nach Art. 6 VVG das Recht zu, binnen vier Wochen seit Kenntnis der Verletzung der Anzeigepflicht vom Vertrag zurückzutreten.
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3. Der Betrachtungsweise des Klägers kann nicht gefolgt werden. Wie im angefochtenen Urteil zutreffend dargelegt wird, konnte das Wörtchen "ein" in der von der Beklagten gestellten Frage ("Wurde ein Versicherungsantrag auf Ihr Leben bereits bei einer andern Lebensversicherungsgesellschaft gestellt?") vernünftigerweise nicht im Sinne eines Zahlwortes, sondern nur als unbestimmter Artikel verstanden werden. Die Annahme, die Beklagte wünsche im Falle der Stellung mehrerer Lebensversicherungsanträge nur von einem einzigen derselben Kenntnis zu erhalten, würde dem Grundsatz von Treu und Glauben im Geschäftsverkehr widersprechen. Mit Recht hat die Vorinstanz auch darauf hingewiesen, dass die ganze Ausgestaltung des Frageschemas im Antragsformular gegen die klägerische Auffassung spricht. Es wäre in der Tat nicht einzusehen, weshalb für die Eintragungen in den verschiedenen Kolonnen insgesamt vier Zeilen zur Verfügung standen, wenn es nicht die Meinung gehabt haben sollte, dem Antragsteller auf diese Weise zu ermöglichen, mehrere von ihm bei andern Gesellschaften gestellte Anträge anzugeben. Von einer zweideutigen Fassung der Frage nach andern Versicherungsanträgen, die zu Zweifeln über den Sinn dieser Frage hätte Anlass geben können, kann deshalb keine Rede sein. Im übrigen zeigt die Schilderung im angefochtenen Urteil darüber, wie die Antragstellung durch den Kläger seinerzeit erfolgte, dass dieser durch die Formulierung der betreffenden Frage im Antragsformular in keiner Weise irregeführt wurde. Die Vorinstanz hat in dieser Hinsicht beweismässig festgestellt, dass der Kläger vom Agenten Gerber der Beklagten tatsächlich nach mehreren bestehenden Versicherungen gefragt worden war. In Übereinstimmung mit der Vorinstanz ist deshalb davon auszugehen, dass der Kläger durch die Verschweigung des mit der Gesellschaft UAP geschlossenen Versicherungsvertrages die ihm gestellte Frage unrichtig beantwortet hat. Mit Recht wird in diesem Zusammenhang die Behauptung nicht wieder aufgenommen, der verschwiegene Versicherungsvertrag habe auch deshalb nicht angegeben werden müssen, weil er ursprünglich von der F. AG und nicht vom Kläger persönlich abgeschlossen worden sei.
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4. Das angefochtene Urteil erweist sich sodann auch insofern als richtig, als die Frage nach bei andern Lebensversicherungsgesellschaften gestellten Versicherungsanträgen als eine solche nach einer erheblichen Gefahrstatsache betrachtet wurde. Zwar bezieht sich diese Frage nicht unmittelbar auf die zu versichernde Gefahr als solche. Trotzdem kann sie dem Versicherer einen Rückschluss erlauben, ob möglicherweise eine Gefahrstatsache in diesem engeren Sinn vorhanden sei. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn der bei einer andern Gesellschaft gestellte Antrag abgelehnt oder nur zu erschwerenden Bedingungen angenommen worden ist (BGE 55 II 58f.). Aber auch abgesehen davon kann das Bestehen anderer Versicherungen gleicher Art oder die Stellung eines Versicherungsantrages bei einer andern Gesellschaft als Hilfstatsache für die Abschätzung des zu deckenden Risikos von Bedeutung sein. Es können sich daraus Rückschlüsse auf Absichten oder Eigenschaften der zu versichernden Person ergeben, die für die Risikobewertung nicht gleichgültig sind (BGE 68 II 331; KOENIG, Schweiz. Privatversicherungsrecht, 3. Aufl., S. 171; ROELLI/KELLER, Kommentar zum VVG, Bd. I, S. 101 f.). So kann z.B. der Abschluss verschiedener hoher Lebens- und Invaliditätsversicherungen unter Umständen einen Anhaltspunkt für Suizidgedanken oder für ein erhöhtes Invaliditätsrisiko des zu Versichernden bilden. Das Verschweigen solcher Versicherungen berechtigt deshalb den Versicherer, gemäss Art. 6 VVG vom Versicherungsvertrag zurückzutreten. Ein solches Ergebnis wäre allerdings stossend, wenn der Antragsteller die Angabe eines einzigen von mehreren Versicherungsverträgen vergisst, insbesondere wenn der Abschluss des Vertrags viele Jahre zurückliegt und die Versicherungssumme verhältnismässig klein ist. So verhielt es sich im vorliegenden Fall indessen nicht. Der Kläger vermochte sich nämlich sehr wohl an die bereits im Jahre 1967 bei der "Patria" abgeschlossene Versicherung mit einem Versicherungskapital von bloss Fr. 15'000.-- und einer Invaliditätsrente von Fr. 1'200.-- zu erinnern. Die zehn Jahre später abgeschlossene, viel bedeutendere Versicherung mit der Versicherungsgesellschaft UAP mit einem Kapital von Fr. 100'000.-- und einer Invaliditätsrente von Fr. 30'000.-- verschwieg er jedoch. Diese Versicherung vermochte den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu den vereinbarten Bedingungen abzuschliessen, viel eher zu beeinflussen als diejenige mit der "Patria". Die Verschweigung dieses Versicherungsvertrags war deshalb zweifellos geeignet, das Rücktrittsrecht der Beklagten auszulösen.
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