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100. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 25. November 1982 i.S. B. AG gegen K. und drei Mitbeteiligte (Berufung) | |
Regeste |
Auslegung einer Dienstbarkeit (Art. 738 Abs. 2 ZGB). | |
Sachverhalt | |
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"Die jeweiligen Eigentümer der Parzellen Nr. 1920 bis 1931, 1934 bis 1941 und 1943 bis 1951 verpflichten sich gegenseitig dinglich, auf ihren Parzellen Bauten zu erstellen, die lediglich ein Untergeschoss, ein Obergeschoss ( = Parterre) und ein Dachgeschoss enthalten. Die auszuführenden Bauten dürfen keine Flachdächer aufweisen."
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Nach den Aussagen, die L. im vorliegenden Prozess als Zeuge machte, war äusserer Anlass der Servitutsbegründung die Kritik der einheimischen Bevölkerung gegenüber den Fremden, die mit der Überbauung des betreffenden Landes nach X. kommen sollten. Mit der Servitut hätten der bauliche Charakter, wie er damals in jenem Gebiet vorgeherrscht habe, erhalten und grössere Bauvorhaben verhindert werden wollen. Auf entsprechend häufige Fragen von Bauinteressenten hin habe sodann auf Grund der Dienstbarkeit versichert werden können, dass die Aussicht garantiert sei. Wichtig sei vor allem gewesen, dass bloss kleine Chalets wie im betreffenden Gebiet üblich und keine halben Hotels im Chaletstil gebaut würden. Zweck der Servitut sei demnach gewesen, die Dimension und die Höhe der Häuser zu beschränken.
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B.- Eine der aus der Parzellierung des Landes von L. hervorgegangenen Parzellen (Grundbuchblatt-Nr. 1938) war von I. erworben worden. Dieser stellte am 22. April 1977 ein Baugesuch zur Erstellung eines Mehrfamilienhauses auf seinem Grundstück. Verschiedene Eigentümer von Nachbargrundstücken bekämpften dieses Projekt und fochten die Baubewilligung vor sämtlichen kantonalen Instanzen an. Diesen Bemühungen blieb indessen der Erfolg versagt. Mit Urteil vom 27. April 1981 wies letztinstanzlich das Verwaltungsgericht des Kantons Bern die Beschwerde der Nachbarn gegen die Bestätigung der Baubewilligung durch den Regierungsrat ab. Inzwischen war das Eigentum am betreffenden Grundstück von I. auf die B. AG übergegangen, die anstelle des bisherigen Eigentümers in das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht eingetreten war.
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Die B. AG reichte am 19. April 1982 gestützt auf Baupläne vom 18. und 30. November 1981 ein Gesuch um Abänderung des ursprünglichen Projektes ein, das sie mit einem Entgegenkommen gegenüber den Nachbarn begründete. Die abgeänderten Pläne ![]() | 5 |
C.- Am 27. April 1981 erhoben vier Eigentümer von Nachbargrundstücken der B. AG beim Appellationshof des Kantons Bern Klage gegen diese. Sie verlangten die Feststellung, dass das Bauprojekt der Beklagten die Baubeschränkungsservitut verletze (Klagebegehren Ziff. 1), und beantragten, es sei der Beklagten die Erstellung des geplanten Mehrfamilienhauses unter Strafandrohung zu verbieten (Klagebegehren Ziff. 2). Nachdem die Beklagte das ursprüngliche Projekt am 19. April 1982 abgeändert hatte, beantragten die Kläger im Sinne einer Klageänderung neu, es sei festzustellen, dass auch das Projekt gemäss Abänderungsgesuch der Beklagten die Dienstbarkeit verletze, und es sei der Beklagten unter der gleichen Androhung zu verbieten, auf ihrem Grundstück ein Haus nach den abgeänderten Plänen zu bauen. Die Beklagte erhob keine Einwendungen gegen die Klageänderung und erklärte, sich den Rechtsbegehren Ziffern 1 und 2 der Klage zu unterziehen.
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Mit Urteil vom 19. Mai 1982 nahm und gab der Appellationshof davon Akt, dass sich die Beklagte der Klage mit Bezug auf die Klagebegehren Ziffern 1 und 2 unterzogen habe (Ziffer 1 des Dispositivs). Sodann stellte er fest, dass auch das Projekt der Beklagten gemäss Abänderungsgesuch vom 19. April 1982, das sich auf die Pläne vom 18. und 30. November 1981 stützte, die zulasten des Grundstücks der Beklagten und zugunsten der Grundstücke der Kläger im Grundbuch eingetragene Baubeschränkungsservitut verletze (Ziffer 2 des Dispositivs). Schliesslich verbot der Appellationshof der Beklagten, ein Mehrfamilienhaus nach den erwähnten Plänen auf Parzelle Nr. 1938 zu erstellen, unter Androhung der Straffolgen gemäss Art. 403 der Zivilprozessordnung für den Kanton Bern im Widerhandlungsfall (Ziffer 3 des Dispositivs). Die Ziffern 4 und 5 des Urteilsdispositivs regelten die Kostentragungs- und Entschädigungspflicht.
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D.- Die Beklagte hat gegen das Urteil des Appellationshofes des Kantons Bern Berufung an das Bundesgericht erhoben. Sie beantragt, es seien die Ziffern 2 bis 5 des Dispositivs dieses Urteils aufzuheben und die Klage sei insoweit abzuweisen.
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Das Bundesgericht heisst die Berufung gut, hebt die Ziffern 2 bis 5 des Dispositivs des angefochtenen Urteils auf und weist die Klage ab.
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Erwerbsgrund bildet hier die Urkunde, mit welcher L. als früherer Eigentümer die Dienstbarkeit als gegenseitiges Recht und gleichzeitige Last sämtlicher Parzellen gestützt auf Art. 733 ZGB errichtet hat. Die Vorinstanz hat zur Ermittlung der Tragweite der Servitut massgebend auf die Aussagen von L. abgestellt. Sie hat diesen als Zeugen darüber befragt, was mit der Errichtung der Dienstbarkeit beabsichtigt gewesen sei. Im angefochtenen Entscheid wird die Auffassung vertreten, es könne auf die Aussagen von L. als "authentische Interpretation" abgestellt werden, wobei dessen Absichten und Vorstellungen so auszulegen seien, wie sie vernünftigerweise verstanden werden müssten. Zur Rechtfertigung dieses Vorgehens hat sich die Vorinstanz auf PIOTET berufen, der im Gegensatz zu LIVER die Meinung vertreten habe, bei der Auslegung des Erwerbstitels müsse versucht werden, den wirklichen Willen des oder der Urheber zu ermitteln.
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Die Parteien sind sich darüber einig, dass die Vorinstanz von einem Unterschied in den Auffassungen LIVERS und PIOTETS ausgegangen ist, der jedenfalls in dem von ihr hervorgehobenen Ausmass nicht besteht. Wie in der Berufungsantwort zutreffend ausgeführt wird, kann höchstens von einer Nuance gesprochen werden, worin sich die Meinungen LIVERS und PIOTETS unterscheiden. Beide Autoren stimmen darin überein, dass die Auslegung des Erwerbstitels grundsätzlich nach dem Vertrauensprinzip zu erfolgen hat. Soweit es sich um Dritte handelt, die an der Servitutserrichtung nicht beteiligt waren, vertritt LIVER die Auffassung, dass "ganz individuelle persönliche Umstände und Motive, die für die ![]() | 12 |
Unter den ganz individuellen persönlichen Umständen und Motiven der an der Errichtung einer Dienstbarkeit Beteiligten, die im Falle eines Dritterwerbers bei der Auslegung des Erwerbstitels nicht berücksichtigt werden sollen, versteht LIVER offenbar solche, die für einen Dritten normalerweise nicht erkennbar sind. Es würde in der Tat der Publizitätsfunktion des Grundbuchs, als dessen Bestandteil auch der Erwerbstitel zu betrachten ist, widersprechen, wenn auf solche individuelle Absichten, die aus dem Titel selber nicht hervorgehen, abgestellt werden wollte (in diesem Sinne auch K. R. NAEGELI, Die Auslegung der Grunddienstbarkeiten, Diss. Zürich 1935, S. 137). Soweit PIOTET dem Willen des Urhebers des Erwerbstitels in einem darüber hinausgehenden Mass Rechnung tragen möchte, könnte ihm nicht gefolgt werden.
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3. Im vorliegenden Fall ergab sich für die Beklagte aus dem als Erwerbsgrund dienenden Grundbuchbeleg, dass die im Grundbuch ![]() | 14 |
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Zweck der Dienstbarkeit, den die Beklagte auf Grund des Wortlauts des Errichtungsaktes in guten Treuen als massgebend betrachten durfte. Die von L. mit der Servitutsbegründung verfolgten Absichten haben im Erwerbstitel nur insoweit ihren Niederschlag gefunden, als die Zahl der zulässigen Baugeschosse und die Art der Dachgestaltung beschränkt wurden. Als Zweck der Dienstbarkeit liess sich daraus in keiner Weise eine allgemeine Beschränkung des Bauvolumens und insbesondere keine solche des Gebäudegrundrisses ableiten, sondern höchstens eine solche der Gebäudehöhe und der Dachgestaltung. Aber auch die Höhenbegrenzung war bloss eine ungefähre, da sie sich nur in unbestimmter Weise aus der Beschränkung der Geschosszahl ergab.
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