BGE 108 II 542 | |||
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100. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 25. November 1982 i.S. B. AG gegen K. und drei Mitbeteiligte (Berufung) | |
Regeste |
Auslegung einer Dienstbarkeit (Art. 738 Abs. 2 ZGB). | |
Sachverhalt | |
A.- L. hatte in X. ein grosses Stück Land erworben, um es zu erschliessen und zu überbauen, bzw. parzellenweise als Bauland zu verkaufen. Bei der Parzellierung seines Grundbesitzes liess er im Jahre 1961 auf den neu gebildeten Grundstücken eine als Baubeschränkung bezeichnete Grunddienstbarkeit im Grundbuch eintragen, und zwar auf jedem Grundstück gleichzeitig als Last zugunsten und als Recht zulasten der übrigen Parzellen. In dem für die Eintragung massgebenden Grundbuchbeleg wurde diese Baubeschränkung wie folgt umschrieben:
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"Die jeweiligen Eigentümer der Parzellen Nr. 1920 bis 1931, 1934 bis 1941 und 1943 bis 1951 verpflichten sich gegenseitig dinglich, auf ihren Parzellen Bauten zu erstellen, die lediglich ein Untergeschoss, ein Obergeschoss ( = Parterre) und ein Dachgeschoss enthalten. Die auszuführenden Bauten dürfen keine Flachdächer aufweisen."
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Nach den Aussagen, die L. im vorliegenden Prozess als Zeuge machte, war äusserer Anlass der Servitutsbegründung die Kritik der einheimischen Bevölkerung gegenüber den Fremden, die mit der Überbauung des betreffenden Landes nach X. kommen sollten. Mit der Servitut hätten der bauliche Charakter, wie er damals in jenem Gebiet vorgeherrscht habe, erhalten und grössere Bauvorhaben verhindert werden wollen. Auf entsprechend häufige Fragen von Bauinteressenten hin habe sodann auf Grund der Dienstbarkeit versichert werden können, dass die Aussicht garantiert sei. Wichtig sei vor allem gewesen, dass bloss kleine Chalets wie im betreffenden Gebiet üblich und keine halben Hotels im Chaletstil gebaut würden. Zweck der Servitut sei demnach gewesen, die Dimension und die Höhe der Häuser zu beschränken.
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B.- Eine der aus der Parzellierung des Landes von L. hervorgegangenen Parzellen (Grundbuchblatt-Nr. 1938) war von I. erworben worden. Dieser stellte am 22. April 1977 ein Baugesuch zur Erstellung eines Mehrfamilienhauses auf seinem Grundstück. Verschiedene Eigentümer von Nachbargrundstücken bekämpften dieses Projekt und fochten die Baubewilligung vor sämtlichen kantonalen Instanzen an. Diesen Bemühungen blieb indessen der Erfolg versagt. Mit Urteil vom 27. April 1981 wies letztinstanzlich das Verwaltungsgericht des Kantons Bern die Beschwerde der Nachbarn gegen die Bestätigung der Baubewilligung durch den Regierungsrat ab. Inzwischen war das Eigentum am betreffenden Grundstück von I. auf die B. AG übergegangen, die anstelle des bisherigen Eigentümers in das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht eingetreten war.
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Die B. AG reichte am 19. April 1982 gestützt auf Baupläne vom 18. und 30. November 1981 ein Gesuch um Abänderung des ursprünglichen Projektes ein, das sie mit einem Entgegenkommen gegenüber den Nachbarn begründete. Die abgeänderten Pläne sehen eine Reduktion der Gebäudehöhe um ca. 0,95 m und eine solche der Gebäudebreite um 2 m vor.
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C.- Am 27. April 1981 erhoben vier Eigentümer von Nachbargrundstücken der B. AG beim Appellationshof des Kantons Bern Klage gegen diese. Sie verlangten die Feststellung, dass das Bauprojekt der Beklagten die Baubeschränkungsservitut verletze (Klagebegehren Ziff. 1), und beantragten, es sei der Beklagten die Erstellung des geplanten Mehrfamilienhauses unter Strafandrohung zu verbieten (Klagebegehren Ziff. 2). Nachdem die Beklagte das ursprüngliche Projekt am 19. April 1982 abgeändert hatte, beantragten die Kläger im Sinne einer Klageänderung neu, es sei festzustellen, dass auch das Projekt gemäss Abänderungsgesuch der Beklagten die Dienstbarkeit verletze, und es sei der Beklagten unter der gleichen Androhung zu verbieten, auf ihrem Grundstück ein Haus nach den abgeänderten Plänen zu bauen. Die Beklagte erhob keine Einwendungen gegen die Klageänderung und erklärte, sich den Rechtsbegehren Ziffern 1 und 2 der Klage zu unterziehen.
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Mit Urteil vom 19. Mai 1982 nahm und gab der Appellationshof davon Akt, dass sich die Beklagte der Klage mit Bezug auf die Klagebegehren Ziffern 1 und 2 unterzogen habe (Ziffer 1 des Dispositivs). Sodann stellte er fest, dass auch das Projekt der Beklagten gemäss Abänderungsgesuch vom 19. April 1982, das sich auf die Pläne vom 18. und 30. November 1981 stützte, die zulasten des Grundstücks der Beklagten und zugunsten der Grundstücke der Kläger im Grundbuch eingetragene Baubeschränkungsservitut verletze (Ziffer 2 des Dispositivs). Schliesslich verbot der Appellationshof der Beklagten, ein Mehrfamilienhaus nach den erwähnten Plänen auf Parzelle Nr. 1938 zu erstellen, unter Androhung der Straffolgen gemäss Art. 403 der Zivilprozessordnung für den Kanton Bern im Widerhandlungsfall (Ziffer 3 des Dispositivs). Die Ziffern 4 und 5 des Urteilsdispositivs regelten die Kostentragungs- und Entschädigungspflicht.
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D.- Die Beklagte hat gegen das Urteil des Appellationshofes des Kantons Bern Berufung an das Bundesgericht erhoben. Sie beantragt, es seien die Ziffern 2 bis 5 des Dispositivs dieses Urteils aufzuheben und die Klage sei insoweit abzuweisen.
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Das Bundesgericht heisst die Berufung gut, hebt die Ziffern 2 bis 5 des Dispositivs des angefochtenen Urteils auf und weist die Klage ab.
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Aus den Erwägungen: | |
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Erwerbsgrund bildet hier die Urkunde, mit welcher L. als früherer Eigentümer die Dienstbarkeit als gegenseitiges Recht und gleichzeitige Last sämtlicher Parzellen gestützt auf Art. 733 ZGB errichtet hat. Die Vorinstanz hat zur Ermittlung der Tragweite der Servitut massgebend auf die Aussagen von L. abgestellt. Sie hat diesen als Zeugen darüber befragt, was mit der Errichtung der Dienstbarkeit beabsichtigt gewesen sei. Im angefochtenen Entscheid wird die Auffassung vertreten, es könne auf die Aussagen von L. als "authentische Interpretation" abgestellt werden, wobei dessen Absichten und Vorstellungen so auszulegen seien, wie sie vernünftigerweise verstanden werden müssten. Zur Rechtfertigung dieses Vorgehens hat sich die Vorinstanz auf PIOTET berufen, der im Gegensatz zu LIVER die Meinung vertreten habe, bei der Auslegung des Erwerbstitels müsse versucht werden, den wirklichen Willen des oder der Urheber zu ermitteln.
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Die Parteien sind sich darüber einig, dass die Vorinstanz von einem Unterschied in den Auffassungen LIVERS und PIOTETS ausgegangen ist, der jedenfalls in dem von ihr hervorgehobenen Ausmass nicht besteht. Wie in der Berufungsantwort zutreffend ausgeführt wird, kann höchstens von einer Nuance gesprochen werden, worin sich die Meinungen LIVERS und PIOTETS unterscheiden. Beide Autoren stimmen darin überein, dass die Auslegung des Erwerbstitels grundsätzlich nach dem Vertrauensprinzip zu erfolgen hat. Soweit es sich um Dritte handelt, die an der Servitutserrichtung nicht beteiligt waren, vertritt LIVER die Auffassung, dass "ganz individuelle persönliche Umstände und Motive, die für die Willensbildung der Parteien bestimmend waren, nicht berücksichtigt werden" dürfen. Auch seiner Meinung nach sind die im Erwerbstitel zum Ausdruck gelangenden Willenserklärungen jedoch in dem Sinne massgebend, "in welchem sie von einem aufmerksamen, sachlich denkenden Menschen nach Treu und Glauben verstanden werden". (LIVER, 2. Aufl., N. 94 zu Art. 738 ZGB.) LIVER spricht in diesem Zusammenhang von einer Objektivierung, die "gegenüber einem Vertrag, dessen Zweck sich in der Begründung eines obligatorischen Verhältnisses erschöpft, um einen Grad verstärkt" sei. Er schliesst sich sodann der Ausdrucksweise eines deutschen Autors, WESTERMANN, an, der von einer "Auslegung nach den objektiv erkennbaren Umständen" spricht (a.a.O. N. 95). Die im angefochtenen Entscheid zitierten Ausführungen LIVERS in Note 38 zu Art. 738 ZGB beziehen sich hingegen nicht auf die Auslegung des Erwerbstitels, sondern auf jene des Grundbucheintrags, was die Vorinstanz offenbar übersehen hat. - Nach PIOTET muss bei der Auslegung "versucht werden, den wirklichen Willen des oder der Urheber des Erwerbstitels zu ermitteln (Art. 18 OR); allen Umständen, welche dem Erklärungsempfänger bekannt sind oder sein müssen, ist, sofern es sich um eine empfangsbedürftige Erklärung handelt, deshalb Rechnung zu tragen". Auch PIOTET räumt aber ein, "dass der gutgläubige Dritte dann geschützt wird, wenn er, um die Eintragung zu präzisieren, dem Sinn, der dem Titel vernünftigerweise für ihn zukam, vertraut hat, unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände, die ihm bekannt waren oder sein mussten" (Schweizerisches Privatrecht, Bd. V/1, S. 584 oben).
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Unter den ganz individuellen persönlichen Umständen und Motiven der an der Errichtung einer Dienstbarkeit Beteiligten, die im Falle eines Dritterwerbers bei der Auslegung des Erwerbstitels nicht berücksichtigt werden sollen, versteht LIVER offenbar solche, die für einen Dritten normalerweise nicht erkennbar sind. Es würde in der Tat der Publizitätsfunktion des Grundbuchs, als dessen Bestandteil auch der Erwerbstitel zu betrachten ist, widersprechen, wenn auf solche individuelle Absichten, die aus dem Titel selber nicht hervorgehen, abgestellt werden wollte (in diesem Sinne auch K. R. NAEGELI, Die Auslegung der Grunddienstbarkeiten, Diss. Zürich 1935, S. 137). Soweit PIOTET dem Willen des Urhebers des Erwerbstitels in einem darüber hinausgehenden Mass Rechnung tragen möchte, könnte ihm nicht gefolgt werden.
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3. Im vorliegenden Fall ergab sich für die Beklagte aus dem als Erwerbsgrund dienenden Grundbuchbeleg, dass die im Grundbuch als Recht und gleichzeitig als Last eingetragene Baubeschränkung in einer Begrenzung der zulässigen Geschosse auf ein Untergeschoss, ein Obergeschoss und ein Dachgeschoss sowie im Verbot von Flachdächern bestand. An diese Umschreibung des Servitutsinhalts durfte sie sich halten. Sie war nicht verpflichtet, den für die Errichtung dieser Baubeschränkung massgebenden Beweggründen weiter nachzuforschen, indem sie z.B. L. über die von ihm mit der Dienstbarkeit verfolgten Absichten befragte. Der in der Berufungsantwort hervorgehobene Umstand, der Beklagten sei anlässlich des Erwerbs der belasteten Liegenschaft bekannt gewesen, dass verschiedene Nachbarn das Bauprojekt als mit der Dienstbarkeit in Widerspruch stehend bekämpften, ist für die Frage des Umfangs der Baubeschränkung ohne Bedeutung. Nachdem im Erwerbstitel keine weitergehende Beschränkung der Baufreiheit vorgesehen war als die Begrenzung der Geschosszahl und das Verbot von Flachdächern, durfte die Beklagte ungeachtet der von den Nachbarn vertretenen Auffassung davon ausgehen, dass sich der Inhalt der Dienstbarkeit darin erschöpfe. Auch die bisherige Art der Quartierüberbauung gab ihr keinen Anlass, die Dienstbarkeit anders zu verstehen, als sie im Erwerbstitel formuliert war. Wenn die andern Grundeigentümer ihre Parzellen baulich nicht stärker genutzt hatten, musste, von der Geschosszahl abgesehen, der Grund hiefür entgegen der Auffassung der Kläger nicht in der Baubeschränkungsservitut gesucht werden, die auf jedem Grundstück lastete. Die Beklagte durfte vielmehr davon ausgehen, dass sie unabhängig von der Bauweise der Nachbarn berechtigt sei, auf ihrem Grundstück ein Gebäude zu errichten, das der Umschreibung der Dienstbarkeit im Erwerbstitel entspreche.
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Zweck der Dienstbarkeit, den die Beklagte auf Grund des Wortlauts des Errichtungsaktes in guten Treuen als massgebend betrachten durfte. Die von L. mit der Servitutsbegründung verfolgten Absichten haben im Erwerbstitel nur insoweit ihren Niederschlag gefunden, als die Zahl der zulässigen Baugeschosse und die Art der Dachgestaltung beschränkt wurden. Als Zweck der Dienstbarkeit liess sich daraus in keiner Weise eine allgemeine Beschränkung des Bauvolumens und insbesondere keine solche des Gebäudegrundrisses ableiten, sondern höchstens eine solche der Gebäudehöhe und der Dachgestaltung. Aber auch die Höhenbegrenzung war bloss eine ungefähre, da sie sich nur in unbestimmter Weise aus der Beschränkung der Geschosszahl ergab.
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Dadurch, dass die Vorinstanz auf Grund der Zeugenaussagen von L. der Servitut einen weit über ihren Wortlaut hinausreichenden Inhalt beilegte, hat sie die sich aus dem Bundesrecht ergebenden Grundsätze über die Auslegung der Dienstbarkeiten verletzt. Ungeachtet der vom Urheber der Baubeschränkung verfolgten Absichten kann als Zweck der Dienstbarkeit nicht eine allgemeine Beschränkung der äusseren Dimensionen der Bauten auf den Dienstbarkeitsparzellen anerkannt werden. Dass das Bauprojekt der Beklagten hinsichtlich der Gebäudelänge und -breite erheblich von den übrigen Gebäuden in diesem Gebiet abweicht und ein wesentlich grösseres Bauvolumen als diese aufweist, verstösst deshalb nicht gegen die Servitut. Auf die subjektiven Vorstellungen von L. kann es im Gegensatz zur Auffassung der Vorinstanz und der Kläger nicht ankommen. Unmassgeblich ist auch, von welchen Überlegungen sich die übrigen Grundeigentümer bei der Überbauung ihrer Parzellen haben leiten lassen. Entscheidend ist allein, dass sich dem zu den Grundbuchbelegen gehörenden Errichtungsakt keine weitergehende Beschränkung der Baufreiheit als die Begrenzung der Geschosszahl und das Verbot von Flachdächern entnehmen lässt.
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