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79. Urteil der II. Zivilabteilung vom 8. Dezember 1983 i.S. Christ gegen Mills (Berufung) | |
Regeste |
Klage auf Abänderung eines amerikanischen Urteils betreffend Kinderzuteilung als Nebenfolge der Scheidung der Eltern; örtliche Zuständigkeit. | |
Sachverhalt | |
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Zufolge einer neuen Ehe nahm Jane Mills den Namen Christ an und wurde schweizerisch-amerikanische Doppelbürgerin. Nachdem die am 25. Januar 1967 geborene Tochter Heidi Marie zu ihr nach Liestal gezogen war, reichte sie mit Eingabe vom 18. Februar 1981 beim dortigen Bezirksgericht Klage auf Abänderung des Scheidungsurteils ein. Sie stellte dabei folgendes Rechtsbegehren:
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"Es sei in Aufhebung des Urteils des Bezirksgerichts Tuscaloosa im Staate Alabama/U.S.A. vom 28. April 1980 das Scheidungsurteil des Obergerichts von DeKalb County im Staate Georgia/U.S.A. vom 1. August 1978 bzw. das Urteil betreffend Kinderzuteilung vom 9. Januar 1979 in dem Sinne abzuändern, dass das Kind Heidi Marie Mills, geboren am 25. Januar 1967, der Klägerin und Mutter zur Pflege und Erziehung zuzuweisen und bis zur Volljährigkeit unter deren elterliche Gewalt zu stellen ist."
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In seinem Urteil vom 4. November 1982 lehnte es das Bezirksgericht Liestal ab, auf die Abänderungsklage einzutreten, da es an der örtlichen Zuständigkeit fehle. Das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft bestätigte diesen Entscheid am 7. Juni 1983.
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Gegen das obergerichtliche Urteil hat die Klägerin Berufung an das Bundesgericht erhoben mit dem Antrag, es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und auf die Abänderungsklage einzutreten. Der Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Urteils.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Streitig ist die Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte zur Beurteilung einer Klage auf Abänderung eines Scheidungsurteils, das gegenüber amerikanischen Staatsbürgern von einem amerikanischen Gericht ausgesprochen worden und nach erfolgtem Wohnsitzwechsel der einen Partei von einem weiteren amerikanischen Gericht bestätigt worden ist. Diese Frage stellt sich im Rahmen einer nichtvermögensrechtlichen Zivilrechtsstreitigkeit ![]() | 6 |
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Die Klägerin wirft dem Obergericht vor, es habe den Anwendungsbereich des MSA zu eng umschrieben und dadurch Bundesrecht verletzt.
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Während die Fragen der internationalen Zuständigkeit und des anwendbaren Rechts im MSA eingehend geregelt wurden, ist der ![]() | 10 |
4. a) Was die zu beurteilende Frage betrifft, ob die Zuteilung eines Kindes geschiedener Eltern vom MSA erfasst wird, ist vorab darauf hinzuweisen, dass der Bundesrat in seiner Botschaft vom 10. November 1982 zum Bundesgesetz über das internationale Privatrecht im Zusammenhang mit Art. 7 MSA (Anerkennung und Vollstreckung von Massnahmen) ausdrücklich und ohne jeden Vorbehalt die Übertragung der elterlichen Gewalt erwähnt hat (BBl 1983 I S. 378). Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ergibt sich aus dem Schlussbericht der Expertenkommission zum Entwurf zu einem Bundesgesetz über das internationale Privatrecht (Schweizer Studien zum internationalen Recht, Band 13) keineswegs das Gegenteil. Im Zusammenhang mit der Abgrenzung zwischen dem Anwendungsbereich des MSA und demjenigen des innerstaatlichen Kollisionsrechtes im Bereiche des internationalen Privatrechts betreffend die Wirkungen des Kindesverhältnisses wird im Bericht davon gesprochen, dass dem nicht staatsvertraglich geregelten Wirkungsstatut bei der Eltern-Kind-Beziehung insofern Raum bleibe, als Rechtsfragen allein aufgrund der Tatsache der Abstammung zu beantworten seien, während der Minderjährigenschutz erst dort eingreife, wo es eine Gefahr für das bestehende Eltern-Kind-Verhältnis abzuwehren gelte (vgl. S. 145). Daraus darf jedoch nicht geschlossen werden, die Zuteilung der elterlichen Gewalt als Nebenfolge einer Scheidung bzw. die Scheidung selber sei nicht ihrerseits als Gefährdungstatbestand im Sinne des MSA zu werten. Freilich ist die Frage der Zuteilung der elterlichen Gewalt im Zusammenhang mit einer Scheidung eine nicht zu vermeidende Folge dessen, dass die tatsächliche Lebensgemeinschaft zwischen den beiden Eltern und ihrem Kind mit der Scheidung aufhört, und der gesetzlich gewollten Unmöglichkeit, die elterliche Gewalt trotzdem beiden Eltern zu belassen. Insofern kann nicht von einer aussergewöhnlichen Bedrohung gesprochen werden. Stellt sich in einem späteren Zeitpunkt indessen die Frage der Umteilung der elterlichen Gewalt, wird deutlich, dass es darum ![]() | 11 |
b) Der Beklagte glaubt, aus Art. 15 MSA etwas für seinen Standpunkt ableiten zu können. Gemäss Absatz 1 dieser Bestimmung kann jeder Vertragsstaat, dessen Behörden dazu berufen sind, über eine Klage auf Nichtigerklärung, Auflösung oder Lockerung des zwischen den Eltern eines Minderjährigen bestehenden Ehebandes zu entscheiden, die Zuständigkeit dieser Behörden für Massnahmen zum Schutze der Person oder des Vermögens des Minderjährigen vorbehalten. Die Schweiz hat von diesem Vorbehalt Gebrauch gemacht und erachtet den Richter, der über Ungültigkeit, Scheidung oder Trennung der Ehe zu befinden hat, als zuständig, im Rahmen der Art. 133 Abs. 2, 156 und 157 ZGB Massnahmen zum Schutze der Person oder des Vermögens eines Minderjährigen zu treffen.
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Gewiss waren die ursprünglichen Absichten der Schweizer Delegation an der Haager Konferenz darauf gerichtet, die nach schweizerischem Recht in die Zuständigkeit des Scheidungsrichters fallenden Massnahmen, die minderjährige Kinder betreffen, aus dem Anwendungsbereich des MSA auszuklammern (vgl. KAUFMANN, Die Anerkennung von Entscheiden über die Gestaltung der Elternrechte bei Ehescheidung, in: Festschrift zum 70. Geburtstag von Max Guldener, S. 159 f.; zur Entstehungsgeschichte von Art. 15 MSA vgl. auch KROPHOLLER, in: Kommentar Staudinger, N. 740 ff. zu den Vorbemerkungen zu Art. 18 EGBGB). In seiner Botschaft vom 4. März 1966 betreffend die Genehmigung des ![]() | 13 |
c) Beim Verfahren betreffend Abänderung eines Scheidungsurteils hinsichtlich der Zuteilung der elterlichen Gewalt kann es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht einfach darum gehen, die Interessenabwägung des Scheidungsrichters neu vorzunehmen. Vielmehr ist eine Abänderung des scheidungsrichterlichen Entscheides nur dann zulässig, wenn eine Veränderung der massgeblichen Verhältnisse eine andere Regelung zwingend erfordert (vgl. BGE 100 II 77). Um so weniger würde es sich rechtfertigen, Entscheide dieser Art vom Anwendungsbereich des MSA auszunehmen.
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5. a) Die Anwendbarkeit des MSA und die Zuständigkeit des von der Klägerin angerufenen schweizerischen Richters können nach dem Gesagten nur dann verneint werden, wenn die Tochter der Parteien im Zeitpunkt der Klageeinleitung ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne von Art. 1 MSA nicht in der Schweiz gehabt haben sollte. Die Vorinstanz wird diese Frage deshalb noch zu prüfen haben. Dabei ist ihr darin beizupflichten, dass die Voraussetzung des gewöhnlichen Aufenthalts nicht leichthin ![]() | 15 |
b) Im Lichte des Gesagten dürfte ein Aufenthalt von vierzehn Tagen zur Erfüllung der Voraussetzung des gewöhnlichen Aufenthaltes im Sinne von Art. 1 MSA in der Regel nicht ausreichen. Indessen kann - wie auch die Vorinstanz andeutet - die nach Einreichung eines Massnahmebegehrens verstrichene Zeit nicht gänzlich ausser acht bleiben. Es ist nicht darüber hinwegzusehen, dass nach einer gewissen Zeitspanne - wegen der sozialen Desintegrierung im einen Staat und der Integrierung im andern (Aufenthalts-) Staat - eine Veränderung der massgeblichen Verhältnisse unabhängig davon eintreten kann, ob der Aufenthaltswechsel unter dem Gesichtspunkt der elterlichen Gewalt und des damit verbundenen Bestimmungsrechtes bezüglich des Aufenthaltes des Minderjährigen als widerrechtlich zu bezeichnen ist oder nicht (vgl. KROPHOLLER, a.a.O., N. 604 f. zu den Vorbemerkungen zu Art. 18 EGBGB). Dem Gedanken des widerrechtlichen Aufenthaltswechsels ist in einem solchen Fall bei der materiellen Beurteilung der im neuen Aufenthaltsstaat verlangten Schutzmassnahme Rechnung zu tragen. Auch bei einer die elterliche Gewalt betreffenden ![]() | 16 |
c) Im vorliegenden Fall fällt in Betracht, dass das Verfahren vor dem Bezirksgericht fast zwei Jahre gedauert hat. Es ist deshalb nicht von vornherein auszuschliessen, dass eine allenfalls eingetretene Veränderung der massgeblichen Verhältnisse eine Abänderung des Scheidungsurteils aus der Sicht des Kindeswohls als zwingend erforderlich erscheinen lässt, auch wenn dies gestützt auf die bisherige Aktenlage kaum als sehr wahrscheinlich angesehen werden kann. Abschliessend wird darüber jedoch erst nach durchgeführtem Beweisverfahren zu entscheiden sein. Was dabei die Frage der Einvernahme der Tochter der Parteien betrifft, so ist zu bemerken, dass die von der Klägerin ins Recht gelegten Briefe des Mädchens dessen Befragung nicht überflüssig zu machen vermögen.
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