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88. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 24. November 1983 i.S. B. gegen Verzinkerei Egnach AG (Berufung) | |
Regeste |
Verjährung von Schadenersatzansprüchen gemäss Art. 679 ZGB. | |
Sachverhalt | |
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Seit 1963 steht B. wegen einer endogenen Depression in psychiatrischer Behandlung. Im Jahre 1971 stellten die Ärzte auch bei seiner Ehefrau eine Depression exogen-reaktiver Natur fest.
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B.- Im März 1978 erhob B. gegen die Verzinkerei Egnach AG Klage auf Feststellung und Unterlassung der übermässigen Lärmimmissionen in der Zeit von 19.00 Uhr bis 07.00 Uhr sowie auf Schadenersatz im Betrag von Fr. 119'844.90 zuzüglich Zins zu 5% seit dem 1. September 1974, unter Vorbehalt des Nachklagerechts mit Rücksicht auf weitere Schadenersatzansprüche.
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Mit Urteil vom 25. September 1981 stellte das Bezirksgericht Arbon fest, dass vom Grundstück der Beklagten übermässige Lärmimmissionen ausgehen, und verpflichtete diese zur Ausführung verschiedener lärmdämpfender Massnahmen. Dieses Teilurteil, das sich nicht mit der Schadenersatzforderung befasste, wurde am 5. März 1982 vom Obergericht des Kantons Thurgau bestätigt und ist inzwischen in Rechtskraft erwachsen. Es ist damit hinsichtlich der lärmdämpfenden Vorkehren gegen die nach wie vor übermässigen Lärmimmissionen vollstreckbar geworden.
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C.- Über die vom Kläger geltend gemachte Schadenersatzforderung entschied das Bezirksgericht Arbon mit Urteil vom 24. November 1982. Es wies das entsprechende Rechtsbegehren ab mit der Begründung, die Forderung sei im Sinne von Art. 60 Abs. 1 OR verjährt, sofern sie überhaupt zu Recht bestehe.
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Gegen dieses Urteil erhob der Kläger Berufung an das Obergericht des Kantons Thurgau, welche am 1. März 1983 abgewiesen wurde.
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D.- Der Kläger führt hiegegen beim Bundesgericht Berufung. Er beantragt die Aufhebung des Urteils des Obergerichts vom 1. März 1983 und die Gutheissung seiner Schadenersatzforderung, eventuell die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Ergänzung des Beweisverfahrens und zu neuer Entscheidung.
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Das Bundesgericht heisst die Berufung gut, hebt das angefochtene Urteil auf und weist die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurück.
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3. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts unterliegen Schadenersatzansprüche, die sich auf Art. 679 ZGB stützen, der Verjährung gemäss Art. 60 OR (BGE 107 II 140, BGE 81 II 445 /46 und BGE 68 II 375). Nach dieser Bestimmung sind eine relative Verjährungsfrist von einem Jahr von dem Tag hinweg, wo der Geschädigte Kenntnis vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen erlangt hat, und eine absolute Frist von zehn Jahren, vom Tage der schädigenden Handlung an gerechnet, zu beachten. Im Gegensatz dazu gilt der Anspruch auf Beseitigung oder Unterlassung der Schädigung gemäss Art. 679 ZGB als unverjährbar. Er setzt indessen voraus, dass ein als fortdauernde Störung wirkender Zustand beseitigt werden kann oder eine weitere widerrechtliche Einwirkung zu verhindern ist (BGE 81 II 446 f. mit Hinweisen). Im Zusammenhang mit dem Beseitigungsanspruch hat sich unter anderem die Frage gestellt, ob mit dem Begriff der Schädigung im Sinne von Art. 679 ZGB der Erfolg der Einwirkung auf dem geschädigten Grundstück oder die schädigende Handlung bzw. der schädigende Zustand auf dem Ausgangsgrundstück ![]() | 10 |
Indessen besteht zwischen dem Beseitigungsanspruch und demjenigen auf Schadenersatz insofern ein unmittelbarer Zusammenhang, als der auf dem geschädigten Grundstück eingetretene Schaden auf die dem Beseitigungs- und allenfalls dem Unterlassungsanspruch zugrundeliegende übermässige Immission zurückzuführen ist. Das schädigende Ereignis, das die als Schaden zu bezeichnenden Folgen auf dem Nachbargrundstück hervorbringt, ist die dem unverjährbaren Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch unterliegende widerrechtliche Immission auf dem Ausgangsgrundstück. Daraus folgt für die allein verjährbare Schadenersatzforderung, dass grundsätzlich keine Verjährungsfrist läuft, solange das schädigende Ereignis andauert (BGE 107 II 140 und BGE 81 II 448 mit Hinweis). Das Bundesgericht schränkt diese Betrachtungsweise in BGE 81 II 448 insofern ein, als es festhält, eine Verjährung könne nur dann nicht zu laufen beginnen, wenn und solange kein abgeschlossener Schaden vorliege. Dieser Vorbehalt bedeutet indessen nur eine Verdeutlichung und nicht eine eigentliche Einschränkung des oben Gesagten. Das Bundesgericht verweist nämlich an dieser Stelle auf BGE 55 II 253 E. 2. Aus diesem Urteil ergibt sich aber mit aller Deutlichkeit, dass der behauptete Schaden nur dann als abgeschlossen betrachtet werden soll, wenn die schädigende Handlung bzw. das schädigende Ereignis schon vor der Einreichung der Schadenersatzklage aufgehört hat. Damit wird auch die in der ![]() | 11 |
Nun sind gegen diese Betrachtungsweise der bundesgerichtlichen Rechtsprechung in der jüngeren Doktrin gewisse Vorbehalte angemeldet worden (siehe SPIRO, Die Begrenzung privater Rechte durch Verjährungs-, Verwirkungs- und Fatalfristen, Bd. I § 60 S. 125 ff.). Dieser Autor weist darauf hin, dass der Schadenersatzanspruch bei wiederholten und fortgesetzten Delikten, aber auch bei Dauer- und Zustandsdelikten einer Gesamtverjährung unterliegen sollte. Doch macht auch er eine Ausnahme für jene Fälle, in denen die Natur des verletzten Rechtsgutes einen Verzicht und damit auch die Verjährung künftiger Ansprüche ausschliesst oder besondere Regeln entgegenstehen, wozu namentlich die meisten Gefährdungen der körperlichen Integrität und anderer Persönlichkeitsgüter, auf deren Schutz ihr Träger nicht bindend verzichten kann, gehören (SPIRO, a.a.O., S. 128). Solche Persönlichkeitsgüter liegen aber auch der Schadenersatzforderung des Klägers zugrunde, verlangt er doch Schadenersatz wegen der durch die übermässigen Immissionen bewirkten Beeinträchtigung seiner Gesundheit und Arbeitsfähigkeit.
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Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass mit der ![]() | 14 |
Nach dem Ausgeführten hat die Vorinstanz die vom Kläger geltend gemachte Schadenersatzforderung zu Unrecht als verjährt betrachtet und die Klage demzufolge abgewiesen. Ist die Verjährung des Anspruchs noch nicht eingetreten, so hat das Obergericht die Klage materiell zu behandeln. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben, und die Sache ist zur materiellen Beurteilung und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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