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Informationen zum Dokument  BGE 109 II 423  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
1. Der Beklagte beantragt in erster Linie, die Klage zurückz ...
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89. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. Oktober 1983 i.S. Blunier gegen Stockwerkeigentümergemeinschaft Chemin du Crêt (Berufung)
 
 
Regeste
 
Partei- und Prozessfähigkeit der Stockwerkeigentümergemeinschaft bei Gewährleistungsansprüchen (Art. 712l ZGB).  
 
Sachverhalt
 
BGE 109 II, 423 (424)Die Firma Monbaron + Moser erstellte 1973/74 als Bauherrin die Häuser Chemin du Crêt in Leubringen und verkaufte diese noch während des Baus zu Stockwerkeigentum. Im Winter 1977/78 zeigten sich Schäden im Fassadenverputz, der von Jürg Blunier erstellt worden war. Trotz Beanstandungen wurden die Mängel nicht behoben. Schliesslich verzichtete die Stockwerkeigentümergemeinschaft auf Nachbesserung und klagte im März 1980 gegen Blunier auf Bezahlung von Fr. 102'200.--. Der Appellationshof des Kantons Bern bejahte in einem Zwischenentscheid die vom Beklagten bestrittene Partei- und Prozessfähigkeit der Klägerin und hiess die Klage am 3. November teilweise gut, indem es den Beklagten zur Bezahlung von Fr. 40'000.-- nebst Zins an die Klägerin verpflichtete.
1
Auf Berufung des Beklagten bejaht das Bundesgericht die Partei- und Prozessfähigkeit der Klägerin ebenfalls, heisst im übrigen die Berufung gut und weist die Klage unter Aufhebung des kantonalen Urteils ab.
2
 
Aus den Erwägungen:
 
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a) Die Klägerin macht Gewährleistungsansprüche aus dem Werkvertrag des Beklagten mit der Bauherrin Monbaron + Moser geltend, welche ihr von dieser abgetreten worden sind. Mit der Berufung wird geltend gemacht, der Gemeinschaft stehe nach Gesetz und herrschender Lehre nur die Verwaltung der im Miteigentum stehenden Liegenschaft zu, weshalb sie keine Rechte erwerben und durchsetzen könne, die nicht in diesem Rahmen entstanden seien. Dem Interesse der Prozessökonomie hätte ein Vorgehen als Streitgenossen genügt, während die Rechtssicherheit durch das angefochtene Vorgehen eher gefährdet als gefördert werde.
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b) Die Gemeinschaft der Stockwerkeigentümer erwirbt unter ihrem Namen lediglich das sich aus ihrer Verwaltungstätigkeit ergebende Vermögen, namentlich die Beitragsforderungen und die daraus fliessenden Mittel sowie den Erneuerungsfonds (Art. 712l Abs. 1 ZGB). Sie kann - folgerichtig auch nur in diesem Bereich - unter ihrem Namen klagen und betreiben sowie am Ort der gelegenen Sache beklagt und betrieben werden (Art. 712l Abs. 2 ZGB). Zu dieser Verwaltungstätigkeit gehören insbesondere Unterhalt und Reparaturen an gemeinschaftlichen Bauteilen (Art. 712b Abs. 2 Ziff. 2, 712 h Abs. 2 Ziff. 1 ZGB). Dass dies auch für die Gebäudefassaden gilt, ist vorliegend nicht streitig. Umstritten ist dagegen, wieweit diese Grundsätze auf Gewährleistungsansprüche anzuwenden sind.
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c) Das Bundesgericht hatte diese Frage bisher nicht zu entscheiden. Die II. Zivilabteilung trat am 14. März 1980 auf eine Klage der Stockwerkeigentümergemeinschaft "Brentsch-Parc" ein, weil der Unternehmer sich der Gemeinschaft gegenüber zur Behebung der Mängel verpflichtet hatte (BGE 106 II 20 E. 6). In einem unveröffentlichten Urteil vom 11. Dezember 1981 in Sachen Stockwerkeigentümergemeinschaft "Block G Adlikon" konnte die II. Zivilabteilung die Frage offen lassen, weil es an einer Abtretung an die Gemeinschaft fehlte (insbesondere E. 2c). Die I. Zivilabteilung hat im Urteil vom 21. September 1982 in Sachen der Stockwerkeigentümergemeinschaft "Chesa Violetta" das Problem ebensowenig entschieden, da die Klage zugleich im Namen aller Stockwerkeigentümer erhoben worden war (BGE 108 II 195 nicht publizierte E. 2b). Aus der kantonalen Rechtsprechung sind zwei gegensätzliche Urteile des Obergerichts Zürich bekannt, welche die BGE 109 II, 423 (426)Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft für Gewährleistungsansprüche teils bejahten, teils verneinten (SJZ 75/1979 S. 126 ff. = ZR 77/1978 Nrn. 116 und 117).
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d) Die einschlägige Literatur erschöpft sich in allgemein gehaltenen Hinweisen darauf, dass die Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft der Stockwerkeigentümer im Sinne von Art. 712l ZGB auf den Bereich ihrer Verwaltungstätigkeit beschränkt ist (H. P. FRIEDRICH, Das Stockwerkeigentum, insbesondere S. 42 N. 13; LIVER, Das Eigentum, in: Schweizerisches Privatrecht V/1 S. 106 ff.; ausführlicher HANSJÖRG FREI, Zum Aussenverhältnis der Gemeinschaft der Stockwerkeigentümer, Diss. Zürich 1970 S. 26 ff., 37 ff.). Damit stellt sich die Frage, was zu dieser Verwaltungstätigkeit zu rechnen ist. Nach einer von MEIER-HAYOZ (N. 2 zu Art. 647 ZGB) zitierten und von verschiedenen Autoren übernommenen Definition besteht Verwaltung in Handlungen tatsächlicher oder rechtlicher Natur, die dazu bestimmt sind, das betreffende Rechtsgut zu erhalten, zu mehren oder einer seinem Zweck entsprechenden Verwendung zuzuführen. Das ist namentlich beim Miteigentum Geschäftsführung im gemeinschaftlichen Interesse, im Gegensatz zum Nutzen und Gebrauch im Eigeninteresse der Miteigentümer (a.a.O. N. 3). Demgemäss gehören Unterhalt, Reparatur und Erneuerung gemeinschaftlicher Gebäudeteile fraglos zur Verwaltungstätigkeit im Sinne von Art. 712l ZGB. Das gilt klarerweise auch vorliegend, soweit die Klägerin die Fassadenmängel durch einen Drittunternehmer beheben lässt. Ist ein solcher Gebäudeschaden von einem Dritten oder einem Stockwerkeigentümer verschuldet worden, so dürfte nicht zweifelhaft sein, dass die Auseinandersetzung mit diesem ebenfalls in die gemeinschaftliche Verwaltung fällt. Es ist nicht einzusehen, weshalb die Auseinandersetzung mit einem Unternehmer im vornherein davon ausgenommen sein sollte.
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e) Bei derartigen Vertragsansprüchen stellt sich die Frage nach der Aktivlegitimation der Gemeinschaft, die sich im Fall der Klägerin auf eine Abtretung der seinerzeitigen Bauherrin stützt und nicht mehr streitig ist. Problematisch ist dagegen, ob die Klägerin solche Ansprüche überhaupt erwerben kann, ob sie sich also "aus ihrer Verwaltungstätigkeit ergeben" (Art. 712l Abs. 1 ZGB). Dies hat denn auch 1978 die II. Zivilkammer des Zürcher Obergerichts bewogen, entgegen einer Entscheidung der III. Zivilkammer vom gleichen Jahr die Fähigkeit der Gemeinschaft, Gewährleistungsansprüche der Stockwerkeigentümer aus ihren Kaufverträgen zu BGE 109 II, 423 (427)erwerben, und damit die Partei- wie Prozessfähigkeit zu verneinen (SJZ 75/1979 S. 127 gegenüber S. 126). ROLF H. WEBER hat sich in SJZ 75/1979 S. 117 ff. einlässlich mit dieser Rechtsprechung befasst und sich der grosszügigeren Ansicht der III. Zivilkammer angeschlossen.
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Freilich bedeutet die Tatsache, dass der Fassadenunterhalt an sich eine Gemeinschaftsaufgabe der Klägerin ist, nicht zwangsläufig, dass Gewährleistungsansprüche zu ihrem Verwaltungsvermögen gehören können (zitiertes Urteil der II. Zivilabteilung "Block G Adlikon" E. 2b). Aber es zwingt auch nichts zur gegenteiligen Annahme. Auch Mängel der vorliegenden Art müssen, wenn die Gewährleistung streitig ist, zunächst aus Mitteln der Gemeinschaft behoben werden (BGE 106 II 21 f.). Wenn die Gemeinschaft sich dafür beim Unternehmer schadlos halten will, verhält es sich in bezug auf den Zusammenhang mit ihrer Verwaltungstätigkeit nicht grundsätzlich anders, als wenn sie für die Schäden einen Schädiger aus Delikt haftbar macht oder zur Behebung der Schäden ein Bankdarlehen aufnimmt oder Beiträge der Stockwerkeigentümer einfordert.
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f) Eine andere Betrachtungsweise führt zu beträchtlichen praktischen Unzukömmlichkeiten (dazu auch ROLF H. WEBER, a.a.O., S. 124 f.). Vorliegend werden Schäden von Fr. 102'200.-- geltend gemacht, deren Behebung fraglos eine Verwaltungsaufgabe der Klägerin ist; die Auseinandersetzung mit dem Beklagten über dessen Verantwortung und Ersatzpflicht müsste dagegen von der Bauherrschaft geführt werden, die längst konkursamtlich liquidiert wurde. Stünden die Gewährleistungsansprüche den Stockwerkeigentümern zu, so müssten diese als Streitgenossen klagen, was eine dem Sinne von Art. 712g in Verbindung mit Art. 647c ZGB geradewegs zuwiderlaufende Einstimmigkeit voraussetzt. Schliesslich zeigt auch der Streit der Parteien um die angebliche Anerkennung der Instandstellungspflicht durch den Beklagten - im Sinne von BGE 106 II 20 - die Problematik einer abweichenden Lösung.
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In Übereinstimmung mit dem angefochtenen Urteil ist daher sowohl die Partei- wie auch die Prozessfähigkeit der Klägerin zur Geltendmachung des streitigen Anspruchs zu bejahen.
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