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10. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 14. Februar 1984 i.S. Gesellschaft zum Kämbel in der Haue gegen Chaîne de magasins Villars S.A. (Berufung) | |
Regeste |
Zivilprozessrecht; derogatorische Kraft des Bundesrechts. Geltendmachung von Willensmängeln gegenüber einem gerichtlichen Vergleich. |
2. Umfang der materiellen Rechtskraft des aufgrund des gerichtlichen Vergleichs ergangenen Erledigungsentscheids (E. 5). | |
Sachverhalt | |
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B.- Am 7. Januar 1980 reichte die Vermieterin beim Bezirksgericht Zürich Klage auf Rückzahlung der Fr. 50'000.- ein. Auf Einrede der Beklagten trat das Bezirksgericht am 27. Oktober 1982 wegen abgeurteilter Sache auf die Klage nicht ein. Ein Rekurs der Klägerin wurde vom Obergericht des Kantons Zürich am 9. Februar 1983 abgewiesen; zwar liege mangels Identität der neuen und der früheren Klage keine abgeurteilte Sache vor, jedoch könne ein gerichtlicher Vergleich nicht mit selbständiger Klage, sondern nur im kantonalen Rechtsmittelverfahren angefochten werden, was die Klägerin unterlassen habe.
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Eine kantonale Nichtigkeitsbeschwerde wies das Kassationsgericht am 19. September 1983 ab, soweit es darauf eintrat.
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C.- Auf Berufung der Klägerin bestätigt das Bundesgericht den Rekursentscheid des Obergerichts.
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Aus den Erwägungen: | |
3. Im Unterschied zum Bezirksgericht verwirft das Obergericht die Einrede der abgeurteilten Sache, weil es dafür an der Identität der früheren, auf Erstreckung des Mietverhältnisses gerichteten Klage mit der neuen Forderungsklage fehle. Es anerkennt sodann, dass der von den Parteien abgeschlossene Vergleich wegen des behaupteten Willensmangels angefochten werden könne, doch habe dies für das zürcherische Prozessrecht ausschliesslich ![]() | 5 |
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Das Bundesgericht hat sich demgemäss auf eine Überprüfung der zürcherischen Ordnung zu beschränken und nicht zu untersuchen, wie es sich verhält, wenn nach kantonalem Recht der Vergleich selbst unter Ausschluss von Rechtsmitteln den Prozess beendigt oder zwar ein Erledigungsentscheid erforderlich, aber kein Rechtsmittel vorgesehen ist; ebensowenig kann deshalb auf den vorliegenden Fall übertragen werden, was für das bundesgerichtliche Verfahren gilt (BGE 60 II 57).
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a) Die I. Zivilabteilung des Bundesgerichts hat aus den genannten Besonderheiten des Zürcher Prozessrechts geschlossen, dass gegenüber einem Prozessvergleich ein Willensmangel grundsätzlich im Rechtsmittelverfahren geltend zu machen sei (BGE 105 II 277 E. 3a). Die Frage der Bundesrechtmässigkeit ist in diesem Entscheid sinngemäss bejaht, wenn auch nur mit einigen Literaturhinweisen begründet worden. Auch die I. öffentlichrechtliche Abteilung nimmt an, diese Auffassung werde in der neueren Literatur überzeugend vertreten (BGE 105 Ia 117). Die ehemalige staatsrechtliche Abteilung liess seinerzeit sogar dahingestellt, ob Bundesrecht verletzt wäre, wenn ein Kanton durch positive Gesetzesnorm die Geltendmachung materiellrechtlicher Nichtigkeits- und ![]() | 8 |
b) In der Literatur bestehen widersprüchliche Auffassungen, die teils durch ein konkretes kantonales Prozessmodell bestimmt sein dürften. Während verschiedene Autoren zumindest die zürcherische Regelung als bundesrechtmässig beurteilen (GULDENER, a.a.O., S. 388, 398, 403; STRÄULI/MESSMER, § 188 N. 25; § 293 N. 14; H.U. WALDER, Zivilprozessrecht S. 484 Anm. 65 a; RUST, Die Revision im Zürcher Zivilprozess, Diss. Zürich 1981, S. 130 ff.), hält BECKER, (N. 38 zu Art. 24 OR) es ganz allgemein für eine Frage des Prozessrechts, ob die Anfechtung durch Rechtsmittel oder neue Klage zu erfolgen habe. WURZBURGER (La violation du droit fédéral dans le recours en réforme, ZSR 94/1975 II S. 100) meint ebenfalls, es sei dem kantonalen Prozessrecht überlassen, ob es einem Vergleich materielle Rechtskraft zugestehen wolle, und befürwortet für diesen Fall eine ausschliessliche Anfechtung über den Rechtsmittelweg, weil eine blosse zivilrechtliche Unwirksamkeitserklärung Rechtsunsicherheit schüfe. Aus Überlegungen der Rechtssicherheit sah auch der Entwurf zu einem Bundesgesetz betreffend die Anpassung der kantonalen Zivilprozessverfahren an das Bundeszivilrecht von 1969 (Art. 73 Abs. 3; vgl. ZSR 88/1969 II S. 262) vor, dass Entscheide, die nicht auf gerichtlicher Beurteilung des Sachverhalts, sondern auf einem gerichtlichen Vergleich beruhen, der Revision unterliegen, wobei die privatrechtlichen Anfechtungsgründe der Nichtigkeit oder Unverbindlichkeit gemäss Art. 20 f. und Art. 23 ff. OR als Revisionsgründe vorgesehen waren. Der Entwurf bezweckt damit, die zwiespältige Rechtslage zu beseitigen, dass der Vergleich als Urteilssurrogat ungeachtet der geltend gemachten Mängel vollstreckbar bleibt, gleichzeitig will er mit der Revisionsfrist garantieren, dass die Angelegenheit nicht allzu lange in der Schwebe bleibt (BALMER, Erläuterungen zum genannten Gesetzesentwurf, ZSR 88/1969 II S. 447 f.).
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Demgegenüber stellt sich VOYAME (Droit privé fédéral et procédure ![]() | 10 |
c) Wegleitend ist, dass die Kantone im Rahmen ihres Prozessrechts keine Normen erlassen dürfen, welche die Verwirklichung des Bundeszivilrechts verunmöglichen oder seinem Sinn und Geist widersprechen (BGE 104 Ia 108). Es lässt sich durchaus mit Art. 31 OR vereinbaren, die Unverbindlichkeit eines Vertrages im Prozess nur dann zu berücksichtigen, wenn sie in den prozessual vorgeschriebenen Fristen und Formen geltend gemacht wird. Derartige prozessuale Schranken verstossen nicht gegen Bundesrecht, auch wenn im Ergebnis ein bundesrechtlicher Anspruch schutzlos bleibt (GULDENER, a.a.O., S. 70 und 74; DERSELBE in ZSR 80/1961 II S. 55 ff.; KUMMER, Klagerecht S. 24 f.; vgl. auch BGE 104 Ia 108 E. 4 sowie für die Verrechnungseinrede BGE 63 II 138 E. 2). Dem ![]() | 11 |
Wenn aber die Geltendmachung von Willensmängeln durch eine neue Klage ausgeschlossen werden kann, wo sie während des Prozesses, allenfalls im Rechtsmittelverfahren, möglich gewesen wäre, muss das auch gelten, wenn das Prozessrecht für die nachträgliche Entdeckung eines Willensmangels das Revisionsverfahren zur Verfügung stellt. Das trifft vorliegend zu, wie sich aus dem angefochtenen Urteil ergibt, das insofern vom Kassationsgericht überprüft worden ist. Wenn die Klägerin demgegenüber behauptet, es wäre in ihrem Fall nicht die Revision mit einer 90tägigen Frist, sondern der Rekurs mit einer nur 10tägigen Frist gegeben gewesen, rügt sie die Anwendung kantonalen Rechts, die der Überprüfung im Berufungsverfahren entzogen ist (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG). Deshalb braucht auch nicht untersucht zu werden, ob es aus der Sicht des Bundesrechts einen Unterschied mache, dass die Rekursfrist erheblich kürzer wäre als die Revisionsfrist.
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Bei dieser Sachlage kann offen bleiben, ob die Vorinstanz zu Recht die Einrede der abgeurteilten Sache verworfen hat oder richtigerweise auch aus diesem Grund die neue Klage nicht hätte zulassen dürfen. Das ist vor Bundesgericht unangefochten geblieben, wäre indes von Amtes wegen zu prüfen (Art. 63 Abs. 1 Satz 2 OG). Das angefochtene Urteil begründet die Verneinung der abgeurteilten Sache mit der fehlenden Identität zwischen der Mieterstreckungsklage des ersten und der Rückforderungsklage des zweiten Prozesses, was nach dem Kassationsentscheid als Frage des Bundesrechts der Überprüfung durch das Bundesgericht unterliegt. Das trifft im Grundsatz zu (BGE 105 II 151 E. 1 mit Hinweisen). Freilich geht es vorliegend um die Frage, ob die Vorinstanz zu Recht nur den Rückzug der Erstreckungsklage, nicht auch die vereinbarte Zahlung von Fr. 50'000.- an der materiellen Rechtskraft teilnehmen lässt. Wenn schon das Prozessrecht darüber befindet, ![]() | 14 |
Da das angefochtene Urteil aus andern Gründen standhält, braucht auf diesen Aspekt nicht näher eingegangen zu werden. Er kann indes auch nicht ganz übergangen werden, weil die Klägerin behauptet, die Verneinung der Identität führe ohne weiteres bereits zur Zulassung ihrer Klage und damit zur Gutheissung der Berufung. Dass im zürcherischen Verfahren die neue Klage unzulässig erklärt werden darf, ist nicht zuletzt eine Folge der einer Prozessabschreibung aufgrund Vergleichs beigemessenen materiellen Rechtskraft. Aus dieser folgt, dass nur auf dem Rechtsmittelweg auf den Entscheid zurückgekommen werden darf; das entspricht denn auch der eigenen Argumentation der Vorinstanz und den von ihr zitierten Äusserungen GULDENERS (Zivilprozessrecht, S. 388 und 398, ferner ZSR 80/1961 II S. 69/70 und schon BGE 56 I 224 f.; in diesem Zusammenhang auch H.U. WALDER, a.a.O., S. 484 Anm. 65 a und STRÄULI/MESSMER, § 191 N. 15). Das angefochtene Urteil erweist sich deshalb in sich als widersprüchlich, doch gibt das nicht zu einer Aufhebung und Rückweisung Anlass, weil es im Ergebnis vor Bundesrecht standhält.
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