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70. Urteil der I. Zivilabteilung vom 30. Oktober 1984 i.S. X. gegen Z. (Berufung) | |
Regeste |
Negative Feststellungsklage des Betreibungsschuldners. |
2. Eine negative Feststellungsklage des Schuldners, der zwecks Unterbrechung der Verjährung betrieben wird, setzt voraus, dass bei Abwägung der gegenseitigen Interessen jenes des Schuldners sich als schutzwürdig erweist. Umstände, unter denen dies zu verneinen ist (E. 2). | |
Sachverhalt | |
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Am 26. Februar 1981 liess Frau X. dem Z. schreiben, dass Miteigentümer die Tragfähigkeit des Hauses wegen der Terrassenbepflanzung bezweifelten, weshalb sie eine Begutachtung veranlassen wolle; da die Verjährung bevorstehe und sie eine Betreibung zu deren Unterbrechung vermeiden möchte, ersuche sie ihn, für ![]() | 2 |
B.- Im Oktober 1981 klagte Z. gegen Frau X. auf Feststellung, dass er den in Betreibung gesetzten Betrag von Fr. 500'000.-- nicht schulde (Rechtsbegehren 1) und die Beklagte ihn durch die Betreibung unbefugt in seinen persönlichen Verhältnissen verletzt habe (Rechtsbegehren 2); er verlangte ferner, dass die Betreibung aufgehoben und in den amtlichen Registern und Büchern gelöscht werde (Rechtsbegehren 3).
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Das Bezirksgericht Zürich wies die Klage ab, soweit es auf sie eintrat. Das Obergericht des Kantons Zürich entschied am 5. Juli 1983 in bezug auf die Rechtsbegehren 2 und 3 im gleichen Sinn, hiess das Rechtsbegehren 1 dagegen gut.
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Die Beklagte führte dagegen Nichtigkeitsbeschwerde, die vom Kassationsgericht des Kantons Zürich am 9. Januar 1984 abgewiesen wurde, soweit auf sie einzutreten war.
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C.- Die Beklagte hat gegen das Urteil des Obergerichts auch Berufung eingelegt, mit der sie daran festhält, dass auf das Klagebegehren 1 ebenfalls nicht einzutreten sei; eventuell sei die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Der Kläger beantragt, auf die Berufung nicht einzutreten oder sie abzuweisen. Seine Anschlussberufung hat er zurückgezogen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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a) Das Bundesgericht beurteilte die Zulässigkeit der Feststellungsklage zunächst nach eidgenössischem Recht. Später fand es, dies sei eine Frage des kantonalen Prozessrechts, wenn das Bundesrecht nicht selbst, sei es ausdrücklich oder stillschweigend, eine ![]() | 9 |
Umstritten ist der vom Bundesgericht in der Folge angebrachte Vorbehalt, dass es den Kantonen unbenommen bleibe, über die vom eidgenössischen Recht geforderten Feststellungsansprüche hinaus noch weitere zuzulassen, sofern ein solcher Anspruch durch das eidgenössische Recht nicht ausdrücklich oder sinngemäss ausgeschlossen werde; es stehe ihnen deshalb auch frei, an das Feststellungsinteresse weniger strenge Anforderungen zu stellen, zumal Eingriffe in das kantonale Prozessrecht nur dort erfolgen dürften, wo sie für die Durchsetzung des Bundesrechts unerlässlich seien (BGE 84 II 495). Diese Rechtsprechung wurde seither wiederholt bestätigt, wobei das Bundesgericht sich auch mit gegenteiligen Lehrmeinungen auseinandersetzte (BGE 92 II 108 E. 2 und 3, BGE 101 II 187 E. 4a, BGE 107 II 60 E. 1 mit Hinweisen). Sie führte dazu, dass das Bundesgericht auf Berufung hin kantonale Urteile, welche Feststellungsklagen zuliessen, jeweils unbekümmert um die Zulassungsgründe materiell überprüfte. Das Kassationsgericht des Kantons Zürich, das in einem früheren Entscheid (publ. in SJZ 72/1976 S. 43) noch eine abweichende Meinung vertreten hatte, hat sich im vorliegenden Verfahren der Ansicht des Bundesgerichts unterzogen und das Feststellungsinteresse geprüft (publ. im ZR 83/1984 Nr. 52).
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b) Lehre und Rechtsprechung gehen vom heute unangefochtenen Grundsatz aus, dass das materielle Recht auch den für seine Durchsetzung erforderlichen Rechtsschutz garantiert. Während die Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Feststellungsklage ![]() | 11 |
Der umstrittene Vorbehalt beruht auf der Annahme, das Interesse einer Partei, nicht unnötig als Beklagte vor Gericht erscheinen zu müssen, sei rein prozessualer Natur (BGE 92 II 110). Dem widerspricht die Lehre zu Recht. Aus dem Grundgedanken der Verjährungs- und Verwirkungsregeln erhellt, dass es an sich dem Berechtigten anheimgestellt ist, in welchem Zeitpunkt er seinen Anspruch geltend machen will. Nach der Rechtsprechung bedeutet das nicht, dass der Berechtigte allein über diesen Zeitpunkt bestimmen könne; vielmehr kann auch der angeblich Verpflichtete ein Interesse haben, das Nichtbestehen des Rechts festzustellen (BGE 92 II 111 Nr. 18). Die herrschende Lehre verkennt das nicht, berücksichtigt aber zudem, dass mit der negativen Feststellungsklage der Berechtigte gezwungen wird, seinen Anspruch vorzeitig geltend zu machen, will er ihn nicht als Folge der materiellen Rechtskraft des Urteils verlieren (KUMMER in ZBJV 96/1960 S. 60 und 104/1968 S. 138; GULDENER in ZSR 80/1961 S. 32; VOYAME ebenda S. 124). Wie das Bundesrecht dem Kläger, der ein berechtigtes Interesse hat, die Feststellungsklage gewährt, muss es auch den Beklagten vor einer solchen Klage schützen, wenn dieses Interesse fehlt. Dann ergibt sich aber auch aus Bundesrecht, dass auf eine negative Feststellungsklage nicht einzutreten ist, wenn der Kläger sich nicht auf ein schutzwürdiges Interesse berufen kann. Ob dieses Interesse des Klägers schutzwürdig sei, hängt von einer Abwägung der beiderseitigen Interessen ab (GULDENER, Zivilprozessrecht, S. 208 Anm. 11; ders. in ZSR 80/1961 II S. 32 f.; vgl. auch BGE 96 II 131 f.). Ein solches Vorgehen erübrigt auch den Umweg über das Verbot unnützer Rechtsausübung aus Art. 2 Abs. 2 ZGB (BGE 93 II 17).
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c) Wird die bisherige Rechtsprechung aus den angeführten Erwägungen dahin geändert, dass im Berufungsverfahren nicht nur geprüft wird, ob der kantonale Richter einen Feststellungsanspruch aus Bundesrecht zu Unrecht verneint, sondern auch, ob er ihn zu Unrecht bejaht hat, so deckt sich das mit der neueren Rechtsprechung zur Einrede der abgeurteilten Sache. Auch bei dieser Frage ist das Bundesgericht während langer Zeit davon ausgegangen, Bundesrecht sei nur verletzt, wenn ein Kläger mit einem unzulässigen Verweis auf ein früheres Urteil daran gehindert werde, einen bundesrechtlichen Anspruch durchzusetzen; mit der Berufung an das Bundesgericht könne daher zwar der Kläger die Gutheissung der Einrede, nicht aber der Beklagte ihre Abweisung anfechten (BGE 88 I 164 E. 3, BGE 81 II 146, BGE 78 II 402, BGE 75 II 290 mit weiteren Hinweisen). Diese Rechtsprechung ist in der Lehre ebenfalls kritisiert und vom Bundesgericht 1969 zu Recht aufgegeben worden (BGE 95 II 640 ff. und dort angeführte Lehre). Während früher argumentiert worden ist, Bundesrecht schliesse nicht aus, dass ein Beklagter sich die neuerliche Beurteilung eines Anspruchs, der bereits Gegenstand eines rechtskräftigen kantonalen Urteils ist, gefallen lassen müsse, wird seither anerkannt, dass auch dies eine Frage des Bundesrechts ist. Das hat zur Folge, dass das Bundesgericht die Frage, ob eine abgeurteilte Sache vorliegt, nicht nur prüft, wenn sie im kantonalen Verfahren bejaht, sondern auch wenn sie verneint worden ist.
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Die Parallele zum umstrittenen Vorbehalt liegt auf der Hand. Es geht hier wie dort um Anwendung des materiellen Rechts, das die Voraussetzungen bestimmt, unter denen einer Klage Rechtsschutz zu gewähren oder zu verweigern ist. Nur so kann der Interessenlage beider Parteien Rechnung getragen und ein einheitlicher Rechtsschutz in den Kantonen gewährleistet werden. Das Bundesgericht ![]() | 15 |
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a) Die Rechtsbehelfe des Betreibungsrechts schliessen eine negative Feststellungsklage des Schuldners nicht schlechthin aus. Zwar kann damit nicht auf den Fortgang des Vollstreckungsverfahrens eingewirkt werden, wenn der Schuldner den Rechtsvorschlag oder die Aberkennungsklage versäumt hat oder die definitive Rechtsöffnung bewilligt worden ist (BGE 51 III 195 E. 3 mit Hinweisen). Mit einer solchen Klage kann dagegen die Voraussetzung dafür geschaffen werden, dass eine Betreibung nach Art. 85 SchKG aufgehoben oder eine Zahlung gemäss Art. 86 SchKG zurückgefordert werden kann (JAEGER, N. 7 zu Art. 86 SchKG). Ist sie aber selbst nach versäumter Aberkennungsklage möglich (BGE 27 II 642 E. 2), so besteht auch kein Grund zu einem Ausschluss, wo der Gläubiger es beim Zahlungsbefehl bewenden lässt, das Betreibungsverfahren also nicht fortsetzt.
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Vermag die Tatsache der Betreibung für sich allein kein Feststellungsinteresse zu begründen, so kann es sich bloss fragen, wie es sich damit nach den weiteren Umständen verhält. Auch das lässt sich nur beantworten, wenn die Interessen der Beteiligten gegeneinander abgewogen werden. Auf der einen Seite steht das Recht des Gläubigers, durch einfache Betreibung eine Unterbrechung der Verjährung herbeizuführen (Art. 135 Ziff. 1 OR). Dem steht das Anliegen des angeblichen Schuldners gegenüber, die dadurch bewirkte Ungewissheit nicht auf unabsehbare Zeit fortdauern zu lassen.
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b) Die Beklagte schrieb dem Kläger am 26. Februar 1981 nicht nur, dass sie wegen "einer offensichtlichen Überbepflanzung" der Dachterrasse im Frühjahr 1971 Ersatzansprüche eines Miteigentümers befürchte; sie erklärte auch, dass und warum sie zur Sicherung ihrer eigenen Ansprüche von ihm einen zweijährigen Verzicht auf die Verjährungseinrede wünsche. Da der Kläger nicht antwortete, teilte sie ihm am 16. März 1981 mit, sie lasse ihn nun "zur Unterbrechung allfällig noch andauernder Garantiefristen" sicherheitshalber für Fr. 500'000.-- betreiben. Zum Betrag führte sie aus, dass die Bepflanzung wahrscheinlich ersetzt werden müsse und die untere Wohnung infolge der möglichen Überbelastung der Terrasse Risse bekommen habe.
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Bei diesem Sachverhalt kann entgegen der ersten Annahme des Klägers keine Rede von einer schikanösen Betreibung sein. Der Kläger anerkennt vor Bundesgericht denn auch das Interesse der ![]() | 21 |
Diese Ungewissheit muss den Schuldner in der Verwendung seines Vermögens jedoch irgendwie behindern. Das lässt sich hier unbekümmert um die Höhe der in Betreibung gesetzten Forderung im Ernst nicht sagen, weil die Beklagte mit der Betreibung bloss die Verjährung unterbrechen wollte, sich über ihre Regressansprüche aber noch gar nicht äussern konnte. Der Kläger begründet sein Feststellungsinteresse noch vor Bundesgericht vor allem mit der Tatsache der Betreibung, nicht damit, dass eine der Klärung bedürftige Ungewissheit bestehe. Dem entspricht, dass er die Betreibung als Schikane empfunden und eine Verletzung in seinen persönlichen Verhältnissen geltend gemacht hat. Selbst wenn man ihm eine gewisse Unsicherheit zubilligen wollte, wäre sein Feststellungsinteresse nur dann als hinreichend anzusehen, wenn es in einer Abwägung dem Interesse der Beklagten standhielte. Auch dies ist zu verneinen. Die Beklagte wollte sich für den Fall, dass sie einem Miteigentümer haften sollte, lediglich den Rückgriff auf den Kläger sichern. Sie wollte verständlicherweise vermeiden, dem und damit der Beweislast des Miteigentümers in einem Prozess mit dem Kläger vorzugreifen. Da sie deutlich machte, dass sie bloss an Regressansprüche dachte, lag es auch nicht im wohlverstandenen Interesse des Klägers, einen Prozess zu provozieren, den die Beklagte vermeiden wollte.
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c) Das Urteil des Obergerichts, das ein schutzwürdiges Feststellungsinteresse des Klägers zu Unrecht bejaht hat, ist daher insoweit aufzuheben. Das fehlende Interesse hat zur Folge, dass auf die Klage nicht einzutreten ist.
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1. Vom Rückzug der Anschlussberufung wird Vormerk genommen.
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