BGE 111 II 164 | |||
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35. Urteil der I. Zivilabteilung vom 19. Februar 1985 i.S. X. gegen Personalfürsorgestiftung Y. AG (Berufung) | |
Regeste |
Personalfürsorgestiftung; Haftung des Stiftungsorgans; Schaden; Verrechenbarkeit mit Freizügigkeitsleistungen (Art. 43 OR, Art. 331c Abs. 1 u. 2 OR). |
2. Unzulässigkeit der Verrechnung von Schadenersatzansprüchen der Personalfürsorgestiftung mit Forderungen des Destinatärs auf künftige Vorsorgeleistungen der Stiftung gemäss Art. 331c Abs. 1 und 2 OR (E. 2). | |
Sachverhalt | |
A.- X. war vom 1. Mai 1971 bis 8. Juli 1978 einzelunterschriftsberechtigter Präsident des Stiftungsrats der Personalfürsorgestiftung Y. AG. Gleichzeitig wirkte er als Delegierter und Verwaltungsrat der Y. AG sowie der Z. AG, für deren Angestellte die Personalfürsorgestiftung errichtet worden war. 1977 erhöhte sich das Kontokorrentguthaben der Personalfürsorgestiftung gegenüber der Stifterfirma Y. AG um Fr. 145'695.--. Am 2. Oktober 1979 wurde über die Y. AG der Konkurs eröffnet, in welchem die Personalfürsorgestiftung eine Forderung von Fr. 301'083.35 anmeldete. Sie erwartete, für die in der zweiten Klasse kollozierte Forderung mindestens im Umfang von Fr. 145'695.-- zu Verlust zu kommen. Da sie X. für die Transaktionen, die 1977 zur Erhöhung der Kontokorrentforderung geführt hatten, verantwortlich machte, verlangte sie von ihm Schadenersatz im Umfang dieses Verlusts.
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B.- Im Juni 1981 klagte die Personalfürsorgestiftung Y. AG gegen X. auf Bezahlung von Fr. 75'695.-- nebst Zins. Für die Berechnung des eingeklagten Betrags ging sie von den erwähnten Fr. 145'695.-- aus und zog davon den Freizügigkeitsanspruch ab, der dem Beklagten als ihrem Destinatär zugestanden wäre.
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Das Bezirksgericht St. Gallen hiess die Klage am 6. Oktober 1982 gut, ebenso am 23. Mai/6. Juni 1984 das Kantonsgericht St. Gallen im inzwischen von der Klägerin auf Fr. 74'006.20 herabgesetzten eingeklagten Betrag (Ziffer 1). Gleichzeitig stellte das Kantonsgericht fest, die Klägerin sei nicht berechtigt, die Freizügigkeitsansprüche des Beklagten zurückzubehalten (Ziffer 2).
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Ein Erläuterungsbegehren des Beklagten liess das Kantonsgericht am 25. September 1984 nicht zu.
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C.- Auf Berufung beider Parteien hebt das Bundesgericht Ziffer 1 des kantonsgerichtlichen Urteils vom 23. Mai/6. Juni 1984 auf und verpflichtet den Beklagten, der Klägerin Fr. 74'006.20 nebst Zins zu 5% seit 2. April 1981 zu bezahlen. Ausserdem hält es fest, mit der Bezahlung dieses Betrags gehe der der Klägerin im Konkurs der Y. AG auf einer Forderung zweiter Klasse im Betrag von Fr. 145'695.-- zustehende Anspruch auf Konkursdividende, soweit diese Fr. 71'688.80 übersteige, auf den Beklagten über.
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Erwägungen: | |
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Das Kantonsgericht hat in Anwendung von Art. 42 Abs. 2 OR eine Schadensschätzung vorgenommen. Bei der Beurteilung der Schadenshöhe ging es davon aus, es sei eine Konkursdividende von 70% zu erwarten. Gestützt darauf gelangte es zu einem Konkursverlust der Klägerin in der Höhe von Fr. 70'209.20. Zu diesem Betrag rechnete es den Schaden hinzu, den die Klägerin deshalb erlitten habe, weil ihr die Konkursdividende noch nicht ausbezahlt worden sei. Dabei liess es offen, wie hoch dieser zusätzliche Schaden sei, da er, wenn er zum Konkursverlust hinzugeschlagen werde, auf jeden Fall die eingeklagte Summe von Fr. 74'006.20 übersteige.
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Beide Parteien fechten diese Schadensberechnung an. Nach Auffassung des Beklagten ist der geltend gemachte Schaden nicht fällig, weil vor Abschluss des Konkursverfahrens überhaupt nicht gesagt werden könne, ob der Klägerin ein Schaden entstanden sei. Die Klägerin hält es für unzulässig, bei der Schadensberechnung eine Schätzung der zu erwartenden Dividende vorzunehmen und ihr damit das Risiko aufzuerlegen, dass die Dividende später kleiner ausfalle. Sie schlägt vor, der Beklagte habe ihr gegen Abtretung der Konkursdividende den ganzen Betrag, der ursprünglich widerrechtlich der konkursiten Gesellschaft zur Verfügung gestellt worden sei, zu ersetzen.
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a) Wer durch einen Konkurs einen Verlust erleidet, erlangt mit der Auflegung des Kollokationsplans Kenntnis vom Schaden (BGE 108 Ib 100 f. E. 1c). Der Einwand, es könne nicht gesagt werden, ob der Klägerin überhaupt ein Schaden entstanden sei, ist demnach unbegründet. Allerdings steht die endgültige Konkursdividende erst bei Abschluss des Konkurses fest. Der Schaden ist deshalb im für die Berechnung massgebenden Zeitpunkt des angefochtenen Urteils ziffernmässig nicht nachweisbar; daran ändert nichts, dass er später bei Abschluss des Konkurses eindeutig bestimmbar sein wird. Die Vorinstanz hat ihn deshalb gemäss Art. 42 Abs. 2 OR geschätzt und sich für die Schätzung auf die nach den Angaben der Konkursverwaltung voraussichtlich zu erwartende Konkursdividende gestützt. Nach dem angefochtenen Urteil rechnet die Konkursverwaltung bestenfalls mit einer Dividende von rund 70%, versieht aber diese Prognose mit allen Vorbehalten. Angesichts dieser eingestandenen Unsicherheit wehren beide Parteien sich dagegen, dass der Schadensschätzung eine Dividende von 70% zugrunde gelegt werde.
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b) Der Vorschlag der Klägerin, der Beklagte und Schuldner solle sofort den ganzen Betrag, welcher der jetzt konkursiten Gesellschaft zur Verfügung gestellt worden sei, ersetzen, und sie trete ihm dafür die Konkursdividende ab, wird dieser Sachlage besser gerecht. Einerseits wird die Klägerin damit wieder so gestellt, wie wenn ihr der Betrag nicht entzogen worden wäre. Das entspricht der grundsätzlichen Zielsetzung des Schadenersatzrechts. Andererseits wird damit auch sichergestellt, dass die Geschädigte am Ende nicht mehr erhält, als ihr zusteht. Dabei trägt der Schädiger die Ungewissenheit über die endgültige Konkursdividende, was als billig erscheint.
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Dieses Vorgehen lässt sich auf Art. 43 OR stützen, wonach der Richter sowohl die Art als auch die Grösse des Ersatzes für den eingetretenen Schaden bestimmen kann (vgl. BGE 41 II 89; BGE 71 II 90 Nr. 21; BGE 99 II 183 E. 3). Bei der Vorteilsanrechnung, auf die sich die Klägerin beruft, mögen ähnliche Überlegungen angestellt werden, sofern es um einen Vorteil mit ungewissem Wert geht (vgl. BGE 71 II 90 Nr. 21, wo anstatt einer wertmässigen Anrechnung der Ausgleich in natura durch Herausgabe des Vorteils verfügt wurde); im vorliegenden Fall geht es indessen nicht um ein Problem der Vorteilsanrechnung.
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c) Die Zusprechung des ganzen, der konkursiten Gesellschaft entzogenen Betrags gegen Abtretung der Konkursdividende ist deshalb der von der Vorinstanz gewählten Schätzungsmethode vorzuziehen. Insoweit sind beide Berufungen im Prinzip gutzuheissen. Hingegen wird noch zu prüfen sein, welche Auswirkungen der Umstand hat, dass die Klägerin nur Fr. 74'006.20 eingeklagt hat (vgl. nachstehend E. 3).
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a) Anders als beim Lohn (Art. 323b Abs. 2 OR) hat der Gesetzgeber bei den Leistungen der Fürsorgeeinrichtung nur die Abtretung und Verpfändung, nicht aber die Verrechenbarkeit ausdrücklich ausgeschlossen (Art. 331c Abs. 2 OR). Daraus ist in der Literatur zum Teil auf die Zulässigkeit der Verrechnung geschlossen worden (BRÜHWILER, Handkommentar zum Einzelarbeitsvertrag, N. 5 zu Art. 331c OR; vgl. auch STREIFF, Leitfaden zum neuen Arbeitsvertrags-Recht, 3. Aufl., N. 9 zu Art. 331c OR). Diese Betrachtungsweise wird indes dem Zweck der gesetzlichen Regelung nicht gerecht. Art. 331c OR will die Beiträge dem Vorsorgezweck erhalten, soweit nicht ein Ausnahmefall von Abs. 4 vorliegt. Art. 331c Abs. 1 und 2 OR enthält deshalb ein zwingendes Barauszahlungsverbot. Zweck der starren Bindung einer Freizügigkeitspolice ist es, unter allen Umständen dem Arbeitnehmer eine Vorsorge zu gewährleisten. Daraus ist abgeleitet worden, bis zum Eintritt des Vorsorgefalls seien die betreffenden Forderungen der Destinatäre diesen gegenüber gar nicht erfüllbar, was eine Verrechnung ausschliesse (RIEMER, Die Verrechnungseinrede der Personalvorsorgestiftung gegenüber Forderungen ihrer Destinatäre, SJZ 75/1979, S. 343; VIRET, La prévoyance en faveur du personnel selon le nouveau droit du contrat de travail, ZSR 94/1975 I, S. 170 f.). In der Literatur wird überdies angenommen, der Anspruch des Destinatärs auf Geldzahlung an die neue Personalfürsorgeeinrichtung schliesse die Verrechnung auch mangels Gleichartigkeit der Forderungen aus (vgl. RIEMER, a.a.O. S. 343 mit Hinweisen). Die Klägerin hält dem entgegen, ihre Pflicht, das Deckungskapital an die Personalfürsorgeeinrichtung des neuen Arbeitgebers zu überweisen, trete jetzt und nicht erst mit dem Vorsorgefall ein, weshalb die Forderung nicht bloss erfüllbar, sondern zudem fällig sei; auch sei die Gleichartigkeit der Forderungen gegeben, da die neue Vorsorgeeinrichtung bloss als Zahlstelle wirke, materiell aber eine Forderung des Destinatärs vorliege. Entscheidend ist indes, dass eine Zweckentfremdung der Vorsorgemittel im Anwendungsbereich des Art. 331c Abs. 1 und 2 OR ausgeschlossen werden muss. Eine Verrechnung ist daher unzulässig, soweit sie eine solche Zweckentfremdung bewirkt.
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b) Diese Gefahr besteht nicht bei Barauszahlungen gemäss Art. 331c Abs. 4 OR. Wenn ausnahmsweise eine Barauszahlung erfolgen kann, dann sind die entsprechenden Mittel nicht mehr für die künftige Vorsorge reserviert. Der Gesetzgeber hat in diesen Fällen das von der Stiftung ausbezahlte Vermögen bewusst aus der bis dahin bestehenden Zweckbindung entlassen, und der Destinatär kann frei darüber verfügen (Botschaft zur Änderung von Art. 331c Abs. 4 OR, BBl 1976 I, S. 1269 f., 1273; Botschaft zum BVG, BBl 1976 I, S. 238 f., 240; RIEMER, a.a.O. S. 344). Aus BGE 106 II 157, wo das Bundesgericht die Verrechnung in einem Fall, indem die Destinatäre in bar abgefunden worden sind, als zulässig erachtet hat, kann deshalb die Klägerin nichts zu ihren Gunsten ableiten. Ebensowenig hilft ihr der Hinweis auf BGE 109 III 82 (E. 2a), da das Bundesgericht dort zur Frage der Verrechenbarkeit nicht Stellung genommen hat.
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c) Die Klägerin macht geltend, selbst wenn die Gelder nicht zweckentfremdet werden dürften, so gelte das höchstens für vom Arbeitgeber an die Personalfürsorgestiftung abgetretene Forderungen, nicht aber für ursprüngliche Forderungen der Stiftung, mindestens nicht für solche aus unerlaubter Handlung des Destinatärs.
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Auch bei einer ursprünglichen Forderung der Stiftung führt die Verrechnung im Ergebnis zu einer zweckwidrigen Verwendung des Stiftungsvermögens (dazu RIEMER, a.a.O. S. 323). Daran ändert nichts, dass die Mittel zur Abdeckung von Schadenersatzforderungen aus unerlaubter Handlung verwendet werden sollen. Ob allenfalls in Analogie zu Art. 323b Abs. 2 OR davon bei absichtlicher Schädigung eine Ausnahme zu machen ist, braucht hier nicht entschieden zu werden. Nichts Gegenteiliges ergibt sich ferner aus Art. 39 Abs. 2 BVG, wobei dahingestellt bleiben kann, ob das während des bundesgerichtlichen Verfahrens in Kraft getretene Gesetz bereits direkt anwendbar wäre. Art. 39 Abs. 2 BVG lässt die Verrechnung in einem Sonderfall zu, nämlich wenn der Arbeitgeber aus irgendeinem Grund den Beitragsanteil des Arbeitnehmers nicht vom Lohn abgezogen (Art. 66 Abs. 2 und 3 BVG) und die Forderung der Personalvorsorgeeinrichtung abgetreten hat. Hingegen verbietet die Bestimmung generell die Verrechnung mit allen andern, vom Arbeitgeber der Personalvorsorgeeinrichtung abgetretenen Forderungen, und zur Verrechenbarkeit mit ursprünglichen Forderungen der Vorsorgeeinrichtung äussert sie sich nicht.
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Die Vorinstanz hat demnach zu Recht eine Verrechnung mit den künftigen Vorsorgeleistungen der Klägerin gemäss Art. 331c Abs. 1 und 2 OR ausgeschlossen.
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3. Die grundsätzliche Haftung für die geltend gemachten Schadenersatzansprüche im Umfang von Fr. 145'695.-- ist vor Bundesgericht nicht mehr bestritten. Die Klägerin hat indes nur Fr. 74'006.20 eingeklagt, weshalb ihr nicht mehr zugesprochen werden kann. Aus diesem Grund kann sie aber auch nicht verpflichtet werden, dem Beklagten die Konkursdividende in jenem Umfang abzutreten, welcher der Differenz zwischen dem eingeklagten Betrag und dem vollen Schaden entspricht, sondern nur insoweit, als die Konkursdividende diesen Differenzbetrag von Fr. 71'688.80 übersteigt. Sollte im übrigen in der Zwischenzeit die Konkursdividende ausbezahlt worden sein, so versteht sich, dass der Beklagte den Betrag, welcher der Abtretung entsprochen hätte, von den von ihm der Klägerin zu bezahlenden Fr. 74'006.20 abziehen kann.
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