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38. Urteil der II. Zivilabteilung vom 3. Juli 1985 i.S. Nietzke gegen Raiffeisenbank Schefflenztal GmbH (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Bürgschaft; Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Deutschen Reich über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen. |
2. Der schweizerische Ordre public verlangt keinen besonderen Schutz des in der Schweiz wohnhaften Bürgen, der einen Bürgschaftsvertrag mit internationaler Verflechtung abschliesst und diesen - gegebenenfalls nur konkludent - einer ausländischen Rechtsordnung unterstellt. Das bedeutet insbesondere, dass ein solcher Bürgschaftsvertrag vom schweizerischen Richter im Vollstreckungsverfahren anzuerkennen ist, auch wenn die Formvorschriften des schweizerischen Rechts nicht beobachtet wurden (E. 3). | |
Sachverhalt | |
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Am 31. August 1984 stellte die Raiffeisenbank Schefflenztal GmbH beim Bezirksgerichtspräsidenten von Lenzburg ein Rechtsöffnungsbegehren, das mit Entscheid vom 5. Oktober 1984 abgewiesen wurde.
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Gegen diesen Entscheid erhob die Gläubigerin Beschwerde beim Obergericht des Kantons Aargau. Dieses hiess die Beschwerde am 13. Februar 1985 gut und bewilligte der Raiffeisenbank Schefflenztal GmbH die definitive Rechtsöffnung für den Forderungsbetrag von Fr. 10'387.50 nebst 12% Zins seit 20. Januar 1970.
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Ulrich Nietzke setzte sich gegen den kantonalen Entscheid mit staatsrechtlicher Beschwerde an das Bundesgericht zur Wehr. Dieses wies die Beschwerde ab aus folgenden
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Erwägungen: | |
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2. Nun hat aber das Obergericht des Kantons Aargau im angefochtenen Entscheid auch zu verstehen gegeben, dass es die auf Art. 2 Ziff. 3 des Abkommens gestützte Einrede der Unzuständigkeit selbst dann als unbegründet betrachten würde, wenn das Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe weitergezogen und die Einrede bei der oberen Instanz wieder erhoben worden wäre. Ulrich Nietzke habe nämlich in seiner Bürgschaftserklärung vom 16. Januar 1970 die Zuständigkeit des Amtsgerichts Karlsruhe durch Unterschrift anerkannt. Damit sei eine Rechtswahl getroffen worden, die als prozessrechtliche Vereinbarung unabhängig davon Gültigkeit beanspruche, ob sie nach schweizerischem Recht als rechtsverbindlich anzusehen sei oder nicht. Selbst wenn die von den Parteien in der Schweiz getroffene Rechtswahl als Bestandteil ihrer materiellrechtlichen Vereinbarung anzusehen wäre und von deren Rechtsgültigkeit abhinge, würde sich nach der Auffassung des Obergerichts an der Gültigkeit der Prorogation nichts ändern. Gleichzeitig mit der - so oder so gültigen - Rechtswahl zugunsten der Zuständigkeit der deutschen Gerichte hätten sich nämlich die Parteien für die Anwendbarkeit der Lex fori ausgesprochen. Das somit massgebliche deutsche Bürgerliche Gesetzbuch aber lasse für eine Bürgschaftsverpflichtung die einfache Schriftform ![]() | 7 |
An dieser Betrachtungsweise lässt sich - abgesehen davon, dass das Obergericht unzutreffend auch § 765 Abs. 2 BGB zitiert hat, was aber selbstredend von der Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts nicht erfasst wird - nichts beanstanden. Sie kann sich auf die Praxis des Bundesgerichts (BGE 60 II 302, 82 II 553 E. 2, 88 II 192 E. 2, 94 II 363 E. 5) berufen und wird denn auch vom Beschwerdeführer dem Grundsatz nach nicht bestritten. Er macht jedoch geltend, im Bereich des Bürgschaftsrechts müsse aus Gründen des schweizerischen Ordre public der Rechtswahl zugunsten des ausländischen Gerichtsstandes und des ausländischen materiellen Rechts a priori eine Grenze gesetzt bleiben. Damit beruft sich der Beschwerdeführer auch auf Art. 4 Abs. 1 des Abkommens.
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3. a) Bezüglich der Form der Bürgschaftserklärung, für welche das schweizerische Recht bei der Bürgschaft natürlicher Personen von über Fr. 2'000.-- die öffentliche Beurkundung verlangt (Art. 493 Abs. 2 OR) und somit über das vom deutschen Recht aufgestellte Erfordernis der einfachen Schriftlichkeit hinausgeht, hat das Bundesgericht in BGE 93 II 383 ff. ausgeführt, es solle damit dem Bürgen die Tragweite seiner Verpflichtung vor Augen geführt und er vor übereilten Bürgschaftsversprechen abgehalten werden. Aus dieser Ratio legis lasse sich aber, wie nun auch die herrschende Lehre annehme, nicht folgern, die Formvorschriften des Art. 493 OR seien ganz allgemein um der öffentlichen Ordnung willen aufgestellt worden. Eine Bestimmung, die so viele Ausnahmen vom Grundsatz der öffentlichen Beurkundung zulasse wie Art. 493 OR, könne nicht als grundlegende Vorschrift der schweizerischen Rechtsordnung angesehen werden, deren Missachtung das eigene Rechtsempfinden in unerträglicher Weise verletzen würde, und noch weniger lasse sich sagen, das schweizerische Rechtsdenken erheische zwingend den Vorrang vor dem anwendbaren ausländischen Recht. Vielmehr komme der Freiheit des Rechtsverkehrs, die das ausländische Recht mit dem Verzicht auf die öffentliche Beurkundung in den Vordergrund stelle, auch im schweizerischen Recht zentrale Bedeutung zu und setze dem Schutz des Bürgers Schranken. Gestützt auf diese Überlegungen hat das Bundesgericht im Fehlen der öffentlichen Beurkundung kein Hindernis für die Durchsetzung seiner streitigen Bürgschaftsforderung, die gegenüber einem in der Schweiz wohnhaften Bürgen aufgrund eines in der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossenen ![]() | 9 |
b) Der Beschwerdeführer nennt keine Gründe, weshalb an dieser Rechtsprechung nicht festzuhalten wäre. Er möchte den vorliegenden Rechtsstreit jedoch deshalb nicht entsprechend BGE 93 II 383 ff. entschieden wissen, weil er - im Gegensatz zum Bürgen mit ebenfalls schweizerischen Wohnsitz in jenem Fall - die Bürgschaftserklärung nicht in der Bundesrepublik Deutschland, sondern in der Schweiz unterzeichnet hat. Es bleibt daher nur die Frage zu beantworten, ob es grundsätzlich ausgeschlossen sei, dass ein in der Schweiz wohnhafter Bürge in der Schweiz einen Bürgschaftsvertrag abschliesst und dabei konkludent - so durch die Wahl eines ausländischen Gerichtsstandes - zum Ausdruck bringt, dass die Bestimmungen ausländischen Bürgschaftsrechts, somit auch dessen gegenüber dem schweizerischen Recht geringere Anforderungen an die Form des Vertragsschlusses, anwendbar sein sollen (vgl. grundsätzlich zur Rechtswahl BGE 79 II 299 ff.).
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Dass eine solche Wahl des anwendbaren materiellen Rechts auch stillschweigend erfolgen kann, ist durch die Rechtsprechung des Bundesgerichts anerkannt. Nach ihr genügte es vorerst - im Sinne einer Tatsachenvermutung bezüglich des Parteiwillens - grundsätzlich, dass die Parteien sich auf einen Gerichtsstand geeinigt haben (BGE 82 II 553 E. 2 mit Hinweisen, BGE 88 II 192 E. 2a, BGE 94 II 363 E. 5; vgl. auch Komm. SCHÖNENBERGER/JÄGGI, Allgemeine Einleitung N. 203, S. 72). Die jüngere Rechtsprechung betrachtet demgegenüber die Gerichtsstandsvereinbarung lediglich noch als ein Indiz für die Anwendung der Lex fori und verlangt, dass auch die weiteren Umstände des Einzelfalles bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts zu berücksichtigen seien (BGE 100 II 37 E. 2 200 ff.; VISCHER/VON PLANTA, Internationales Privatrecht, 2. Auflage Basel 1982, S. 171). Indessen macht der Beschwerdeführer nicht geltend, dass dem Obergericht des Kantons Aargau unter diesem Gesichtspunkt eine Rechtsverletzung vorzuwerfen wäre. Tatsächlich lassen denn auch die Akten - insbesondere das Zwischenurteil des Amtsgerichts Karlsruhe vom 27. Juli 1973 - mit hinreichender Klarheit erkennen, dass die den Abschluss des Bürgschaftsvertrags vom 16. Januar 1970 begleitenden Umstände der Annahme, es sei eine stillschweigende Rechtswahl zugunsten der Anwendbarkeit des deutschen Rechts erfolgt, nicht entgegenstehen.
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Gesetzgeber, Rechtsprechung und Lehre sind sich also darin einig, dass der schweizerische Ordre public keinen besonderen Schutz des in der Schweiz wohnhaften Bürgen verlangt, welcher einen Bürgschaftsvertrag mit internationaler Verflechtung abschliesst und diesen - gegebenenfalls nur konkludent - einer ausländischen Rechtsordnung unterstellt. Das gilt für den Bürgschaftsvertrag ganz allgemein, insbesondere aber bezüglich der ihn regierenden Formvorschriften. Die in BGE 93 II 383 ff. entwickelte Rechtsprechung ist daher unverändert auch für jene Fälle wegleitend, wo ein Bürgschaftsvertrag in der Schweiz abgeschlossen und damit auch die Rechtswahl zugunsten der ausländischen Rechtsordnung hier getroffen wurde. Dem Obergericht des Kantons Aargau kann somit in keiner Weise eine Verletzung von Bundesrecht deshalb vorgeworfen werden, weil nach seinem Erkenntnis der schweizerische Ordre public einer Anerkennung des Urteils des Amtsgerichts Karlsruhe vom 4. September 1974 nicht aus dem Grunde entgegensteht, dass der Bürgschaftsvertrag vom 16. Januar 1970 lediglich in der Form einfacher Schriftlichkeit abgeschlossen wurde.
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