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Informationen zum Dokument  BGE 112 II 113 - Richterlicher Besitz  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
3. Das Obergericht ist davon ausgegangen, dass die Übertragu ...
4. Gegen diese Betrachtungsweise wendet der Kläger ein, die  ...
5. Dass auch weisungsungebundene Behörden ungeachtet ihrer h ...
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Jana Schmid, A. Tschentscher  
 
22. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 30. April 1986 i.S. Thönen gegen Belle und Deaki (Berufung)
 
 
Regeste
 
Art. 924 Abs. 1 ZGB.  
 
Sachverhalt
 
BGE 112 II, 113 (113)A.- Am 9. Februar 1979 betrieben Joseph Belle und Zoltan Deaki Karl Thönen mit Zahlungsbefehl Nr. 73 395 des Betreibungsamtes Arlesheim auf Verwertung eines Inhaberschuldbriefs für eine Forderung von Fr. 260'000.-- nebst 5% Zins seit dem 1. Januar 1977. Der Betriebene erhob Rechtsvorschlag, worauf die beiden Gläubiger beim Gerichtspräsidenten von Arlesheim um die provisorische Rechtsöffnung nachsuchten. Im Verlaufe dieses Verfahrens reichten sie dem Rechtsöffnungsrichter den Inhaberschuldbrief ein, der ihnen in einem Herausgabeverfahren mit rechtskräftigem Urteil vom 16. Mai 1983 des Zivilgerichts Basel-Stadt zugesprochen und am 8. August 1983 durch Verfügung des Gerichtspräsidenten von Arlesheim im Rahmen eines Hinterlegungsverfahrens ausgehändigt worden war. Mit Urteil vom 27. Oktober 1983 ist den Gläubigern die provisorische Rechtsöffnung erteilt worden.
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B.- Am 9. November 1983 reichte Karl Thönen beim Bezirksgericht Arlesheim gegen Belle und Deaki Aberkennungsklage ein.
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BGE 112 II, 113 (114)In seiner spätern Klagebegründung machte er geltend, die Beklagten seien an der Forderung nicht mehr berechtigt, weil sie den Inhaberschuldbrief am 18. November 1983 an die Immoorp AG in Stansstad veräussert hätten. Von dieser Handänderung habe die Immoorp AG dem Bezirksgericht Arlesheim am 23. Dezember 1983 Kenntnis gegeben. Das Bezirksgericht wies die Klage mit Urteil vom 5. Dezember 1984 ab.
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Dieses Urteil zog der Kläger an das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft weiter. Die Appellation wurde am 15. Oktober 1985 abgewiesen.
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C.- Der Kläger erhebt Berufung an das Bundesgericht mit dem Antrag, das obergerichtliche Urteil vom 15. Oktober 1985 sei aufzuheben und die Aberkennungsklage sei gutzuheissen.
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Die Beklagten beantragen die Abweisung der Berufung, eventuell die Rückweisung der Sache zur Aktenergänzung und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz.
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Das Bundesgericht weist die Berufung ab und bestätigt das angefochtene Urteil.
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Aus den Erwägungen:
 
3. Das Obergericht ist davon ausgegangen, dass die Übertragung des Besitzes am Pfandtitel auf die Immoorp AG nur als Besitzanweisung im Sinne von Art. 924 Abs. 1 ZGB habe vorgenommen werden können. Bei der Besitzanweisung könne die körperliche Sachübergabe unterbleiben, weil der Dritte, der die Sache aufgrund eines besondern Rechtsverhältnisses als unselbständiger und meistens unmittelbarer Besitzer innehabe, sie auch für den neuen mittelbaren Besitzer gestützt auf ein besonderes Rechtsverhältnis weiterhin unselbständig besitze. Nun habe aber der Rechtsöffnungsrichter, dem der Pfandtitel zu Beweiszwecken übergeben worden sei, zwar den Gewahrsam, aber keinen Besitz erworben. Er sei nicht unmittelbarer und unselbständiger Besitzer für die eine Partei im Rechtsstreit. Dem Richter könne vielmehr nur die Stellung eines Besitzdieners zukommen. Damit sei aber eine Besitzanweisung ausgeschlossen. Doch selbst wenn der Richter als unselbständiger Besitzer bezeichnet werden müsste, so würde dies dem Kläger nicht helfen. Begründung und Beendigung des unselbständigen Besitzes des Richters für die eine Streitpartei müssten ausschliesslich auf hoheitlicher Grundlage beruhen. Eine Besitzanweisung sei daher nur denkbar, wenn eine entsprechend BGE 112 II, 113 (115)hoheitliche Anordnung getroffen werde. Eine solche Erklärung bzw. Anordnung des Gerichts sei aber im vorliegenden Fall nie erfolgt.
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4. Gegen diese Betrachtungsweise wendet der Kläger ein, die Vorinstanz verletze Art. 924 Abs. 1 ZGB, indem sie zu hohe Anforderungen an den Besitz des Dritten stelle, wenn sie nicht jede tatsächliche Innehabung der auf den Erwerber zu übertragenden Sache als Grundlage dieses Besitzes anerkenne. Der Besitz sei weder eine Tatsache noch ein Recht, sondern eine durch unterschiedliche praktische Bedürfnisse bestimmte Rechtslage. Es sei nicht einzusehen, weshalb bei der Besitzübertragung durch Besitzanweisung nicht auf die Innehabung der zu übertragenden Sache allein abzustellen sei. Nach Auffassung des Klägers sollte demnach der blosse Gewahrsam des Dritten über die Sache genügen, um im Zusammenhang mit der Besitzanweisung nach Art. 924 Abs. 1 ZGB von unmittelbarem Besitz sprechen zu können.
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Damit übt der Kläger aber nicht nur Kritik an den vorinstanzlichen Ausführungen, sondern auch an der herrschenden Lehre, die den blossen Gewahrsam des Besitzdieners nicht als ausreichende Grundlage anerkennt, um den Besitz des Besitzherrn auf einen neuen mittelbaren Besitzer zu übertragen (STARK, N. 12 zu Art. 924 ZGB mit Hinweisen). Indessen wird die Ausübung der unmittelbaren Sachherrschaft durch den Besitzdiener mit Recht nicht als für eine Besitzanweisung genügend betrachtet. Der Besitzdiener steht in einem besondern Abhängigkeitsverhältnis zum mittelbaren Besitzer, der seinen Besitz nur mit Hilfe des ersteren ausüben kann (BGE 58 II 375 und BGE 80 II 238; HINDERLING, Der Besitz, in Schweiz. Privatrecht, Bd. V/1, S. 421 ff.). Mit der Übertragung dieses mittelbaren Besitzes auf einen Erwerber der Sache tritt der Besitzdiener aber nicht ohne weiteres in eine ähnliche Abhängigkeit zum neuen mittelbaren Besitzer wie zum Veräusserer, so dass auch vom Erwerber gesagt werden könnte, er übe seinen Besitz mit Hilfe des Besitzdieners aus. Insofern ist der Vorinstanz, welche in ihren Ausführungen auf STARK, N. 12 zu Art. 924 ZGB, verwiesen hat, beizupflichten.
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Entgegen der Auffassung des Klägers kann somit der Vorinstanz nicht vorgeworfen werden, sie habe Bundesrecht verletzt, weil sie die Möglichkeit der Besitzanweisung gegenüber dem Besitzdiener verneint habe. Indessen bestehen begründete Zweifel, ob der Richter, dem eine Sache im Rahmen eines Rechtsstreits zu Beweiszwecken überlassen wird, als Besitzdiener bezeichnet werden BGE 112 II, 113 (116)könne. Von einer Weisungsbefugnis, die dem mittelbaren Besitzer gegenüber dem Besitzdiener zukommt, kann im Verhältnis der Streitpartei zum Richter nicht die Rede sein. Bei den Beweismitteln, die dem Gericht eingereicht werden, steht die Sachherrschaft des Richters als solche keineswegs im Vordergrund, sondern es geht vielmehr um die Ermöglichung der Beweisführung mit der dem Richter oft nicht freiwillig überlassenen Sache. Entscheidend bleibt somit allein, ob die durch das Zivilprozessrecht oder das materielle Recht begründete Rechtslage genügt, um den Richter, nachdem keine Besitzdienerschaft angenommen werden kann, als unselbständigen Besitzer der Beweisstücke im Sinne von Art. 924 Abs. 1 ZGB in Erscheinung treten zu lassen, der diese Stellung gestützt auf eine Besitzanweisung auch dem neuen mittelbaren Besitzer gegenüber einnimmt.
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5. Dass auch weisungsungebundene Behörden ungeachtet ihrer hoheitlichen Stellung bei der Erfüllung ihrer Aufgaben als unselbständige Besitzer im Sinne von Art. 924 Abs. 1 ZGB auftreten können, ergibt sich aus der Lehre und der Rechtsprechung (STARK, N. 69 zu Art. 920 ZGB). Indessen sind sich Rechtsprechung und Lehre nicht darüber einig, wann im konkreten Fall unselbständiger Besitz einer Behörde angenommen werden kann. Das Bundesgericht hat in BGE 52 II 52 aufgrund einer in einer Strafuntersuchung lediglich vorsorglich erlassenen Beschlagnahme-Verfügung den Behörden keinen unselbständigen Besitz zugesprochen, der die Eigentumsvermutung zugunsten des bisherigen Besitzers bzw. die bisherigen zivilrechtlichen Besitzesverhältnisse umzustossen vermöchte (gleicher Meinung HOMBERGER, N. 4 zu Art. 921 ZGB; anderer Meinung STARK, N. 69 zu Art. 920 ZGB). In BGE 47 II 269 f. hat das Bundesgericht dagegen dem Gerichtsschreiber, der eine bei ihm hinterlegte Geldsumme in Verwahrung nahm, unselbständigen Besitz an dieser zuerkannt (zustimmend STARK, N. 69 zu Art. 920 ZGB), der die Passivlegitimation gegenüber dem Herausgabeanspruch des früheren Besitzers begründete.
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Auch wenn die Umschreibung des unselbständigen Besitzes in Rechtsprechung und Lehre Schwierigkeiten bereitet und im konkreten Fall nicht immer Übereinstimmung zu erzielen ist, so sind sich Doktrin und Praxis immerhin darin einig, dass sich die Bejahung des unselbständigen Besitzes nach den in Frage stehenden Rechtsfolgen richtet. Bei der Besitzanweisung gilt es somit zu beachten, dass der unselbständige Besitz nicht länger für den bisherigen mittelbaren Besitzer ausgeübt werden soll, sondern für BGE 112 II, 113 (117)einen neuen mittelbaren Besitzer. Geht es hingegen um eine Beweiseingabe in einem vor dem Richter auszutragenden Rechtsstreit, so ist nicht zu übersehen, dass der Richter zum Beweisstück nicht in eine so intensive Beziehung tritt, wie dies bei der Hinterlegung oder der amtlichen Beschlagnahme einer Sache der Fall wäre. Diese Beziehung bleibt ungeachtet der vom bisherigen mittelbaren Besitzer gewünschten Besitzübertragung weiterhin auf das Verhältnis der einen Streitpartei zum Richter beschränkt und berührt den neuen mittelbaren Besitzer, der auf dieses Verhältnis auch keinen Einfluss auszuüben vermag, in keiner Weise. Der Frage, ob Sachherrschaft kraft hoheitlicher Aufgabenerfüllung nur dann zu einer privatrechtlichen Besitzanweisung Anlass geben könne, wenn die Behörde eine zustimmende Erklärung abgegeben habe, die von der Vorinstanz bejaht, in der Lehre jedoch unterschiedlich beantwortet worden ist (HOMBERGER, N. 3 zu Art. 924 ZGB, und STARK, N. 14 zu Art. 924 ZGB), kommt demnach für den vorliegenden Fall keine entscheidende Bedeutung zu. Der Vorinstanz ist vielmehr aus den angeführten Gründen keine Verletzung von Bundesrecht vorzuwerfen, weil sie einen hinreichenden unselbständigen Besitz des Richters im Sinne von Art. 924 Abs. 1 ZGB an dem zu Beweiszwecken von den Beklagten eingereichten Inhaberschuldbrief verneint hat. Die Berufung erweist sich damit als offensichtlich unbegründet.
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