BGE 112 II 318 | |||
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53. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 21. August 1986 i.S. Krucker gegen Keller und Obergericht des Kantons Thurgau (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Ausserordentliche Ersitzung einer im provisorischen Grundbuch des Kantons Thurgau eingetragenen Dienstbarkeit (Art. 731 Abs. 3 ZGB). | |
Sachverhalt | |
A.- August Krucker ist Eigentümer der Parzelle Nr. 1274 in Gabris, Kanton Thurgau. Dieses Grundstück grenzt an die Parzelle Nr. 1107 des Bernhard Keller an. Der Vater von August Krucker hat im Jahre 1980 gegen Bernhard Keller Klage auf Einräumung eines Notwegrechts erhoben. Diese Klage ist letztinstanzlich abgewiesen worden, wobei die Wegnot grundsätzlich bejaht, eine andere Variante aber als weniger schädlich betrachtet worden ist.
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B.- Im Jahre 1984 erhob August Krucker wiederum Klage gegen Bernhard Keller. Er beantragte die Feststellung, dass zugunsten von Parzelle Nr. 1274 und zu Lasten von Parzelle Nr. 1107 von der Kreuzstrasse über die Parzelle Nr. 1107 bis zur Parzelle Nr. 1274 ein unbeschränktes Fuss- und Fahrwegrecht bestehe. Das Grundbuchamt Schönholzerswilen sei anzuweisen, das Wegrecht im Grundbuch einzutragen.
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Das Bezirksgericht Münchwilen bejahte mit Urteil vom 11. Juli 1985 die ausserordentliche Ersitzung des fraglichen Wegrechts und hiess die Klage gut.
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Gegen dieses Urteil erhob Bernhard Keller Berufung beim Obergericht des Kantons Thurgau. Dieses hiess am 5. Dezember 1985 die Berufung gut und wies die Klage ab.
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C.- August Krucker hat gegen dieses Urteil beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Rückweisung der Streitsache zur Neubeurteilung an das Obergericht.
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Bernhard Keller und das Obergericht des Kantons Thurgau beantragen die Abweisung der Beschwerde.
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Aus den Erwägungen: | |
2. Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, dass das angefochtene Urteil willkürlich sei, weil es der neuesten Rechtsprechung des Bundesgerichts in BGE 105 II 329 ff. widerspreche. In diesem Entscheid sei richtigerweise erkannt worden, dass vor einer umfassenden Bereinigung der Dienstbarkeiten einer kantonalen Grundbucheinrichtung keine volle Grundbuchwirkung zukommen dürfe. Diese einlässlich begründete Auffassung entspreche zweifellos den Bedürfnissen der Praxis, und diese Rechtsprechung müsse nun auch für den Kanton Thurgau Gültigkeit haben. Das Obergericht berufe sich fälschlicherweise auf einen angeblichen Unterschied bei der negativen Rechtskraft. Das Bundesgericht habe die negative Rechtskraft bezüglich der jeweiligen kantonalen Publizitätseinrichtungen in BGE 105 II 333 sowohl für den Kanton Thurgau als auch für den Kanton Freiburg gleich beurteilt, weshalb eine abweichende Auffassung allein mit diesem Hinweis nicht begründet werden könne. Die Einwendungen von REY und HUBER, auf die sich das Obergericht bei seiner Ablehnung der Extratabularersitzung stütze, seien nicht stichhaltig. Es sei daher zweifellos davon auszugehen, dass die in BGE 105 II 329 ff. festgelegte Rechtsprechung weiterhin Bestand haben müsse.
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a) Im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde ist nicht darüber zu entscheiden, ob die in BGE 105 II 329 ff. begründete Rechtsprechung weiterhin Bestand haben müsse. Zu prüfen ist allein, ob das Obergericht mit seiner Auffassung, es sei entgegen der bundesgerichtlichen Praxisänderung an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten, in Willkür verfallen ist.
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Willkür liegt insbesondere vor, wenn der Entscheid der rechtsanwendenden Behörde eine Norm oder einen klaren und unumstrittenen Rechtsgrundsatz offensichtlich verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 110 III 43 E. 2a, BGE 109 Ia 22 E. 2, BGE 108 III 42, mit Hinweisen). Dabei verfällt eine Behörde nach der Rechtsprechung jedoch nicht schon dadurch in Willkür, dass sie bei der Anwendung von Bundesrecht von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung abweicht. Das träfe nur zu, wenn sie sich nicht auf sachlich haltbare Gründe stützen könnte, die es als vertretbar erscheinen lassen, der Praxis des Bundesgerichts nicht zu folgen (BGE 86 I 269 mit Hinweisen; HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, S. 199). Die kantonalen Gerichte haben die ihnen unterbreiteten Rechtsfragen ungeachtet des Standpunkts des Bundesgerichts grundsätzlich frei zu prüfen.
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b) Im Entscheid 105 II 333 f. hat das Bundesgericht die kurz zuvor in BGE 104 II 305 f. publizierte Auffassung korrigiert, wonach zu Lasten eines Grundstücks, das im seit dem 1. Januar 1912 geltenden und mit der negativen Rechtskraft ausgestatteten thurgauischen Grundbuch eingetragen ist, die ausserordentliche Ersitzung einer Dienstbarkeit seit dem 1. Januar 1912 ausgeschlossen sei. Im neuen Entscheid hielt das Bundesgericht fest, dass sich die negative Rechtskraft des thurgauischen Grundbuches hinsichtlich der Dienstbarkeiten auf deren rechtsgeschäftliche Begründung nach 1912 beschränke. Bevor nicht eine umfassende Bereinigung der Dienstbarkeiten stattgefunden habe, könne sich ein Dritter also nicht darauf verlassen, dass neben den eingetragenen nicht noch andere Dienstbarkeiten bestünden. Bis dies der Fall sei, könnten daher Dienstbarkeiten weiterhin gestützt auf Art. 731 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 662 ZGB ersessen werden, gleich wie das Eigentum ersessen werden könne, wenn aus dem Grundbuch nicht abschliessend hervorgehe, wer Eigentümer eines Grundstückes sei.
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Diese Änderung der Rechtsprechung, die vor allem der Kritik von LIVER (ZBJV 116 (1980) 142 ff.; vgl. auch ZBGR 60 (1979) 40 f.) Rechnung trug, ist in der Lehre ihrerseits auf Kritik gestossen. In seiner Stellungnahme (Zur ausserordentlichen Ersitzung von Dienstbarkeiten vor Einführung des eidgenössischen Grundbuches, Eine Stellungnahme zu BGE 104 II 302 und BGE 105 II 329, in: ZBGR 62 (1981), S. 206 ff.) begründet Notariatsinspektor Huber einlässlich, weshalb er die Änderung der Rechtsprechung durch das Bundesgericht für unangebracht betrachtet. Das Bundesgericht habe die Zulässigkeit der ausserordentlichen Ersitzung der bestrittenen Dienstbarkeit unter der Herrschaft des ZGB ausschliesslich damit begründet, die freiburgische (und sinngemäss auch die thurgauische) Publizitätseinrichtung gebe keinen Aufschluss darüber, ob und welche Dienstbarkeiten vor Inkraftsetzung des ZGB errichtet worden seien. Darauf könne es aber nicht ankommen. Entscheidend sei vielmehr, ob ein kantonales Übergangsregister im Sinne von Art. 48 SchlT ZGB für die seit dem 1. Januar 1912 begründeten Dienstbarkeiten die negative Rechtskraft besitze und ob die Ausgestaltung des betreffenden provisorischen Grundbuches und die Organisation der kantonalen Grundbuchführung einen Stand aufwiesen, die es erlaubten, dieser Übergangseinrichtung die negative Rechtskraft zuzubilligen (a.a.O. S. 215 f.). Im früheren Entscheid habe das Bundesgericht die ausserordentliche Ersitzung eines Fuss- und Fahrwegrechts an einem Grundstück im Kanton Thurgau, das im provisorischen Grundbuch aufgenommen war, daher zu Recht abgelehnt. Im Ergebnis die gleiche Auffassung vertritt auch REY (Berner Kommentar, N 255-258 zu Art. 731 ZGB).
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c) Das Obergericht stützt sich zur Begründung seiner Auffassung, es sei an seiner früheren, vom Bundesgericht in BGE 104 II 304 ff. bestätigten Praxis festzuhalten, im wesentlichen auf die beiden erwähnten Autoren. Darüber hinaus hält es fest, dass am Ort zwar erst das provisorische Grundbuch ohne Servitutenbereinigung bestehe und der Kanton Thurgau zu jenen Kantonen gehöre, deren bisherigen Publizitätseinrichtungen die positive Grundbuchwirkung nach Art. 973 ZGB fehle. Der kantonale Gesetzgeber habe dem provisorischen Grundbuch die negative Rechtskraft aber auch hinsichtlich der Grunddienstbarkeiten zuerkennen wollen. So sehe § 128 lit. b EG zum ZGB diese Grundbuchwirkung auch für Manuale und Protokolle betreffend Errichtung neuer Dienstbarkeiten vor. Im Kanton Thurgau sei infolgedessen eine Extratabularersitzung seit 1912 nicht mehr möglich.
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Das Obergericht kann sich demnach für seinen Entscheid nicht nur auf die Stimmen zweier ausgewiesener Autoren, sondern auch auf sachlich durchaus vertretbare Gründe stützen. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers liegt in der Ablehnung der Möglichkeit, im Kanton Thurgau Grunddienstbarkeiten nach dem 1. Januar 1912 durch ausserordentliche Ersitzung zu erwerben, keine klare Rechtsverletzung. Wie sich den beiden bundesgerichtlichen Urteilen entnehmen lässt, besteht schon bei freier Prüfung der umstrittenen Rechtsfrage keine einheitliche Meinung. Desgleichen werden in der massgebenden Lehre nach wie vor unterschiedliche Auffassungen vertreten, wie gerade die zwei vom Obergericht zitierten neuesten Lehrmeinungen zeigen, die jener von Liver widersprechen.
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