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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Jana Schmid, A. Tschentscher | |||
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56. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 24. September 1986 i.S. Genossenschaft M. gegen Frau N. (Berufung) | |
Regeste |
Art. 216 OR, Art. 2 ZGB. Grundstückkauf, Formmangel, Rechtsmissbrauch. |
2. Berufung auf einen Formmangel, nachdem der Vertrag beidseitig freiwillig und irrtumsfrei erfüllt worden ist. Offengelassen, ob Formungültigkeit zur absoluten Nichtigkeit des Vertrages führt und der Mangel stets von Amtes wegen zu berücksichtigen ist (E. 2) |
3. Umstände, unter denen die Berufung auf den Formmangel, insbesondere wegen dessen Art, sich als missbräuchlich erweist (E. 3). | |
Sachverhalt | |
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B.- Am 2. Juli 1984 klagte Frau N. beim Bezirksgericht Plessur gegen die Genossenschaft M. auf Feststellung, dass der Kaufvertrag wegen Rücktritts bzw. Nichteintritts einer Bedingung dahingefallen sei; sie verlangte ferner, dass die Beklagte ihr gegen Rückübertragung des Eigentums die bezahlten Fr. 140'000.-- nebst Zins Zug um Zug zurückzuerstatten habe.
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Das Bezirksgericht hiess die Klage am 19. April 1985 gut, da die Klägerin zu Recht wegen Verzugs der Beklagten zurückgetreten sei. Die Beklagte appellierte an das Kantonsgericht von Graubünden, das die Klage am 11. November 1985 ebenfalls schützte, aber fand, dass der Kaufvertrag wegen Verstosses gegen Vorschriften über die öffentliche Beurkundung nichtig sei.
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C.- Die Beklagte hat gegen das Urteil des Kantonsgerichts Berufung und wegen Verletzung von Art. 4 BV auch staatsrechtliche Beschwerde eingereicht. Mit der Berufung beantragt sie, das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Das Bundesgericht heisst die Berufung dahin gut, dass es das angefochtene Urteil aufhebt und die Sache zur Prüfung der Frage, wie es sich mit dem Rücktritt der Klägerin nach Art. 107 f. OR verhält, an das Kantonsgericht zurückweist.
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Aus den Erwägungen: | |
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Das Kantonsgericht nimmt mit Recht an, dass die Form des streitigen Vertrages schon den bundesrechtlichen Mindestanforderungen nicht genügt. Mit der öffentlichen Beurkundung des Grundstückkaufes soll eine sichere Grundlage für den Eintrag im Grundbuch geschaffen werden. Die Urkundsperson hat deshalb alle für das Rechtsgeschäft wesentlichen Tatsachen und Willenserklärungen der Parteien im Vertrag festzuhalten (BGE 106 II 147 E. 1 und BGE 99 II 161 E. 2a mit Zitaten). Zu diesen Tatsachen gehört auch die genaue Bezeichnung der Parteien, welche sich durch die Erklärungen berechtigen und verpflichten, sowie die Angabe des Vertretungsverhältnisses, wenn ein Dritter für eine Partei handelt (BGE 45 II 565 und das in ZGBR 54/1973 S. 367 ff. veröffentlichte Urteil des Bundesgerichts vom 4. Juli 1972). Wieso es zulässig sein soll, dass die Urkundsperson im Vertrag einen Vertreter angibt, der nicht erscheint, den tatsächlich erscheinenden dagegen verschweigt, ist unerfindlich. Dass ein Vertreter auch formlos ermächtigt werden kann, ändert nichts am Erfordernis, dass das Vertretungsverhältnis in der Urkunde richtig wiederzugeben ist (BGE 99 II 162 E. 2b).
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b) Die Beklagte anerkennt, dass Formwidrigkeit einen formgebundenen Vertrag unter Vorbehalt von Rechtsmissbrauch nichtig macht. Es braucht daher vorerst nicht geprüft zu werden, ob das Vorgehen des Notars, wie das Kantonsgericht annimmt, bundesrechtlich auch sonst zu beanstanden sei, weil er bezüglich Anmerkungen und Vormerkungen lediglich auf das Grundbuch verwiesen und der Urkunde beigeheftete Belege über Quartierservituten nicht unterzeichnet habe.
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2. Die Beklagte hielt den Versuch der Klägerin, den Kaufvertrag wegen Formwidrigkeit zu Fall zu bringen, schon im kantonalen ![]() | 11 |
a) Das Bundesgericht hat seine Rechtsprechung zu solchen Einreden letztmals 1978 überprüft (BGE 104 II 101 E. 3) und 1980 bestätigt (BGE 106 II 151 E. 3). Es führte im ersten Entscheid insbesondere aus, die Frage, ob sich die Berufung auf Formwidrigkeit eines Vertrages wegen Rechtsmissbrauchs verbiete, entscheide sich nicht allgemein nach starren Regeln, sondern nach den Umständen des Einzelfalles. Dabei sei insbesondere die Tatsache, dass beide Parteien den Vertrag bereits freiwillig erfüllt hätten, von Bedeutung; sie schliesse zwar nicht aus, dass die Nichtigkeit des Vertrages dennoch berücksichtigt werde, lasse die Berufung auf den Formmangel aber doch als missbräuchlich erscheinen, wenn sich aus den übrigen Umständen, namentlich aus dem Verhalten der Parteien bei oder nach Vertragsschluss, nicht eindeutig das Gegenteil ergebe.
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Diese Zusammenfassung der Rechtsprechung kann sich genau besehen nur auf BGE 92 II 325 E. 3 stützen, während nach den übrigen Präjudizien, insbesondere nach BGE 72 II 43 E. 3, die beidseitige freiwillige Erfüllung die Berufung auf den Formmangel nicht für sich allein, sondern nur in Verbindung mit zusätzlichen Gründen missbräuchlich macht. Die mit BGE 92 II 325 E. 3 aufgestellte Regel ist von der Lehre als Änderung der Rechtsprechung verstanden (MERZ, in ZBJV 104/1968 S. 49) und auch im Anschluss an BGE 104 II 101 E. 3 mehrheitlich gebilligt worden (GAUCH/SCHLUEP/JÄGGI, Skriptum zu OR Allg. Teil I N. 453; SCHÖNENBERGER/GAUCH, N. 156 zu Art. 18 OR; ebenso im Ergebnis von TUHR/PETER, OR I S. 238; BUCHER, OR Allg. Teil S. 148; BUCHER in ZBGR 56/1975 S. 74). Dass bei beidseitiger Erfüllung des formnichtigen Vertrages Rechtsmissbrauch zu vermuten ist, bedeutete im übrigen keine grundlegende Änderung, hatte doch schon die frühere Rechtsprechung angenommen, die Berufung auf den Formmangel nach Vertragserfüllung sei jedenfalls dann missbräuchlich, wenn der Mangel bei ![]() | 13 |
b) Auch die neuere Rechtsprechung hält für entscheidend, ob eine Partei sich des angerufenen Formmangels bei Abschluss des Vertrages oder doch bei dessen Erfüllung bewusst gewesen ist. Sie verlangt nicht bloss, dass der Vertrag beidseitig freiwillig, sondern auch irrtumsfrei erfüllt worden ist (BGE 104 II 104 E. 3c). Das entspricht herrschender Lehre (BUCHER, S. 148; GAUCH/SCHLUEP/JÄGGI, N. 453) und bedeutet, dass die Berufung einer Partei auf einen Formmangel nicht rechtsmissbräuchlich ist, wenn sie den Vertrag in Unkenntnis des Mangels abgeschlossen und erfüllt hat (DESCHENAUX, in Schweiz. Privatrecht Bd. II S. 191; MERZ, N. 475 und 484 zu Art. 2 ZGB; SCHÖNENBERGER/JÄGGI, N. 80 zu Art. 11 OR). Wer einen formnichtigen Vertrag freiwillig erfüllt, ohne den Mangel zu kennen, verhält sich in der Tat nicht widersprüchlich, handelt folglich auch nicht missbräuchlich, wenn er sich nachträglich wegen des Mangels auf Nichtigkeit beruft. Das gilt selbst dann, wenn angenommen wird, die beidseitige Erfüllung des Vertrages heile den Formmangel, mache also nicht nur dessen Anrufung missbräuchlich (VON TUHR/PETER, S. 238; BUCHER, S. 147).
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Eine andere Frage ist, ob unbekümmert um die Art des Mangels daran festgehalten werden kann, dass Formungültigkeit zur absoluten Nichtigkeit des Vertrages führe und der Formmangel stets von Amtes wegen zu berücksichtigen sei (BGE 106 II 151 E. 3 mit Zitaten); sie stellt sich namentlich nach den kritischen Bemerkungen LIVERS (in ZBJV 118/1982 S. 117/18) über "ganz unannehmbare Konsequenzen", die sich dabei ergeben könnten. Dass das Hinwegsehen über einen Formmangel nicht eine absolute Heilung im Sinne von § 313 des deutschen BGB zur Folge hat, ist anerkannt (MEIER-HAYOZ, N. 141 zu Art. 657 ZGB; DESCHENAUX, S. 190 ff.; BUCHER, in Archiv für die civilistische Praxis 186/1986 S. 42 ff.). Ob aber aufgrund zutreffender Auslegung der Formvorschriften oder auf dem Umweg über das Missbrauchsverbot angenommen wird, dass eine beidseitig freiwillige Erfüllung den Mangel unbeachtlich mache, vermag das Ergebnis kaum entscheidend zu beeinflussen (Merz, N. 468 zu Art. 2 ZGB; GUHL/MERZ/KUMMER, S. 108/9; GAUCH/SCHLUEP/JÄGGI, N. 457; VOLKEN, in Zeitschrift für Walliser Rechtsprechung 15/1981 S. 465 ff.). Jedenfalls folgt daraus nicht notwendig, dass die freiwillige Erfüllung des Vertrages durch beide Parteien auch dann heilende Wirkung habe, wenn ![]() | 15 |
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a) Es trifft zu, dass das Gesetz mit der öffentlichen Beurkundung solche Zwecke verfolgt, insbesondere die Parteien schützen und auch allgemeinen Interessen dienen will (BGE 90 II 281 E. 6, BGE 84 II 642, BGE 78 II 224; DESCHENAUX, S. 189; SCHÖNENBERGER/JÄGGI, N. 45 ff. zu Art. 11 OR; GAUCH/SCHLUEP/JÄGGI, N. 411 ff). Schutz vor Übereilung und Beweissicherung fallen aber kaum mehr ins Gewicht, wenn wie hier eine öffentliche Beurkundung tatsächlich stattgefunden hat; dass diese einen genügenden Grundbuchausweis ergab, zeigt die erfolgte Eintragung; die Rechtssicherheit verlangt schliesslich eher, dass der Eintrag aufrechterhalten wird. Deshalb darf angenommen werden, dass der Schutz- und Sicherungszweck der Beurkundung mit der beidseitigen Erfüllung des Vertrages entfällt. Selbst wenn diese Folge nicht leichthin einer Heilung des Formmangels gleichzusetzen ist, darf ihre Bedeutung bei der Frage, ob in der Berufung auf den Mangel eine zweckwidrige Rechtsausübung zu erblicken ist, nicht verkannt werden.
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b) Vorliegend ist die strengere Betrachtungsweise am Platz. Die Klägerin war über zwei Jahre unangefochten als Eigentümerin der gekauften Parzelle im Grundbuch eingetragen. Sie hat sich auch als solche benommen, sich insbesondere zusammen mit anderen Grundeigentümern wiederholt um die Erschliessung des Baulandes bemüht. Weil sie dabei auf immer mehr Schwierigkeiten stiess, versuchte sie den Vertrag im Januar 1984 wegen Nichterfüllung oder Nichteintritts einer Bedingung rückgängig zu machen, berief sich aber erst im Verlaufe des Prozesses ergänzend auch auf den Formmangel. Gewiss hat sie davon erst nachträglich erfahren; dass sie sich bei sofortiger Aufdeckung des Mangels anders verhalten, sich insbesondere auf den Schutz- oder Sicherungszweck der Beurkundung berufen und von der Erfüllung abgesehen hätte, ist dem angefochtenen Urteil jedoch nicht zu entnehmen. Es geht deshalb zum vornherein nicht an, von einer irrtümlichen Vertragserfüllung zu sprechen, zumal aus ihren Bemühungen um die Erschliessung der Parzelle erhellt, wie sehr sie an einer Vertragserfüllung nach ihren Vorstellungen interessiert war. Ihre Berufung auf den Formmangel erweist sich nach ihrem eigenen Verhalten vielmehr als zweckwidrig und damit als missbräuchlich.
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Zum gleichen Ergebnis gelangt man, wenn die Art des Formmangels berücksichtigt wird. Dieser betrifft weder die Willensäusserungen der Klägerin noch den Inhalt des Vertrages, sondern ausschliesslich die Identität des Vertreters, der für die Beklagte zur ![]() | 20 |
Aus dem Hinweis des Kantonsgerichts auf weitere Verstösse gegen eidgenössisches und kantonales Beurkundungsrecht ergäbe sich ebenfalls nichts zugunsten der Klägerin. Dass der Notar sich mit einer blossen Verweisung auf das Grundbuch begnügt hat, statt auch die Vormerkungen und Anmerkungen über die Parzelle in die Urkunde aufzunehmen, und dass er den Anhang zum Vertrag zwar mit seinem Stempel versehen, aber nicht unterzeichnet hat, hätte allenfalls den Grundbuchverwalter veranlassen können, die Urkunde zu beanstanden. Dies ist nicht geschehen; die Klägerin ist vielmehr vorbehaltlos als neue Eigentümerin der Parzelle im Grundbuch eingetragen worden, weshalb sich auch die Berufung auf eine allfällige Formungültigkeit infolge der weiteren Verstösse als zweckwidrig und missbräuchlich erwiese.
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