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81. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. Dezember 1986 i.S. X. gegen Rekurskommission des Kantonsgerichts S. (Berufung) | |
Regeste |
Fürsorgerische Freiheitsentziehung; Begriff der geeigneten Anstalt im Sinne von Art. 397a ZGB. | |
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Wie die Rekurskommission unter Berufung auf das Gutachten der Psychiatrischen Klinik festgestellt hat, leidet der Berufungskläger an einer angeborenen Debilität. Diese führte zu einer Persönlichkeitsstörung, welche sich in einer extremen Kränkbarkeit äussert. Auch der Bezirksarzt stellte beim Berufungskläger eine geistige Minderbegabung fest, "die zur Folge habe, dass er sich mit den Fäusten besser verteidigen könne als mit dem Gehirn". Seit 1980 geht X. nach den Feststellungen der Vorinstanz keiner geregelten Arbeit mehr nach, lebte zum guten Teil auf Kosten seiner Eltern oder seiner Freundin und beging Zechprellereien. Der rasch gekränkte Berufungskläger lässt sich zu Drohungen und Tätlichkeiten hinreissen, wobei übermässiger Alkoholkonsum zusätzlich einen unheilvollen Einfluss hat.
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Einigkeit besteht nicht nur darüber, dass eine Anstalt als geeignet zu gelten hat, wenn in ihr die für den Betroffenen konkret notwendige Fürsorge und Betreuung gewährt werden kann (THOMAS SEEGER, Die fürsorgerische Freiheitsentziehung, ZöF 81/1984, S. 57), sondern insbesondere auch darüber, dass diese Fürsorge ohne oder gegen den Willen des Betroffenen und unter Entzug der Freiheit geleistet wird (BBl 1977 III, S. 28 f.; SPÜHLER, a.a.O., ![]() | 5 |
4. a) In der parlamentarischen Beratung der am 1. Januar 1981 in Kraft getretenen Bestimmungen über die fürsorgerische Freiheitsentziehung ist auch die Frage aufgeworfen worden, ob der Gesetzgeber nicht wenigstens eine negative Umschreibung der geeigneten Anstalt in dem Sinne aufnehmen sollte, dass die Strafanstalt vorweg nicht als solche gilt. Der Bundesrat hatte denn auch in seiner Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fürsorgerische Freiheitsentziehung) und den Rückzug des Vorbehaltes zu Artikel 5 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 17. April 1977 die Meinung vertreten, dass Strafanstalten nach den heutigen Verhältnissen grundsätzlich nicht als geeignete Anstalten im Sinne von Art. 397a ZGB erscheinen (BBl 1977 III, S. 29). Durch das Gesetz ausdrücklich ausschliessen wollte der Bundesrat indessen die Strafanstalten nicht, offenbar - wie sich aus der Beratung im Nationalrat ergibt (Amtl. Bull. NR 1978, S. 759) - weil er damit rechnete, dass der Strafvollzug sich weiter wandeln würde, so dass den Bedürfnissen der Fürsorge und Betreuung besser entsprochen werden kann. Man gab sich aber auch Rechenschaft darüber, dass in einzelnen Fällen das Schutzbedürfnis der Öffentlichkeit und des in eine Anstalt Einzuweisenden selber so gross sein mag, dass keine andere Wahl als die Einweisung in eine Strafanstalt bleibt. Allerdings hat der bundesrätliche Sprecher keine Zweifel daran bestehen lassen, dass die Einweisung in eine Strafanstalt nur in Ausnahmesituationen und zudem nur vorübergehend in Frage kommt. Aufgrund dieser Überlegungen ist in der anschliessenden Abstimmung ein Antrag Morel abgelehnt worden, dem Art. 397a ZGB einen vierten Abschnitt beizufügen, wodurch im Rahmen der fürsorgerischen ![]() | 6 |
Obgleich Strafanstalten in der Regel dazu ungeeignet erscheinen mögen - ist in der Debatte des Nationalrats ferner betont worden -, gäbe es auch solche, die durchaus in der Lage seien, Geistesschwachen die nötige Fürsorge angedeihen zu lassen. Sodann erinnerte der eine Kommissionssprecher daran, dass es Überschneidungen gebe (beispielsweise Heilanstalten), und warnte vor dem Umkehrschluss, jede Anstalt nur schon deshalb als für die fürsorgerische Freiheitsentziehung geeignet zu betrachten, weil es keine Strafanstalt sei (Amtl. Bull. NR 1978, S. 758).
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b) Soweit in der parlamentarischen Beratung sodann die Verantwortung der Kantone angesprochen wurde, ist klarzustellen, dass die Frage nach der geeigneten Anstalt eine Rechtsfrage ist (BERNHARD SCHNYDER, Die fürsorgerische Freiheitsentziehung. Grundzüge der neuen bundesrechtlichen Regelung, ZVW 34/1979, S. 29) und dass diese Rechtsfrage durch die Gesetzesnovelle von 1981 eine solche des Bundesrechts geworden ist. Von Bundesrechts wegen ist die fürsorgerische Freiheitsentziehung nur zulässig, wenn eine Anstalt den Eingewiesenen hinreichend zu betreuen vermag. Daher kann der Fall eintreten, dass von der fürsorgerischen Freiheitsentziehung abgesehen werden muss, weil eine geeignete Anstalt nicht zur Verfügung steht (SEEGER, a.a.O., S. 57; FONTANET, a.a.O., S. 4).
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Wenn die Unterbringung in einer Strafanstalt sich als unumgänglich erweist, weil der Betroffene andere Personen oder sich selbst gefährdet, so ist unter dem Blickwinkel von Art. 397a Abs. 1 ZGB jedenfalls ein strenger Massstab an die Anstalt anzulegen. Der Bundesgesetzgeber verlangt nicht nur, wie der Berufungskläger hervorhebt, den getrennten Vollzug von Zuchthaus- und Gefängnisstrafen einerseits und von Haftstrafen anderseits, sondern fordert auch besondere Anstalten für Erstmalige (Art. 37 Ziff. 2 Abs. 2 StGB). Vor allem aber legt der Gesetzgeber Wert auf die Unterscheidung zwischen dem Vollzug von Strafen auf der einen Seite und von Massnahmen auf der anderen Seite (Art. 43, 44 und 100bis StGB) und gibt zu erkennen, dass bei dem von Massnahmen Betroffenen die ärztliche Behandlung und die Erziehung im Vordergrund stehen. Umso mehr erscheint es angezeigt, die aufgrund der Vorschriften des Zivilgesetzbuches angeordnete fürsorgerische Freiheitsentziehung so zu vollziehen, dass die Unterbringung in einer Anstalt sich deutlich vom Strafvollzug abhebt.
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c) Trotz den Vorbehalten, die gegenüber dem Vollzug der fürsorgerischen Freiheitsentziehung in einer Strafanstalt anzubringen sind, kann nun aber nicht verlangt werden, dass geradezu eine Idealanstalt zur Verfügung stehe (SPÜHLER, a.a.O., S. 56; SCHNYDER, a.a.O., S. 22). Kaum eine Anstalt wird, wie zutreffend vermerkt worden ist, alles an Fürsorge- und Behandlungsmethoden anbieten, was im Einzelfall als erwünscht erscheinen könnte (BEATRICE MAZENAUER, Psychischkrank und ausgeliefert?, Bern 1985, S. 86). Es muss genügen, dass die für die Unterbringung gewählte Anstalt mit den ihr normalerweise zur Verfügung stehenden organisatorischen und personellen Mitteln in der Lage ist, wesentliche Bedürfnisse nach Fürsorge und Betreuung des Eingewiesenen zu befriedigen. Ein allzu strenger Massstab an die Eignung einer Anstalt würde sonst zahlreiche Einweisungen gänzlich verhindern, obwohl mindestens ein zentrales Fürsorge- und Betreuungsbedürfnis befriedigt werden kann. Das kann ausnahmsweise auch für eine Strafanstalt zutreffen.
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Die Vorinstanz hat dem Bundesgericht - anstelle einer eigentlichen Vernehmlassung zur Frage der Eignung der Anstalt B. für die fürsorgerische Freiheitsentziehung - neben dem Amtsbericht des Regierungsrates über das Jahr 1985 mit Hinweisen auf die unterschiedlichen Einweisungsgründe und Vollzugsformen auch die Hausordnung der Anstalt B. zukommen lassen. Gemäss Art. 8 dieser Hausordnung besteht eine allgemeine Arbeitspflicht, wobei die Insassen soweit möglich auf dem erlernten Beruf oder mit ![]() | 13 |
Dem Anstaltenkatalog des Bundesamtes für Justiz ist auch zu entnehmen, dass in der Anstalt B. Einzelgespräche geführt werden und die Insassen durch einen sozialpsychologischen Dienst betreut werden. Es fragt sich, ob dies im vorliegenden Fall genügt oder ob der Berufungskläger nicht der psychiatrischen Betreuung bedarf.
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Im übrigen ist der Hausordnung zu entnehmen, dass sie im Hinblick auf den Vollzug freiheitsentziehender Strafen und Massnahmen gemäss Schweizerischem Strafgesetzbuch und auf den Vollzug von Versorgungen gemäss eidgenössischem und kantonalem Recht erlassen worden ist. Offensichtlich hat die Anstalt B. einen gemischten Charakter, wobei - nach dem Amtsbericht des Regierungsrates über das Jahr 1985 zu vermuten - der auf das Strafrecht gestützte Vollzug von Strafen und Massnahmen zunehmend überwiegt. Im Jahr 1985 betrug der Anteil der vormundschaftlichen Einweisungen (nach Verpflegungstagen berechnet) 24,8% aller Einweisungen. Haftstrafen, Gefängnisstrafen, Militärstrafen und Zuchthausstrafen machten insgesamt 67,7% aus; 4,8% entfielen auf die Arbeitserziehung gemäss Art. 100bis StGB ![]() | 15 |
6. Im vorliegenden Fall sind die Bedürfnisse der persönlichen Fürsorge des Berufungsklägers, gegenüber welchem die fürsorgerische Freiheitsentziehung angeordnet worden ist, nicht geklärt. Es steht aber auch nicht genügend fest, ob die Anstalt B. dem Berufungskläger jene Fürsorge und Betreuung angedeihen lassen kann, die für ihn nötig ist. Die Sache ist daher nach Massgabe von Art. 64 Abs. 1 OG zur Aktenergänzung und neuen Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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