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16. Urteil der I. Zivilabteilung vom 31. März 1987 i.S. Schweizerische Unfallversicherungsanstalt gegen Zürich Versicherungsgesellschaft (Berufung) | |
Regeste |
Motorfahrzeughaftpflicht, Regressrecht der SUVA. |
2. Art. 100 KUVG, Art. 88 SVG. Umfang des Regressrechts der SUVA gegen den haftpflichtigen Dritten. Sinn und Zweck des Quotenvorrechts zugunsten des Geschädigten (E. 2). |
3. Eine konstitutionelle Prädisposition des Verunfallten kann sowohl die Schadensberechnung wie die Schadenersatzbemessung beeinflussen. Unterschiedliche Auswirkungen auf das Quotenvorrecht des Geschädigten und auf die Regressforderung der SUVA (E. 3). | |
Sachverhalt | |
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X. war als Hilfsarbeiter einer Druckerei obligatorisch gegen Unfall versichert. Mit Verfügung vom 5. August 1976 sprach die SUVA ihm eine Invalidenrente von 50% zu. Auf Beschwerde des Versicherten einigte sie sich mit ihm dahin, dass sie einen Invaliditätsgrad von 75% anerkannte, die Rente jedoch wegen eines krankhaften Vorzustandes seiner Brust- und Lendenwirbelsäule (Scheuermann Krankheit) gestützt auf Art. 91 KUVG um 25% kürzte, was eine Jahresrente von Fr. 11'916.-- ergab.
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Die Halterin des Personenwagens war für ihre Haftpflicht bei der "Zürich" versichert. Diese anerkannte, dass die Lenkerin des Wagens das Vortrittsrecht des Motorradfahrers missachtet hatte und für den Unfall allein verantwortlich war. Sie hielt den Verunfallten ![]() | 3 |
B.- Die SUVA zahlte dem Geschädigten insgesamt Fr. 247'221.--, wovon Fr. 115'388.-- auf die kapitalisierte Invalidenrente entfielen. Sie wollte für ihre Leistungen gemäss Art. 100 KUVG auf die "Zürich" zurückgreifen, die jedoch nur eine Forderung von Fr. 156'310.-- anerkannte. Im Juli 1983 klagte die SUVA gegen die "Zürich" auf Zahlung des Restbetrages von Fr. 90'911.-- nebst 5% Zins seit 1. September 1977.
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Am 11. Oktober 1984 schützte das Bezirksgericht Zürich die eingeklagte Forderung zu Fr. 33'700.-- und wies die Klage im Mehrbetrag ab. Es bejahte das Quotenvorrecht des Geschädigten und kürzte die Regressforderung der Klägerin entsprechend dem Abzug, der sich aus dem krankhaften Vorzustand des Geschädigten ergab, um Fr. 57'211.--.
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Die Klägerin appellierte an das Obergericht des Kantons Zürich, das am 27. Mai 1986 im gleichen Sinn entschied.
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C.- Gegen diesen Entscheid hat die Klägerin Berufung eingelegt, mit der sie an der eingeklagten Forderung im vollen Umfang festhält.
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Die Beklagte beantragt, die Berufung abzuweisen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Nach Art. 91 KUVG, das vorliegend noch anwendbar ist, hat die SUVA ihre Leistungen für Invalidität zu kürzen, wenn unfallfremde Faktoren sie vergrössert haben. Unter diese Bestimmung fällt jeder pathologische Vorzustand, ohne den die seit dem Unfall bestehende Invalidität von geringerem Ausmass wäre, gleichviel ob er bereits vor dem Unfall Schmerzen verursacht oder die Erwerbsfähigkeit des Versicherten beeinträchtigt habe (BGE 105 V 92). Wegen eines solchen Vorzustandes hat die Klägerin die Rente des Geschädigten um 25% gekürzt. Sie spricht aber der Beklagten das gleiche Recht ab, weil die Kürzung nach Art. 91 KUVG nicht unbesehen auf die Leistungen des haftpflichtigen Dritten übertragen werden dürfe, der den gesamten unfallbedingten Schaden zu ersetzen habe; die Klägerin müsse die Rente ![]() | 9 |
a) Dazu ist vorweg festzuhalten, dass die Beklagte nach dem angefochtenen Urteil vom gleichen Invaliditätsgrad des Geschädigten ausgegangen ist wie die Klägerin und einen Erwerbsausfall von Fr. 228'843.-- ermittelt hat, der im kantonalen Verfahren unbestritten geblieben ist. Diese Feststellung der Vorinstanz bindet das Bundesgericht, da eine Ausnahme gemäss Art. 63 Abs. 2 OG weder behauptet noch zu ersehen ist. Der Einwand der Klägerin, die Beklagte habe den Vorzustand des Geschädigten bereits bei der Schadensberechnung berücksichtigt, ist neu und daher nicht zu hören (BGE 110 II 312). In welchem Umfang jemand durch Erwerbsausfall geschädigt wird, ist übrigens im wesentlichen eine Tatfrage, die vom kantonalen Richter zu entscheiden ist. Vorbehalten bleibt, ob er den Begriff des Schadens verkannt, den Ausfall in unzulässiger Weise ermittelt und sich im Rahmen des Ermessens gehalten habe, das ihm insbesondere bei Abschätzen des Schadens zusteht (BGE 106 II 133 E. 5c, BGE 105 II 81 /82, BGE 82 II 399 E. 4).
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Die Feststellungen des Obergerichts zur vorbestehenden Krankheit des Geschädigten betreffen ebenfalls tatsächliche Verhältnisse. Sie stützen sich auf eine ärztliche Untersuchung vom 29. April 1977, wonach der Geschädigte damals an der Lendenwirbelsäule eine verbreitete Spondylose und Osteochondrose aufwies, die sich u.a. in einem lumbalen Schmerzsyndrom mit hochgradiger Versteifung der Brust- und Lendenwirbelsäule offenbarten. Die Vorinstanz fand zusammen mit dem Arzt und dem Radiologen, dass die schweren pathologischen Veränderungen im Bereiche der Wirbelsäule keine Unfallfolgen waren, aber die Arbeitsunfähigkeit des Geschädigten erheblich vergrösserten, weil die Schmerzen ihn auch bei sitzender Tätigkeit behinderten. Diese Feststellungen des Obergerichts über die vorbestehende Scheuermann Krankheit als wesentliche Mitursache der erhöhten Invalidität beziehen sich auf den natürlichen Kausalzusammenhang und sind daher entgegen der Annahme der Klägerin für das Bundesgericht verbindlich (BGE 101 II 73 E. 3 und BGE 98 II 291 mit Hinweisen).
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b) Ob sich ein vorbestehendes Leiden auch als adäquate Ursache einer erhöhten Erwerbsunfähigkeit ausgeben lässt, ist dagegen eine Frage der Rechtsanwendung, die vom Bundesgericht im Berufungsverfahren frei überprüft werden kann (BGE 107 II 243 unten). Nach der Lehre und Rechtsprechung zum rechtserheblichen Kausalzusammenhang genügt es grundsätzlich, dass der ![]() | 12 |
Ein vorbestehendes Leiden des Geschädigten kann dagegen für den Umfang der Haftpflichtansprüche gemäss Art. 42 bis 44 OR von Bedeutung sein, was das Bundesgericht auf Berufung hin ebenfalls frei überprüfen kann. Einfache konstitutionelle Schwächen fallen mangels einer allgemeinen Eignung, einen Schaden herbeizuführen, als Herabsetzungsgründe zwar ausser Betracht (BREHM, N. 57 zu Art. 44 OR). Eigentliche Anomalien sowie akut oder latent vorbestehende Leiden können aber die Ansprüche des Verletzten schmälern; sie fallen unter den Begriff der konstitutionellen Prädisposition und gelten als mitwirkender Zufall, der die Berechnung des Schadens oder die Bemessung des Schadenersatzes beeinflussen kann und daher auch haftpflichtrechtlich zu beachten ist, gleichviel ob sie als Mitursache des Unfalles anzusehen sind oder bloss dessen Folgen verschlimmern (OFTINGER, S. 103; MERZ, Schweiz. Privatrecht Bd. VI/1, S. 233; KELLER/GABI, Haftpflichtrecht, S. 104).
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c) Dem Obergericht ist darin beizupflichten, dass die vorbestehende Wirbelsäulenerkrankung des Geschädigten als rechtserhebliche Prädisposition zu betrachten ist, zumal sie sich, was ihre Auswirkungen angeht, durchaus mit der in BGE 102 II 43 E. 3c beurteilten vergleichen lässt. Ob sie im Rahmen der Schadensberechnung oder der Schadenersatzbemessung zu berücksichtigen ist, kann einstweilen offenbleiben, da so oder anders nach richterlichem Ermessen zu bestimmen ist, in welchem Ausmass ihr bei der Ermittlung der Haftungsquote Rechnung zu tragen ist (MERZ, S. 234). Das Obergericht hat dieses Ermessen dadurch, dass es der Beklagten eine Kürzung von 25% zugestand, nicht überschritten, hat es damit deren Haftung doch um den gleichen Prozentsatz gekürzt, den die Klägerin für sich selbst beansprucht hat. Gewiss ![]() | 14 |
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Das gleiche ergibt sich aus dem Sinn und Zweck des Quotenvorrechts zugunsten des Geschädigten. Dieses Privileg will den Geschädigten nicht bereichern, sondern vor ungedecktem Schaden bewahren. Von einer Bereicherung kann aber keine Rede sein, solange die Leistungen der SUVA und des Dritten oder dessen Haftpflichtversicherung den Schaden nicht voll decken; das lässt sich erst sagen, wenn ihre Leistungen über den zu ersetzenden ![]() | 16 |
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a) Das Bundesgericht nahm zunächst an, die konstitutionelle Prädisposition könne sowohl ein Faktor der Schadensberechnung als auch ein Grund zur Ermässigung der Schadenersatzpflicht gemäss Art. 44 OR sein (Urteile vom 2. März 1965 und vom 24. Mai 1966 i.S. Pedrolini, publ. in Rep. 99/1966 S. 30 ff.). Im Jahre 1982 gab es diese Auffassung auf und erklärte, dass eine Prädisposition im Haftpflichtrecht nicht unter dem Gesichtspunkt der Kausalität zu berücksichtigen sei, obschon dies rein logisch geboten wäre, sondern im Rahmen der Schadenersatzbemessung als Umstand, für den der Geschädigte einzustehen habe (nicht veröffentlichtes Urteil vom 7. Oktober 1982 i.S. Wullimann).
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In der Lehre wird die konstitutionelle Prädisposition mehrheitlich als Herabsetzungsgrund im Sinne von Art. 44 OR aufgefasst und die Frage, ob sie allenfalls auch im Rahmen der Schadensberechnung zu berücksichtigen wäre, meistens übergangen (VON TUHR/PETER, OR Allg. Teil I, 3. Aufl. S. 109; MERZ, S. 233; VON BÜREN, OR Allg. Teil S. 55 Anm. 71; KELLER, Haftpflicht im ![]() | 19 |
Anderer Meinung ist insbesondere SCHAER, der anknüpfend an die deutsche Lehre den Standpunkt vertritt, dass bestimmte Teilursachen, wie die konstitutionelle Prädisposition, zwar zu einem Schaden führen, der dem Haftpflichtigen aber nicht zurechenbar sei; die Prädisposition erscheine damit als Anwendungsfall der sogenannten hypothetischen Kausalität, die als Element der Schadensberechnung zu verstehen sei (Rz. 123 ff. und 1114). BREHM lässt sie gestützt auf die ältere Rechtsprechung sowohl als Element der Schadensberechnung wie als Herabsetzungsgrund gelten und schliesst selbst eine kumulative Berücksichtigung nicht aus (N. 58 zu Art. 55 OR).
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b) Die konstitutionelle Prädisposition kann sehr unterschiedliche Formen und Folgen haben. Als haftpflichtrechtlich relevant gelten namentlich Vorzustände, die sich mit Sicherheit oder doch mit hoher Wahrscheinlichkeit auch ohne das schädigende Ereignis ausgewirkt, die körperliche Integrität des Betroffenen beeinträchtigt oder seine Lebensdauer verkürzt hätten, zur Zeit des Ereignisses aber noch keine Folgen hatten. Dazu kommen vorbestehende Zustände (wie z.B. Bluter- oder Zuckerkrankheit, erhöhte Knochenbrüchigkeit, Neigung zu Neurosen), die für sich allein die Arbeitsfähigkeit des Geschädigten voraussichtlich nicht vermindert hätten, den durch den Unfall ausgelösten Schaden jedoch vergrössern, weil sie die Heilung erschweren oder verzögern. In beiden Arten von Fällen kann der krankhafte Vorzustand zur Zeit des Unfalles entweder bereits bekannt oder bloss latent vorhanden gewesen sein (OFTINGER, S. 102; SCHAER, Rz. 351 ff.).
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Die beiden Arten sind rechtlich unterschiedlich zu beurteilen. Wenn der Schaden in vollem oder geringerem Umfang auch ohne den Unfall eingetreten wäre, ist er insoweit keine Folge davon, dem Haftpflichtigen folglich nicht zurechenbar und von der Schadensberechnung auszunehmen. Dem auf den Vorzustand entfallenden Schadensanteil ist z.B. dadurch Rechnung zu tragen, dass eine verkürzte Lebens- oder Aktivitätsdauer angenommen oder der Schaden aus dem Erwerbsausfall auf die Folgen der vorzeitigen ![]() | 22 |
Eine Verbindung beider Betrachtungsweisen ist durchaus denkbar, z.B. bei Prädispositionen, welche nicht bloss den Eintritt des Schadens begünstigt oder dessen Ausmass vergrössert haben, sondern auch ohne den Unfall zu Vermögenseinbussen geführt hätten. Diese Möglichkeit ist schon im Falle Pedrolini angedeutet worden (Rep. 99/1966 S. 35 ff.). Selbst in solchen Fällen wird die Ersatzleistung aber nicht zweimal aus dem gleichen Rechtsgrund gekürzt, wenn die Begriffe des Schadens und des Schadenersatzes klar auseinandergehalten werden (BREHM, N. 58 zu Art. 44 OR).
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c) Nach den tatsächlichen Feststellungen des Obergerichts waren die krankhaften Veränderungen, die der Geschädigte 1977 im Bereiche der Wirbelsäule aufwies, mit Sicherheit nicht unfallbedingt, sondern der vorbestehenden Scheuermann Krankheit zuzuschreiben. Diese Feststellungen, die das Bundesgericht binden, können nur dahin verstanden werden, dass der krankhafte Vorzustand des Geschädigten sich unmittelbar und unabhängig vom Unfall ausgewirkt hat. Die Verminderung der Arbeitsfähigkeit und die Erschwerung des wirtschaftlichen Fortkommens, die sich daraus für X. ergaben und zur Leistungskürzung durch die SUVA geführt haben, können somit der haftpflichtigen Drittperson und ihrer Versicherung nicht zugerechnet werden. Daraus folgt, dass ![]() | 24 |
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