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53. Urteil der I. Zivilabteilung vom 23. Juni 1987 i.S. St. Gallische Kantonalbank gegen Gläubigergemeinschaft der 6 1/2% Anleihe 1973-88 der Rheintalischen Gas-Gesellschaft (Berufung) | |
Regeste |
Befugnisse der Gläubigergemeinschaft bei Anleihensobligationen (Art. 1164 Abs. 1 OR). | |
Sachverhalt | |
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1978 ersuchte die RGG um Nachlassstundung. Am 10. Januar 1979 wurde ein zwischen ihr und ihren Gläubigern abgeschlossener Liquidationsvergleich gerichtlich genehmigt. Mit Schreiben vom 11. Juli 1980 teilte der Liquidator den Gläubigern mit, es könne mit einer Dividende von rund 20% gerechnet werden. Die Liquidationsorgane hätten deshalb beschlossen, die privilegierten Gläubiger vollständig zu befriedigen und den Gläubigern der 5. Klasse eine Abschlagszahlung von 15% auszurichten. Nach der Verlustrechnung des Liquidators vom 29. Juni 1983 erbrachten die Aktiven einen Verwertungserlös von rund Fr. 5'353'000.--, welchem kollozierte Forderungen von insgesamt Fr. 13'221'000.-- gegenüberstanden. Unter den Forderungen der 5. Klasse (einschliesslich Pfandausfällen) von Fr. 9'585'000.-- befinden sich auch die vier Millionen Franken Obligationenkapital aus der erwähnten Anleihe zuzüglich Fr. 130'000.-- aufgelaufene Zinsen bis zum 30. Juni 1978.
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Am 18. März 1983 fand eine vom Liquidator einberufene Versammlung der Anleihensgläubiger statt. Sie wählte Conrad Marti zum Anleihensvertreter und beauftragte ihn mit der Erhebung einer Prospekthaftungsklage gegen die St. Gallische Kantonalbank. Als Marti während des Prozesses starb, trat sein Stellvertreter, Heinrich Schwegler, an seine Stelle.
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B.- Am 13. Juli 1983 klagte die Gläubigergemeinschaft gegen die St. Gallische Kantonalbank auf Bezahlung von drei Millionen Franken nebst 6 1/2% Zins seit dem 1. Juli 1978. Die Beklagte schloss auf Abweisung der Klage und erhob vorab die Einreden des falschen Rechtsweges (ausschliessliche Anwendbarkeit des kantonalen Verantwortlichkeitsgesetzes), der fehlenden Aktivlegitimation der Gläubigergemeinschaft sowie der Verwirkung und Verjährung. Das Bezirksgericht St. Gallen beschränkte das Verfahren auf diese Einreden und verwarf sie mit Urteil vom 21. Juni 1985. Eine dagegen erhobene kantonale Berufung der Beklagten wies das Kantonsgericht St. Gallen am 6. November 1986 ab.
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C.- Die Beklagte hat gegen das Urteil des Kantonsgerichts Berufung eingelegt mit dem Antrag, es aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Klägerin schliesst auf Abweisung der Berufung.
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Die Vorlage von 1936 enthielt eine dem Art. 1164 OR entsprechende Bestimmung. Berichterstatter Zust führte dazu im Ständerat aus, die Notlage des Schuldners sei der wichtigste Fall, für den ![]() | 11 |
Die Materialien lassen somit erkennen, dass die Zuständigkeit der Gläubigergemeinschaft als eine begrenzte empfunden wurde, vorab auf die Notlage des Schuldners, auf allfällige Sanierungen ausgerichtet, darüber hinaus aber auch für andere Massnahmen begründet, die sich aus den gemeinsamen Anliegen der Gläubiger rechtfertigen. Abgesehen davon, dass die Äusserungen ohnehin zum Teil zeitlich weit zurückliegen, lassen die Materialien indes ![]() | 12 |
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a) Die Anleihe ist ein in Teilbeträge aufgeteiltes Grossdarlehen auf einheitlicher Rechtsgrundlage (Zinssatz, Ausgabepreis, Laufzeit, Zeichnungsfrist und Liberierungsdatum). Gestützt auf seine Anleihensbedingungen schliesst der Anleihensnehmer mit einer Vielzahl von Darleihern selbständige Einzelverträge ab, wobei er für die Rückforderung jedes Teilbetrags dem Darleiher ein Wertpapier (Anleihensobligation) begibt (MEIER-HAYOZ/VON DER CRONE, Wertpapierrecht, S. 269 Rz. 3; GUHL/MERZ/KUMMER, Das Schweizerische Obligationenrecht, 7. Aufl., S. 872). Die Gläubiger sind weder untereinander verbunden noch in der Regel dem Emittenten bekannt. Das wirkt sich nachteilig aus, namentlich wenn sich eine Änderung der Anleihensbedingungen aufdrängt. Die Gläubigergemeinschaft ermöglicht deshalb unter bestimmten Voraussetzungen ein gemeinsames Vorgehen der Gläubiger. Einerseits bezweckt sie die gemeinsame Wahrung der Gläubigerinteressen; andererseits ermöglicht sie dem Schuldner Sanierungsmassnahmen, ohne dass ein Nachlassverfahren eingeleitet werden muss (MEIER-HAYOZ/VON DER CRONE, a.a.O., S. 289 Rz. 103; GUHL/ MERZ/KUMMER, a.a.O., S. 872; JÄGGI/DRUEY/VON GREYERZ, Wertpapierrecht, S. 92; MERZ, Obligationenrecht, Allg. Teil, in: Schweiz. Privatrecht, Bd. VI/1, S. 91). Das dürfte hauptsächlich bei finanziellen Schwierigkeiten des Schuldners nötig sein, worauf Art. 1164 Abs. 1 OR ausdrücklich hinweist. Eine Anpassung an veränderte Verhältnisse kann sich aber auch sonst etwa bei unerwarteten Wertverminderungen eines zugunsten der Anleihensgläubiger bestellten Grundpfands aufdrängen (JÄGGI/DRUEY/VON GREYERZ, a.a.O., S. 92). Auch wenn die Massnahmen im einzelnen nicht festgelegt sind, ist doch ihr Rahmen insoweit abgesteckt, als die Gläubigergemeinschaft wesensgemäss auf das Anleihensverhältnis beschränkt ist. Gemeinsame Interessen der Obligationäre im Sinn von Art. 1164 ![]() | 14 |
Diese Beschränkung ergibt sich für die im Gesetz abschliessend genannten Möglichkeiten, in die Rechte der Gläubiger einzugreifen (Art. 1170 OR; BGE 96 II 202 E. 2), ohne weiteres. Aber auch für die sogenannten übrigen Befugnisse, d.h. die Beschlüsse betreffend das Rechtsverhältnis zum Schuldner ohne Eingriffe in die Gläubigerrechte (Art. 1181 OR), kann nichts anderes gelten, da sie im Verhältnis zu jenen von untergeordneter Bedeutung sind, wobei vorab an administrative Belange gedacht ist (MEIER-HAYOZ/VON DER CRONE, a.a.O., S. 290 Rz. 114), und so Gewähr besteht, dass die Gewichte der Kompetenzenordnung nicht verschoben werden.
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b) Während offensichtlich ist, dass Ansprüche der Gläubiger im Verhältnis zum Anleihensschuldner auf das Anleihensverhältnis gerichtet sind, ist fraglich, wieweit das für Ansprüche gegenüber Dritten gilt. In der Literatur wird zum Teil die Auffassung vertreten, die Gläubigergemeinschaft könne ausschliesslich im Rahmen der Rechtsbeziehungen zwischen den Gläubigern und dem Schuldner tätig werden; soweit ihr eine Prozessführungsbefugnis zustehe, könne sich diese lediglich auf die Erfüllungsklage beziehen (OULEVEY, Le statut juridique des obligataires, Diss. Lausanne 1929, S. 114 f.; GUBLER, Vertretung und Treuhand bei Anleihen nach schweizerischem Recht, Diss. Zürich 1938, S. 11 und 50). Andere Autoren bejahen auch die Möglichkeit, gegen Dritte vorzugehen, so etwa ZIEGLER (N 4 zu Art. 1181 OR) im Rahmen eines Verantwortlichkeitsprozesses gegen einen Anleihensvertreter oder Pfandhalter, BECK (a.a.O. N 14 zu Art. 24 der Verordnung des Bundesrats vom 20. Februar 1918) für die Anhebung der Verantwortlichkeitsklage ![]() | 16 |
Hinzu kommt, dass das Gebot der Gleichbehandlung die Berücksichtigung bloss einzelner Gläubiger oder Gläubigergruppen ausschliesst (STRAESSLE, a.a.O., S. 108). Verantwortlichkeitsansprüche müssen sich daher in gleichem Mass in jedem einzelnen Gläubigerverhältnis verwirklichen, was nur bei mittelbaren, nicht aber bei unmittelbaren, von den individuellen Haftungsvoraussetzungen abhängenden Ansprüchen zutrifft (dazu HUREAU, Les pouvoirs des assemblées d'obligataires, Paris 1948, S. 54 f.).
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Schliesslich ist zu beachten, dass der Schutz des Anleihensobligationärs sich in drei Phasen abwickelt. Zu unterscheiden sind der vorvertragliche Schutz der Obligationäre durch den Prospektzwang, sein Schutz während der Anleihensdauer, welcher auf den vertraglichen Beziehungen zum Schuldner und den daraus fliessenden Nebenrechten, insbesondere den Kontrollrechten, gründet, sowie der verantwortlichkeitsrechtliche Schutz bei Nichterfüllung (CARRY, La protection des obligataires, in: Semaine internationale de droit, Paris 1937, Diskussionsvotum S. 152 ff.). Dabei liegt die Bedeutung der Gläubigergemeinschaft im wesentlichen im Schutz der Gläubigerrechte während der laufenden Anleihe. Prospekt- und Verantwortlichkeitsschutz (jedenfalls im Bereiche direkter Schädigung) dagegen realisieren sich individuell, in der Regel auch ![]() | 18 |
Aus diesen Gründen ist es ausgeschlossen, dass die Gläubigergemeinschaft die Ansprüche aus Prospekthaftung gegenüber der Beklagten in eigenem Namen geltend macht. Dem steht die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Aktivlegitimation des Sachwalters eines in Liquidation stehenden Anlagefonds (BGE 100 II 52 ff.) nicht entgegen. Das Bundesgericht hat diese nur insoweit bejaht, als der Sachwalter unmittelbar zum Fondsvermögen gehörende Forderungen und damit bloss mittelbare Ansprüche der Anleger geltend macht (BGE 100 II 62). Auch aus dem zwischen den Parteien ergangenen Entscheid BGE 107 III 49 ff. ergibt sich nichts anderes, da das Bundesgericht damals nur zu entscheiden hatte, ob gültig Betreibung angehoben worden war und sich zum Umfang der Kompetenzen der Gläubigergemeinschaft nicht äusserte.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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