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76. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 3. November 1987 i.S. A. gegen B. (Berufung) | |
Regeste |
Art. 394 ff. OR. Haftung des Chirurgen. |
2. Die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Arztes richten sich nach den Umständen des Einzelfalles. Bedeutung von Erfahrungssätzen, Berufsregeln und Gutachten (E. 3a). |
3. Umstände, unter denen eine Verletzung dieser Pflicht sowie die Haftung des Arztes für die Folgen davon zu bejahen sind (E. 3b). | |
Sachverhalt | |
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Am 4. Februar 1981 klagte A. gegen Dr. B. auf Zahlung von Fr. 20'000.-- Schadenersatz nebst Zins. Er verlangte ferner Fr. 5'000.-- Genugtuung.
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B.- Der Kläger hat Berufung eingereicht mit den Anträgen, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur Festsetzung des Schadens und zum Entscheid über den Genugtuungsanspruch an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht heisst die Berufung im Sinne dieser Anträge gut.
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Aus den Erwägungen: | |
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Um verbindliche Annahmen geht es auch bei den Feststellungen über den Zustand der Nase vor und nach der Operation. Danach wurde die unfallbedingte Entstellung der Nase durch den Eingriff nicht beseitigt, sondern sogar verschlimmert. Das Bezirksgericht glaubte, eine Verschlimmerung zwar verneinen zu können; dem angefochtenen Urteil und den beiden Gutachten liegt aber der gegenteilige Eindruck zugrunde, der durch die Fotos bestätigt und durch eine auffallende Asymmetrie im Bereiche der Nasenspitze und des Naseneinganges bestimmt wird. Die Ungleichmässigkeit ist nach den Gutachtern und dem Obergericht darauf zurückzuführen, dass ein Flügelknorpel unzweckmässig bearbeitet und der ![]() | 7 |
Das Obergericht prüft sodann, ob das fehlerhafte Vorgehen des Beklagten mangelnder Erfahrung auf dem Gebiet der plastischen Chirurgie zuzuschreiben sei. Es hält die Auffassung des Experten D., der aus einem einzigen misslungenen Eingriff auf ungenügende Erfahrung schliessen wolle, nicht für überzeugend; es sei vielmehr unbestritten, dass der Beklagte ein erfahrener Chirurg mit langjähriger Praxis sei und schon viele Operationen der plastischen Chirurgie ausgeführt habe. Es lasse sich daher nicht sagen, der Beklagte hätte den Patienten nicht selber operieren dürfen, sondern an einen Spezialarzt weisen müssen. Nach diesen Feststellungen scheiden mangelnde Fachkunde oder Übung als Schadensursachen aus. Der Kläger widerspricht dem nicht. Er schliesst daraus aber auf entsprechend höhere Anforderungen an die Sorgfaltspflicht; wer sich an einen Spezialisten wende, dürfe einen hohen Standard der Behandlung erwarten.
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a) Welche Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Arztes zu stellen sind, wann dieser insbesondere als Beauftragter den Vertrag verletzt, sind Rechtsfragen. Um solche geht es auch bei der Anwendung von Erfahrungssätzen, die den Massstab der gehörigen Sorgfalt abgeben; sie haben die Funktion von Normen und werden daher den Rechtssätzen gleichgestellt (BGE 111 II 74 E. a mit Hinweisen). Das gilt selbst dann, wenn bei ihrer Prüfung, wie hier, ![]() | 10 |
Die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht, die einem Arzt zuzumuten ist, lassen sich nicht ein für allemal festlegen; sie richten sich vielmehr nach den Umständen des Einzelfalles, namentlich nach der Art des Eingriffs oder der Behandlung, den damit verbundenen Risiken, dem Ermessensspielraum, den Mitteln und der Zeit, die dem Arzt im einzelnen Fall zur Verfügung stehen, sowie nach dessen Ausbildung und Leistungsfähigkeit. Je schwieriger der Eingriff, je weniger der Arzt spezialisiert ist und je weniger Mittel und Zeit ihm zur Verfügung stehen, desto näher liegt es im Fall einer Schädigung, die Ersatzpflicht zu ermässigen oder überhaupt zu verneinen und umgekehrt. In Notfällen und bei heiklen Diagnosen ergibt sich schon aus der Natur des Auftrages, dass der Haftung eher enge Grenzen gesetzt sind, es folglich nicht angeht, aus einer Behandlung oder Operation, die sich nachträglich als unangemessen oder sogar als verfehlt erweist, leichthin auf eine haftungsbegründende Vertragsverletzung zu schliessen. Anders verhält es sich dagegen, wenn ein Arzt z.B. eine schwere Krankheit trotz typischer Symptome nicht erkennt (BGE 57 II 202 E. 3), eine nicht unbedingt notwendige Operation ungenügend vorbereitet und trotz schwerwiegender Komplikationen während des Eingriffes keinen Spezialisten beizieht (BGE 67 II 23), oder aus Versehen ein anderes als das vorgesehene Organ entfernt (BGE 70 II 210 E. 2c).
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Solche Kriterien liegen auch der in BGE 105 II 284 E. 1 zitierten Rechtsprechung zugrunde, die vom Kläger nicht in Frage gestellt wird; seine Vorbehalte beschränken sich auf Kritik der Lehre an zusätzlichen Erwägungen dieses Entscheides. BGE 105 II 284 ff. ist in der Tat wegen ungenügender Unterscheidung von Vertragsverletzung und Verschulden und wegen der Folgen, die sich daraus für die Beweislastverteilung ergeben, kritisiert oder angezweifelt worden, zumal der Entscheid darüber hinaus den Eindruck erwecke, die Arzthaftung sei auf grobe Verstösse gegen die Sorgfaltspflicht ![]() | 12 |
b) Nach dem, was in tatsächlicher Hinsicht feststeht, kann vorliegend im Ernst nicht zweifelhaft sein, dass der Beklagte den misslungenen Eingriff zu verantworten und für die Folgen davon aufzukommen hat. Seine Haftung setzt keinen schweren Operationsfehler voraus, wie die Vorinstanz anzunehmen scheint; sein Misserfolg lässt sich aber auch nicht damit verharmlosen, dass Nasenoperationen zu den schwierigsten der plastischen Chirurgie gehörten und die vom Experten D. festgestellten Fehler nicht qualitativer, sondern bloss quantitativer Art seien und sich noch im Rahmen des Vertretbaren hielten. Davon kann um so weniger die Rede sein, als nach diesem Experten schon Abweichungen von 1 bis 2 mm deutlich sichtbar sind und stören können und falsche Behandlungen sich erfahrungsgemäss häufig in quantitativen oder graduellen Fehlern (z.B. in einer falschen Dosis oder in einer übermässigen Bestrahlung) erschöpfen.
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Dass sich vorliegend nur eine Abweichung von 1 bis 2 mm ergeben habe, wie die Vorinstanz feststellt, ist übrigens dem Gutachten D. nicht zu entnehmen. Es handelt sich vielmehr um ein offensichtliches Versehen, weil die Feststellung sich weder auf die Gutachten stützen noch mit den Fotos vereinbaren lässt. Das ist auch dem Hinweis auf das Gutachten D. entgegenzuhalten, wonach die Komplikationsrate zwischen 5 und 15% liegen soll und ![]() | 14 |
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