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83. Urteil der II. Zivilabteilung vom 3. Dezember 1987 i.S. X. gegen X. (Berufung) | |
Regeste |
Nichtigerklärung einer Ehe (Art. 120 Ziff. 4 ZGB). | |
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Wie das Obergericht festhält, hat der Kläger im vorliegenden Fall zugegeben, zum Abschluss einer reinen Bürgerrechtsehe Hand geboten zu haben. ... Ein Liebesverhältnis sei ... nie entstanden. Sodann habe die Beklagte den Kläger noch vor dem Eheabschluss schriftlich von jeglicher Verpflichtung aus der Ehe entbunden. Es sei weder je ein Zusammenleben aufgenommen worden, noch sei es je zu sexuellen Beziehungen gekommen. Die Heirat habe einzig und allein dazu gedient, der Beklagten das Schweizer Bürgerrecht zu verschaffen, um ihr das Verbleiben in der Schweiz zu ermöglichen. Wenn der Kläger heute verlange, dass seine Ehe gestützt auf Art. 120 Ziff. 4 ZGB für ungültig erklärt werde, berufe er sich auf sein eigenes Unrecht, was rechtsmissbräuchlich sei. Sein Interesse an der Nichtigkeit der Ehe verdiene keinen Rechtsschutz.
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Auch bei MERZ, N. 292 ff. zu Art. 2 ZGB, vermag das Obergericht für seine Betrachtungsweise keine Stütze zu finden. Dieser Autor äussert sich nicht zur gesetzlichen Regelung von Art. 120 Ziff. 4 ZGB als solcher.
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Das Obergericht beruft sich somit zu Unrecht auf die beiden Autoren MERZ und HINDERLING zur Stützung seiner Auffassung, dass das Rechtsmissbrauchsverbot nicht nur beim Schutz privater, sondern auch bei der Berücksichtigung öffentlicher Interessen gelten müsse.
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3. Man kann sich fragen, ob Art. 120 Ziff. 4 ZGB dadurch, dass er die Ehe als solche als nichtig erklärt, obwohl an sich nur der Bürgerrechtserwerb der Ausländerin, die einen Schweizer heiratet, wegen Rechtsmissbrauchs dahinfallen sollte, nicht zu weit geht. Auch MERZ, N. 296 zu Art. 2 ZGB, äussert Zweifel an dieser Verknüpfung von Ehe und Bürgerrecht in Art. 120 Ziff. 4 ZGB. Solche Zweifel legen die gesonderte Behandlung dieser beiden Gesichtspunkte nahe. Nach der dargelegten Auffassung von MERZ ![]() | 8 |
Indessen kann auch diese Betrachtungsweise nichts daran ändern, dass in einer ausschliesslich zum Erwerb des Bürgerrechts eingegangenen Ehe von Anfang an kein Ehewille vorhanden war. Dieser ist nicht erst im Laufe der Ehe erloschen, wie dies normalerweise im Scheidungsverfahren mit Rücksicht auf mindestens eine Partei geltend zu machen ist. Müsste nun die Scheidung der Bürgerrechtsehe zugelassen werden, wie die beiden Autoren es nahelegen, so stellte sich die Frage des Rechtsmissbrauchs erst recht. Das Verbot, sich auf eigenes Unrecht zu berufen, würde dem bösgläubigen Ehegatten verunmöglichen, den von Anfang an fehlenden Ehewillen zum Scheidungsgrund zu erheben, was zur Folge hätte, dass eine Bürgerrechtsehe auch nicht geschieden werden könnte. Diese Schlussfolgerung wird aber sowohl von MERZ als auch von HINDERLING als formalistisch und damit selber wieder als rechtsmissbräuchlich abgelehnt. Im Zusammenhang mit der Bürgerrechtsehe steht somit doch nicht allein der Bestand des Bürgerrechts der bis zur Heirat ausländischen Ehefrau, sondern auch der Bestand der Ehe selber in Frage.
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Unter diesem Gesichtspunkt erscheint aber die Absicht des Gesetzgebers, in Art. 120 Ziff. 4 ZGB im öffentlichen Interesse eine Nichtigkeitsklage zuzulassen, die von den Behörden von Amtes wegen zu erheben ist und die nicht nur auf den Bestand des erschlichenen Bürgerrechts, sondern auch der allein zu diesem Zweck eingegangenen Ehe gerichtet ist, nicht mehr so befremdlich, wie es auf den ersten Blick der Fall sein mag. Den Meinungsäusserungen der beiden Autoren, auf die sich die Vorinstanz beruft, lässt sich jedenfalls nicht entnehmen, dass das grundsätzlich als begründet erscheinende Verbot der Berufung auf eigenes Unrecht dazu dienen soll, das unbestreitbare öffentliche Interesse am Verlust eines durch die Ausländerin erschlichenen Schweizer Bürgerrechts zu durchkreuzen. Darauf läuft aber die vom Obergericht im angefochtenen Entscheid vertretene Auffassung im Ergebnis hinaus, wonach die Berufung auf eigenes Unrecht auch dann ausgeschlossen bleiben müsse, wenn nicht nur private, sondern auch öffentliche Interessen auf dem Spiele stehen. Der Ehegatte, der bewusst zur reinen Bürgerrechtsehe Hand geboten hat, sollte ja bei seinem ![]() | 10 |
Ein solches Ergebnis ist um so weniger sinnvoll, als der Richter, der die Berufung des Ehemannes auf eigenes Unrecht nicht zulassen will, dann doch gestützt auf Art. 121 ZGB dafür zu sorgen hat, dass die Nichtigkeitsklage gemäss Art. 120 Ziff. 4 ZGB von Amtes wegen erhoben wird. Aber auch dem Ehemann, dem das Obergericht die Legitimation zur Nichtigkeitsklage abgesprochen hat, müsste es unbenommen bleiben, die zuständige Behörde zu dieser Klage zu veranlassen. In diesem Fall würde aber eine Berufung auf Rechtsmissbrauch zum vornherein entfallen, weil die zuständige Behörde immer im öffentlichen Interesse tätig werden muss, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen der Nichtigkeitsklage gegeben sind (vgl. BGE 113 II 64 E. 4d im Zusammenhang mit Art. 218 ff. OR). Es ist deshalb auch nicht einzusehen, weshalb der Ehemann nur auf die Scheidungsklage verwiesen werden sollte, die übrigens gutzuheissen wäre, wenn eine echte eheliche Gemeinschaft von allem Anfang an nie gewollt war und ihre Aufnahme auch für die Zukunft nicht als zumutbar erschiene. Dass schliesslich die das Schweizer Bürgerrecht erschleichende Ehefrau eines besondern Schutzes bedürfte, will nicht einleuchten, muss doch auch ihr ein vom Gesetzgeber verpöntes Verhalten zur Last gelegt werden, wovon auch Art. 120 Ziff. 4 ZGB ausgeht.
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4. Das Obergericht hat somit Bundesrecht verletzt, indem es dem Kläger die Legitimation zur Nichtigkeitsklage gemäss Art. 120 Ziff. 4 ZGB abgesprochen hat. Die Berufung ist demzufolge gutzuheissen und die Streitsache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen, nachdem diese die Klage nicht materiell geprüft und sich über deren Nebenwirkungen überhaupt nicht ausgesprochen hat.
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