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84. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 17. Dezember 1987 i.S. X. gegen Y. (Berufung) | |
Regeste |
Internationales Privatrecht. | |
Sachverhalt | |
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Nachdem B. Y. erfahren hatte, dass A. X. unter Vormundschaft steht, reichte er mit Eingabe vom 21. November 1983 beim zuständigen Bezirksgericht gestützt auf Art. 411 Abs. 2 ZGB gegen sie eine Schadenersatzklage ein.
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Mit Vor-Urteil vom 5. November 1986 stellte das Bezirksgericht fest, dass die Beklagte für den Gegenstand der Klage bildenden Schaden im Sinne von Art. 411 Abs. 2 ZGB haftbar sei. Die von der Beklagten hiergegen erhobene Berufung wurde durch das kantonale Obergericht am 5. Juni 1987 abgewiesen.
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Die Beklagte hat gegen das obergerichtliche Vor-Urteil Berufung an das Bundesgericht erhoben mit dem Antrag, es sei festzustellen, dass sie für den Gegenstand der Klage bildenden Schaden nicht haftbar sei, und es sei die Klage vollumfänglich abzuweisen.
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Aus den Erwägungen: | |
2. Ob die Beklagte dem Kläger Schadenersatz schuldet, weil sie sich auf ein Bündel von Rechtsgeschäften eingelassen hat, ohne der Gegenseite zu erkennen zu geben, ihre Bevormundung werde aller Voraussicht nach dazu führen, dass es bei hinkenden Rechtsgeschäften bleiben werde, beurteilt sich nach Auffassung des Obergerichts nach schweizerischem Recht. Die Vorinstanz geht davon ![]() | 5 |
Zur Bekräftigung seiner Schlussfolgerung hat das Obergericht auf die Ausnahmeklausel im Entwurf zum IPR-Gesetz hingewiesen, wonach von den allgemeinen Kollisionsregeln abgewichen werden könne, falls sich zeige, dass der Sachverhalt nicht mit jenem Recht, auf welches das Gesetz verweise, sondern mit einem andern Recht in viel engerem Zusammenhang stehe. Werde im vorliegenden Fall das Recht gesucht, das den engsten Bezug zum Sachverhalt aufweise, rücke sofort das schweizerische Recht in den Vordergrund, habe doch die Beklagte nicht primär gegen südafrikanisches Recht verstossen, sondern sich über eine in der Schweiz angeordnete vormundschaftliche Massnahme hinweggesetzt. Es entspreche überdies dem Postulat des Verkehrsschutzes, dass sich der Bevormundete nicht auf eine nach dem Recht des ausländischen Handlungs- oder Erfolgsortes begründete Deliktsunfähigkeit ![]() | 6 |
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a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts zum internationalen Privatrecht der Schweiz steht dem durch eine unerlaubte Handlung Geschädigten die Wahl zu, den Verantwortlichen entweder am Handlungs- oder am Erfolgsort gestützt auf das dort geltende Recht zu belangen (vgl. BGE 76 II 111; BGE 82 II 163 f.; BGE 87 II 115 E. 2). Erfolgsort ist der Ort, wo das geschützte Rechtsgut verletzt wurde. Im vorliegenden Fall geht es um eine Vermögensschädigung, die in Südafrika eingetreten ist.
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b) Die der Klage zugrunde liegende unerlaubte Handlung soll darin bestehen, dass die zufolge Vormundschaft handlungsunfähige Beklagte ihre Vertragspartner im Irrtum über die nicht bestehende, aber nach der allgemeinen Lebenserfahrung und den konkreten Umständen zu vermutende Handlungsfähigkeit belassen habe, obwohl sie zu einer entsprechenden Aufklärung verpflichtet gewesen wäre. Zur Last gelegt wird der Beklagten somit eine Unterlassung. Handlungsort ist in einem solchen Fall der Ort, wo die unterlassene Handlung hätte ausgeführt werden sollen (Kommentar SCHÖNENBERGER/JÄGGI, Allgemeine Einleitung, IPR, N. 337). Es ist einzuräumen, dass die von einem Bevormundeten zu erwartende Aufklärung über die mangelnde Handlungsfähigkeit sich grundsätzlich auf den gesamten Zeitraum von Vertragsgesprächen erstrecken kann und somit an sich überall dort zu lokalisieren ist, wo solche Verhandlungen stattgefunden haben. Indessen müsste eine solche Anknüpfung in Verhältnissen mit internationaler Ausstrahlung häufig zu unerwünschter Zufälligkeit führen, entscheiden doch vielfach rein praktische Überlegungen darüber, wo Vertragsverhandlungen geführt werden. Unter solchen Umständen gestützt auf die Annahme einer Kumulation der Handlungsorte und demnach auch der Rechtsordnungen dem Geschädigten ![]() | 9 |
c) Im Lichte des Gesagten erscheint die obergerichtliche Betrachtungsweise als unzutreffend. Es geht nicht an, nur gerade darauf zu achten, ob auch in der Schweiz auf die dann letztlich zum Scheitern verurteilten Rechtsgeschäfte hingearbeitet wurde. Vielmehr muss der Schwerpunkt der Vertragsverhandlungen ermittelt werden. Zwar ist einzuräumen, dass in der Schweiz die Kontakte zur Beklagten hergestellt und zum Teil auch Gespräche über das Diamantenschürfprojekt geführt worden sind. In der Schweiz konnten sich die auf der südafrikanischen Seite beteiligten Personen ferner ein Bild über die persönlichen Verhältnisse der Beklagten machen. Diese Kontakte in der Schweiz ändern aber nichts an der Tatsache, dass die wesentlichen Vorbereitungen und dann die Unterzeichnung der entscheidenden Rechtsgeschäfte in Südafrika stattgefunden haben. Dort ist vor den Vertragsunterzeichnungen insbesondere auch die nicht nebensächliche Frage gestellt worden, ob "alles in Ordnung" sei. Damit wollte offensichtlich in Erfahrung gebracht werden, ob dem Abschluss der verschiedenen Verträge kein Hindernis entgegenstehe. In diesem entscheidenden Zeitpunkt war die unter Vormundschaft stehende Beklagte deutlich herausgefordert, die Gegenseite über ihre fehlende Handlungsfähigkeit aufzuklären. Auch die Unterlassung, die der Beklagten angelastet wird, ist mithin eng mit Südafrika verbunden, und es kann demnach entgegen der Ansicht der Vorinstanz von einem Auseinanderfallen von Handlungs- und Erfolgsort nicht gesprochen werden.
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d) Die Annahme eines einheitlichen Handlungs- und Erfolgsortes in Südafrika und die entsprechende Anknüpfung führt auch aus einem andern Grund zu einem sachgerechteren Ergebnis. Bei einer Anknüpfung beim schweizerischen Recht und einer Beurteilung der Klage aus der Sicht von Art. 411 Abs. 2 ZGB würde ein passives Verhalten gegenüber dem Irrtum des Vertragspartners betreffend die Handlungsfähigkeit die Voraussetzungen einer unerlaubten Handlung nicht erfüllen. Nach der genannten Gesetzesbestimmung wird ein (aktives) Verleiten zur irrtümlichen Annahme der Handlungsfähigkeit verlangt. In BGE 79 II 361 hat ![]() | 11 |
Den vorstehenden Überlegungen mag der (methodische) Widerspruch anhaften, dass bei der Festlegung des anwendbaren Rechts schon von der Haftungsgrundlage einer bestimmten Rechtsordnung ausgegangen wird. Indessen lässt sich eine solche - für den Ausgang eines Rechtsstreites nicht endgültige - Vorwegnahme nicht völlig umgehen (vgl. VISCHER/VON PLANTA, Internationales Privatrecht, 2. Aufl., S. 199).
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4. Das Obergericht hat die Anwendbarkeit schweizerischen Rechts auch unter Berufung auf das Personalstatut der Beklagten bejaht. Es weist darauf hin, dass die Anknüpfung der Obligation aus unerlaubter Handlung an den Deliktsort beziehungsweise an den Handlungs- und/oder Erfolgsort nicht in jeder Hinsicht zu ![]() | 13 |
"Haben Schädiger und Geschädigter ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht im gleichen Staat, so ist das Recht des Staates anzuwenden, in dem die unerlaubte Handlung begangen worden ist. Tritt der Erfolg nicht in dem Staat ein, in dem die unerlaubte Handlung begangen worden ist, so ist das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Erfolg eintritt, wenn der Schädiger mit dem Eintritt des Erfolges in diesem Staat rechnen musste."
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Sodann sehen die Art. 134 bis 139 (= Art. 130 bis 135 des Entwurfs) besondere Regeln für Strassenverkehrsunfälle, Produktemängel, unlauteren Wettbewerb, Wettbewerbsbehinderung, Immissionen und Persönlichkeitsverletzungen vor, und in Art. 142 Abs. 1 (= Art. 138 Abs. 1 des Entwurfs) wird schliesslich festgehalten, dass das auf die unerlaubte Handlung anwendbare Recht insbesondere auch die Deliktsfähigkeit, die Voraussetzungen und den Umfang der Haftung sowie die Person des Haftpflichtigen bestimme.
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Diese neue Regelung verschiebt das Schwergewicht bei Distanzdelikten (Handlungs- und Erfolgsort in verschiedenen Staaten, was hier nach dem Gesagten nicht zutrifft) vom Handlungs- auf den Erfolgsort. Dem Handlungsort wird mithin weniger Bedeutung beigemessen, als ihm aufgrund der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts (wahlweise Anknüpfung an einen der beiden Orte) zukommt. Keineswegs ist darin aber eine Tendenz oder gar ein klarer Vorbehalt zugunsten des Personalstatuts des Schädigers zu erblicken, wie ihn das Obergericht zu erkennen glaubt. Auch aus dieser Sicht ist der Auffassung der Vorinstanz demnach nicht beizupflichten. Ihr Hinweis auf das Postulat des Verkehrsschutzes ist unbehelflich. Art. 36 Abs. 1 (= Art. 34 Abs. 1 des Entwurfs) des IPR-Gesetzes (das noch nicht in Kraft getreten ist) sieht zwar vor, dass derjenige, der ein Rechtsgeschäft vorgenommen hat, obwohl er nach dem Recht an seinem Wohnsitz handlungsunfähig war, sich auf seine Handlungsunfähigkeit nicht ![]() | 16 |
5. Nach dem Gesagten beurteilt sich der vorliegende Sachverhalt nach südafrikanischem Recht. Indem die Vorinstanz eine grundsätzliche Haftung der Beklagten im Sinne von Art. 411 Abs. 2 ZGB bejahte, hat sie Bundesrecht verletzt. Das angefochtene Vor-Urteil ist deshalb aufzuheben. Da dieses keine Feststellungen enthält, die es der erkennenden Abteilung erlauben würden, zu entscheiden, ob im einschlägigen südafrikanischen Recht eine Haftungsgrundlage bestehe, ist die Sache an das Obergericht zurückzuweisen, damit es diese Frage beantworte und über die Klage neu befinde.
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