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85. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 5. November 1987 i.S. Halter gegen Kuster (Berufung) | |
Regeste |
Bäuerliches Erbrecht: Zuweisung eines landwirtschaftlichen Heimwesens zum Ertragswert (Art. 620 Abs. 1 ZGB). |
2. Zuweisungsrechtliche Behandlung einer in der Industriezone gelegenen Grundstückfläche: |
- Einfluss des Zonenplanes auf den Zuweisungsentscheid (Erw. 6a); |
- Grad der Erschliessung, der für den Ausschluss einer Grundstückfläche von der Integralzuweisung erreicht sein muss (Erw. 6d); |
- Gesichtspunkt der Sicherstellung hinreichender Fruchtfolgeflächen (Erw. 6e). | |
Sachverhalt | |
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Am 23. Mai 1985 erhob Ernst Kuster-Straub beim Vermittleramt St. Gallen Klage gegen seine beiden Miterbinnen mit folgendem Rechtsbegehren:
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"Es sei das landwirtschaftliche Gewerbe der Erbengemeinschaft Ernst Kuster-Ludwig (dieser gestorben am 22.2.1984) (vor allem umfassend die Liegenschaften St. Fiden Parz. Nr. 1939, Parz. Nr. 1943 (Wald Martinstobel), Parz. Nr. 1951 (Schachenwald) und Parz. Nr. 185/187 (Wald Untereggen) sowie Ökonomiegebäude mit Remisen und Wohnhaus) dem Kläger gemäss Art. 620 ZGB zum Ertragswert auf Anrechnung ungeteilt zuzuweisen."
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Während Charlotte Kuster-Ludwig das Begehren ihres Sohnes anerkannte, widersetzte sich Charlotte Halter-Kuster (im folgenden Beklagte genannt) der Klage. Diese wurde in der Folge beim Bezirksgericht St. Gallen anhängig gemacht.
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Mit Urteil vom 10. Januar 1986 hiess das Bezirksgericht St. Gallen (3. Abteilung) die Klage gut. Eine von der Beklagten hiegegen erhobene Berufung wurde von der I. Zivilkammer des Kantonsgerichts St. Gallen mit Urteil vom 15. Dezember 1986 abgewiesen.
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Gegen den kantonsgerichtlichen Entscheid hat die Beklagte Berufung an das Bundesgericht erhoben mit den Anträgen, jener sei aufzuheben und die Klage auf Integralzuweisung der Nachlassliegenschaft "Oberschachen" sei abzuweisen.
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Im Zusammenhang mit der mutmasslichen künftigen Verwendung des eingezonten Parzellenteils weist die Vorinstanz zunächst auf die Entschlossenheit des Klägers und seines Sohnes Martin zur weiteren landwirtschaftlichen Nutzung des fraglichen Landes hin. Ferner hält sie dafür, es bestehe eine nicht unerhebliche Wahrscheinlichkeit, dass dieses als Fruchtfolgefläche in die Richtplanung aufgenommen werde, was sich auf die Nutzungsplanung auswirken dürfte. Ob der strittige Parzellenteil in der Bauzone ![]() | 9 |
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Das Kantonsgericht scheint tatsächlich die Meinung zu vertreten, dass neben der Prognose über die mutmassliche Verwendung des Landes in den nächsten Jahren die Notwendigkeit seiner Erhaltung für den Betrieb ein gewichtiges Entscheidungskriterium darstelle. Diese Auffassung lässt sich mit dem Gesetz nicht vereinbaren. Art. 617 Abs. 2 ZGB unterscheidet zwischen den landwirtschaftlichen und den "anderen" Grundstücken. Die gleiche Unterscheidung gilt auch aus der Sicht des Art. 620 ZGB. Eine im Zeitpunkt des Zuweisungsentscheids noch landwirtschaftlich genutzte Liegenschaft ist dann zu den "anderen" Grundstücken zu rechnen, d.h. von der Integralzuweisung auszunehmen, wenn sie sofort überbaut werden kann bzw. wenn die bestimmte Erwartung besteht, dass sie sich in naher Zukunft zu anderen als landwirtschaftlichen Zwecken wird verwenden lassen (vgl. BGE 113 II 138 E. 5a; BGE 83 II 113 f.; ESCHER, N. 20 zu Art. 620 ZGB; TUOR/PICENONI, N. 5 zu Art. 620 ZGB; PIOTET, Erbrecht, in: Schweizerisches Privatrecht, Band IV/2, S. 942 f.). Solche Grundstücke sind dem - Sonderrecht darstellenden - bäuerlichen Erbrecht generell nicht unterstellt, und Überlegungen zur Existenzfähigkeit bzw.
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a) Das Bundesgericht hat in jüngster Zeit verschiedentlich festgehalten, dass die Zuweisung, die ein landwirtschaftlich genutztes Grundstück in der Zonenordnung erfahre, ein wesentliches Kriterium zur Beurteilung seiner künftigen Verwendung darstelle (vgl. BGE 113 II 136 ff. E. 5a, wo es ebenfalls darum gegangen war, ob einzelne Grundstückflächen von der Integralzuweisung eines landwirtschaftlichen Heimwesens auszunehmen seien). Es wurde dort darauf hingewiesen, dass der Änderung bzw. Neufestlegung der Nutzung durch Planungsmassnahmen besonders dann gewisses Gewicht zukomme, wenn sie auf dem am 1. Januar 1980 in Kraft getretenen Bundesgesetz über die Raumplanung (RPG; SR 700) beruhen würden. Die Zoneneinteilung neurechtlicher Nutzungspläne bleibe regelmässig über viele Jahre hinweg gültig. Zwar seien die kantonalen Richtpläne, welche die Raumplanung in den Grundzügen festlegten und wegweisend für die kommunale Nutzungsplanung seien, gemäss Art. 9 Abs. 3 RPG in der Regel alle zehn Jahre einer gesamthaften Überprüfung zu unterziehen, doch sei Voraussetzung hiefür, dass sich die Verhältnisse erheblich geändert hätten oder dass gewichtige Gründe tatsächlicher oder rechtlicher Natur für eine Anpassung gegeben seien. Im erwähnten Entscheid hat das Bundesgericht weiter festgehalten, dass hinsichtlich eingezonter, jedoch noch landwirtschaftlich genutzter Grundstücke im allgemeinen angenommen werden dürfe, dass sie unter dem Einfluss des erhöhten Nachfragedrucks, aber auch der sich ebenfalls am Nutzungsplan orientierenden Erschliessung bzw. Infrastrukturanpassung innerhalb einer fünfzehnjährigen Zeitspanne (vgl. Art. 15 RPG) für die Landwirtschaft verloren gingen. Landwirtschaft werde auf solchen Flächen gewissermassen nur noch auf ![]() | 14 |
Die Ausscheidung eines Grundstücks im Zonenplan ist für den Zuweisungsrichter freilich nicht absolut verbindlich. Dieser hat anhand der konkreten Gegebenheiten vielmehr für die einzelnen Grundstücke zu prüfen, ob sich nicht allenfalls eine vom Plan abweichende Prognose aufdränge. Zu denken ist namentlich etwa an die voraussichtliche Nachfrage für den strittigen Teil des landwirtschaftlichen Heimwesens, die ihrerseits von der vorhandenen Infrastruktur (Erschliessung, Quartierplan usw.) abhängt, sowie an planerische Massnahmen die seit dem Inkrafttreten der geltenden Nutzungsordnung in die Wege geleitet wurden. Unerheblich sind dagegen subjektive Faktoren, so etwa der Gebrauch, den der Ansprecher des landwirtschaftlichen Gewerbes vom fraglichen Grundstück machen würde, sollte er es zum Ertragswert zugewiesen erhalten.
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b) Das Kantonsgericht hält fest, die strittige Fläche von zwei Hektaren befinde sich seit 1978 rechtskräftig in der Industriezone. (Dem von der Vorinstanz angeführten Beschluss des Stadtrates St. Gallen über das Begehren des Erblassers vom 12. Januar 1980 betreffend Zonenänderung lässt sich entnehmen, dass der erwähnte Teil der Parzelle Nr. 1939 bereits im Jahre 1963 in den "Gewerbe- und Industriezonenplan Martinsbruggstrasse" (Teilzonenplan) aufgenommen worden war.) Nach dem gleichen stadträtlichen Entscheid wurde der genannte Teilzonenplan am 9. April 1980 aufgehoben. Am 1. November 1980 trat dann ein umfassender Zonenplan für das ganze Stadtgebiet in Kraft, wonach das hier in Frage stehende Gebiet der Industriezone zugewiesen ist. Ob dieser Plan nach den Grundsätzen des nicht ganz ein Jahr zuvor in Kraft getretenen Raumplanungsgesetzes erarbeitet wurde, geht aus dem angefochtenen Urteil nicht ausdrücklich hervor. Das Kantonsgericht scheint davon auszugehen, stellt es doch unter Berufung auf Art. 21 Abs. 2 RPG fest, dass der Zonenplan in absehbarer Zeit neu werde überprüft werden müssen, zumal die gegenwärtige Einzonung schon seit acht Jahren in Kraft stehe.
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c) Das Kantonsgericht führt weiter aus, die strittige Landfläche grenze im Norden an die Martinsbruggstrasse und befinde sich in ![]() | 17 |
d) Nach Auffassung des Kantonsgerichts steht einer Qualifizierung des fraglichen Bodens als Bauland unter anderem entgegen, dass er erschliessungsmässig nicht baureif sei. Es hat sich dabei von Art. 19 Abs. 1 RPG leiten lassen, wonach Land erschlossen ist, wenn die für die betreffende Nutzung hinreichende Zufahrt besteht und die erforderlichen Wasser-, Energie- sowie Abwasserleitungen so nahe heranführen, dass ein Anschluss ohne erheblichen Aufwand möglich ist. Die Beklagte wendet ein, die vorinstanzlichen Erwägungen seien mit den Begriffen der "anderen Grundstücke" im Sinne von Art. 617 Abs. 2 ZGB und des "landwirtschaftlichen Gewerbes" gemäss Art. 620 Abs. 1 ZGB nicht zu vereinbaren. Sie macht damit sinngemäss geltend, das Kantonsgericht sei von einem unzutreffenden Begriff der Baureife ausgegangen, d.h. habe verkannt, was an Erschliessung gegeben sein müsse, um im Sinne der Rechtsprechung die bestimmte Erwartung zu begründen, dass das Land in absehbarer Zukunft überbaut werde. Entgegen der Ansicht des Klägers betrifft die beklagtische Rüge damit eine Rechtsfrage, so dass hier darauf einzutreten ist.
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e) Bei der Begründung seiner Auffassung hat das Kantonsgericht grosses Gewicht auf einen raumplanerischen Gesichtspunkt allgemeiner Art gelegt. Es weist auf die am 1. Mai 1986 in Kraft getretene Verordnung über die Raumplanung (RPV; SR 700.1) ![]() | 20 |
Dass der Kläger auch die strittige Fläche von zwei Hektaren weiterhin landwirtschaftlich nutzen würde, ist einzig unter dem Gesichtspunkt der subjektiven Voraussetzungen für eine Integralzuweisung von Bedeutung, nicht aber im Zusammenhang mit der Frage, ob der Boden als Bauland zu betrachten sei. Die Ausführungen des Kantonsgerichts sind aber auch sonst nicht geeignet, die eingezonten zwei Hektaren der Parzelle Nr. 1939 als landwirtschaftliches Grundstück erscheinen zu lassen. Aus den von der Vorinstanz festgehaltenen Tatsachen ergibt sich einzig, dass die erwähnte Fläche im Zuge der Sicherstellung von Fruchtfolgeflächen (vgl. Art. 15 RPV) in die Landwirtschaftszone umgezont werden könnte. Dass ein entsprechendes Verfahren bereits hängig wäre oder unmittelbar bevorstünde, stellt das Kantonsgericht indessen nicht fest. Den Plan des kantonalen Baudepartements, auf den sich die Vorinstanz hauptsächlich stützt, bezeichnet diese selbst als blosse Arbeitsunterlage, die im Rahmen der Vorarbeiten ![]() | 21 |
Die Erwägungen des Kantonsgerichts betreffend die Ausscheidung und Sicherstellung von Fruchtfolgeflächen sind nach dem Gesagten nicht geeignet, die auf Grund der gegenwärtigen Einzonung und der weiteren lagemässigen Verhältnisse sich aufdrängende Prognose entscheidend zu beeinflussen. Eine Gesamtwürdigung der zur Zeit gegebenen Umstände lässt entgegen der Auffassung der Vorinstanz auf die bestimmte Erwartung schliessen, dass die strittigen zwei heute in der Industriezone gelegenen Hektaren der Parzelle Nr. 1939 in absehbarer Zukunft als Bauland genutzt werden. Dass eine weitere landwirtschaftliche Nutzung des Parzellenteils nicht als stossend empfunden würde, wie die Vorinstanz ausführt, vermag am Gesagten nichts zu ändern. Die Berufung ist mithin gutzuheissen und die Klage insoweit abzuweisen, als der in der Industriezone gelegene Teil der Parzelle Nr. 1939 von der ungeteilten Zuweisung des landwirtschaftlichen Heimwesens "Oberschachen" an den Kläger auszunehmen ist.
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