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31. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. Juni 1988 i.S. Banco Nacional de Cuba gegen Banco Central de Chile (Berufung) | |
Regeste |
Art. 43 Abs. 1 OG. Einrede der Rechtshängigkeit. Berufungsfähigkeit. Kognition des Bundesgerichts. Arrestprosequierung. | |
Sachverhalt | |
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Aus den Erwägungen: | |
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Ist im Ausland beim zuständigen Gericht ein Prozess über einen identischen Anspruch hängig, so schützt der Zürcher Richter die ![]() | 3 |
Nach dem angefochtenen Beschluss sind sich die Parteien über die Identität der vor dem englischen und dem schweizerischen Gericht streitigen Ansprüche einig; ungewiss sei hingegen die Vereinbarkeit mit dem ordre public und die Vollstreckbarkeit in England. Würde dort die Klage gestützt auf das kubanische Gesetz Nr. 1256, das die Befriedigung chilenischer Ansprüche verbiete, abgewiesen, so läge ein eklatant gegen schweizerische Rechtsauffassungen verstossendes Urteil ohne Aussicht auf Anerkennung in der Schweiz vor. Hinsichtlich der Vollstreckbarkeit eines die Klage schützenden Urteils in England müsse auf Grund des vom Gericht eingeholten Gutachtens Sinclair aller Voraussicht nach damit gerechnet werden, dass diese Voraussetzung nach dem anwendbaren Common Law an Kubas staatlicher Immunität scheitern würde. Im übrigen lasse sich nach dem Gutachten nicht voraussagen, ob das Gericht trotz Einlassung der Beklagten das Verfahren auf Grund des englischen Prozessrechts doch noch einstellen werde.
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Obwohl die Beklagte kubanisches Recht für anwendbar hält, rechnet sie mit der Möglichkeit, dass der eingeklagte Anspruch nach Bundeszivilrecht beurteilt wird, das diesfalls durch die Verwerfung der Einrede verletzt sei, weil die unbesehene Übernahme der Gutachtermeinung Sinclair, der die Vollstreckbarkeit des zu erwartenden englischen Urteils zu Unrecht verneine, gegen den aus Art. 63 OG fliessenden Grundsatz der richterlichen Rechtsanwendung von Amtes wegen verstosse. Dieser Grundsatz gelte auch für ausländisches Recht jedenfalls dann, wenn dieses als Vorfrage zur Beurteilung eines bundesrechtlichen Anspruchs herangezogen werden müsse. Indem sich das Handelsgericht weder mit den Einwendungen der Beklagten gegen das Gutachten auseinandergesetzt noch - mangels Parteiantrags - von Amtes wegen ein Obergutachten eingeholt habe, sei sodann der aus Art. 8 ZGB hergeleitete Beweisführungsanspruch verletzt. Bundesrechtswidrig sei schliesslich die verfrühte und unzutreffende Berufung auf den ordre public.
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Das hat ungeachtet des Vorliegens staatsvertraglicher Abmachungen zu gelten. Ist die Anerkennung ausländischer Urteile vertraglich geregelt oder verlangt ein Staatsvertrag gar ausdrücklich, hängige ausländische Verfahren zu berücksichtigen, so ist die Rechtshängigkeit im Ausland schon nach bisheriger Rechtsprechung eine Frage des Bundesrechts (BGE 105 II 231).
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b) Anlass zu Schutz vor widersprüchlichen Urteilen über denselben Streitgegenstand besteht allerdings nur, wenn das ausländische Verfahren geeignet ist, ein rechtskräftiges und vollstreckbares Urteil herbeizuführen; die Rechtshängigkeit im Ausland wird im Hinblick auf die Anerkennung des Urteils in der Schweiz berücksichtigt (BGE 105 II 232 E. 1a a.E.; GULDENER, Das internationale ![]() | 8 |
Ist bei einem im Ausland hängigen Verfahren ungewiss, ob es zu einem in der Schweiz vollstreckbaren Sachentscheid führt, muss sorgfältig zwischen der Gefahr widersprüchlicher Urteile und der Gefahr abgewogen werden, dass dem Ansprecher der vom Bundesrecht gebotene Rechtsschutz versagt bleibt, den das in der Schweiz angehobene zweite Verfahren zu gewährleisten vermöchte. Das Ergebnis dieser Abwägung bestimmt, ob die in der Schweiz angehobene Klage zuzulassen oder zurückzuweisen ist oder ob das Verfahren sistiert wird (HABSCHEID, a.a.O. S. 179 N. 486); gleichzeitige Prozessführung im In- und Ausland ist nicht schlechthin ausgeschlossen (GULDENER, Internationales Zivilprozessrecht, S. 176).
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Hat das in der Schweiz eingeleitete Verfahren einen raschen Rechtsschutz zu gewährleisten, wird bei der Abwägung die Gefahr der Schutzlosigkeit des Ansprechers besonders ins Gewicht fallen. So steht bei der Arrestprosequierung die rasche Sicherung gefährdeter Ansprüche im Vordergrund, was sich bereits aus der zehntägigen Frist des Art. 278 Abs. 2 SchKG ergibt, innert welcher der Gläubiger zur Erhaltung des Arrestes handeln muss. Tritt der schweizerische Richter auf eine Arrestprosequierungsklage wegen eines im Ausland hängigen Prozesses nicht ein und führt dieses Verfahren später nicht zu einem in der Schweiz anerkennbaren und vollstreckbaren Urteil, so fällt der Arrest und damit ein bundesrechtlicher Schutzanspruch dahin, obwohl der Arrestgläubiger alles getan hat, was er tun konnte. Der schweizerische Richter darf in einem solchen Fall den Rechtsschutz nur verweigern, wenn im Ausland mit hinreichender Gewissheit ein vollstreckbares Urteil zu erwarten ist. Das setzt eine entsprechend klare Rechtslage voraus.
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c) Das Bundesgericht tritt somit auf eine Berufung gegen einen kantonalen Entscheid ein, mit dem die Einrede der Rechtshängigkeit gutgeheissen oder verworfen wird. Mit freier Kognition prüft es zunächst die vorliegend allerdings nicht streitige Frage, ob der Streitgegenstand des ausländischen mit demjenigen des inländischen Verfahrens identisch ist. An der Identität ändert die vorliegende Arrestprosequierungsklage nichts, hat sie doch eine materiellrechtliche Forderung zum Gegenstand (AMONN, Grundriss ![]() | 11 |
Im Berufungsverfahren, vorbehältlich der Ausnahmen von Art. 63 Abs. 2/64 OG, nicht zu überprüfen sind hingegen der vom Handelsgericht festgestellte Sachverhalt (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG) und die von der Beklagten mehrmals gerügte Verletzung des aus Art. 4 BV abgeleiteten Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 43 Abs. 1 2. Satz OG). Der Überprüfung entzogen ist im Berufungsverfahren der angefochtene Beschluss auch insoweit, als das Handelsgericht auf ausländisches Recht abstellt (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG); eine berufungsfähige Anwendung von ausländischem Recht als schweizerischem Ersatzrecht steht hier nicht in Frage (BGE 92 II 118 ff. E. I 3-7). Die Rüge der Verletzung von Art. 63 OG erweist sich insoweit als gegenstandslos und verkennt im übrigen, dass die Vorinstanz bloss die zur Wahrung des schweizerischen Rechtsschutzanspruchs erforderliche Prognose darüber zu stellen hatte, ob ein vollstreckbares englisches Urteil mit ausreichender Gewissheit zu erwarten sei. Nicht berufungsfähig ist schliesslich die Anwendung kantonalen Prozessrechts (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG); das Bundesrecht sieht vorbehältlich der Garantie des Wohnsitzrichters (Art. 59 BV) für die Prosequierung eines in der Schweiz erwirkten Arrestes keinen zwingenden Gerichtsstand am Arrestort vor (FRITZSCHE, a.a.O. S. 238) und lässt auch die Beurteilung durch ein Schiedsgericht (BGE 101 III 62 f. E. 2) oder einen ausländischen Gerichtsstand zu, sofern das dort eingeleitete Verfahren zu einem in der Schweiz vollstreckbaren Urteil führen kann (BGE 106 III 94 E. 2a).
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