BGE 114 II 210 | |||
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36. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 2. Juni 1988 i.S. X. (Berufung) | |
Regeste |
Entmündigung wegen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe (Art. 371 ZGB). | |
Sachverhalt | |
Von einer Zuchthausstrafe von 3 1/2 Jahren wegen Vermögens- und Betäubungsmitteldelikten verblieb nach der bedingten Entlassung von X. Ende 1984 noch eine Reststrafe von einem Jahr Zuchthaus. Da X. bereits im Februar 1987 wiederum wegen Betäubungsmitteldelikten zu 3 1/2 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, musste die bedingte Entlassung widerrufen und der Vollzug der Reststrafe angeordnet werden. Der Vollzug der neuen und der widerrufenen Reststrafe wurde indessen in Anwendung von Art. 44 StGB zugunsten einer stationären Drogenmassnahme aufgeschoben. Seit März 1987 befindet sich X. deshalb in einem Drogenrehabilitationszentrum, aus dem er bei Wohlverhalten mutmasslich anfangs 1989 bedingt entlassen werden kann.
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Die zuständige Vormundschaftsbehörde stellte X. mit Beschluss vom 12. Mai 1987 gestützt auf Art. 371 ZGB unter Vormundschaft. Gegen diesen Beschluss erhob X. Beschwerde, die vom Bezirksamt am 22. September 1987 abgewiesen wurde.
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X. legte beim Bundesgericht Berufung ein mit dem Antrag, der Entscheid des Obergerichts sei aufzuheben und von einer Bevormundung sei abzusehen.
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Das Bundesgericht heisst die Berufung gut. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben, und von einer Bevormundung von X. gestützt auf Art. 371 ZGB wird abgesehen.
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Aus den Erwägungen: | |
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Das Gesetz geht nach seinem strengen Wortlaut davon aus, dass in der Haft, d.h. dem Freiheitsentzug selbst, die Unfähigkeit zur Besorgung der eigenen Angelegenheiten liege (BGE 109 II 9 mit Hinweis). Dementsprechend hört die Vormundschaft mit der Beendigung der Haft grundsätzlich auch wieder auf (Art. 432 Abs. 1 ZGB). Die Rechtsprechung hat freilich im Hinblick auf Art. 432 Abs. 2 ZGB zugelassen, dass die zeitweilige oder bedingte Entlassung noch kein Grund für die Beendigung der Vormundschaft bilde. Hingegen geht es stets um den Freiheitsentzug als solchen und die damit verbundene Vermutung, dass der Betroffene während der Zeit der Einschliessung nicht in der Lage sei, seine persönlichen und finanziellen Angelegenheiten selbständig zu besorgen. Da nach der gesetzlichen Vermutung während dieser Zeit eine Schutzbedürftigkeit gegeben ist, muss der Straffällige, welcher einen überjährigen Freiheitsentzug erleidet, in der Regel bevormundet werden. Es bleibt ihm aber der Nachweis offen, dass diese Schutzbedürftigkeit trotz des Freiheitsentzugs nicht besteht (BGE 84 II 679, BGE 109 II 9 ff. und 397 mit Hinweisen; ZVW 38/1983, S. 155 Nr. 15; SCHNYDER/MURER, N. 10, 12 und 15 zu Art. 371 ZGB; SCYBOZ/GILLIERON, Code civil et code des obligations annotés zu Art. 371 ZGB). Einen andern Grund als den des Freiheitsentzugs für die Bevormundung anzuführen, geht nach Wortlaut und Sinn des Art. 371 ZGB nicht an (ZVW 38/1983 S. 158 Nr. 15). Insbesondere liesse sich eine Entmündigung nur deswegen, weil der Straffällige bei einer bedingten Entlassung nicht in der Lage sein wird, für sich persönlich und für seine finanziellen Interessen besorgt zu sein, nicht auf Art. 371 ZGB stützen. Wie es sich mit dem Schutzbedürfnis nach dem Austritt aus der Strafanstalt verhält, kann für die Anwendung von Art. 371 ZGB keine Rolle spielen. Die gesetzgeberische Absicht dieser Bestimmung lässt den Eingriff in die persönliche Freiheit nur zu, wenn für die Dauer des Freiheitsentzugs ein ernsthaftes Schutzbedürfnis tatsächlich besteht.
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Mit dieser Betrachtungsweise verkennt nun aber das Obergericht Sinn und Zweck von Art. 371 ZGB. Es gibt ausdrücklich zu, dass während der Dauer des Massnahmenvollzugs dem Bedarf des Berufungsklägers nach persönlicher Fürsorge und Hilfe bei der Wahrung seiner wirtschaftlichen Interessen genügend entsprochen werde. Es ist denn auch gerichtsnotorisch, dass Rehabilitationseinrichtungen für Drogensüchtige personell besser ausgestattet sind, um dem Schutzbedürfnis der ihnen Anvertrauten gerecht zu werden, als dies etwa im modernen Strafvollzug der Fall ist. Unter diesen Umständen fehlt es aber bei Berücksichtigung der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichts an der Voraussetzung für die Anordnung einer Vormundschaft gestützt auf Art. 371 ZGB. Daran ändert auch nichts, dass der Berufungskläger trotz seiner ersten Verurteilung erneut der Drogenabhängigkeit verfallen ist und delinquiert hat, dass also weder die Schutzaufsicht noch seine Eltern ihm einen ausreichenden Schutz gewähren konnten. Das Obergericht stützt seinen Entscheid im übrigen ausschliesslich auf die Zukunftsprognose. Heute steht aber noch gar nicht fest, wann der Berufungskläger aus dem Massnahmenvollzug bedingt entlassen und ob er allenfalls die aufgeschobene Strafe ganz oder teilweise noch zu vollziehen haben wird (Art. 44 Ziff. 5 StGB). Diese Ungewissheit über das zukünftige Schicksal des Berufungsklägers ist wohl im Hinblick auf die schwierige Rehabilitation von Drogenabhängigen noch grösser, als dies im gewöhnlichen Strafvollzug der Fall wäre. Die Anordnung einer Vormundschaft kann daher nicht nur mit dem Argument begründet werden, dem Schutzbedürfnis des Berufungsklägers nach seiner allfälligen bedingten Entlassung werde die Schutzaufsicht allein nicht genügen.
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Die Berufung erweist sich demnach als begründet. Angesichts der klaren Rechtslage braucht nicht noch geprüft zu werden, ob Art. 371 ZGB auf einen Massnahmenvollzug im Sinne des Art. 44 Ziff. 6 StGB überhaupt angewendet werden dürfe. Das wäre wohl höchstens dann der Fall, wenn der Massnahmenvollzug den Betroffenen in gleicher oder ähnlicher Weise der Freiheit beraubt, wie dies beim Vollzug von Gefängnis- und Zuchthausstrafen zutrifft (vgl. SCHNYDER/MURER, N. 15 ff., insbes. N. 20 zu Art. 371 ZGB).
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