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84. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 14. Dezember 1988 i.S. Firmen R. und S. gegen X. AG und Präsidenten des Obergerichts des Kantons Thurgau (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 4 BV, Art. 77 PatG; vorsorgliche Massnahmen nach Wegfall des Patentschutzes. | |
Sachverhalt | |
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Ein Begehren um superprovisorische Anordnung der verlangten Massnahmen erklärte der Präsident des Obergerichts am 27. Mai 1988 als gegenstandslos.
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Ende Mai 1988 lief die Schutzdauer des Patentes gemäss Art. 14 PatG ab, worauf das Begehren um vorsorglichen ![]() | 3 |
B.- Die R. und die S. führen staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV. Sie rügen eine willkürliche Anwendung von Art. 77 PatG und machen insbesondere geltend, der Anspruch auf vorsorgliche Massnahmen zur Beweissicherung bestehe nach Ablauf der patentrechtlichen Schutzdauer weiter.
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Die X. AG schliesst auf kostenfällige Abweisung der Beschwerde. Die gleichen Anträge stellt unter Hinweis auf den angefochtenen Entscheid der Präsident des Obergerichts des Kantons Thurgau.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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a) Vorsorgliche Massnahmen können zur Beweissicherung, zur Aufrechterhaltung des bestehenden Zustandes oder zur vorläufigen Vollstreckung streitiger Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüche verfügt werden (Art. 77 Abs. 1 PatG). Dabei bedarf keiner weiteren Erörterung, dass vorsorgliche Massnahmen zum Schutz patentrechtlicher Defensivansprüche vom Bestand eines materiellen Schutzrechtes abhängig sind, ist der Rechtsbestand des angeblich verletzten Patentes doch Voraussetzung des Rechtsschutzes schlechthin. Nichtige oder erloschene Patente lassen sich nicht durch vorsorgliche Massnahmen schützen (BRINER, Vorsorgliche Massnahmen im schweizerischen Immaterialgüterrecht, SJZ 78/1982 S. 157 ff., 159 bei Fn. 25).
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Selbstverständlich ist weiter, dass - vorbehältlich eines Forderungsuntergangs zufolge Verjährung, Verwirkung ![]() | 8 |
b) Nach dem Wortlaut von Art. 77 Abs. 1 PatG kann die vorsorgliche Massnahme zur Beweissicherung schlechthin beansprucht werden, ohne dass zwischen den zu sichernden Ansprüchen unterschieden wird. In der Literatur wird die Beweissicherung im allgemeinen weder näher erörtert noch nach Massgabe der einzelnen Ansprüche differenziert, sondern als Zweck der Massnahme bloss erwähnt (TROLLER, Immaterialgüterrecht, 3. Aufl., Band II, S. 1065 lit. a), als unproblematisch bezeichnet (PEDRAZZINI, Patent- und Lizenzvertragsrecht, 2. Aufl., S. 178 Ziff. 17.9.2) oder dazu unter anderem ausgeführt, dass sie geeignet sei, patentverletzende Erzeugnisse vor dem drohenden Untergang zu bewahren (BLUM/PEDRAZZINI, Anm. 2 zu Art. 77 PatG; vgl. auch S. 659/1 Anm. 2A zu Art. 77 PatG; HANS PETER MING, Die vorsorglichen Massnahmen im Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, Diss. Zürich 1969, S. 19). Einzelne Autoren lehnen die vorsorgliche Massnahme als Mittel zur Feststellung und Ausgleich bereits eingetretenen und nicht unter Anwachsungsgefahr stehenden Schadens unter dem Kriterium der Nachteilsvoraussetzung ausdrücklich ab (TROLLER, a.a.O., S. 1066 lit. c; differenziert MING, a.a.O., S. 34 f.).
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c) Art. 64 Abs. 3 BV belässt die Organisation der Gerichte und das gerichtliche Verfahren der Regelungskompetenz der Kantone. Bundesrechtliche Vorschriften, welche in diese Rechtssetzungshoheit eingreifen, sollen dort eine einheitliche Anwendung des Bundesrechts gewährleisten, wo die Vielfalt der kantonalen Ordnungen die Gefahr ungenügenden ![]() | 10 |
Im Bestreben, die vorsorglichen Massnahmen des gewerblichen Rechtsschutzes zu vereinheitlichen (BBl 1950 I 1062), wurden die Vorschriften des Patentgesetzes über den vorsorglichen Rechtsschutz bewusst denjenigen des Bundesgesetzes vom 30. September 1943 über den unlauteren Wettbewerb (Art. 9 bis 12 aUWG) angeglichen. Diese wettbewerbsrechtlichen Vorschriften ihrerseits bezweckten, die schädlichen Auswirkungen unlauteren Wettbewerbs möglichst frühzeitig zu verhindern, drohenden Schaden zu verhüten oder den eingetretenen Schaden wenigstens nach Möglichkeit einzudämmen (Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung vom 3. November 1942 zum Entwurf eines Bundesgesetzes über den unlauteren Wettbewerb, BBl 1942 S. 665 ff., 681). Sie wurden im geltenden UWG im wesentlichen durch einen allgemeinen Hinweis auf die entsprechenden Regelungen des zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutzes ersetzt, erneut im Bestreben, die vorsorglichen Massnahmen des Bundesrechts zu vereinheitlichen (Art. 13 UWG). Auch im Persönlichkeitsrecht aber ging der Bundesgesetzgeber von der grundsätzlichen Gesetzgebungshoheit der Kantone auf dem Gebiete des Prozessrechts aus und strebte eine bundesrechtliche Vereinheitlichung nur insoweit an, als sie für die Verwirklichung des zu regelnden Instituts des Privatrechts unerlässlich schien (Botschaft vom 5. Mai 1982 über die Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, BBl 1982 II 636 ff., 642 Ziff. 133). Eine Rechtsvereinheitlichung wird dabei als geboten erachtet, um Angriffe auf die Persönlichkeit wirksam zu verhindern oder Störungen zu beseitigen (BBl 1982 II 644). Daraus ist zu schliessen, dass nach der Regelungsabsicht des Gesetzgebers und namentlich in Berücksichtigung seiner Tendenz zur materiellen Vereinheitlichung möglichst aller bundesrechtlichen Vorschriften über den vorläufigen Rechtsschutz - wobei die Zuständigkeit der Kantone soweit wie möglich zu wahren ist - die vorsorglichen Massnahmen lediglich zum Schutz von Defensivansprüchen vereinheitlicht werden sollten. Der prozessuale Rechtsschutz im Ausgleichsverfahren nach abgeschlossener Schädigung hingegen wurde grundsätzlich dem kantonalen Recht belassen. Auch in der neueren Literatur wird die Meinung vertreten, die vorsorglichen ![]() | 11 |
Die Beweissicherung ist nach Sinn und Zweck von Art. 77 PatG nicht als selbständiges Institut zum Schutze aller beliebigen patentbezogenen Forderungen, sondern lediglich als besondere Gewähr zur Sicherung der Defensivansprüche zu betrachten. Das steht in Einklang mit der Auffassung, dass die Beweissicherung ohnehin nicht zu den eigentlichen vorsorglichen Massnahmen zählt (ISAAK MEIER, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, S. 48 f.; demgegenüber GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl., S. 576 Ziff. 3) und zudem in sämtlichen kantonalen Prozessvorschriften bereits vorgesehen ist (Nachweise bei VOGEL, Grundriss des Zivilprozessrechts, S. 193 Rz. 91), was eine umfassende bundesrechtliche Regelung entbehrlich macht.
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d) Mit Ablauf der Schutzdauer des Patentes begrenzte die Auseinandersetzung der Parteien sich auf den Schadensausgleich aus behaupteter, zwangsläufig abgeschlossener Patentverletzung. Die Fragen nach der Gültigkeit des Patentes während laufender Schutzdauer und nach derjenigen seiner Verletzung sind allein noch im Hinblick auf die beanspruchte Wiedergutmachung von Bedeutung, aber nicht mehr hinsichtlich allfälliger Defensivansprüche. Damit ist der Entscheid des Präsidenten des Obergerichts, den Erlass einer bundesrechtlichen Massnahme gemäss Art. 77 PatG abzulehnen, im Lichte von Art. 4 BV nicht zu beanstanden.
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