![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
3. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 1. Februar 1990 i.S. X. gegen X. (Berufung) | |
Regeste |
Ehescheidung (Art. 142 Abs. 1 ZGB): Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses, Zumutbarkeit der Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft. |
2. In einer Ehe, in der die Ehefrau sich vorab der Haushaltführung widmet und der Ehemann für die Beschaffung der erforderlichen Geldmittel besorgt ist, hat die Ehefrau hinzunehmen, dass der Ehemann den zur gehörigen Erfüllung seiner Pflicht nötigen Einsatz leistet und dass seine Verfügbarkeit für dieFamilie entsprechend eingeschränkt ist; möchte der Ehemann jedoch für seine Berufstätigkeit an Zeit und Energie mehr aufwenden, als erforderlich ist, um der Familie einen ihren Bedürfnissen angemessenen Lebensstandard zu sichern, darf dadurch die Ehe als geistig-seelische Gemeinschaft nicht gefährdet werden; der Ehemann hat auch in dieser Hinsicht auf die persönlichen Bedürfnisse der Ehefrau Rücksicht zu nehmen (Erw. 5). | |
Sachverhalt | |
![]() | 1 |
Am 18. September 1985 hatte B.X.-Y. beim zuständigen Bezirksgericht eine Klage auf Scheidung der Ehe erhoben, der sich der Beklagte widersetzte.
| 2 |
Mit Urteil vom 21. August 1986 sprach das Bezirksgericht die Scheidung aus; gleichzeitig regelte es deren Nebenfolgen. In Gutheissung der vom Beklagten hiergegen erhobenen Berufung wies das Kantonsgericht die Scheidungsklage am 4. Mai 1988 ab. Mit Urteil vom 9. März 1989 hat die erkennende Abteilung eine Berufung der Klägerin gegen den kantonsgerichtlichen Entscheid vom 4. Mai 1988 teilweise gutgeheissen und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an das Kantonsgericht zurückgewiesen. Am 30. Juni 1989 hat dieses neu entschieden und dabei die Scheidungsklage wiederum abgewiesen.
| 3 |
Die Klägerin hat hiergegen erneut Berufung an das Bundesgericht erhoben mit dem Rechtsbegehren, das kantonsgerichtliche Urteil sei aufzuheben und die Ehe der Parteien im Sinne ihrer Anträge vor zweiter Instanz zu scheiden; allenfalls sei die Streitsache zur Neubeurteilung an das Kantonsgericht zurückzuweisen.
| 4 |
Der Beklagte schliesst im Hauptstandpunkt auf Abweisung der Berufung und Bestätigung des kantonsgerichtlichen Urteils.
| 5 |
Aus den Erwägungen: | |
2. Gemäss Art. 142 Abs. 1 ZGB kann jeder Ehegatte auf Scheidung klagen, wenn eine so tiefe Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses eingetreten ist, dass den Ehegatten die Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft nicht zugemutet werden darf; ist ![]() | 6 |
Ob eine Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft zumutbar ist, hängt einerseits vom Grad wie auch von der Erscheinungsform der Zerrüttung und andererseits von der Persönlichkeit der Ehegatten ab. Je nach geistig-seelischer Veranlagung und Verfassung eines Ehegatten wirkt eine Tatsache, die im allgemeinen als ehezerrüttend anzuerkennen ist, auf dessen eheliche Gesinnung nicht so, dass die Fortsetzung der Ehe als unzumutbar erschiene. Umgekehrt kann eine gemeinhin nicht als ehezerrüttend empfundene Tatsache unter gewissen individuellen Voraussetzungen zu einer derart tiefen Zerrüttung der Ehe geführt haben, dass dem klagenden Ehegatten deren Fortsetzung nicht zugemutet werden darf (vgl. BÜHLER/SPÜHLER, N. 14 zu Art. 142 ZGB; HINDERLING, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 3. Auflage, S. 12).
| 7 |
8 | |
Andere Störfaktoren waren nach Ansicht des Kantonsgerichts lediglich die Folge der unterschiedlichen Vorstellungen der ![]() | 9 |
b) Den Vorbringen der Klägerin hat das Kantonsgericht entgegengehalten, dass die Ehe als umfassende Lebensgemeinschaft auch eine wirtschaftliche Gemeinschaft sei, für die nach altem Eherecht in erster Linie der Ehemann und nach neuem Recht die Ehegatten gleichermassen verantwortlich seien. Es entspreche auch heute noch durchaus gängiger Auffassung, dass ein Ehemann gehalten sei, für den Unterhalt und die Vorsorge der Familie den gehörigen Einsatz zur Erzielung von Einkommen und Bildung von Vermögen zu leisten. Wo die Ehefrau sich ganz der Familie und insbesondere der Erziehung der Kinder widmen könne, habe sie einen entsprechenden Einsatz des Ehemannes für sein berufliches Fortkommen zu dulden. Allerdings dürfe dies nicht soweit gehen, dass die Ehe als geistig-seelische Gemeinschaft gefährdet werde. Nach Ansicht der Vorinstanz traf dies hier nicht zu. Der Beklagte habe sich durchschnittlich von 07.30 bis 18.00 oder 19.00 Uhr im Büro aufgehalten und das Mittagessen jeweils auswärts eingenommen, was sich im Rahmen des nach allgemeiner Lebensauffassung als normal Empfundenen bewege. Auch das klägerische Vorbringen, der Beklagte sei als dominante Persönlichkeit im traditionellen Sinne zu einem partnerschaftlichen Verhalten nicht fähig, hält das Kantonsgericht für unzutreffend. So hätten die Parteien, als sie in die Schweiz gezogen seien, gemeinsam den Wohnsitz bestimmt und das Einfamilienhaus ausgesucht; ferner habe auch die Klägerin Zugang zum Lohnkonto des Beklagten gehabt.
| 10 |
c) In Würdigung der von ihm festgehaltenen Umstände ist das Kantonsgericht zum Schluss gelangt, der Klägerin müsste es angesichts ihrer Intelligenz und ihrer Fähigkeiten bei gutem Willen möglich sein, die ehelichen Probleme nochmals anzupacken, zumal auch der Beklagte, der an der zweitinstanzlichen Gerichtsverhandlung glaubhaft die Bereitschaft bekundet habe, einen Ehetherapeuten ![]() | 11 |
...
| 12 |
13 | |
a) Die Parteien waren sich von Anfang der Ehe an einig darüber, dass die Klägerin sich vorab der Haushaltführung zuwenden und dass der Beklagte für die Beschaffung der erforderlichen Geldmittel besorgt sein werde. Bei einer solchen Aufgabenteilung hat die Ehefrau in der Tat hinzunehmen, dass der Ehemann den zur gehörigen Erfüllung seiner Pflicht nötigen Einsatz leistet und dass seine Verfügbarkeit für die Familie entsprechend eingeschränkt ist. Wendet jedoch der Ehemann für seine Berufstätigkeit an Zeit und Energie mehr auf, als erforderlich ist, um der Familie einen ihren Bedürfnissen angemessenen Lebensstandard zu sichern, darf - wie auch die Vorinstanz richtig erkannt hat - dadurch die Ehe als geistig-seelische Gemeinschaft nicht gefährdet werden. Aus der Sicht des Eherechts hat der Ehemann mit andern Worten nicht einen unbegrenzten Anspruch auf Verwirklichung seiner beruflichen Ziele. Er hat im Bestreben, seine persönlichen Bedürfnisse zu befriedigen, auch in diesem Bereich auf die Ehefrau Rücksicht zu nehmen. Den Vorstellungen der Ehefrau von der Ehe als geistig-seelischer Gemeinschaft hat der Ehemann im Rahmen des Zumutbaren auch dann Rechnung zu tragen, wenn ihre persönlichen Erwartungen an ihn erst im Laufe der Zeit grösser geworden sind.
| 14 |
b) Der gemäss der übereinstimmenden Vorstellung beider Parteien ihm zugefallenen Pflicht, durch seine Berufstätigkeit die Mittel zur Deckung der materiellen Bedürfnisse der Familie zu beschaffen, ist der Beklagte stets mit grossem Einsatz nachgekommen. Hingegen hat er - ohne dass ihn dabei ein Verschulden zu treffen braucht - die von der Klägerin an ihn als geistig-seelischen Partner gerichteten Erwartungen zumindest von einem gewissen Zeitpunkt an nicht mehr ganz erfüllt. Woran dies gelegen hat, steht nicht fest. Möglicherweise vermochte die Klägerin - etwa aufgrund ihrer ausgeprägten Empfindsamkeit - ihre Vorstellungen ![]() | 15 |
c) Indem die Vorinstanz in Anbetracht der von ihr festgehaltenen Umstände von der Klägerin verlangt, "die ehelichen Probleme nochmals anzupacken" und die eheliche Gemeinschaft mit dem Beklagten fortzusetzen, mutet sie ihr zuviel zu. Durch den kantonsgerichtlichen Entscheid wird das Recht der Klägerin auf Achtung und Geltung als Persönlichkeit in unzulässigem Masse beeinträchtigt. Dass die Klägerin intelligent und tüchtig ist, vermag am Gesagten nichts zu ändern, zumal ihre Reaktionen auf die ehelichen Spannungen (allgemeine gesundheitliche Störungen, Depressionen) in der spezifischen Empfindsamkeit begründet sind und insofern nicht im Bereiche des Willens ausgelöst und gesteuert werden. Das Kantonsgericht hebt sodann hervor, dass der Beklagte an der zweitinstanzlichen Gerichtsverhandlung sich bereit erklärt habe, einen Ehetherapeuten aufzusuchen und soweit möglich seinen Arbeitsplatz ... (an den heutigen Wohnort der ![]() | 16 |
6. Aus dem Gesagten erhellt, dass die Abweisung der Scheidungsklage gegen Art. 142 Abs. 1 ZGB verstösst. Soweit auf die Berufung einzutreten ist, ist sie daher gutzuheissen, und die Sache ist zur Aussprechung der Ehescheidung und zum Entscheid über deren Nebenfolgen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
| 17 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |