BGE 116 II 153 | |||
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28. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 21. März 1990 i.S. K. gegen Erbengemeinschaft L. (Berufung) | |
Regeste |
Lohnforderung aus Landes-Gesamtarbeitsvertrag für das Gastgewerbe (L-GAV); abweichende Einzelabrede hinsichtlich des Festlohnanteils (Art. 357 Abs. 2 OR, Art. 32 L-GAV). | |
Sachverhalt | |
K. arbeitete vom 1. November 1981 bis zum 31. Januar 1985 als Service-Angestellte. Mit dem Arbeitgeber L. hatte sie eine ausschliessliche Umsatzentschädigung von 18% vereinbart. Im Oktober 1985 klagte K. gestützt auf den Landes-Gesamtarbeitsvertrag für das Gastgewerbe (L-GAV) gegen L. auf Bezahlung von Fr. 23'000.--, welchen Betrag sie im Laufe des Verfahrens auf Fr. 20'855.60 reduzierte. Sie machte den gemäss L-GAV geschuldeten Festlohnanteil von Fr. 450.-- bzw. Fr. 510.-- pro Monat geltend.
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Das Amtsgericht Luzern-Stadt schützte die Klage am 27. Oktober 1986 im Umfang von Fr. 6'679.-- nebst Zins. Auf Berufung beider Parteien bestätigte das Obergericht des Kantons Luzern am 17. August 1989 das erstinstanzliche Urteil. Die von K. gegen das obergerichtliche Urteil erhobene eidgenössische Berufung weist das Bundesgericht ab, soweit es darauf eintritt.
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Aus den Erwägungen: | |
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Die Klägerin macht geltend, die Vorinstanz verletze Bundesrecht, indem sie bei der Beurteilung der Frage, ob ihre Vereinbarung gesamtarbeitsvertragskonform sei, den Günstigkeitsvergleich über den Gruppenvergleich durchführe. Es sei einzig zulässig, die beiden Lohnbestandteile je separat zu betrachten und die einzelarbeitsvertraglichen Abreden den normativ zwingenden Ansprüchen des L-GAV gegenüberzustellen. Die Vorinstanz verletze Art. 357 Abs. 2 OR sowie Art. 32 Ziff. 1 L-GAV vom 14. November 1980, indem sie den Festlohnanteil als beglichen betrachte.
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a) Art. 32 Ziff. 1 L-GAV bestimmt, dass bei der direkten Umsatzentlöhnung dem Bedienungspersonal ein Umsatzanteil von mindestens 13,04% des erzielten Bruttoumsatzes sowie ein Festlohnanteil von mindestens Fr. 450.-- bzw. Fr. 510.-- auszurichten ist. Nach Art. 3 L-GAV sind Abweichungen nur zulässig, wenn sie schriftlich und zugunsten des Arbeitnehmers erfolgen (Kommentar zum Landes-Gesamtarbeitsvertrag des Gastgewerbes vom 22. Dezember 1983, Ziff. 1 zu Art. 3).
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aa) Gemäss Art. 357 Abs. 2 OR kann von den Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrages nur abgewichen werden, wenn die entsprechenden Abreden sich zugunsten des Arbeitnehmers auswirken. Das in Art. 357 Abs. 1 OR festgehaltene Prinzip der Unabdingbarkeit von gesamtarbeitsvertraglichen Bestimmungen wird durch das Günstigkeitsprinzip eingeschränkt. Das Günstigkeitsprinzip lässt für den Arbeitnehmer günstigere Abreden zu und will somit die individuelle Vertragsfreiheit im Rahmen der kollektiven Arbeitsbedingungen sichern (VISCHER, N 19 zu Art. 357 OR; REHBINDER, Schweizerisches Arbeitsrecht, 9. Aufl. 1988, S. 166). Die Abklärung der Frage, ob eine für den Arbeitnehmer günstigere Abrede vorliegt, erfolgt über den Günstigkeitsvergleich. Dabei ist von einem objektiven Massstab auszugehen. Nach VISCHER ist der Gesamtvergleich zwischen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) und dem Einzelarbeitsvertrag unzulässig; hingegen bezeichnet er den Gruppenvergleich als eine für den Günstigkeitsvergleich geeignete Methode (VISCHER, N 23 f. zu Art. 357 OR; GERHARD SCHMIDT, Das Günstigkeitsprinzip im deutschen und schweizerischen Arbeitsrecht, Diss. Freiburg 1969, S. 71 ff.; REHBINDER, a.a.O., S. 166). Der Gruppenvergleich wägt eng zusammengehörige Bestimmungen des GAV und des Einzelarbeitsvertrages gegeneinander ab. Sodann behalten vorbestandene einzelarbeitsvertragliche, günstigere Abreden ihre Gültigkeit beim erstmaligen Inkrafttreten eines GAV oder beim Ersatz eines alten durch einen neuen GAV (VISCHER, N 32 zu Art. 357 OR).
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bb) Umstritten ist in der Rechtsprechung, ob bei Anwendung von Art. 32 L-GAV auf einen Einzelarbeitsvertrag, in welchem die Parteien einen höheren Umsatzanteil vereinbart haben, der Vergleich zwischen Einzelabrede und gesamtarbeitsvertraglicher Regelung zur Bestimmung der günstigeren Regelung über den Gruppenvergleich vorzunehmen ist. Dabei wäre die Gesamtheit der Lohnbestimmungen des GAV mit der einzelvertraglichen Entlöhnungsabrede zu vergleichen. Nach zürcherischer Praxis ist der Gruppenvergleich unzulässig. Sie sieht den Schutzzweck der Unabdingbarkeit der gesamtarbeitsvertraglichen Regelung von Art. 32 L-GAV vor allem darin, dass nicht zuungunsten des Arbeitnehmers von einem Minimalverhältnis zwischen den beiden Lohnarten abgewichen werden dürfe; dem Arbeitnehmer solle ein bestimmtes minimales Verhältnis zwischen Umsatzlohn und Festlohn zugesichert sein. Somit habe zumindest der absolute Lohnbestandteil dem Festlohn zu entsprechen. Werde der Festlohnbestandteil bei gleichzeitiger Erhöhung des Umsatzprozentsatzes herabgesetzt, bedeute das eine Schlechterstellung des Arbeitnehmers, da er diesfalls ein höheres Risiko zu tragen habe (Urteil des Kassationsgerichts des Kantons Zürich vom 17. Januar 1986 in ZR 85, 1986, Nr. 46, S. 116 ff., S. 118). Im Ergebnis lehnt das Kassationsgericht den Gruppenvergleich als unzulässig ab, weil ein zwingend vorgeschriebenes absolutes Mass zum Vergleich fehle. Demgegenüber wendet das Obergericht des Kantons Luzern den Gruppenvergleich an und stellt den Gesamtlohn, einerseits gemäss L-GAV und andererseits gemäss Einzelarbeitsvertrag, einander gegenüber (Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern vom 6. Februar 1987, in JAR 1989, S. 275 ff., S. 280).
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Die Beurteilung der Frage, ob eine einzelarbeitsvertragliche Abrede für den Arbeitnehmer günstiger sei, führt bei Anwendung des Gruppenvergleichs zu einem adäquateren Ergebnis. Wird eine vom GAV abweichende Bestimmung lediglich isoliert betrachtet, kann dies zu ungewollten Wirkungen führen, insbesondere dann, wenn im übrigen für den Arbeitnehmer weit günstigere Vereinbarungen getroffen wurden. Ferner besteht die Gefahr, dass die Parteiautonomie ausgehöhlt wird, dass einzelarbeitsvertragliche Vereinbarungen daneben keinen Raum mehr finden. Das Günstigkeitsprinzip in Art. 357 Abs. 1 OR bezweckt aber gerade, den Parteien einen Teil ihrer Vertragsfreiheit zu bewahren. Um jedoch ein aussagekräftiges Vergleichsergebnis zu erhalten, ist die Gegenüberstellung des Gesamtlohnes gemäss L-GAV sowie gemäss Einzelarbeitsvertrag auf einen bestimmten Zeitraum zu begrenzen. Aus dem Schutzgedanken von Art. 32 Abs. 1 L-GAV ergibt sich, dass dem Arbeitnehmer während einer kurz bemessenen Zeitspanne der Mindestlohn gewährleistet sein soll. Es wäre unbillig, den Vergleich aufgrund des Jahresgesamtlohns vorzunehmen. Es erscheint angemessen, diese Zeitspanne auf einen Monat zu begrenzen.
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b) Die Vorinstanz stellt sich auf den Standpunkt, die beiden Lohnbestandteile müssten gesamthaft, d.h. durch Vergleich der Bruttolöhne, betrachtet werden, um zu beurteilen, ob die Vereinbarung der Parteien für die Klägerin günstiger sei. Würden hingegen die Lohnbestandteile je einzeln betrachtet, hätte eine abweichende Einzelabrede eine zwingende Gesamtlohnerhöhung zur Folge. Erst wenn die vereinbarte Umsatzentlöhnung von 18% den im L-GAV vorgesehenen, aus monatlichem Festlohn von Fr. 450.-- bzw. Fr. 510.-- und 13,04% Umsatzbeteiligung bestehenden Bruttolohn nicht erreiche, sei die Einzelabrede durch die normative Regelung des L-GAV zu ersetzen. Die Gegenüberstellung des Gesamtlohnes ergebe jedoch, dass die Klägerin gegenüber dem garantierten Mindestlohn gemäss L-GAV Mehrleistungen zu verzeichnen habe.
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Der Vorinstanz ist darin zuzustimmen, dass der Günstigkeitsvergleich über den Gruppenvergleich vorzunehmen ist. Bei den in Frage stehenden Vorschriften handelt es sich um eng zusammengehörige Bestimmungen (VISCHER, N 24 zu Art. 357 OR). Bei einer isolierten Betrachtung der einzelnen Bestimmungen ergäben sich ungewollte Wirkungen. Es ist allgemein üblich, dass der Lohn als Gesamtlohn betrachtet und dieser in verschiedene Lohnbestandteile aufgegliedert wird. Die Aufgliederung des Lohnes in einen Fest- sowie einen Umsatzanteil erfolgt jedoch, um dem Arbeitnehmer einen Minimallohn zu gewährleisten, insbesondere in Betrieben mit geringem Umsatz. Die einzelarbeitsvertragliche Abrede über die Erhöhung des Umsatzanteils von 13,04% auf 18% bedeutet nun keine Schlechterstellung der Klägerin. Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 63 Abs. 2 OG) hat die Klägerin den jeweiligen gesamtarbeitsvertraglichen Minimallohn jederzeit erreicht, was sie auch nicht bestreitet. Würde der Vergleich auf die isolierte Betrachtung der Lohnbestandteile abgestützt, hätte das eine nicht gewollte, zwingende Gesamtlohnerhöhung zur Folge. Eine solche war aber von den Sozialpartnern nicht beabsichtigt, ging es ihnen doch lediglich um die Gewährleistung eines Minimallohns. Der Vorinstanz kann somit keine Verletzung von Bundesrecht vorgeworfen werden, wenn sie den Günstigkeitsvergleich über den Gruppenvergleich durchführt. Die Berufung ist somit abzuweisen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern zu bestätigen.
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