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58. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 24. April 1990 i.S. Schmid AG Gattikon gegen WSI Wollspinnerei Interlaken AG und Kammgarnspinnerei Interlaken AG in Konkurs (Berufung) | |
Regeste |
Art. 718 Abs. 1 OR. Vertretungsmacht des Verwaltungsrates einer überschuldeten Aktiengesellschaft. | |
Sachverhalt | |
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Die Pent Holding Ltd. focht in der Folge ihren Vertrag vom 14. April 1983 mit der Schmid AG Gattikon beim Handelsgericht Zürich wegen Grundlagenirrtums an. Die Schmid AG Gattikon ihrerseits machte am 11. Juli 1983 beim Bezirksgericht Imboden eine Klage gegen die EMS-Chemie Holding AG auf Herausgabe der Titel für die von ihr gekauften Aktien anhängig.
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Nachdem die Kontrollstelle der Kammgarnspinnerei Interlaken AG am 30. Juni 1983 den Fortbestand der Unternehmung als in höchstem Masse gefährdet bezeichnet und auf die Vorschriften von Art. 725 Abs. 2 und 3 OR aufmerksam gemacht hatte, wurde im August 1983 eine Zwischenbilanz zu Veräusserungswerten erstellt, welche eine Unterbilanz von fast 5 Mio. Franken ergab. Angesichts dieser finanziellen Lage betrachtete man seitens der Kammgarnspinnerei Interlaken AG die Bilanzdeponierung als unausweichlich. An seiner Sitzung vom 13.-15. August 1983 beschloss der Verwaltungsrat, sämtliche Aktiven des Unternehmens sowie einen Teil der Passiven auf eine inzwischen vom Rechtsanwalt der EMS-Chemie Holding AG unter der Firma Inkami AG gegründete Auffanggesellschaft zu übertragen und die Kammgarnspinnerei Interlaken AG mit den restlichen, weiterhin von COOP und der EMS-Chemie Holding AG verbürgten Passiven in Konkurs gehen zu lassen. Mit der Inkami AG wurde zu diesem Zweck ein Übernahmevertrag und ein öffentlich beurkundeter Liegenschaftskaufvertrag ![]() | 3 |
Am 24. August 1983 wurde über die Kammgarnspinnerei Interlaken AG der Konkurs eröffnet. Die Inkami AG, die an die Gebrüder Steger veräussert wurde, änderte am 4. Oktober 1983 ihre Firma in WSI Wollspinnerei Interlaken AG.
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B.- Am 5. Dezember 1983 erhob die Schmid AG Gattikon beim Appellationshof des Kantons Bern Klage gegen die WSI Wollspinnerei Interlaken AG und die Kammgarnspinnerei Interlaken AG in Konkurs. Sie verlangte unter anderem, es seien sämtliche Beschlüsse der ausserordentlichen Generalversammlung der Kammgarnspinnerei Interlaken AG vom 17. August 1983 sowie der Übernahmevertrag und der Liegenschaftskaufvertrag zwischen der Kammgarnspinnerei Interlaken AG und der Inkami AG nichtig zu erklären.
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Mit Urteil vom 22. Juni 1989 stellte der Appellationshof fest, die Beschlüsse der ausserordentlichen Generalversammlung der Kammgarnspinnerei Interlaken AG vom 17. August 1983 seien nichtig; das Begehren auf Nichtigerklärung des Übernahmevertrages und des Liegenschaftskaufvertrages zwischen der Kammgarnspinnerei Interlaken AG und der Inkami AG hingegen wies er ab.
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C.- Das Bundesgericht weist die von der Klägerin eingereichte Berufung ab, soweit es darauf eintritt.
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Aus den Erwägungen: | |
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Besondere Umstände können jedoch eine andere Betrachtungsweise rechtfertigen. Die Beschränkung der Vertretungsmacht auf Rechtshandlungen, die der Verfolgung des Gesellschaftszwecks dienen können, kann dann nicht mehr massgebend sein, wenn dieser zufolge Konkursreife der Gesellschaft ohnehin nicht mehr zu erreichen ist. Diesfalls muss es zulässig sein, die Vertretungsmacht an anderen Kriterien zu orientieren, insbesondere an den Interessen der Beschäftigten und der übrigen Gläubiger sowie am Allgemeinwohl (vgl. THALMANN, Die Treuepflicht der Verwaltung der Aktiengesellschaft, Diss. Bern 1975, S. 31 ff.). Ist die Aufgabe des ursprünglichen Unternehmenszwecks zufolge Überschuldung der Gesellschaft unausweichlich, so haben deren Organe das Recht und - zumindest moralisch - auch die Pflicht, in anderer Hinsicht drohenden Schaden soweit möglich zu verhindern oder zu begrenzen; es gilt, für die Betroffenen zu retten, was noch zu retten ist. Dazu können insbesondere auch geeignete Massnahmen zur Erhaltung des Betriebes dienen.
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Angesichts der kurzen gesetzlichen Einberufungsfrist (Art. 700 Abs. 1 OR) wird es im Regelfall allerdings auch hier möglich sein, die nötigen Beschlüsse durch eine Generalversammlung fassen zu lassen. Soweit das der Fall ist, ist - insbesondere bei Beschlüssen mit erheblicher Tragweite - dieser Weg zu wählen. Eine ![]() | 11 |
b) Der Appellationshof hat in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, die Kammgarnspinnerei Interlaken AG sei im August 1983 massiv überschuldet gewesen. An diese Feststellung, die die Klägerin in ihrer staatsrechtlichen Beschwerde erfolglos angefochten hat, ist das Bundesgericht im Berufungsverfahren gebunden (Art. 63 Abs. 2 OG). Ist somit davon auszugehen, dass die Gesellschaft im massgeblichen Zeitpunkt konkursreif war, so kann nach dem Gesagten für die Vertretungsmacht ihrer Organe der - ohnehin nicht mehr zu erreichende - Gesellschaftszweck nicht mehr das entscheidende Kriterium sein. Aus den Feststellungen im angefochtenen Urteil geht überdies hervor, dass die Höhe der Überschuldung ein weiteres Zuwarten nicht mehr zuliess, zumal die Gebrüder Steger, die bereit waren, den Betrieb fortzuführen, ihr Übernahmeinteresse bis Ende August 1983 limitiert hatten; an einer solchen Fortführung aber bestand auf seiten der Arbeitnehmerschaft und der Öffentlichkeit unbestrittenermassen ein gewichtiges Interesse. Gleichzeitig war die Zuständigkeit an der Hälfte der Aktien und damit die entsprechende Stimmberechtigung streitig und Gegenstand einer gerichtlichen Auseinandersetzung; bei Stimmberechtigung der Klägerin wären sich zudem zwei Inhaber von je 50% der Aktien gegenübergestanden, so dass angesichts dieser Pattsituation das Zustandekommen eines Mehrheitsbeschlusses an einer Generalversammlung ohnehin nicht hätte erwartet werden können. Unter diesen Umständen erscheint es durchaus sachgerecht, dass der Appellationshof dem Verwaltungsrat den gebotenen Handlungsspielraum zugestanden hat. Die Rüge einer Verletzung von Bundesrecht ist unbegründet.
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c) Daran vermögen auch Art. 725 Abs. 2-4 OR nichts zu ändern; die Berufung der Klägerin auf diese Vorschriften geht fehl. Die dort vorgesehene Pflicht des Verwaltungsrates, bei Überschuldung der Gesellschaft den Richter zu benachrichtigen, dient dem Schutz der Interessen der Gläubiger (BÜRGI, a.a.O., N. 2 zu Art. 725 OR); kommt der Verwaltungsrat seiner Anzeigepflicht nicht oder nur verspätet nach, haftet er deshalb den Gläubigern für allfälligen dadurch verursachten Schaden (Art. 754 Abs. 1 OR; ![]() | 13 |
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