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6. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 19. März 1991 i.S. H. gegen H. und Mitbeteiligte (Berufung) | |
Regeste |
Art. 404 Abs. 3, Art. 422 und Art. 410 ZGB. |
2. Die Zustimmung der vormundschaftlichen Behörden bedarf nicht der gleichen Form wie der Veräusserungsvertrag (E. 4b). |
3. Die Bestimmungen über die Genehmigung eines vom urteilsfähigen Entmündigten abgeschlossenen Rechtsgeschäfts durch den gesetzlichen Vertreter gelten analog für die Genehmigung eines Geschäfts durch die vormundschaftlichen Behörden (E. 4c und 5). |
4. Ein Vorgehen nach Art. 410 Abs. 2 ZGB ist nicht mehr möglich und der Vertrag ist endgültig zustandegekommen, wenn mit einer Nichtgenehmigung durch die Aufsichtsbehörde nicht mehr zu rechnen ist (E. 7). | |
Sachverhalt | |
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B.- Nachdem das Baukonsortium das Grundstück weiterverkauft hatte, äusserte Rosmarie H. am 29. April 1985 gegenüber Walter H., über den wahren Wert der Liegenschaft getäuscht worden zu sein, und forderte für die Verkäufer insgesamt zusätzliche Fr. 171'000.--.
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Mit "Teilungsvertrag" vom 14./17. August 1987 trat Elisabeth H., vertreten durch ihre Vormündin, ihren Anteil an der "Forderung, die der Erbengemeinschaft im Zusammenhang mit dem Verkauf der Liegenschaft (...) gegenüber den Herren Walter H., X. und Y. zusteht", an Rosmarie H. ab. Dieser Vertrag wurde am 17. August 1987 von der Vormundschaftsbehörde genehmigt.
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Rosmarie H. klagte darauf beim Bezirksgericht W. gegen die Mitglieder des Baukonsortiums. Das Gericht wies die Klage mit Urteil vom 16. August 1989 ab. Auf Berufung von Rosmarie H. bestätigte das Obergericht des Kantons Thurgau den 31. Mai 1990 dieses Urteil.
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D.- Rosmarie H. gelangt mit Berufung ans Bundesgericht. Sie verlangt wie schon vor den kantonalen Instanzen die Feststellung der Ungültigkeit des Kaufvertrages vom 29. Oktober 1981 und die Bezahlung von Fr. 180'000.-- nebst Zins an die Erben; allenfalls sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Walter H., X. und Y. sowie das Obergericht des Kantons Thurgau beantragen die Abweisung der Berufung.
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Aus den Erwägungen: | |
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a) Die Vorinstanz hat mit Recht angenommen, dass es sich bei der Veräusserung um ein Rechtsgeschäft gehandelt hat, das Art. 404 Abs. 3 ZGB untersteht. Diese Bestimmung ist auch auf Grundstücke anwendbar, die dem Mündel nicht allein, sondern in Gemeinschaft mit weiteren Personen gehören, selbst wenn der Anteil des Mündels verhältnismässig klein ist. Auch gilt Art. 404 ZGB nicht bloss bei Beginn der Vormundschaft, sondern während ihrer ganzen Dauer (BGE 74 II 78, E. 3). Insofern ist die Aufzählung der genehmigungsbedürftigen Geschäfte in Art. 422 ZGB ![]() | 9 |
Entgegen der in der Berufungsantwort vertretenen Auffassung handelte es sich bei dem Grundstücksgeschäft nicht um einen Erbteilungs-, sondern um einen Kaufvertrag. Die Erbteilung ist ein Vertrag unter den Erben, mit dem der Nachlass unter ihnen aufgeteilt wird und allfällige Ausgleichszahlungen festgelegt werden. Am fraglichen Geschäft waren aber auf Erwerberseite neben einem Miterben noch zwei weitere, nicht zur Erbengemeinschaft gehörende Personen beteiligt. Deshalb ist auch der Hinweis auf den Aufsatz von B. SCHNEIDER unbehelflich. Dieser Autor führt nur aus, dass Art. 404 Abs. 3 ZGB nicht anwendbar sei, wenn im Rahmen der Erbteilung ein Grundstück einem Miterben zugewiesen werde (BENNO SCHNEIDER, Die Mitwirkung der vormundschaftlichen Aufsichtsbehörde bei Veräusserungen von Grundstücken, an denen Bevormundete, Verbeiständete oder Verbeiratete eigentumsmässig beteiligt sind, ZVW 1975, S. 84). Es ist somit davon auszugehen, dass der zu beurteilende Vertrag der Genehmigung durch die vormundschaftlichen Aufsichtsbehörde nach Art. 404 ZGB bedurft hätte.
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b) Entgegen der Ansicht der Klägerin bedürfen die Genehmigungen der Vormundschaftsbehörde und der vormundschaftlichen Aufsichtsbehörde aber nicht der gleichen Form wie der Grundstückskaufvertrag (BGE 75 II 341ff.; bestätigt in BGE 98 II 287; A. BUCHER, Natürliche Personen und Persönlichkeitsschutz, Basel 1986, S. 49, Rz. 131; DESCHENAUX/STEINAUER, Personnes physiques et tutelle, 2. Aufl., Bern 1986, S. 66, Rz. 248a; die von SCHMIDLIN, Berner Kommentar, N 15 zu Art. 13 OR, geübte Kritik bezieht sich nur auf die Genehmigung des inzwischen handlungsfähig Gewordenen, nicht auch auf die Form der Zustimmung der Aufsichtsbehörde). Ein Formmangel ist vorliegend somit nicht gegeben.
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c) Dem Vormund gebricht es beim freihändigen Verkauf auch nicht an der nötigen Vertretungsmacht. Er ist berechtigt, das Geschäft im Namen des Mündels vorzunehmen. Das Geschäft ist nur für das Mündel solange unverbindlich, als die Genehmigung der Aufsichtsbehörde aussteht. Der vorliegende Fall unterscheidet sich insofern wesentlich von dem in BGE 107 II 108 ff. beurteilten, als dort der Vormund keinerlei Vertretungsmacht für das Mündel hatte und deshalb gar kein Vertrag zustande gekommen war. Hier war der Vormund demgegenüber vertretungsberechtigt, so dass ![]() | 12 |
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Aus dem angefochtenen Entscheid ergeben sich keinerlei Hinweise darauf, dass die Aufsichtsbehörde über die Genehmigung oder Nicht-Genehmigung des Verkaufs entschieden hätte. Etwas Entsprechendes wird auch in der Berufung nicht behauptet. Es muss somit davon ausgegangen werden, dass dies nicht geschah. Weder die Klägerin noch die Käufer der Liegenschaft haben eine Frist im Sinne von Art. 410 ZGB angesetzt oder der Aufsichtsbehörde die Genehmigung oder Nicht-Genehmigung beantragt. Das Rechtsgeschäft ist somit für die Klägerin noch immer verbindlich. Der Kaufvertrag ist von daher - zumindest zur Zeit - nicht ungültig.
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b) Die dargestellten Grundsätze über die bloss einseitige Verbindlichkeit gelten allerdings uneingeschränkt nur, wenn der Vertragspartner die Handlungsunfähigkeit des Geschäftspartners bzw. die Zustimmungsbedürftigkeit des Rechtsgeschäfts gekannt hat. Niemand muss sich auf einen Vertrag einlassen, der für ihn verbindlich ist, den die Gegenseite aber nicht einzuhalten braucht. Erfährt der Geschäftspartner erst nachträglich, dass das ![]() | 15 |
Vorliegend scheint den Parteien erst nachträglich bewusst geworden zu sein, dass das Geschäft der Genehmigung der vormundschaftlichen Aufsichtsbehörde bedarf. Das liegt allerdings nicht daran, dass sie sich über die Handlungsunfähigkeit der einen Partei nicht im Klaren waren, sondern dass sie sich über die anwendbaren Normen geirrt haben. Diesfalls rechtfertigt es sich aber, die Vertragspartner der handlungsunfähigen Partei als gebunden zu betrachten. Der Schwebezustand ist ihnen zuzumuten, da sie es sich letztlich selber zuzuschreiben haben, dass die Genehmigung nicht sofort erfolgte. Dies umso mehr, als das Geschäft von allen Parteien erfüllt wurde und kein Interesse am sofortigen Entscheid über seine Gültigkeit zu erkennen ist.
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Von daher kann somit zur Zeit keine Ungültigkeit des Rechtsgeschäfts angenommen werden. Es ist höchstens einseitig unverbindlich.
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Schon vom Wortlaut her bezieht sich dieser Vertrag nur auf die Forderung, die besteht, falls der Kaufvertrag unverbindlich ist. Dazu gehört grundsätzlich nicht die sich daraus ergebende Kaufpreisforderung, die allerdings durch Erfüllung untergegangen ist. Ebenfalls nicht dazu gehören auch das Rechtsverhältnis als solches und die sich daraus ergebende Verpflichtung des Mündels. Abgetreten wurde nach dem diesbezüglich klaren Wortlaut der Vereinbarung eine "Forderung", nicht das ganze Rechtsverhältnis. Der Vereinbarung aber über ihren Wortlaut hinaus eine weiterreichende Bedeutung beizumessen, besteht kein Anlass. Dies um so weniger, als aus Ziffer 3 der Vereinbarung ersichtlich ist, dass es den ![]() | 19 |
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a) Das Fehlen der Handlungsfähigkeit führt dazu, dass das Rechtsgeschäft nichtig ist, soweit keine Heilung dieses Mangels eintritt. Einer besonderen Anfechtung bedarf es nicht. Grundsätzlich können sich alle Beteiligten auf diese Nichtigkeit berufen (E. BUCHER, N. 151 ff. zu Art. 17/18 ZGB). Wie E. BUCHER zu Recht ausführt, schiesst diese Rechtsfolge über den Schutzzweck hinaus (N. 126 ff. und N. 153 zu Art. 17/18 ZGB). Die Handlungsunfähigkeit des einen Vertragspartners erlaubt es auch dem andern, den Vertrag zu Fall zu bringen, wenn dieser ihm nicht mehr passt. Hier kann sich der mit den Regeln über die Handlungsfähigkeit bezweckte Schutz des Entmündigten oder Unmündigen in sein Gegenteil verkehren. Um so wichtiger ist es, das missbräuchliche Geltendmachen dieser Ungültigkeit auszuschliessen.
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Die Möglichkeit des Geschäftspartners des Handlungsunfähigen, sich auf die Ungültigkeit des Rechtsgeschäfts zu berufen, rechtfertigt sich damit, dass es ihm nicht zuzumuten ist, unbefristet an ein Geschäft gebunden zu sein, das die Gegenpartei jederzeit zu Fall bringen kann. Die Einseitigkeit der Bindung kann nicht unbeschränkt erhalten bleiben. Von daher ist es richtig, die Berufung auf die Ungültigkeit dann als rechtsmissbräuchlich auszuschliessen, wenn gar keine Unsicherheit über die Gültigkeit des Rechtsgeschäfts mehr besteht. Diese Voraussetzung ist gegeben, wenn aufgrund der Interessenlage des Urteilsunfähigen mit einer Nichtgenehmigung nicht mehr zu rechnen ist (vgl. E. BUCHER, N. 172 zu Art. 17/18 ZGB).
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b) Vorliegend gilt es zu beachten, dass die Vormündin mit Zustimmung der Vormundschaftsbehörde namens ihres Mündels im "Teilungsvertrag" vom 14./17. August 1987 dessen Anteil an ![]() | 23 |
8. a) Der Grundstückskaufvertrag ist somit entgegen der Ansicht der Klägerin nicht nichtig. Die Nichtigkeit kann auch nicht mehr eintreten, da die Interessen des Mündels - wegen der Forderungsabtretung an die Klägerin - eine nachträgliche Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde als überflüssig erscheinen lassen und der Vertrag von allen Seiten erfüllt wurde. Die Vorinstanz hat die Klage zu Recht abgewiesen.
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