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19. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 21. Januar 1991 i.S. Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement gegen X. & Z. AG (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Handelsregister. Eintragung einer Zweigniederlassung. |
2. Umstände, aus denen zu schliessen ist, dass der dem Hauptsitz unterstellte Zweigbetrieb die für eine Zweigniederlassung erforderliche Selbständigkeit besitzt; massgebend ist die Autonomie nach aussen (E. 4a). |
3. Die Leitung muss bevollmächtigt sein, die laufenden Geschäfte ohne Genehmigung oder Gegenzeichnung durch eine Stelle ausserhalb der Niederlassung abzuschliessen. Die Eigenständigkeit fehlt, wo die Hauptleitung bloss ihren Wirkungsbereich auf eine von der Hauptniederlassung getrennte Geschäftsstelle ausweitet (E. 4b). |
4. Da keiner der beiden Verwaltungsräte seine Tätigkeit schwergewichtig auf die Leitung des Zweigbetriebes verlegt hat, genügt die Kollektivunterschrift für die Annahme der erforderlichen Selbständigkeit nicht (E. 4c). | |
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Am 9. Juli 1990 wies der Handelsregisterführer von Thun die Anmeldung mit der Begründung ab, der Begriff der Zweigniederlassung ![]() | 2 |
Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, den Beschwerdeentscheid der Justizdirektion aufzuheben und die Verfügung des Handelsregisterführers zu bestätigen. Die X. & Z. AG sowie die Justizdirektion des Kantons Bern schliessen auf Abweisung der Beschwerde, der Handelsregisterführer von Thun auf deren Gutheissung. Das Bundesgericht heisst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gut und bestätigt die Verfügung des Handelsregisteramtes Thun vom 9. Juli 1990.
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Im vorliegenden Fall allein streitig ist das Kriterium der Selbständigkeit der Zweigniederlassung aufgrund deren Leitungsstruktur.
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4. a) Die Selbständigkeit, die die Zweigniederlassung kennzeichnet, besteht nur in dem Masse, als der Zweigbetrieb ohne wesentliche Änderungen selbständig geführt werden könnte; ob diese Bedingung erfüllt ist, muss von Fall zu Fall unter Berücksichtigung des Aussenverhältnisses bestimmt werden. Es ist deshalb nicht wesentlich, ob die Zweigniederlassung an die Instruktionen des Hauptsitzes oder eines anderen Zweigbetriebes gebunden ist, ob dieser ihre Tätigkeit überwacht, ihr Budget genehmigt, ihre Buchhaltung führt, sich ihre Einnahmenüberschüsse überweisen lässt oder gewisse wichtige Geschäfte selber abwickelt. Für die Unabhängigkeit der Zweigniederlassung ist vielmehr bedeutsam, ob sie über eine eigene Büroorganisation mit einem ![]() | 6 |
b) Die rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht der zur Eintragung angemeldeten Zweigniederlassung der Beschwerdegegnerin steht entweder den beiden einzigen Verwaltungsräten der Hauptunternehmung gemeinsam oder einem von ihnen zusammen mit dem örtlichen Zweigstellenleiter zu. Es stellt sich die Frage, ob damit eine hinreichende Autonomie im Aussenverhältnis gegeben ist.
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Die Eigenständigkeit nach aussen manifestiert sich unter anderem in einem unmittelbaren Marktzugang. Der Zweigbetrieb tritt selbständig auf dem Produktions-, Handels- oder Dienstleistungsmarkt auf. Für den Begriff der Zweigniederlassung ist dabei erforderlich, dass dieser Marktzugang rechtsgeschäftlich erfolgt, indem Mitarbeiter des Zweigbetriebs in dieser Eigenschaft Rechtsgeschäfte für das Hauptunternehmen abschliessen (GAUCH, Der Zweigbetrieb im schweizerischen Zivilrecht, S. 22 Rz. 118/9 und S. 145/6 Rz. 738/9). Dies setzt voraus, dass mindestens ein Mitarbeiter der Zweigniederlassung zum Abschluss von Rechtsgeschäften bevollmächtigt ist (BGE 68 I 113). Die Leitung muss den Zweigbetrieb im wesentlichen nach dem Ergebnis eigener Willensbildung führen können (GAUCH, a.a.O., S. 150 Rz. 770) und bevollmächtigt sein, die laufenden Geschäfte selbständig, d.h. ohne Genehmigung oder Gegenzeichnung durch eine geschäftliche Stelle ausserhalb der Niederlassung abzuschliessen (GAUCH, a.a.O., S. 151 Rz. 774; SIEGWART, N 26 zu Art. 642 OR; VON STEIGER, N 2 zu Art. 782 OR). Als Mitarbeiter und Leiter einer ![]() | 8 |
c) Die Leitungsstruktur der angemeldeten Zweigniederlassung der Beschwerdegegnerin genügt diesem Begriff der Eigenständigkeit nicht. Der organisatorische Leiter des Zweigbetriebs vermag nur mit Gegenzeichnung durch ein Mitglied der Verwaltung rechtsgeschäftlich zu handeln, ohne dass eine Kompetenzaufteilung innerhalb der Verwaltung vorgenommen worden wäre. Dass einer der beiden Verwaltungsräte seine Tätigkeit schwergewichtig auf die Leitung des Zweigbetriebs Thun verlegt hätte, ist weder erstellt noch geltend gemacht. Die Willensbildung im Zweigbetrieb ist damit keine unabhängige und der selbständige Marktzugang der Niederlassung im Rechtsverkehr nicht gewährleistet.
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Das EJPD hat klar die Absicht bekundet, dieser Praxis auch weiterhin zum Durchbruch zu verhelfen. Die Beschwerdegegnerin vermag daher zu ihren Gunsten auch nichts aus dem Umstand abzuleiten, dass ihr Zweigbetrieb in Biel mit gleichgestalteter Leitungsstruktur als Zweigniederlassung in das Handelsregister eingetragen wurde (BGE 113 Ib 313 E. 3, BGE 112 Ib 387).
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