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29. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 25. April 1991 i.S. O. gegen Regierungsrat des Kantons Schwyz (Berufung) | |
Regeste |
Anhörung im Entmündigungsverfahren. |
Keine Heilung von Mängeln des erstinstanzlichen Verfahrens, wenn die Anhörung vor zweiter Instanz nicht durch ein Mitglied der entscheidenden Behörde geschieht (E. 5). | |
Sachverhalt | |
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Mit seiner Berufung vom 28. August 1990 verlangt O. die Aufhebung des Beschlusses des Regierungsrates.
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Das Bundesgericht heisst die Berufung gut.
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a) Zur Begründung seines Standpunktes verweist der Berufungskläger auf die im Zusammenhang mit der gerichtlichen Beurteilung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung (Art. 397f ZGB) ergangene jüngste Rechtsprechung (BGE 115 II 129 ff.). In Änderung der bis dahin geübten Praxis (BGE 110 II 124 E. 4) hat das Bundesgericht im angeführten Entscheid festgehalten, dass die in Art. 397f Abs. 3 ZGB vorgeschriebene mündliche Einvernahme in erster Instanz die Anhörung durch das gesamte erkennende Gericht verlange. Diese Rechtsprechung ist der Vorinstanz nicht entgangen; sie hat indessen dafürgehalten, dass sie sich ausschliesslich auf das Verfahren im Sinne von Art. 397f ZGB beziehe und nicht auf das Anhörungsrecht gemäss Art. 374 ZGB übertragen werden dürfe.
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b) Tatsächlich hat das Bundesgericht für das Entmündigungsverfahren bereits ausdrücklich festgehalten, das Zivilgesetzbuch ![]() | 7 |
c) Wie und durch wen der zu Entmündigende angehört werden soll, wird im Schrifttum zu Art. 374 ZGB nur am Rande behandelt. Der Kommentator KAUFMANN wollte die Beantwortung dieser Frage dem kantonalen Recht anheimstellen (Berner Kommentar, 2. A. 1924, N 2 zu Art. 374 ZGB), hat indessen zugleich festgehalten, dass die Anhörung durch die erkennende Behörde stattfinden soll und in der Regel nicht an Dritte delegiert werden dürfe (a.a.O., N 9 und 9a zu Art. 374 ZGB). Einleitend hiezu hat dieser Autor ausgeführt, dass die Anhörung in der unmittelbaren Wahrnehmung dessen bestehe, was der Interdizend über die ihm als Entmündigungsgründe zur Last gelegten Umstände vorbringe (a.a.O., N 6 zu Art. 374 ZGB); sie soll der Behörde dazu dienen, sich mittels Augenscheins über die persönlichen Eigenschaften, die geistigen Fähigkeiten und die Reife des Interdizenden ein Urteil zu bilden (a.a.O., N 7 zu Art. 374 ZGB). Der Kommentator EGGER geht seinerseits - unter Hinweis auf einzelne kantonale Ordnungen - davon aus, dass die Einvernahme durch ein einzelnes Mitglied der Behörde geschehe, wenn sie nicht ohnehin schon Aufgabe eines Einzelbeamten sei (Zürcher Kommentar, 2. A. 1948, N 15 zu Art. 374 ZGB). SCHNYDER/MURER verlangen in ihrem Kommentarwerk dem Grundsatz nach die Einvernahme durch ein Mitglied der entscheidenden Behörde. Bezugnehmend auf die ergangene Rechtsprechung wollen sie der Behörde die Möglichkeit einräumen, zwar nicht einen ausserhalb der Verwaltung stehenden Dritten, aber doch einen von ihr beauftragten Beamten mit der Anhörung zu betrauen, wobei die Anhörung protokolliert und der ![]() | 8 |
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a) Was zunächst die Schwere der in Frage stehenden Eingriffe anbelangt, ergeben sich daraus keine endgültigen Schlüsse. So ist von verschiedenen Autoren zu Recht erkannt worden, dass sich die nicht amtsgebundene Möglichkeit der fürsorgerischen Freiheitsentziehung nur schwer oder überhaupt nicht in die nach Massgabe der Eingriffsintensität dargestellte Stufenfolge vormundschaftlicher Massnahmen einordnen lasse (BORGHI/GROSS, ZVW 42/1987, S. 106 Ziff. 9; THOMAS GEISER, in: Patient/Patientenrecht, Bern 1984, S. 177 ff., insb. S. 182 lit. c; allgemein: SCHNYDER/MURER, a.a.O., N 32 ff. zu Art. 367 ZGB sowie SCHNYDER, ZVW 26/1971, S. 41 ff. oder ZBJV 105/1969, S. 268 ff.). Der mit der Freiheitsentziehung bewirkte Eingriff in die Persönlichkeit des Betroffenen mag sich zwar insofern als schwerwiegender erweisen, als damit wesensgemäss unmittelbarer physischer Zwang einhergeht und die Bewegungsfreiheit weitgehend aufgehoben wird. Auf der anderen Seite beschlägt die Entmündigung mit dem Entzug der Handlungsfähigkeit ebenfalls einen Kernbereich der persönlichen Freiheit, wobei sie sich regelmässig als die dauerhaftere und wenigstens insofern einschneidendere Massnahme erweisen dürfte.
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b) Aufgrund der Tatsache, dass das geltende Recht der fürsorgerischen Freiheitsentziehung unter dem unmittelbaren Einfluss der EMRK entstanden ist, hat das Bundesgericht bei der Auslegung von Art. 397f ZGB die Tragweite der einschlägigen Garantien geprüft. Die dabei gewonnene Erkenntnis bleibt im Ergebnis auch für die Anwendung von Art. 374 ZGB bedeutsam, zumal die bislang gebilligte Praxis (BGE 109 II 297; ZVW 19/1964, S. 27) im Lichte von EMRK und Art. 4 BV nicht zu beanstanden ist (BGE 115 II 132 f. E. 6).
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In welcher Form die gewährleistete Anhörung zu erfolgen hat, wird von Art. 4 BV nicht geregelt. Aus der Bundesverfassung ![]() | 12 |
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b) Der Beurteilung der Persönlichkeit des Interdizenden kommt bei der Anordnung vormundschaftlicher Massnahmen ganz entscheidende Bedeutung zu. Wie bei der gerichtlichen Überprüfung fürsorgerischer Freiheitsentziehungen verlangt diese Beurteilung nach unmittelbarer Wahrnehmung (KAUFMANN, a.a.O., N 7 zu Art. 374 ZGB), wie sie durch den delegierten Richter oder Beamten nicht vermittelt werden kann. So gesehen, erwiese es sich als folgerichtig, die umfassende Unmittelbarkeit - wie in BGE 115 II 134 f. erkannt - auf das Entmündigungsverfahren gleichermassen anzuwenden. Ausgehend von einer geltungszeitlichen und isolierten Betrachtung von Art. 374 ZGB könnte eine solche Gleichstellung an sich begründet werden. Dem Gedanken der unmittelbaren Wahrnehmung muss von Bundesrechts wegen jedenfalls grosses Gewicht beigemessen werden, weshalb die Anhörung des Interdizenden durch einen einzelnen Beamten vor Art. 374 ZGB in der Regel dann nicht standhält, wenn diesem in der gleichen Sache nicht zugleich eine Entscheidungsbefugnis zusteht. Soweit das Bundesgericht in einem - soweit ersichtlich - vereinzelt gebliebenen Fall gegenteilig entschieden hat (ZVW 19/1964, S. 27), kann daran nicht festgehalten werden. Ob sich mit der geltenden ![]() | 15 |
c) Die Auslegung von Art. 374 ZGB hängt wie diejenige von Art. 397f Abs. 3 ZGB letztlich ebenfalls davon ab, inwieweit zur Verwirklichung des Bundeszivilrechts in die kantonale Rechtssetzungshoheit im Bereich des Verfahrensrechts eingegriffen werden darf (BGE 115 II 131 E. 5a; BGE 112 II 482 E. 4). Mit Bezug auf die bundesrechtliche Ausgangslage lässt freilich ein Vergleich der Art. 373 f. ZGB mit dem weit jüngeren Recht der fürsorgerischen Freiheitsentziehung wesentliche Unterschiede erkennen. Angesichts der Bedeutung, die das Bundesgericht dem Begriff der Anhörung im Sinne von Art. 374 ZGB zuerkannt hat (BGE 113 II 229 f.), ist dabei weniger an den ungleichen Wortlaut der fraglichen Bestimmungen oder an die im Gesetz angelegten Unterschiede im Verfahrensablauf (vgl. Art. 374 ZGB, 397a und 397d ZGB) zu denken. Entscheidend muss vielmehr der Umstand sein, dass die im Bestreben um wirksamen und zeitgemässen Rechtsschutz ergangene Regelung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung nicht nur die Möglichkeit einer richterlichen Beurteilung ausdrücklich vorschreibt (Art. 397d ZGB), sondern auch zum Verfahren selbst verschiedene Vorschriften enthält (Art. 397e und 397f ZGB). In Entmündigungssachen hingegen steht es den Kantonen zumindest aus der Sicht von Art. 373 ZGB und Art. 54 Abs. 2 SchlT ZGB noch immer frei, ob sie richterliche oder administrative Behörden damit betrauen wollen (BGE 85 II 282 f.), während das Gesetz zur inhaltlichen Ausgestaltung des Verfahrens nebst dem vom Bundesgericht bereits früh konkretisierten Art. 374 ZGB keine weiteren Bestimmungen enthält (BGE 40 II 182 ff. (Kreisschreiben des Bundesgerichts vom 18. Mai 1914); BGE 96 II 16 E. 3; SCHNYDER/MURER, a.a.O., N 36 ff. zu Art. 374 ZGB). Dies hat dazu geführt, dass die Kantone ihre Verfahrensordnungen sehr unterschiedlich ausgestaltet haben und einige von ihnen - wie der Kanton Schwyz - seit jeher ausschliesslich administrative Behörden über Entmündigungen befinden lassen (SCHNYDER/MURER, a.a.O., N 62 ff. zu Art. 373 ZGB; EGGER, a.a.O., N 15 ff. zu Art. 373 ZGB sowie KAUFMANN, a.a.O., S. 100 ff.). Die Ausdehnung des Anhörungsrechts im fraglichen Sinne würde namentlich gegenüber diesen Kantonen tiefgreifendere Folgen zeitigen, als dies im Bereich der fürsorgerischen Freiheitsentziehung der Fall gewesen ist, wo das Bundesgericht eine vergleichsweise junge, bereits mit weitgehenden ![]() | 16 |
d) Aus den dargelegten Gründen fällt somit vorliegend die analoge Anwendung der in BGE 115 II 129 ff. entwickelten Rechtsprechung ausser Betracht: Soweit die Anhörung vor der gesamten entscheidenden Behörde in Frage steht, schreibt das geltende Bundesrecht den Kantonen dergleichen im Bereich des Entmündigungsverfahrens nicht vor. Daran ändern auch die Bedenken nichts, die gegenüber einzelnen kantonalen Ordnungen aus der von Art. 6 Ziff. 1 EMRK verlangten richterlichen Beurteilung erwachsen. In dieser Hinsicht werden sich allerdings Änderungen der kantonalen Verfahrens- und Zuständigkeitsordnungen über kurz oder lang - spätestens im Rahmen der Revision des Vormundschaftsrechts - als unumgänglich erweisen.
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a) So steht gemäss den Feststellungen im angefochtenen Entscheid verbindlich fest, dass der Berufungskläger im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens vom Präsidenten der Vormundschaftsbehörde und vom Amtsvormund am 10. August 1989 in der Psychiatrischen Klinik Rheinau angehört worden ist. In der Folge hat die Vormundschaftsbehörde nicht nur ohne unmittelbare Wahrnehmung der Person, sondern namentlich ohne jede Kenntnis des über die Befragung in Form einer Aktennotiz erstellten Protokolls - offenbar lediglich gestützt auf die Empfehlungen ihres Präsidenten - die Entmündigung des Berufungsklägers ![]() | 19 |
b) Nur am Rande sei erwähnt, dass die Anhörung im vorinstanzlichen Verfahren auch in inhaltlicher Hinsicht zu wünschen übriglässt. Ohne der materiellen Beurteilung im Lichte von Art. 369 ZGB vorgreifen zu wollen, scheint die als wesentlich erachtete Schutzbedürftigkeit des Berufungsklägers überhaupt auf unzulänglichen Abklärungen zu beruhen. Es fällt jedenfalls auf, dass wohl die Belange der Vermögensverwaltung zur Sprache gekommen sind, jedoch auf die letztlich ausschlaggebende persönliche Fürsorge- und Schutzbedürftigkeit mit keinem Wort eingegangen worden ist. Bloss die Ausführungen des behandelnden Arztes weisen in diese Richtung, während das Gutachten ebenfalls ganz eindeutig auf den finanziellen Schwierigkeiten aufbaut und die "Tendenz zur Verwahrlosung" nur beiläufig erwähnt. Durch diese Meinungsäusserungen der beigezogenen Ärzte wird die Behörde nicht von ihrer gesetzlichen Verpflichtung entbunden, dem Interdizenden im Rahmen seiner Anhörung sämtliche Einzeltatsachen bekanntzugeben, auf die sie ihren Entscheid zu stützen gedenkt (BGE 113 II 229 f.). Hat demnach die Vorinstanz der ihr obliegenden Informationspflicht mit Bezug auf die Entmündigungsgründe und die dafür als wesentlich erachteten Tatsachen nicht genügt, rechtfertigt sich eine Wiederholung der Anhörung auch aus diesem Grunde.
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c) Die im kantonalen Verfahren erfolgte Anhörung des Berufungsklägers erweist sich somit sowohl in formeller als auch in inhaltlicher Hinsicht als bundesrechtswidrig. Der angefochtene Entscheid ist daher aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Der Regierungsrat wird den Berufungskläger durch mindestens eines seiner Mitglieder anzuhören oder - je ![]() | 21 |
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