BGE 117 II 166 | |||
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36. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 5. April 1991 i.S. X. gegen Bank Y. (Berufung) | |
Regeste |
Art. 974 ff. OR. Rechtsnatur des Sparheftes. |
- Folgerungen aus der Wertpapiereigenschaft eines Sparheftes für die Beurteilung von Auszahlungen, welche die Bank leistet, ohne sich das Heft vorlegen zu lassen (E. 3). | |
Sachverhalt | |
A.- Therese X. besass ein auf sie lautendes Namenssparheft bei der Bank Y. Ihrem Ehemann Ernst X. stand aufgrund einer Vollmacht vom 20. Oktober 1975, die im Sparheft vermerkt war, ebenfalls ein Verfügungsrecht über das Sparguthaben zu. Im Gefolge von Schwierigkeiten in der Ehe verliess Therese X. am 17. Dezember 1988 den gemeinsamen Haushalt, nachdem sie bereits vorher das Sparheft in Sicherheit gebracht hatte. Am 27. Dezember 1988 suchte Ernst X. die Filiale der Bank Y. in Langnau auf und verlangte die Auszahlung von Fr. 10'000.-- zulasten des Sparhefts. Der Betrag wurde ihm ausbezahlt, obwohl er das Sparheft nicht vorweisen konnte. Als Therese X., die vom Geldbezug ihres Mannes keine Kenntnis hatte, im Februar 1989 bei der Filiale der Bank Y. in Spiez vom Sparheft Geld abheben wollte, erhielt sie die Auskunft, dass es nichts mehr abzuheben gebe. Unter Hinweis auf die für das Sparheft geltenden Geschäftsbedingungen, wonach Auszahlungen nur gegen Vorweisung des Heftes geleistet werden, verlangte Therese X. in der Folge von der Bank Y., dass ihr die Fr. 10'000.-- wieder gutgeschrieben würden. Nach Rücksprache mit ihrem Rechtsdienst kam die Bank Y. dieser Aufforderung nach und verlangte hierauf von Ernst X. die Rückerstattung des ihm ausbezahlten Betrages. Dieser weigerte sich jedoch, die Fr. 10'000.-- zurückzuerstatten. Die Bank Y. erklärte daraufhin die Verrechnung und belastete dem Kreditkonto, das Ernst X. bei ihr unterhielt, für Kapital und Zinsen ihres Rückerstattungsanspruchs Fr. 10'444.15.
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B.- Mit Klage vom 5. April 1990 verlangte Ernst X. die Rückerstattung des seinem Kreditkonto belasteten Betrages nebst Zins. Das Handelsgericht des Kantons Bern wies die Klage am 17. August 1990 ab.
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C.- Das Bundesgericht weist die vom Kläger eingelegte Berufung ab und bestätigt das handelsgerichtliche Urteil.
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Aus den Erwägungen: | |
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a) Das Bundesgericht hat in einem Urteil aus dem Jahre 1941 Zweifel darüber geäussert, ob Sparhefte als Wertpapiere angesehen werden könnten. Es führte unter anderem aus, ein Sparheft sei lediglich ein Rechnungsbuch, in welchem fortlaufend die Einlagen und Rückzüge vorgemerkt würden, das aber nicht dazu bestimmt sei, wie ein Wertpapier als selbständiges Vermögensstück veräussert und verpfändet zu werden (BGE 67 II 32 f.; vgl. auch BGE 68 II 96 E. 2). Diese Auffassung ist in der Lehre auf Kritik gestossen (BOLLA, Repertorio di giurisprudenza 1943, S. 53; JÄGGI, Zürcher Kommentar, N. 290 f. zu Art. 965 OR; zustimmend dagegen BECKER, Berner Kommentar, 2. Auflage, N. 3 zu Art. 90 OR). In späteren Urteilen hat das Bundesgericht die Frage der Rechtsnatur des Sparhefts ausdrücklich offengelassen (BGE 89 II 95 E. 8; BGE 116 II 461 E. 1).
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Die neuere Literatur steht durchwegs auf dem Standpunkt, das Sparheft habe jedenfalls dann als Wertpapier zu gelten, wenn das Sparheftreglement verlange, dass der Kunde für Bezüge das Heft vorlege. Solche Präsentationsklauseln enthielten nach der Verkehrsauffassung nicht bloss eine Aufforderung an den Gläubiger, sondern darüber hinaus eine Zusicherung des Schuldners, nicht ohne Vorlegung des Sparhefts zu leisten, womit sie dieses zum Wertpapier machten (JÄGGI, a.a.O., N. 291 zu Art. 965; JÄGGI/DRUEY/VON GREYERZ, Wertpapierrecht, S. 79; GUHL/MERZ/KUMMER, Das Schweizerische Obligationenrecht, 7. Auflage 1980, S. 819; GLÜCKSMANN, Die Rechtsnatur der Sparhefte, S. 103 ff.; CHRIST, SPR VII/2, S. 274; GUGGENHEIM, Verträge der Bankpraxis, S. 91). Dem ist beizupflichten. Der Sparheftberechtigte darf aufgrund der Präsentationsklausel darauf vertrauen, dass die Bank ohne Vorweisung des Sparhefts keinerlei Auszahlungen zulasten des Sparguthabens vornimmt. Anders ist einzig zu entscheiden, wenn die Klausel, wonach Auszahlungen nur gegen Vorweisung des Sparhefts erfolgen, durch Zusätze wie "in der Regel" abgeschwächt wird oder wenn sich die Bank im Sparheftreglement ausdrücklich vorbehält, auch ohne Vorweisung des Heftes zu leisten (JÄGGI, Zürcher Kommentar, N. 291 zu Art. 965 OR; GLÜCKSMANN, a.a.O., S. 107; vgl. ferner CHRIST, a.a.O.).
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b) Das vorliegende Sparheft enthält eine unzweideutige, auf der ersten Umschlagsseite abgedruckte Präsentationsklausel, deren Tragweite durch keinerlei Zusätze oder Vorbehalte in Frage gestellt wird. Die Vorinstanz ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass es als Wertpapier zu betrachten ist.
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Die Ehefrau des Klägers hat das Sparheft nach den verbindlichen Feststellungen des Handelsgerichts, bereits bevor sie den gemeinsamen Haushalt verliess, "in Sicherheit gebracht". Daraus musste der Kläger schliessen, dass sie ihm die Verfügung über das Sparguthaben entziehen wollte. Im internen Verhältnis ist daher die Vollmacht durch konkludente Willenserklärung der Sparheftberechtigten widerrufen worden. Anders liegen die Dinge allerdings im externen Verhältnis zur Bank. Der Widerruf der Vollmacht ist der Beklagten unbestrittenermassen nicht mitgeteilt worden. Gemäss der Bestimmung von Art. 34 Abs. 3 OR - auf die sich der Kläger ausdrücklich beruft - konnte ihr deshalb das Erlöschen der Vollmacht grundsätzlich nicht entgegengehalten werden.
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Bei der Bezahlung von Wertpapierschulden ohne Vorweisung der Urkunde schlägt Art. 34 Abs. 3 OR indessen entgegen der Meinung des Klägers nicht durch. Die Wertpapiereigenschaft einer Urkunde kommt gerade dann zum Tragen, wenn sich die Berechtigung an der darin verbrieften Forderung ohne Wissen des Schuldners verändert hat. Diesfalls führt die dem Wertpapier eigene Verknüpfung des Rechts mit der Urkunde dazu, dass der wirkliche, durch den Besitz der Urkunde ausgewiesene Gläubiger vom Schuldner weiterhin Zahlung verlangen kann, auch wenn dieser bereits an eine andere Person, die er irrtümlicherweise für berechtigt hielt, geleistet hat (JÄGGI, a.a.O., N. 105 und 108 zu Art. 966 OR; vgl. auch GLÜCKSMANN, S. 104 f.). Der Besitzer eines Wertpapiers darf, solange er die Urkunde nicht aus den Händen gibt, darauf vertrauen, dass die Schuld nur durch Leistung an ihn erfüllt werden kann. Der Schuldner muss demgegenüber, sobald er zahlt, ohne die Vorlegung des Wertpapiers zu verlangen, damit rechnen, dass er nochmals leisten muss, falls sich der Zahlungsempfänger im nachhinein als nicht oder nicht mehr berechtigt erweisen sollte. Der Gutglaubensschutz nach Art. 34 Abs. 3 OR hat deshalb hinter den Schutz des Vertrauens des Gläubigers in die wertpapiermässige Verbriefung seines Forderungsrechts zurückzutreten.
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Damit erweist sich die Auffassung des Handelsgerichts, dass sich die Beklagte durch die Auszahlung an den Kläger gegenüber der Sparheftberechtigten nicht befreit habe und sich deshalb deren Begehren, ihr die Fr. 10'000.-- wieder gutzuschreiben, nicht habe widersetzen können, im Ergebnis als zutreffend.
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