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47. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. Juni 1991 i.S. S. gegen M. | |
Regeste |
Form der eigenhändigen letztwilligen Verfügung (Art. 505 Abs. 1 ZGB); Verwirkungsklausel (Art. 482 ZGB). |
2. Im Hinblick auf Art. 482 ZGB ist eine Verwirkungsklausel, wonach der Anfechtende leer ausgehen oder auf den Pflichtteil zu setzen sei, als grundsätzlich zulässig zu betrachten. Die privatorische Klausel vermag jedoch keine Wirkung zu entfalten, wenn die eigenhändige letztwillige Verfügung, worin sie enthalten ist, wegen eines Formmangels mit Erfolg durch Ungültigkeitsklage angefochten worden ist (E. 4 und 5). | |
Sachverhalt | |
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Am 5. März 1983 hatte S. im Sinne einer Ergänzung eine weitere letztwillige Verfügung errichtet, worin M. mit einem Vermächtnis im Betrag von Fr. 500'000.-- (im Falle des Vorversterbens seiner Ehefrau im Betrag von Fr. 1'000'000.--) bedacht wurde, der Erblasser im übrigen aber unverändert an der Verfügung vom 20. September 1981 festhielt. Als Errichtungsort nennt dieses Testament ebenfalls "Im Gubel, X.". Auf demselben Blatt findet sich unter dem Titel "Nachsatz" eine weitere eigenhändige Verfügung, die das Datum des 2. Januar 1984 trägt und mit der S. das im Jahr zuvor zugunsten von M. errichtete Vermächtnis auf Fr. 50'000.-- herabgesetzt hatte. Dieser "Nachsatz" schliesst mit der Klausel, dass der Anfechtende leer ausgehen soll oder auf den Pflichtteil zu setzen sei. Eine Angabe des Errichtungsortes ist dieser letztwilligen Verfügung nicht zu entnehmen.
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B.- Die Klage von M. gegen die Ehefrau des S. auf Ungültigkeit der am 2. Januar 1984 als "Nachsatz" zum Testament vom 5. März 1983 errichteten letztwilligen Verfügung wurde von den kantonalen Gerichten gutgeheissen. Das Bundesgericht bestätigte diesen Entscheid aus folgenden
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Erwägungen: | |
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a) Es steht ausser Frage, dass der hier umstrittene "Nachsatz" vom 2. Januar 1984 eine eigenständige letztwillige Verfügung im Sinne von Art. 511 Abs. 1 ZGB darstellt, die den gesetzlichen Erfordernissen gemäss Art. 505 Abs. 1 ZGB unterliegt; ebenso ![]() | 5 |
b) Das Bundesgericht hatte sich in einem auch vom Obergericht zitierten Urteil bereits mit der Frage zu befassen, ob die Datierung und Unterzeichnung eines Testaments auch spätere Zusätze und Korrekturen, ja sogar die Einsetzung eines neuen Erben zu decken vermöge, wie dies in der Lehre vereinzelt erwogen werde (BGE 80 II 305 f. mit Hinweis auf Kommentar TUOR, 2. Auflage Bern 1952, [recte] N. 13 zu Art. 505 ZGB). Diese Frage hat das Bundesgericht verneint, obwohl die nach Errichtung des ursprünglichen Testaments angebrachten Änderungen und Ergänzungen auf demselben Schriftträger standen. Von bloss erläuternden Zusätzen abgesehen, seien spätere Verfügungen, auch wenn sie in eine fertige Testamentsurkunde eingeschaltet würden, in gesetzlicher Form zu errichten, somit vom Erblasser örtlich und zeitlich zu fixieren sowie zu unterzeichnen (BGE 80 II 306 E. 1). Als wesentlich ist dabei erachtet worden, dass durch nachträgliche Änderung einzelner Stellen die sich als Einheit darstellende Testamentsurkunde durchbrochen werde (BGE 80 II 309).
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Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich von jenem im zitierten Entscheid insofern, als nicht nur ein Zusatz zu einem Testament oder eine Korrektur eines Testaments in Frage steht. Vielmehr liegt hier eine neue letztwillige Verfügung vor, die äusserlich vom früheren Testament klar abgegrenzt worden ist und immerhin das Datum der Errichtung sowie die Unterschrift des Erblassers trägt. Dennoch - oder umso mehr - lässt sich die erwähnte Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall übertragen. Es muss demnach für die Anwendung der Formvorschriften gemäss Art. 505 Abs. 1 ZGB wesentlich bleiben, dass es sich beim fraglichen "Nachsatz" nicht bloss um einen erläuternden Zusatz handelt, sondern um eine neue Verfügung. Demgegenüber kommt dem Umstand, dass sich die angefochtene Verfügung vom 2. Januar 1984 auf demselben Schriftträger befindet wie die zeitlich vorangehende vom 5. März 1983, keine entscheidende Bedeutung zu.
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c) Der Rechtsprechung ist auch von der Lehre zugestimmt worden, wobei darauf hingewiesen wird, dass die selbständige ![]() | 8 |
Bezüglich der Angabe des Errichtungsortes ist insbesondere im jüngeren Schrifttum die Meinung geäussert worden, dass ein Verzicht darauf - wenn auch äusserlich im Widerspruch zum Gesetz - vertretbar scheine; der Formzweck des Errichtungsortes und die räumliche Fixierung des Testaments durch die bereits im Haupttestament enthaltene Angabe machten eine Wiederholung entbehrlich; vorzubehalten bleibe allerdings der Fall, wo der Errichtungsort aus der Sicht des internationalen Privatrechts bedeutsam sein könnte (BREITSCHMID, a.a.O., Nr. 616, S. 420).
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d) Nun ist die Rechtsprechung zu Art. 505 Abs. 1 ZGB unlängst geändert worden, indem das Bundesgericht auf das seit langem aufrechterhaltene Erfordernis der Richtigkeit von Errichtungsort und -datum zwar nicht verzichtet, es jedoch weiter gelockert hat (BGE 116 II 117 ff.). Ein unrichtiges Datum soll dann nicht mehr zur Ungültigkeit des Testaments führen, wenn der Mangel nicht auf Absicht des Erblassers beruht und die Richtigkeit des Datums in keiner Weise von Bedeutung ist (BGE 116 II 129 E. 7d). Zugleich ist jedoch bekräftigt worden, dass an einem den rein formellen Anforderungen des Art. 505 Abs. 1 ZGB vollständig genügenden Datum festgehalten werden müsse (BGE BGE 116 II 128 E. 7c).
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e) Ob diese Änderung der Rechtsprechung dazu führen wird, dass auf das Erfordernis der selbständigen Datierung nachträglicher Zusätze zu einem Testament verzichtet wird, ist hier nicht zu entscheiden (in BGE 80 II 305 f. wurde noch ausdrücklich auf der selbständigen Datierung bestanden); denn selbst wenn daran nicht mehr festgehalten würde, wäre im vorliegenden Fall für die ![]() | 11 |
Die Verfügung vom 2. Januar 1984 erfüllt somit das von Art. 505 Abs. 1 ZGB aufgestellte Formerfordernis des Errichtungsortes nicht. Dieser Mangel kann nicht durch die in der früheren letztwilligen Verfügung enthaltene Ortsangabe behoben werden (BGE 116 II 128 f., BGE 101 II 33 f.). Es bleibt auch ohne Einfluss, dass - wie offenbar im vorliegenden Fall - das spätere Testament am gleichen Ort errichtet worden ist wie das frühere. Ebensowenig vermag an der nach wie vor strengen Ordnung des Art. 505 Abs. 1 ZGB der Umstand etwas zu ändern, dass die eigenhändige Niederschrift des Errichtungsortes im Testament vom 5. März 1983 nicht in Zweifel zu ziehen ist.
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f) Leidet die vom Obergericht zu Recht als teilweiser Widerruf gewertete Verfügung vom 2. Januar 1984 an einem Formmangel, so ist sie in Gutheissung der dagegen erhobenen Ungültigkeitsklage aufzuheben. Dies hat zur Folge, dass das im Testament vom 5. März 1983 zugunsten der Klägerin errichtete Vermächtnis in Kraft bleibt (ESCHER, a.a.O., N. 5 zu Art. 509 ZGB; WEIGOLD, a.a.O., S 33, mit weiteren Hinweisen).
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4. Mit seiner letztwilligen Verfügung vom 20. September 1981 hat S. bestimmt: "Gesetzliche Erben, welche diese letztwillige Verfügung anfechten oder Teilungsklage erheben, gelten als auf den Pflichtteil gesetzt, die Einsetzung von Erben als widerrufen, die Zuwendung von Legaten gegenüber solcherlei anfechtenden ![]() | 14 |
Demgegenüber enthält das zeitlich dazwischen liegende Testament vom 5. März 1983 keine vergleichbare Klausel. Es kann ihr jedoch sinngemäss die Anordnung entnommen werden, dass die Verfügung vom 20. September 1981 unverändert fortgelten solle.
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a) Die Beklagte hält auch vor Bundesgericht an ihrer Auffassung fest, dass die im Testament vom 20. September 1981 enthaltene Verwirkungsklausel in Kraft geblieben sei und sämtliche Nachträge zu dieser letztwilligen Verfügung decke, so dass der Vermächtnisanspruch der Klägerin bereits wegen ihrer Ungültigkeitsklage verwirkt worden sei. Die Annahme der kantonalen Gerichte, dass die privatorischen Klauseln durch eine Ungültigkeitsklage wegen Formmangels gar nicht zum Zug kämen, gehe fehl. Solche Klauseln seien zulässig, soweit damit nicht inhaltlich rechts- oder sittenwidrigen Verfügungen zum Durchbruch verholfen werde; sie könnten eine mit Formmängeln behaftete letztwillige Verfügung, deren Echtheit unbestritten sei, durchaus schützen.
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b) Von der Ungültigkeit nach Massgabe von Art. 520 Abs. 1 ZGB wird im vorliegenden Fall auch die privatorische Klausel erfasst, die im Testament vom 2. Januar 1984 enthalten ist (BREITSCHMID, Zulässigkeit und Wirksamkeit privatorischer Klauseln im Testamentsrecht, ZSR 102/1983 I, S. 108 ff., 115 f.; KIPP/COING, Erbrecht, 14. Bearbeitung Tübingen 1990, § 80 lit. c, S. 436; Kommentar PALANDT, 50. Auflage München 1991, N. 6 und 9 zu § 2074 BGB; MÜNCHENER Kommentar, Band 6, 2. Auflage 1989, N. 24 zu § 2074 BGB; Kommentar STAUDINGER, 12. Auflage Berlin 1989, N. 46 zu § 2074 BGB).
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Nicht berührt von der Ungültigkeit wird demgegenüber die in der letztwilligen Verfügung vom 20. September 1981 enthaltene Verwirkungsklausel. Es stellt sich daher die Frage, ob sich die Schutzwirkung dieser privatorischen Klausel auch auf das mit Erfolg angefochtene Testament vom 2. Januar 1984 erstrecke und ob sie sich insbesondere auch bei erfolgreicher Anfechtung wegen eines Formmangels entfalten könne. Die kantonalen Gerichte haben diese Frage verneint.
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b) Indessen gilt es zu beachten - wie die kantonalen Instanzen mit Recht hervorgehoben haben -, dass das Gesetz für formell mangelhafte Verfügungen einerseits und inhaltlich rechts- oder sittenwidrige Verfügungen anderseits keine unterschiedlichen Rechtsfolgen vorsieht (vgl. Art. 519 und 520 ZGB; DRUEY, Grundriss des Erbrechts, 2. Auflage Bern 1988, § 12 Rz. 37, S. 144). Ob diese unterschiedslose Behandlung gerechtfertigt sei, mag dahingestellt bleiben. Sie beruht jedenfalls nicht auf gesetzgeberischem Versehen, sondern bestätigt die Bedeutung, welche der Gesetzgeber den Formerfordernissen im Erbrecht beigemessen hat.
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Die Formvorschriften gemäss Art. 498 ff. ZGB sind zwingender Natur. Die Verfügungsfreiheit des Erblassers ist in diesem Bereich insofern eingeschränkt, als er zwar zwischen verschiedenen Verfügungsformen wählen darf, die gewählte Form jedoch gemäss der gesetzlichen Vorgabe zu übernehmen hat. Der Zwang zur Einhaltung der Formvorschriften wird verstärkt durch das jedem Betroffenen eingeräumte Recht, formell mangelhafte Testamente anzufechten. Dieses Recht zur Anfechtung einer letztwilligen Verfügung bleibt im Rahmen von Art. 2 Abs. 2 ZGB gewährleistet.
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Mit dieser im Gesetz angelegten Ordnung lässt sich die von der Beklagten vertretene Meinung, dass die Verwirkungsklausel uneingeschränkt zum Zug kommen müsse, nicht in Einklang bringen. Würde der Auffassung der Beklagten gefolgt, so würde einem ![]() | 22 |
c) Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass die vom Erblasser verwendete Verwirkungsklausel im Hinblick auf Art. 482 ZGB als grundsätzlich zulässig zu betrachten ist. Die privatorische Klausel vermag jedoch keine Wirkung zu entfalten, wenn das Testament, worin sie enthalten ist, wegen eines Formmangels mit Erfolg durch Ungültigkeitsklage angefochten worden ist.
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Wie es sich verhalten würde, wenn die auf Art. 520 ZGB gestützte Ungültigkeitsklage nicht zu schützen gewesen wäre, bedarf daher keiner Prüfung. Desgleichen kann dahingestellt bleiben, ob die Schutzwirkung der im Testament vom 20. September 1981 enthaltenen Klausel sich auch auf die letztwillige Verfügung vom 2. Januar 1984 erstreckt.
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