![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server, A. Tschentscher | |||
![]() | ![]() |
53. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 13. Juni 1991 i.S. Erich K. und Margot M. gegen S. AG (Berufung) | |
Regeste |
Werklieferungsvertrag mit Suspensivbedingung; Rücktritt des Bestellers (Art. 365 und 377 OR). |
2. Der Besteller kann jederzeit nach den Regeln von Art. 377 OR vom Werklieferungsvertrag zurücktreten (E. 4a). Rechtsnatur des dem Unternehmer nach Art. 377 OR zustehenden Anspruchs; Anwendung von Art. 97 ff. OR (E. 4b, 4c). |
3. Auslegung der Bauverpflichtung (E. 5). | |
Sachverhalt | |
![]() ![]() | 1 |
"Dieser Bau-Auftrag wird erst ausgeführt, wenn Herr K./Frl. M. ein Grundstück erwirbt, das nach Lage, Grösse und Preis ihren Vorstellungen entspricht, oder auf einem sonstigen Grundstück baut. Sollten die Bebauungsvorschriften eine andere Hausform, Dachneigung usw. erfordern, wählt Herr K./Frl. M. ein entsprechendes Haus auf gleicher Preisbasis aus dem Programm der Firma aus."
| 2 |
Der Werkpreis wurde bis zum Oktober 1989 garantiert.
| 3 |
Mit Schreiben vom 25. November 1987 erklärten Erich K. und Margot M. (Beklagte), "ohne jede Verpflichtung" vom Vertrag zurückzutreten. In der am 27. Januar 1988 nachgereichten Begründung gaben sie an, aus finanziellen Erwägungen auf den Hausbau zu verzichten. Indessen hatten sie bereits im Dezember 1987 ein Baugesuch für die Überbauung eines inzwischen erworbenen Grundstückes eingereicht, welches sie in der Folge in Erfüllung einer im Kaufvertrag eingegangenen Bauverpflichtung ohne Zutun der Klägerin realisierten.
| 4 |
B.- Die Klägerin belangte die Beklagten auf Schadenersatz für entgangenen Gewinn von Fr. 36'018.-- nebst Zins. Das Bezirksgericht Lenzburg wies die Klage am 8. Februar 1990 ab. In teilweiser Gutheissung einer Appellation der Klägerin verpflichtete das Obergericht des Kantons Aargau am 16. August 1990 die Beklagten zur Bezahlung von Fr. 21'400.--. Eine Berufung der Beklagten heisst das Bundesgericht gut und weist die Klage ab.
| 5 |
Aus den Erwägungen: | |
6 | |
![]() | 7 |
c) Ob die Inhaltskontrolle zur Feststellung einer Vertragsnichtigkeit nach Massgabe von Art. 20 OR führt oder einen Verstoss gegen die Persönlichkeitsrechte der Beklagten ergibt, wie diese geltend machen, wird gegebenenfalls zu prüfen sein, wenn das Auslegungsergebnis feststeht; vorwegzunehmen ist jedoch, dass jedenfalls die Nichtigkeitsfolge nicht eintritt, sofern und soweit der Vertrag sich gesetzes- oder sittenkonform interpretieren lässt (KRAMER, N. 41 zu Art. 18 und N. 124 zu Art. 19/20 OR; JÄGGI/GAUCH, N. 441 ff. zu Art. 18 OR). Die Ungültigkeit des Vertrags ergibt sich überdies auch nicht bereits daraus, dass die Bauverpflichtung ausserhalb der Festpreisgarantie zeitlich nicht limitiert wurde, was allenfalls auf eine übermässige und damit nach Art. 27 ZGB unzulässige Bindung der Beklagten schliessen liesse (dazu GAUCH, Werkvertrag, S. 92 Rz. 316). Abgesehen davon, dass eine Befristung sich in solchen Fällen bereits aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ergibt (BGE 95 II 527), bewirkt eine Verletzung des zeitlichen Übermassverbots im allgemeinen bloss die Herabsetzung der Bindungsdauer auf das zulässige Mass ![]() | 8 |
9 | |
b) Die Regelung in Art. 377 OR ist insoweit ungewöhnlich, als sie einerseits einen einseitigen, zu Gunsten des Bestellers normierten Einbruch in den Grundsatz der Vertragstreue enthält, ![]() ![]() | 10 |
c) Das Obergericht lässt die Pflicht der Beklagten zur Schadloshaltung der Klägerin ohne weiteres der Rücktrittserklärung nach Art. 377 OR folgen. Damit verkennt es jedoch die Rechtsnatur des dem Unternehmer nach dieser Bestimmung zustehenden Anspruchs. Wie der Ersatzanspruch des Gläubigers nach Art. 97 ff. OR entsteht auch derjenige nach Art. 377 OR aus der ursprünglichen, bisher auf Erfüllung gerichteten Vertragsforderung und gilt als deren Fortsetzung. Dies bedeutet, dass die Ersatzforderung nur und in demselben Zeitpunkt fällig wird, in welchem bei ordnungsgemässer Vertragsabwicklung die Erfüllung hätte verlangt werden können (VON TUHR/ESCHER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Band II, 3. Aufl. 1974, S. 104). Steht daher die Verbindlichkeit eines nach Art. 377 OR gekündigten oder vorzeitig gebrochenen Vertrags unter einer Suspensivbedingung, bestimmt die Bedingung nicht bloss den Erfüllungsanspruch, sondern auch die Ersatzforderung aus Nichterfüllung oder die Forderung auf Schadloshaltung aus dem Leistungsverzicht. Die Beklagten sind daher zur Schadloshaltung der Klägerin nur verpflichtet, wenn bei ungekündigtem Vertragsverhältnis die Bedingung eingetreten wäre, wobei dem Bedingungseintritt dessen treuwidrige Vereitelung gleichgesetzt ist (Art. 156 OR). Anders zu entscheiden wäre bloss, wenn bereits die Verletzung des Anspruchs auf die bedingte Forderung, die Beeinträchtigung der bedingt anwartschaftlichen Rechtsstellung des Gläubigers einen Schaden bewirkte, was indessen für den vorliegenden Sachverhalt nicht zutrifft. Damit verlagert die Streitentscheidung sich auf die Auslegung der Bedingung des Vertrages vom 28. Oktober/20. November 1987 und die Prüfung deren Eintritts.
| 11 |
5. a) Vertragsbezogene Willenserklärungen sind - wenn kein übereinstimmender tatsächlicher Parteiwille festgestellt werden kann - nach dem Vertrauensgrundsatz so auszulegen, wie sie vom Empfänger in Treuen verstanden werden durften und mussten. Dies beurteilt sich nicht nur nach ihrem Wortlaut und dem gesamten Zusammenhang, in dem sie stehen, sondern auch nach den Umständen, die ihnen vorausgegangen und unter denen sie abgegeben worden sind. Zu welchem Ergebnis eine solche ![]() | 12 |
b) Die Bauverpflichtung der Beklagten wurde unter die Bedingung des Erwerbs eines geeigneten Grundstücks oder der Bauverwirklichung auf einem sonstigen Grundstück gestellt. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist dieser Vertragsinhalt nach Art. 20 OR durchaus zulässig. Die Alternative bezieht sich augenfällig auf den Eigentumserwerb an einem Baugrundstück einerseits, auf die Verwirklichung eines Bauvorhabens auf einem fremden Terrain, beispielsweise im Baurecht, anderseits. Dass die Verpflichtung sich bloss auf Liegenschaften und nicht auch auf die diesen im Rechtsverkehr nach Art. 655 ZGB (Abs. 2 Ziff. 2-4) gleichgestellten Rechte bezieht, bedarf keiner weiteren Erörterung. Abwegig ist auch die Meinung der Beklagten, ein Werkvertrag, welcher die Folgen seiner Verletzung oder eines Rücktritts nach Art. 377 OR unerwähnt lasse, verstosse bereits deswegen gegen das Persönlichkeitsrecht des Bestellers und sei daher gemäss Art. 27 ZGB nichtig.
| 13 |
c) In empirischer Vertragsauslegung stellt das Obergericht einzig fest, dass nach dem tatsächlichen Willen der Parteien die Bauverpflichtung der Beklagten bei Erwerb eines fertigen Hauses oder einer Eigentumswohnung nicht wirksam werden sollte. Weitergehend ist der Vertrag normativ auszulegen.
| 14 |
Auszugehen ist vom Grundsatz, dass bei der Potestativbedingung, wie eine hier zur Hauptsache vorliegt, eine Handlung im allgemeinen deswegen nicht als Verpflichtung, sondern als Bedingung in den Vertrag aufgenommen wird, weil der Kontrahent die Freiheit seines Entschlusses zwar beschränken, nicht aber aufgeben will. Erfüllung oder Nichterfüllung der Bedingung steht somit grundsätzlich im freien Willen dessen, der den Vertrag geschlossen hat (VON TUHR/ESCHER, a.a.O., S. 272). Daran hat sich auch die normative Vertragsauslegung zu orientieren. Liegt die mit der Potestativbedingung bewirkte Freiheitsbeschränkung einer Partei im alleinigen oder überwiegenden Interesse des Vertragsgegners, ist nach dem Vertrauensprinzip im Zweifel von einer restriktiven Bedeutung der bedingten Bindung auszugehen. So verhält es sich vorliegend.
| 15 |
Nach dem empirischen Auslegungsergebnis waren die Beklagten frei, ein fertiges Objekt zu erwerben oder selbst zu bauen. Nur im ![]() | 16 |
Die Handlungsfreiheit des bedingt Verpflichteten wird indessen beschränkt durch den Grundsatz von Treu und Glauben. Danach gilt eine Bedingung auch als eingetreten, wenn ihr Eintritt von einem Vertragspartner - und zwar demjenigen, zu dessen Nachteil der Bedingungseintritt gereichen würde (SECRETAN, L'article 156 du code des obligations et la condition potestative, in Aequitas und bona fides, FS Simonius 1955, S. 351 ff., 357) - wider Treu und Glauben verhindert worden ist (Art. 156 OR). Entgegen einer in der Literatur geäusserten Auffassung (BUCHER, a.a.O., S. 513; GAUCH/SCHLUEP, a.a.O., S. 321 Rz. 2665) findet die Bestimmung auch im Bereich der Potestativbedingungen Anwendung. Wann ein Verhalten in diesem Sinne gegen Treu und Glauben verstösst, ergibt sich in der Regel aus einer am Vertrauensprinzip orientierten Auslegung des dem Verhalten zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts (MERZ, N. 574 zu Art. 2 ![]() | 17 |
d) Nach dem Gesagten wurde die Bauverpflichtung der Beklagten nur wirksam, wenn diese nach dem Erwerb eines Grundstücks zu Überbauungszwecken die rechtliche Möglichkeit hatten, darauf den Vertragsgegenstand oder ein anderes Gebäude aus dem Sortiment der Klägerin zu errichten. Dagegen wurden sie aus dem Vertrag mit der Klägerin nicht verpflichtet, sofern öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkungen oder an die Erwerbsmöglichkeit geknüpfte privatrechtliche Bindungen entgegenstanden. Art. 156 OR sodann schliesst die Berücksichtigung rechtlicher Schranken in diesem Sinne im allgemeinen nur aus, wenn der Bedingungsverpflichtete sie zur Umgehung des Bedingungseintritts freiwillig errichtet. Von einem unredlichen Verhalten könnte aber nicht bereits gesprochen werden, wenn die Beklagten aus beachtlichen, ausserhalb der Bedingungsvereitelung liegenden Gründen von mehreren Angeboten dasjenige ausgewählt hätten, welches die Erfüllung des bedingten Werkvertrages nicht erlaubte. Insoweit blieb ihre Handlungsfreiheit nach dem Gesagten gewahrt.
| 18 |
Das Bezirksgericht wie die Minderheit des Obergerichts gehen davon aus, die von den Beklagten mit dem Erwerb des Baugrundstücks eingegangene Baumeisterverpflichtung sei Voraussetzung des Eigentumserwerbs gewesen; für die Mehrheit des Obergerichts stellt sich entsprechend der von ihr vertretenen Rechtsauffassung die Frage nicht. Die Klägerin wendet sich in ihren Rechtsschriften nicht gegen diese tatsächliche Feststellung, hält aber - entgegen der hier vertretenen Auffassung - dafür, eine solche Verpflichtung schliesse den Bedingungseintritt nicht aus. Damit ist in tatbeständlicher Hinsicht davon auszugehen, dass die zusätzliche Bauverpflichtung nicht treuwidrig eingegangen worden ist, womit Art. 156 OR keine Anwendung findet. Daran ändert nichts, dass die Beklagten in der Begründung ihrer Kündigung wahrheitswidrig angegeben haben, auf eine Baurealisierung überhaupt zu verzichten. Nicht darauf kommt es an, sondern allein auf die ![]() | 19 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |