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73. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 1. Oktober 1991 i.S. W. gegen A. (Berufung) | |
Regeste |
Prozessuales Verhalten als unerlaubte Handlung im Sinne von Art. 41 OR. |
2. Materielle Voraussetzungen, unter denen ein prozessuales Verhalten eine Haftung gemäss Art. 41 ff. OR begründen kann (E. 4). | |
Sachverhalt | |
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W. klagte seinerseits im August 1989 beim Appellationshof des Kantons Bern gegen A. mit dem Antrag, den Beklagten zur Zahlung eines gerichtlich zu bestimmenden, Fr. 8'000.-- übersteigenden Betrages nebst Zins zu verpflichten. Der Kläger forderte damit Schadenersatz und Genugtuung mit der Begründung, die Anhebung der New Yorker Klage sei als unerlaubte Handlung gemäss Art. 41 OR zu betrachten, durch die zudem seine Persönlichkeitsrechte im Sinne von Art. 28 ZGB verletzt worden seien.
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Der Kläger hat gegen dieses Urteil Berufung beim Bundesgericht eingelegt. Er hat im Berufungsverfahren einen Teil der vorinstanzlich erhobenen Klagebegehren fallengelassen und verlangt nur noch Ersatz für die Anwaltskosten sowie für sonstigen Aufwand, welcher ihm im Zusammenhang mit dem New Yorker Prozess erwachsen ist. In rechtlicher Hinsicht stützt er sich lediglich noch auf Art. 41 OR, ohne dass an der Behauptung einer Verletzung der Persönlichkeitsrechte im Sinne von Art. 28 ZGB festgehalten wird.
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Aus den Erwägungen: | |
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a) Aus dem angefochtenen Urteil geht hervor, dass der Appellationshof einen Anspruch des Klägers aus Art. 41 OR auf Ersatz der Anwaltskosten und sonstigen Aufwandes im Zusammenhang mit dem New Yorker Prozess nicht grundsätzlich verneint, sondern davon abhängig macht, ob die Kosten nach New Yorker Recht im Rahmen der prozessualen Kostenregelung oder eines "Adhäsionsprozesses" geltend gemacht werden können.
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Diese Auffassung entspricht im wesentlichen der Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Verhältnis zwischen Bundesrecht und kantonalem Prozessrecht bezüglich der Ersatzpflicht für vorprozessuale Parteikosten im Haftpflichtprozess. Solche Kosten ![]() | 7 |
b) Von diesen beiden Fallgruppen zu unterscheiden ist der Sachverhalt, wo das prozessbezogene Verhalten als solches und nicht das im Prozess zu beurteilende Ereignis eine rechtswidrige Handlung darstellt. Diesfalls geht der aus dem rechtswidrigen Verhalten entstehende Schaden, soweit es sich um Gerichts- oder Parteikosten handelt, im Gegensatz zu den bereits erörterten Sachverhalten unmittelbar auf das schädigende Ereignis zurück. Dass in solchen Fällen generell eine bundesrechtliche Haftung des Schädigers bestehen kann, ist in der Lehre anerkannt (OFTINGER/STARK, Schweiz. Haftpflichtrecht, Bd. II/1, S. 53 ff.). Auf der gleichen Grundlage beruht auch die bundesgerichtliche Rechtsprechung. So hat das Bundesgericht erkannt, dass einer Partei, die durch eine ungerechtfertigte vorsorgliche Massnahme geschädigt wird, ein Schadenersatzanspruch aus Art. 41 OR zustehen kann, allenfalls in Konkurrenz mit einem Anspruch aus kantonalem Verfahrensrecht (BGE 93 II 183 E. 9, 88 II 278 E. 3a). Ähnliches gilt für den Fall missbräuchlicher, böswilliger oder gegen Treu und Glauben verstossender Ausübung von Verfahrensrechten im Rahmen eines verwaltungsrechtlichen oder eines zivilprozessualen Verfahrens (BGE 113 Ia 107 E. 2e, BGE 112 II 35 E. 2 mit Hinweisen).
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Soweit es um den Ersatz der Prozesskosten allgemein, insbesondere aber der prozessualen Anwaltskosten geht, stellt sich auch in ![]() | 9 |
Dieser letzten Betrachtungsweise ist zuzustimmen. Dafür spricht neben den von CASANOVA aufgeführten Argumenten auch der Grundsatz, dass verschiedene Normen vermutungsweise alternativ anwendbar sind, wenn die gesetzliche Ordnung für die gleichen Sachverhalte mehrere Rechtsbehelfe vorsieht, und eine Ausnahme nur für den Fall gilt, dass die eine Norm als Sonderbestimmung der anderen vorgeht (BGE 114 II 136 E. 1b mit Hinweisen). Der Bestand einer verfahrensrechtlichen lex specialis lässt sich nur dort vertreten, wo der Prozess und der mit ihm verbundene Aufwand mit einer anderweitigen Rechtsverfolgung in Zusammenhang steht, somit bloss eine Nebenfunktion hat. Anders verhält es sich dagegen dann, wenn das Prozessverhalten selbst die deliktische oder auch vertragliche Anspruchsgrundlage bildet. Diesfalls besteht grundsätzlich ein selbständiger bundesrechtlicher Ersatzanspruch, dessen Durchsetzung nicht davon abhängt, ob das massgebende Verfahrensrecht seinerseits die Möglichkeit einer Deckung gibt. So verhält es sich - falls die Sachverhaltsdarstellung des Klägers richtig ist - auch im vorliegenden Fall. Daran ändert nichts, dass es sich bei dem allenfalls alternativ anwendbaren Verfahrensrecht nicht um kantonales, sondern um ausländisches Recht handelt, denn es sind keine triftigen Gründe ersichtlich, ![]() | 10 |
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Aus diesen Gründen ist die Berufung teilweise gutzuheissen, der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Streitsache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese wird zu beachten haben, dass bundesrechtlich nicht bereits jede erfolglose prozessuale Vorkehr eine Haftung gemäss Art. 41 ff. OR begründet. Zwar sind die Auffassungen hinsichtlich der Frage geteilt, ob das Einklagen einer nicht bestehenden Forderung als objektiv widerrechtlich zu betrachten ist (so SCHÖNENBERGER/JÄGGI, Vorbemerkungen vor Art. 1 OR, N. 39; GUHL/MERZ/KUMMER, Schweiz. Obligationenrecht, 7. Aufl., S. 173) oder ob zusätzlich ein Normverstoss im Sinne des sogenannten Verhaltensunrechts erforderlich ist (so BGE 93 II 183 E. 9, BGE 88 II 280 E. 4; CASANOVA, a.a.O., S. 105 ff.). Es besteht indessen weitgehend Einigkeit darüber, dass eine Haftung nur bei sittenwidrigem, absichtlichem oder grobfahrlässigem Verhalten im Sinne von Art. 41 OR in Frage kommt (GUHL/MERZ/KUMMER, a.a.O., S. 173; OSER/SCHÖNENBERGER, N. 35 zu Art. 41 OR; differenzierter CASANOVA, a.a.O., S. 145 ff.). Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang, dass jeder Bürger grundsätzlich befugt ist, für Ansprüche, die er zu besitzen vermeint, den behördlichen Schutz anzurufen, sofern er in guten Treuen handelt (GUHL/MERZ/KUMMER, a.a.O., S. 173). Es widerspräche deshalb einem rechtsstaatlichen Grundprinzip, in jedem objektiv ungerechtfertigten Verfahren einen Haftungstatbestand nach Bundesprivatrecht zu erblicken und an eine lediglich leichtfahrlässige Fehleinschätzung der Rechtslage Schadenersatzfolgen zu knüpfen, welche über die rein prozessrechtlichen Folgen einer solchen Einschätzung hinausgehen (vgl. dazu auch die deutsche Lehre und Rechtsprechung: BGHZ 74 Nr. 2, BVerfG in NJW 1987 S. 1929; STAUDINGER/SCHÄFER, N. 258 ff. zu § 826 BGB; MERTENS, in MünchKomm, N. 483 zu § 823 und N. 167 ff. zu § 826 BGB). Letztlich knüpft die Haftung somit an eine missbräuchliche ![]() | 12 |
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