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74. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 9. Juli 1991 i.S. Lise C. gegen Hotel B. AG (Berufung) | |
Regeste |
Art. 58 OR; Werkeigentümerhaftung. | |
Sachverhalt | |
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Am 24. August 1988 reichte Frau C. beim Appellationshof des Kantons Bern gegen die Eigentümerin des Hotels B., die Hotel B. AG, Klage ein, mit der sie die Zusprechung von Schadenersatz in einem gerichtlich zu bestimmenden, Fr. 8'000.-- übersteigenden Betrag zuzüglich Fr. 30'000.-- Genugtuung verlangte. Nachdem der Appellationshof am 29. Mai 1989 das Verfahren auf die Frage beschränkt hatte, ob ein Werkmangel vorliege, verneinte er dies mit Urteil vom 13. September 1990 und wies dementsprechend die Klage ab.
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Die Klägerin hat gegen das Urteil des Appellationshofs Berufung eingereicht, die vom Bundesgericht gutgeheissen wird.
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Aus den Erwägungen: | |
2. Gemäss Art. 58 Abs. 1 OR haftet der Werkeigentümer für den Schaden, der durch fehlerhafte Anlage oder Herstellung ![]() | 4 |
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Ein solcher Mangel darf sodann auch nicht schon daraus abgeleitet werden, dass bereits früher Personen wegen des Tritts gestürzt sind (vgl. BGE 87 II 313, 66 II 111). Gemäss dem angefochtenen Urteil haben sich bei dieser Stufe in früheren Jahren zwei kleinere Unfälle ereignet. Auch der Ehemann der Klägerin ist am Unfalltag, nachdem er sie zur Damentoilette begleitet hatte und sich ins Restaurant zurückbegab, über die Stufe im Vorraum gestolpert. Diese doch gehäuften Vorkommnisse können indessen - auch nach der Praxis des Bundesgerichts - als Indizien für die Gefährlichkeit der Stufe und damit für das Vorliegen eines Werkmangels gewertet werden (OFTINGER/STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht, 4. Aufl., Bd. II/1, S. 212, N. 85 zu § 19; KELLER, Haftpflicht im Privatrecht, Bd. I, S. 152).
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c) Welche Aufmerksamkeit von den Benützern eines Werks erwartet werden kann, hängt von den konkreten Umständen ab. Verlangt wird lediglich ein Mindestmass an Vorsicht (BGE 106 II 210, BGE 66 II 111) bzw. ein vernünftiges, dem Durchschnitt entsprechendes vorsichtiges Verhalten (BGE 91 II 209). In Gebäuden muss zwar immer mit Stufen gerechnet werden. Daraus darf aber nicht abgeleitet werden, der Benützer habe beim Gehen dem Verlauf ![]() | 8 |
Fehl geht die Behauptung der Beklagten, die Klägerin habe die Stufe darum übersehen, weil sie die Damentoilette fluchtartig verlassen habe. Zum einen findet sich im angefochtenen Urteil keine entsprechende Feststellung. Zum andern lässt sich aus den Angaben der Vorinstanz über die örtlichen Verhältnisse und den Ablauf der Ereignisse eher das Gegenteil ableiten. Anzunehmen ist, dass die Schliessautomatik der Türe zur Damentoilette diese während mehrerer Sekunden noch soweit geöffnet hielt, dass der Ehemann die Klägerin beim Sturz sehen konnte; um die Entfernung von gut einem Meter von dieser Türe bis zur Stufe zurückzulegen, genügten aber der Klägerin auch bei langsamem Gang wenige Sekunden. Der Klägerin kann deshalb nicht vorgeworfen werden, sie habe sich nicht durchschnittlich vorsichtig verhalten.
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d) Die einzige Vorkehr der Beklagten, um die Benützer auf die Stufe im Vorraum aufmerksam zu machen, bestand darin, dass diese mit Platten eines etwas anderen Formats belegt wurde. Der Appellationshof führt dazu aus, damit sei die Stufe "optisch zweckmässig hervorgehoben", "ohne weiteres erkennbar" und "für den vernünftig aufmerksamen Bürger gut sichtbar" gewesen, was von der Klägerin bestritten wird. Die Feststellungen der Vorinstanz sind nur insoweit tatsächlicher Natur und deshalb für das Bundesgericht verbindlich (Art. 63 Abs. 2 OG), als sie den Sachverhalt hinsichtlich der baulichen Ausgestaltung und der Sichtbarkeit betreffen. Eine vom Bundesgericht überprüfbare Wertung liegt jedoch vor bezüglich der Frage, welcher Grad an Aufmerksamkeit erwartet werden darf und ob die tatsächlich getroffenen ![]() | 10 |
Wenn der Appellationshof die Verwendung eines etwas anderen Plattenformats ohne jede weitere Markierung genügen lassen will, um die Stufe als gut sichtbar zu beurteilen, geht er von einem zu strengen Massstab bezüglich der Aufmerksamkeit des Benützers aus. Die allgemeine Lebenserfahrung zeigt, dass eine einzelne Stufe auch bei Aufwendung durchschnittlicher Aufmerksamkeit leicht übersehen wird. Der Appellationshof verweist zwar auf die von der Beklagten vorgelegte Fotodokumentation als Beleg dafür, dass es durchaus üblich sein soll, Treppen und Stufen durch farbgleiche, andersformatige Bodenplatten hervorzuheben. Der Umstand allein, dass eine Konstruktionsart üblich ist, vermag indessen den Werkeigentümer nicht zu entlasten (BGE 90 II 231 mit Hinweisen). Die fotografierten Beispiele beziehen sich im übrigen vorwiegend auf grössere und kleinere Treppen, bei welchen der Niveauunterschied ohnehin schon ins Auge fällt, nicht aber auf eine einzelne Stufe. Das einzige Beispiel mit einer einzelnen Stufe betrifft ein privates Mehrfamilienhaus und nicht ein Gebäude mit viel Publikumsverkehr wie das Hotel der Beklagten.
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e) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts rechtfertigt sich ein strengerer Massstab der Beurteilung dann, wenn einfache und mit wenig Kosten verbundene Vorkehren genügen würden, um der Gefahr wirksam vorzubeugen (BGE 106 II 210, 96 II 37). Unter diesem Gesichtspunkt beanstandet die Klägerin zu Recht, dass ein anderes Material für den Belag der Stufe hätte gewählt oder zumindest die Stufenkante hätte auffällig markiert werden müssen. Die notwendigen Kosten wären nicht ins Gewicht gefallen. Dass damit die Stufe auch bei einem flüchtigen Blick erheblich besser erkennbar gewesen wäre, leuchtet ein. Entgegen dem Einwand der Beklagten würde eine solche deutliche optische Markierung auch einen Benützer, der zur gegenüber liegenden Ausgangstüre blickt, auf die Stufe aufmerksam machen.
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Das Anbringen eines Warnschildes würde die Gefahr ebenfalls erheblich verringern. Verfehlt ist die von der Beklagten vorgebrachte Behauptung, Warnschilder seien nur bei ganz besonderen, atypischen und unerwarteten Gefahrenlagen angezeigt. Das wird schon durch die im Alltag sehr häufige Verwendung der Warnung "Achtung Stufe" widerlegt. Dass im Hotel der Beklagten sodann - wie sie behauptet - hundert gleichartige, isolierte Stufen wie im Vorraum zu den Toiletten existieren und somit auch mit Warnschildern ![]() | 13 |
Das Vorliegen eines Werkmangels ist somit wegen ungenügender optischer Hervorhebung der Stufe und des Fehlens eines Warnschildes zu bejahen. Ob ein solcher Mangel auch darin zu sehen ist, dass die Stufe nicht besonders beleuchtet war, wie die Klägerin geltend macht, kann deshalb dahingestellt bleiben.
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