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75. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 22. Oktober 1991 i.S. H. AG gegen Ruth L. (Berufung) | |
Regeste |
Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung bei anweisungsähnlichem Verhältnis (Art. 62 OR). | |
Sachverhalt | |
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Da R. den Betrag nicht selbst erbringen konnte, wandte er sich an Michael S., der seinerseits die mit ihm befreundete Ruth L. ersuchte, ihm die Summe vorübergehend zur darlehensweisen Weitergabe an R. zur Verfügung zu stellen. Frau L. willigte ein und überwies am 18. November 1985 DM 100'000.-- an die H. AG.
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Am 3. November 1988 klagte Ruth L. beim Handelsgericht des Kantons Bern gegen die H. AG auf Zahlung von DM 100'000.-- nebst Zins. Mit Urteil vom 11. Februar 1991 hiess das Handelsgericht die Klage im Umfang von Fr. 83'353.30 nebst 5% Zins seit 1. Januar 1988 gut. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Beklagte habe sich aufgrund vertraglicher Vereinbarung verpflichtet, im Fall des Scheiterns der Verkaufsbemühungen von R. die DM 100'000.-- an diesen zurückzuzahlen; mit der Klägerin seien dagegen keine vertraglichen Bindungen eingegangen worden; sie könne jedoch einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung in Höhe des eingeklagten Betrages - umgerechnet in Schweizer Franken - geltend machen.
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Die Beklagte hat das Urteil des Handelsgerichts mit Berufung angefochten, die vom Bundesgericht gutgeheissen wird.
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Aus den Erwägungen: | |
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Im übrigen scheitert die Behauptung der Klägerin, sie habe mit der Beklagten einen Hinterlegungsvertrag geschlossen, auch an weiteren verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz. Diese hält nämlich fest, die Klägerin habe die DM 100'000.-- S. darlehensweise für ein Geschäft mit R. im Zusammenhang mit der Fliegerei zur Verfügung gestellt und es mit dieser Zweckbestimmung an die Beklagte überwiesen. Daraus ergibt sich, dass die Klägerin das Geld der Beklagten nicht zur Verwahrung und Verwaltung übergeben wollte, wie es für den Hinterlegungsvertrag kennzeichnend ist. Es ist demnach davon auszugehen, dass die Klägerin keinen vertraglichen Rückforderungsanspruch gegen die Beklagte geltend machen kann.
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Im zu beurteilenden Fall liegt keine Anweisung vor, denn aus den Feststellungen der Vorinstanz ergibt sich nicht, dass R. oder S. die Beklagte ausdrücklich dazu ermächtigt hatten, die Zahlung von der Klägerin zu verlangen. Ebensowenig ist eine entsprechende Verpflichtung der Klägerin gegenüber der Beklagten festgestellt worden. Dagegen kann mit der Vorinstanz von der Vereinbarung einer Zahlstelle ausgegangen werden (vgl. dazu GAUTSCHI, N. 4e der Vorbemerkungen zu Art. 466 ff. OR). Wie im folgenden gezeigt wird, besteht indessen kein sachlicher Grund, diesen Sachverhalt bereicherungsrechtlich anders als ein Anweisungsverhältnis zu beurteilen.
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b) Dass der hier gegebene Sachverhalt gleich zu beurteilen ist, folgt zunächst aus dem Begriff der Leistungskondiktion. Wie beim Anweisungsverhältnis hat im vorliegenden Fall eine einzige Güterbewegung - die Überweisung des Geldes an die Beklagte - gleichzeitig zwei bzw. drei Leistungen bewirkt. Die eine erfolgte zwischen R. und der Beklagten und die andere zwischen der Klägerin und R. bzw. S. Die Güterbewegung selbst, die Vermögensverschiebung von der Klägerin zur Beklagten stellte dagegen keine Leistung im Rechtssinne, sondern als faktischer Vorgang bloss eine Zuwendung dar (ESSER/WEYERS, Schuldrecht, Bd. II, Besonderer Teil, 7. Auflage, S. 433). Diese Zuwendung beruhte gleich wie bei einem Anweisungsverhältnis allein auf der von R. bzw. von S. der Klägerin erteilten Ermächtigung, die Darlehenssumme an die Beklagte zu zahlen. Sie hat ihren Rechtsgrund nicht in den Kausalverhältnissen, die zwischen der Klägerin und S. oder R. sowie ![]() | 11 |
Eine abweichende Betrachtungsweise rechtfertigt sich dort, wo die Zuwendung des Angewiesenen an den Anweisungsempfänger als solche fehlerhaft ist. Denkbar ist etwa, dass sie auf einer missverstandenen Anweisung beruht oder ihrerseits von der Gültigkeit eines oder beider Kausalverhältnisse abhängig gemacht worden ist (VON TUHR/PETER, Allg. Teil des Schweiz. Obligationenrecht, Bd. I, S. 478 Fn. 27a; BGE 92 II 339 E. 5). Gleich verhält es sich, wenn eine in Wirklichkeit nicht bestehende Forderung von einem Dritten in eigenem Namen bezahlt worden ist. Der Bereicherungsanspruch gegenüber dem vermeintlichen Gläubiger steht dann nicht dem vermeintlichen Schuldner, sondern dem Dritten zu. Das folgt indessen daraus, dass der Dritte eine echte Leistung im Rechtssinne erbracht und nicht bloss eine Zuwendung vorgenommen hat (KELLER/SCHAUFELBERGER, a.a.O., S. 36/7; VON BÜREN, Schweiz. Obligationenrecht Allg. Teil, S. 308). Ein solcher Sachverhalt ist im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben. Allenfalls fehlerhaft ist einzig das Vertragsverhältnis zwischen der Beklagten und R. Fraglich ist allerdings, ob R. gegenüber der Beklagten grundsätzlich einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gemäss Art. 62 Abs. 2 OR hätte geltend machen können, wie das Handelsgericht annimmt. Es handelt sich wohl eher um einen Rückforderungsanspruch auf vertraglicher Grundlage, wenn auf die Feststellung im angefochtenen Urteil abgestellt wird, dass ![]() | 12 |
c) Anders wäre zu entscheiden, wenn davon ausgegangen würde, dass die Leistungskondiktion des Anweisenden einen konkurrierenden, anders gearteten Bereicherungsanspruch des Angewiesenen nicht ausschliesst. Diese zum Teil in der deutschen Lehre vertretene Auffassung (dazu LARENZ, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. II, 12. Aufl., S. 535) ist auch in der schweizerischen Literatur aufgegriffen worden. Zur Begründung wird auf den weitgefassten Wortlaut von Art. 62 Abs. 1 OR und den das Bereicherungsrecht beherrschenden Billigkeitsgedanken hingewiesen. Diese Überlegungen sollen im Fall des Doppelmangels eine Durchgriffskondiktion des Angewiesenen gegenüber dem Leistungsempfänger rechtfertigen (LEA ROSEMARIE KAUFMANN-BÜTSCHLI, Grundlagenstudien zur ungerechtfertigten Bereicherung in ihrer Ausgestaltung durch das schweizerische Recht, Diss. Bern 1983, S. 265 ff.).
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Da im vorliegenden Fall kein Doppelmangel besteht, braucht nur kurz zu dieser Auffassung Stellung genommen zu werden. Eine grundsätzliche Auseinandersetzung erübrigt sich dagegen. Der weitgefasste Wortlaut von Art. 62 Abs. 1 OR lässt sich zwar mit der von KAUFMANN-BÜTSCHLI vertretenen Meinung vereinbaren. Diese hat aber den Nachteil, dass sie dem Richter lediglich wenig konkrete und zudem auf den Einzelfall ausgerichtete Beurteilungskriterien zur Verfügung zu stellen vermag, da letztlich Billigkeitsüberlegungen dafür massgebend sein sollen, ob eine Durchgriffskondiktion gewährt wird (KAUFMANN-BÜTSCHLI, a.a.O., S. 274). Die hier vertretene Lösung hat demgegenüber den Vorteil, einfach sowie praktikabel zu sein; sie gestattet es, jeden Einzelfall aufgrund der gleichen Grundsätze zu beurteilen, und wird deshalb auch der Rechtssicherheit besser gerecht.
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d) Das Handelsgericht will entscheidend darauf abstellen, dass allein noch die Klägerin die Bereicherung von der Beklagten ![]() | 15 |
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