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77. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 10. Dezember 1991 i.S. U. und Y. Z. gegen M. (Berufung) | |
Regeste |
Art. 272a Abs. 1 lit. a OR. Ausschluss der Mieterstreckung. | |
Sachverhalt | |
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M. machte Z. und seine Frau wiederholt auf Zinsrückstände aufmerksam. Mit Brief vom 13. Januar 1991 forderte er die beiden auf, bis zum 24. Januar 1991 ausstehende Mietzinse und Nebenkosten zu bezahlen, andernfalls er das Inkasso einleite und die gerichtliche Ausweisung verlange. Am 20. Februar 1991 folgte ein weiterer Brief, in dem die Eheleute Z. erneut zur Zahlung offener Beträge bis zum 1. März 1991 aufgefordert wurden unter Hinweis darauf, dass der Vermieter sonst rechtliche Schritte unternehme.
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Am 8. März 1991 kündigte M. den Mietvertrag auf Ende Juni 1991.
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Aus den Erwägungen: | |
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Die Formalitäten, die gemäss Art. 257d OR einer vorzeitigen Kündigung wegen Zahlungsrückstand hätten vorausgehen müssen, sind vom Beklagten, der den Mietvertrag erst auf den ordentlichen Termin des 30. Juni 1991 hin gültig aufgelöst hat, nicht eingehalten worden. Denn weder sein Brief vom 13. Januar 1991 noch derjenige vom 20. Februar 1991 enthält eine Zahlungsfrist von mindestens 30 Tagen und die vom Gesetz vorgeschriebene Androhung; ob diese Briefe der Ehefrau des Mieters ausserdem separat zugestellt worden sind, geht aus dem Urteil der Rekurskommission nicht hervor, kann jedoch offenbleiben, weil der Beklagte jedenfalls die anderen Formalitäten nicht beachtet hat. Trotzdem hält die Rekurskommission die von den Klägern verlangte Erstreckung aufgrund von Art. 272a Abs. 1 lit. a OR für ![]() | 6 |
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5. Vor der Gesetzesrevision brauchten keine besonderen Formalitäten beachtet zu werden. Permanenter Zahlungsrückstand des Mieters genügte, um die Erstreckung aufgrund von Art. 267c aOR auszuschliessen (zuletzt nicht publiziertes Urteil der I. Zivilabteilung vom 9. März 1989 i.S. L. AG gegen W., E. 3c; ![]() | 8 |
a) Zwar bestimmt Art. 272a Abs. 1 lit. a OR nach seinem Wortlaut nicht ausdrücklich, dass die Erstreckung nur zugunsten desjenigen Vermieters ausgeschlossen ist, der die Formalitäten für eine vorzeitige Kündigung nach Art. 257d OR einhält. Indessen zeigt die Übernahme des Randtitels von Art. 257d OR und der Verweis auf diese Vorschrift, dass die Auffassung des Beklagten, wonach für den Ausschluss jeder Zahlungsrückstand ausreiche, nicht zutreffen kann. Denn hätte die Bezugnahme auf Art. 257d OR bloss den Zweck, den Begriff des Zahlungsrückstandes zu umschreiben, wie sowohl die Vorinstanz als auch der Beklagte annehmen, so wäre sie überflüssig und ausserdem untauglich. Art. 257d OR enthält nämlich keine Definition des Zahlungsrückstandes; dieser Begriff wird als bekannt vorausgesetzt und bloss als eine der Bedingungen genannt, die erfüllt sein müssen, damit der Vermieter zur vorzeitigen Vertragsauflösung berechtigt ist. Sinnvoll kann die Bezugnahme auf Art. 257d OR daher nur sein, wenn sie sämtliche Voraussetzungen der vorzeitigen Vertragsauflösung erfasst. Zu diesen gehören aber neben dem Zahlungsrückstand auch die erfolglose Fristansetzung mit Kündigungsandrohung.
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Bestätigt wird diese Auslegung durch den Kontext, in dem der Ausschlussgrund des Zahlungsrückstandes steht. Als weitere Gründe für einen Erstreckungsausschluss nennt das Gesetz die schwere Verletzung der Pflicht des Mieters zu Sorgfalt und Rücksichtnahme (Art. 272a Abs. 1 lit. b OR), den Konkurs des Mieters (lit. c) und den Fall, dass im Hinblick auf einen Umbau oder Abbruch der Mietvertrag auf beschränkte Zeit abgeschlossen worden ist (lit. d). Aus dieser Aufzählung geht hervor, dass das ![]() | 10 |
b) Die Beschränkung des Erstreckungsausschlusses auf einige wenige Tatbestände von elementarer Bedeutung für die Vertragserfüllung entspricht dem Willen des Gesetzgebers. Ebenso wie der Gesetzestext äussern sich zwar auch die Materialien nicht unmittelbar zur Frage, ob der Erstreckungsausschluss aufgrund von Art. 272a Abs. 1 lit. a OR von der Einhaltung des für fristlose Vertragsauflösungen vorausgesetzten Vorgehens nach Art. 257d OR abhängig sei. Indessen war es ein Hauptziel der Mietrechtsrevision, den Mieter wirksamer vor Kündigungen zu schützen und den Schutz gegen die Härten gültiger Kündigungen zu verbessern. Dem sollte einerseits die neu eingeführte Kündigungsanfechtung (Art. 271 OR) und anderseits ein revidiertes Erstreckungsrecht dienen (Botschaft zur Revision des Miet- und Pachtrechts vom 27. März 1985, BBl 1985 I S. 1389 ff., insbesondere S. 1416 f.). Entsprechend dieser Zielsetzung sah der Gesetzgeber von einer Übernahme der früheren Ausschlussgründe des Art. 267c aOR ab. Diese Gründe sollten die Erstreckung nicht mehr ausschliessen, sondern lediglich als Elemente bei der Abwägung der Parteiinteressen im Rahmen des Erstreckungsentscheids (Art. 272 OR) mitberücksichtigt werden. Demgegenüber wurde der Erstreckungsausschluss in Art. 272a OR neu auf einzelne konkrete und abschliessend aufgezählte Ausnahmefälle beschränkt, bei denen der Gesetzgeber davon ausging, dem Vermieter dürfe eine Erstreckung ungeachtet der Parteiinteressen und der Härte für den Mieter unter keinen Umständen zugemutet werden (RONCORONI, a.a.O. S. 153 f. mit Hinweisen auf die Materialien). Wie zurückhaltend der Gesetzgeber bei der Zulassung von Ausschlussgründen war, erhellt aus der Tatsache, dass selbst die vorzeitige Vertragsauflösung ![]() | 11 |
c) Hat Art. 272a OR die Funktion eines Katalogs von Fällen, in denen der Richter ausnahmsweise davon absehen darf, das Vorliegen eines Erstreckungsgrundes nach Art. 272 OR zu prüfen, kann die Bezugnahme in Art. 272a Abs. 1 lit. a auf Art. 257d OR nur bedeuten, was bereits der Gesetzeswortlaut und der Kontext nahelegen. Der Ausschlussgrund des Zahlungsrückstandes knüpft nicht an irgendeinen, sondern an den Zahlungsrückstand an, wie er in Art. 257d OR als Voraussetzung für eine vorzeitige Vertragsauflösung umschrieben ist, weil der Gesetzgeber einzig diesen qualifizierten Zahlungsrückstand für ausreichend hält, um den Ausschluss jeder Interessenabwägung und Härteprüfung zu rechtfertigen. Die Erstreckung kann daher allein dann ausgeschlossen sein, wenn der Vermieter aufgrund von Art. 257d OR berechtigt ist, den Mietvertrag wegen Zahlungsrückstand vorzeitig aufzulösen. Das setzt aber eine erfolglose Fristansetzung mit Zahlungsandrohung voraus, die den Anforderungen von Art. 257d OR entspricht (SVIT-KOMMENTAR MIETRECHT, N. 8 zu Art. 272 a OR; LACHAT/MICHELI, Le nouveau droit de bail, S. 338 Fn. 5; ZIHLMANN, a.a.O. S. 206 f.; THANEI, a.a.O. S. 11; TRACHSEL, Leitfaden zum Mietrecht, S. 134 f.).
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d) Darf der Richter somit nur unter den Voraussetzungen von Art. 257d OR und nicht bereits bei Rückständen, die über ein "vernünftiges Mittelmass" hinausgehen, die Erstreckung ohne Prüfung der Voraussetzungen nach Art. 272 OR verweigern, ist das Urteil der Rekurskommission aufzuheben, nachdem eine gesetzeskonforme Fristansetzung mit Kündigungsandrohung durch den Beklagten unterblieben ist. Die Auffassung der Rekurskommission verkennt, dass in einem durch Formstrenge gekennzeichneten Rechtsgebiet auch der Entscheid über den Erstreckungsausschluss nicht dem richterlichen Ermessen anheimgestellt sein kann. Die Formstrenge dient dabei nicht nur der Rechtssicherheit, sondern stellt auch die Mitwirkung des Ehegatten des Mieters sicher, was einem weiteren Grundanliegen des Gesetzgebers entspricht. Denn hätte dem Erstreckungsausschluss keine erfolglose Fristansetzung mit Kündigungsandrohung durch den Vermieter ![]() | 13 |
e) Da kein Ausschlussgrund nach Art. 272a OR vorliegt, ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie prüft, ob die Kündigung für die Kläger eine Härte zur Folge hat, die auch durch die Interessen des Beklagten nicht gerechtfertigt wird (Art. 272 OR). Dabei bleibt ihr unbenommen, den Zahlungsrückständen im Rahmen der Interessenabwägung Rechnung zu tragen; verwehrt ist es ihr nur, unter Hinweis auf die Zahlungsrückstände von einer Interessenabwägung überhaupt abzusehen.
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