BGE 117 II 425 | |||
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79. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 12. September 1991 i.S. Niklaus M. gegen R. AG (Berufung) | |
Regeste |
Werkvertrag; Verjährung der Mängelrechte des Bestellers; Art. 210 Abs. 1, 365 Abs. 1 und 371 Abs. 2 OR. | |
Sachverhalt | |
Die Pensionskasse einer Bank liess in den Jahren 1983/84 in Baden-Dättwil verschiedene Mehrfamilienhäuser erstellen. Als Generalunternehmerin setzte sie die S. AG ein. Diese vergab die Maurer- und Eisenbetonarbeiten an die R. AG, die ihrerseits Ende 1983 mit Niklaus M. einen Werkvertrag betreffend das Verputzen der Hausfassaden schloss. Die Verputzarbeiten waren Mitte 1984 beendet.
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In der Folge bildeten sich verschiedenartige Risse am Verputz der Hausfassaden, wie anlässlich gemeinsamer Augenscheine von Vertretern der R. AG und von M. am 30. April 1986 und 3. September 1986 festgestellt wurde. An diesen Augenscheinen nahmen auch Angestellte der D. AG teil, welche die Mauersteine geliefert hatte.
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Da sich die Vertragsparteien bezüglich der Sanierung des Verputzes nicht einigen konnten, klagte die R. AG beim Bezirksgericht Kulm gegen M. mit dem Antrag, diesen zur Nachbesserung des Fassadenverputzes der Mehrfamilienhäuser, eventuell zur Zahlung von Fr. 103'600.-- nebst Zins zu verpflichten.
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Das Bezirksgericht wies die Klage am 19. Dezember 1989 ab. Die Klägerin appellierte an das Obergericht des Kantons Aargau, welches den Entscheid des Bezirksgerichts mit Urteil vom 13. Dezember 1990 aufhob und die Streitsache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückwies.
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Der Beklagte hat das Urteil des Obergerichts mit Berufung angefochten, die vom Bundesgericht abgewiesen wird.
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Aus den Erwägungen: | |
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Das Obergericht hält in tatsächlicher Hinsicht fest, die Klägerin habe am 30. April 1986 zwar Kenntnis von kleineren Schwindrissen gehabt, die prozessrelevanten steinkonformen Haarrisse dagegen erst am 3. September 1986 entdeckt und sofort mündlich sowie am nächsten Tag schriftlich gerügt. Dass diese Feststellungen auf einem offensichtlichen Versehen im Sinne von Art. 63 Abs. 2 OG beruhten, macht der Beklagte nicht geltend. Die Frage der Beweislastverteilung ist sodann nach ständiger Rechtsprechung gegenstandslos, wenn - wie hier - die Vorinstanz aufgrund eines Beweisverfahrens zum Ergebnis gelangt ist, bestimmte Tatsachenbehauptungen seien bewiesen oder widerlegt (BGE 114 II 291 mit Hinweisen). Nachdem auch die staatsrechtliche Beschwerde des Beklagten erfolglos geblieben ist, sind die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich. Damit stellt sich allein noch die Rechtsfrage, ob die Vorinstanz auf dieser tatsächlichen Grundlage zu Recht davon ausgegangen ist, die Rügefrist habe erst am 3. September 1986 zu laufen begonnen. Keiner weiteren Erörterung bedarf im übrigen, dass die Frist mit den sowohl am gleichen wie auch am folgenden Tag erhobenen Mängelrügen eingehalten worden ist.
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Festzuhalten ist sodann, dass der Augenschein vom 30. April 1986 offensichtlich nicht der Ablieferung und Abnahme des Werkes im Sinne von Art. 367 Abs. 1 und 370 Abs. 1 OR gedient hat. Denn zu diesem Zeitpunkt waren seit der Beendigung des Werkes bereits rund zwei Jahre verstrichen. Zudem kann offenbleiben, ob die Besichtigung allenfalls die Bedeutung einer Schlussprüfung im Sinne von Art. 177 der SIA-Norm 118 (Ausgabe 1977) hatte, wie die Klägerin behauptet, denn im angefochtenen Urteil wird nicht festgestellt, die Parteien hätten vertraglich die Geltung dieses Regelwerkes vereinbart. Der Beklagte bringt schliesslich auch nicht vor, die steinkonformen Haarrisse seien bereits bei der Abnahme des Werkes erkennbar gewesen. Es handelt sich deshalb um geheime Mängel im Sinne von Art. 370 Abs. 3 OR. Solche Mängel müssen dem Unternehmer sofort nach ihrer Entdeckung angezeigt werden, ansonst das Werk auch insoweit als genehmigt gilt. Entdeckt ist ein Mangel mit dessen zweifelsfreier Feststellung (BGE 107 II 175 E. 1a). Die Rügefrist wird daher weder durch die objektive Erkennbarkeit des Mangels in Gang gesetzt, noch durch die Feststellung der ersten Mängelspuren, sofern der Besteller nach Treu und Glauben davon ausgehen darf, es handle sich bloss um übliche Erscheinungen, die keine Abweichung vom Vertrag darstellten, wie das insbesondere für "wachsende" Mauerrisse zutreffen kann (GAUCH, Der Werkvertrag, 3. Aufl., S. 411/12 Rz. 1573 f.). Aus diesem Grund schadet der Klägerin nicht, dass sie am 30. April 1986 Schwindrisse festgestellt, diese aber als übliche Erscheinung gewertet hat. Ebensowenig gereicht ihr zum Nachteil, dass ein Angestellter der D. AG bereits damals die steinkonformen Haarrisse entdeckt hat. Denn einerseits hat dieser Angestellte den Vertretern der Klägerin nach verbindlicher Feststellung der Vorinstanz nichts von seiner Entdeckung gesagt. Andererseits darf ihr das Wissen eines aussenstehenden Dritten nicht zugerechnet werden. Entgegen der Rüge der Beklagten hat die Vorinstanz demnach kein Bundesrecht verletzt, weil sie davon ausgegangen ist, die Rügefrist habe erst am 3. September 1986 zu laufen begonnen und sei von der Klägerin durch rechtzeitige Mängelrügen eingehalten worden.
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Die hier streitige Frage wird auch in der Literatur nicht einheitlich beantwortet. Ein Teil der Lehre versteht Art. 365 Abs. 1 OR als allgemeine Verweisung auf die gesetzlichen Regeln des Kaufvertrages (BECKER, N. 2 zu Art. 365 OR; OSER/SCHÖNENBERGER, N. 2 zu Art. 365 OR; GAUTSCHI, N. 8d zu Art. 365 OR; GIGER, N. 8 der Vorbemerkungen zu Art. 197-210 OR; PEDRAZZINI, SPR, Bd. VII/1, S. 522 mit kritischer Fn. 44a). In der neueren Literatur wird dagegen überwiegend die Auffassung vertreten, Art. 365 Abs. 1 OR verweise nur bezüglich der Rechtsgewährleistung für den gelieferten Stoff auf die Regeln des Kaufvertragsrechts, während für die Sachgewährleistung das Werkvertragsrecht und insbesondere auch dessen Verjährungsfristen gälten (GAUCH, a.a.O., S. 285 ff. Rz. 1002 ff.; TERCIER, La partie spéciale du Code des obligations, S. 330/31 Rz. 2544 f.; HONSELL, Schweiz. Obligationenrecht, Besonderer Teil, S. 197).
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Dieser zweiten Auffassung ist zuzustimmen. Sie lässt sich einerseits auf die Entstehungsgeschichte von Art. 365 Abs. 1 OR stützen (vgl. dazu GAUCH, a.a.O., S. 286 Rz. 1008 f.) und ist andererseits allein mit Sinn und Zweck dieser Vorschrift sowie der Systematik des Gesetzes zu vereinbaren. So setzt Art. 371 Abs. 2 OR die Verjährungsfrist für Ansprüche aus Mängeln eines unbeweglichen Bauwerks darum auf fünf Jahre fest, weil oft erst nach längerer Zeit erkennbar wird, ob das Werk stabil gebaut ist oder den Anforderungen der atmosphärischen Verhältnisse standhält (BGE 93 II 245). Dieser Zweckgedanke gilt jedoch sowohl hinsichtlich der Eignung des verwendeten Stoffes wie auch der Art seines Einbaus. Die Absicht des Gesetzgebers war daher offensichtlich in den Regelungsbereichen von Art. 219 Abs. 3 OR und Art. 371 Abs. 2 OR die gleiche. Zu berücksichtigen ist zudem, dass auch im Fall des Kaufs einer zukünftigen unbeweglichen Sache die Gewährleistungsansprüche wegen Gebäudemängeln mit Ablauf von fünf Jahren verjähren, und zwar unabhängig von den Ursachen der Mängel. Umso weniger ist es gerechtfertigt, bei einem Werkvertrag, der ein unbewegliches Bauwerk betrifft, von der kürzeren Frist des Mobiliarkaufs auszugehen. Schliesslich wäre ein Auseinanderfallen der Verjährungsfristen hinsichtlich Stoff- und anderen Mängeln auch vom prozessualen Gesichtspunkt aus problematisch, weil es oft schwierig ist, die Zuordnung beweismässig abzuklären. Aus all diesen Gründen ist mit der Vorinstanz davon auszugehen, dass die Verjährungsfrist von Art. 371 Abs. 2 OR auch für Ansprüche aus Stoffmängeln eines unbeweglichen Bauwerkes gilt, für das der Unternehmer den Stoff geliefert hat.
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