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84. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 12. September 1991 i.S. Kurt und Christine H. gegen Flora W. (Berufung) | |
Regeste |
Missbräuchlichkeit einer Mietzinserhöhung. |
2. Die sogenannten absoluten Mietzinserhöhungsgründe - ungenügende Rendite, Anpassung an die Ortsüblichkeit - können in einem laufenden Mietverhältnis nur insoweit angerufen werden, als sich die Verhältnisse seit der letzten Mietzinsfestsetzung verändert haben (E. 4). |
3. Bindung des Vermieters an die Erhöhungsgründe, die er dem Mieter in der Begründung der Mietzinserhöhung angegeben hat (E. 5). | |
Sachverhalt | |
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B.- Nachdem Kurt und Christine H. Einsprache erhoben hatten und im Schlichtungsverfahren keine Einigung zustandegekommen war, klagte Flora W. beim Richteramt Seftigen auf Feststellung der Nichtmissbräuchlichkeit der Erhöhung. Mit Entscheid vom 3. Januar 1991 wies der Gerichtspräsident von Seftigen die Klage ab und erklärte die Mietzinserhöhung von Fr. 1'080.-- auf Fr. 1'250.-- zuzüglich Nebenkosten für die 5 1/2-Zimmer-Wohnung der Beklagten und die Mietzinserhöhung für die Garage von Fr. 75.-- auf Fr. 87.-- per 1. November 1989 als nichtig.
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Auf Appellation der Klägerin bestätigte der Appellationshof des Kantons Bern diesen Entscheid am 22. März 1991.
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C.- Das Bundesgericht weist die von der Klägerin eingelegte Berufung ab und bestätigt das Urteil des Appellationshofs.
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Aus den Erwägungen: | |
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Die Klägerin bestreitet nicht, dass frühere Hypothekarzinssenkungen nicht an die Mieter weitergegeben worden sind. Sie wendet jedoch einerseits ein, der am 18. September 1989 in Kraft getretene ![]() | 6 |
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Dem hält die Klägerin entgegen, das Bundesgericht führe in einem Entscheid vom 12. Dezember 1990 (MP 1/1991, S. 10 ff.) aus, die Meinung, neu in Kraft getretenes zwingendes Recht sei unbesehen sofort anwendbar, könne nicht richtig sein. Das Bundesgericht weise in diesem Zusammenhang insbesondere auf den Vertrauensgrundsatz hin. Diesen aber habe der Appellationshof im vorliegenden Fall durch die Anwendung von Art. 9 Abs. 2bis VMM verletzt. Das Anfechtungsverfahren sei im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Bestimmung bereits hängig gewesen. Die Auffassung der Vorinstanz bedeute daher, dass eine bei Einleitung des Verfahrens zulässige Mietzinserhöhung durch während des Verfahrens eingetretene Gesetzesänderung plötzlich missbräuchlich ![]() | 8 |
a) Diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen. Richtig ist zwar, dass bei der Auslegung und Anwendung übergangsrechtlicher Vorschriften, wie das Bundesgericht im vom Kläger angeführten Entscheid unter Hinweis auf Lehre und Rechtsprechung erkannt hat (MP 1/1991, S. 14 E. d), der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes eine massgebliche Rolle spielt. Das Gesetzesvertrauen geniesst jedoch keinen absoluten Schutz, sondern hat gegebenenfalls vor einem überwiegenden öffentlichen Interesse am sofortigen oder rückwirkenden Inkrafttreten der neuen Ordnung zu weichen (WEBER-DÜRLER, Vertrauensschutz im öffentlichen Recht, S. 290 f.). Dieser Gedanke liegt auch Art. 2 Abs. 1 SchlT ZGB zugrunde, wonach Bestimmungen, die um der öffentlichen Ordnung und Sittlichkeit willen aufgestellt werden, grundsätzlich sofort anwendbar sind. Handelt es sich bei den neuen Vorschriften um zwingendes Recht, so ist ein überwiegendes öffentliches Interesse an ihrer sofortigen Wirksamkeit zwar nicht durchwegs (MP 1/1991, S. 14 E. d), aber doch in aller Regel zu bejahen (VISCHER, Die allgemeinen Bestimmungen des schweizerischen intertemporalen Privatrechts, Diss. Zürich 1986, S. 97 f.). Das gilt selbst dann, wenn keine besondere zeitliche Dringlichkeit vorliegt. Stellt der Gesetz- oder Verordnungsgeber durch die Änderung einer Regelung fest, dass ein Bedürfnis für eine Neuordnung besteht, so liegt es grundsätzlich im öffentlichen Interesse, diese Neuordnung möglichst bald zu verwirklichen (BGE 106 Ia 260 E. 4b).
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Aus dem Anspruch auf Vertrauensschutz lässt sich daher entgegen dem, was die Klägerin anzunehmen scheint, insbesondere auch kein allgemeiner Grundsatz ableiten, wonach Gesetzesänderungen, die erst im Verlaufe des Verfahrens eintreten, generell ausser Betracht zu bleiben hätten. Ist ein überwiegendes öffentliches Interesse an seiner sofortigen Anwendbarkeit gegeben, so ist das neue Recht vielmehr auch auf Verfahren anzuwenden, die bei Inkrafttreten des neuen Erlasses bereits hängig, aber noch nicht abgeschlossen sind (BGE 107 Ib 86 E. 4a mit Hinweisen).
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b) Im Lichte dieser Kriterien ist die Auffassung der Vorinstanz, Art. 9 Abs. 2bis VMM sei auf den vorliegenden Fall anwendbar, nicht zu beanstanden. Denn einerseits ist diese Vorschrift, wie der ![]() | 11 |
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a) Die gesetzliche Regelung zum missbräuchlichen Mietzins beruht auf verschiedenen Motiven, die zum Teil in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander stehen. Die Missbrauchsgesetzgebung will einerseits verhindern, dass der Vermieter auf Kosten des Mieters eine übersetzte Rendite erwirtschaftet (Grundsatz der Kostenmiete). Dieser Gedanke liegt der Generalklausel von Art. 14 BMM sowie den Bestimmungen von Art. 15 Abs. 1 lit. b, c und d BMM zugrunde. Auf der anderen Seite gilt aber ein Mietzins, der sich im Rahmen der orts- und quartierüblichen Mietzinse hält (Grundsatz der Vergleichs- oder Marktmiete, Art. 15 Abs. 1 lit. a BMM), selbst dann nicht als missbräuchlich, wenn damit der zulässige Ertrag überstiegen wird (BGE 112 ![]() | 13 |
b) Damit erweist sich die Argumentation der Klägerin als verfehlt. Ist die Angleichung des Mietzinses an die Ortsüblichkeit im Jahre 1988 nicht als Neufestlegung, sondern bloss als Anpassung des bisherigen Mietzinses aufzufassen, so steht einer Überprüfung der früheren Mietzinsentwicklung gestützt auf Art. 9 Abs. 2bis VMM nichts im Wege.
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5. Der Vermieter ist an die Erhöhungsgründe, die er dem Mieter in der Begründung der Mietzinserhöhung angegeben hat, gebunden (BGE 106 II 168 E. 4a, 360 E. c). Diese Regel, die ebenfalls auf dem Grundsatz von Treu und Glauben beruht, schliesst ein Nachschieben weiterer Erhöhungsgründe im Anfechtungsverfahren aus. Im vorliegenden Fall ist dem vorinstanzlichen Urteil nicht zu entnehmen, dass die Klägerin die streitige Mietzinserhöhung ebenfalls mit der Erreichung einer angemessenen Nettorendite ![]() | 15 |
Daran vermag auch BGE 116 II 594 ff. nichts zu ändern. Im dort beurteilten Fall hatte der Vermieter die Mietzinserhöhung damit begründet, der Ertrag sei ungenügend. Im Rahmen der Rechtsanwendung von Amtes wegen war daher die Zulässigkeit der Erhöhung nicht nur aufgrund von Art. 15 Abs. 1 lit. c BMM, den der Vermieter ausdrücklich angerufen hatte, sondern auch aufgrund von Art. 14 BMM zu prüfen. Im vorliegenden Fall verhält es sich indessen anders, hat doch die Klägerin nach den verbindlichen Feststellungen der kantonalen Instanzen zur Begründung der Mietzinserhöhung lediglich die Hypothekarzinserhöhung, die Teuerung und die allgemeine Kostensteigerung angeführt.
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Im übrigen hätte die Klägerin den Erhöhungsgrund von Art. 14 BMM nach dem Gesagten (E. 4a hievor) ohnehin nur insoweit geltend machen können, als sich die Ertragssituation seit der letzten Mietzinsfestsetzung verändert hatte. Dass solche Veränderungen eingetreten seien, behauptet sie indessen selbst nicht.
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