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102. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 18. Dezember 1991 i.S. R. und R. Z. gegen F. (Berufung) | |
Regeste |
Art. 274g OR. Zuständigkeit des Ausweisungsrichters nach ausserordentlicher Kündigung. |
Bundesrechtliche Anforderungen an die Prüfung von Anfechtung und Erstreckung im Ausweisungsverfahren (E. 2d). | |
Sachverhalt | |
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Nach der Schlichtungsverhandlung vom 8. Januar 1991 wurde das Schlichtungsverfahren am 11. Januar als erledigt abgeschrieben, weil sich die Parteien laut Protokoll vergleichsweise auf eine Verlängerung des Mietvertrags bis Ende März geeinigt hatten, sofern bis zum 15. Januar sowohl die rückständigen als auch die noch fällig werdenden Mietzinse bezahlt würden.
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B.- Mit der Begründung, dass entgegen dieser vereinbarten Bedingung nur die rückständigen Mietzinse eingegangen seien und das Mietverhältnis seit anfangs Dezember aufgelöst sei, verlangte der Vermieter (Kläger) am 24. Januar 1991 beim Einzelrichter des Bezirks Höfe die Ausweisung, der sich die Mieter (Beklagte) aber mit Eingaben vom 12. und 27. Februar widersetzten, weil der Einzelrichter keine Ausweisung verfügen dürfe, bevor das ohne verbindlichen Vergleich und daher zu Unrecht abgeschriebene Schlichtungsverfahren nicht ordentlich abgeschlossen sei. Als Ausweisungsrichter erklärte sich der Einzelrichter jedoch aufgrund von Art. 274g Abs. 1 OR auch für die Beurteilung der Kündigungsanfechtung zuständig und verfügte am 25. März 1991 die Ausweisung, weil der Kläger gültig auf den 1. Dezember gekündigt habe, nachdem die Zahlung der August- und Septembermiete bis zum 22. Oktober unbewiesen geblieben sei. Einen Rekurs der Beklagten wies das Kantonsgericht von Schwyz mit Beschluss vom 30. Juli 1991 ab und bestätigte die Ausweisung.
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Aus den Erwägungen: | |
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a) Die Beklagten sind der Auffassung, die Zuständigkeit des Ausweisungsrichters für die Beurteilung von Kündigungsanfechtungen sei nach Art. 274g Abs. 1 OR auf den Fall beschränkt, wo während eines bereits hängigen Ausweisungsverfahrens die Kündigung angefochten werde; daraus schliessen sie, die Kompetenzvorschrift könne vorliegend nicht Anwendung finden und der Ausweisungsrichter hätte daher die ordentliche Beendigung des zu Unrecht abgeschriebenen Schlichtungsverfahrens abwarten müssen, nachdem die Kündigung am 30. November 1990 und damit nicht während eines hängigen Ausweisungsverfahrens, sondern fast zwei Monate vor dem Ausweisungsbegehren angefochten worden sei.
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Diese Auslegung von Art. 274g Abs. 1 OR ist bei einer isolierten Betrachtung des Wortlauts ("Ficht der Mieter ... an und ist ein Ausweisungsverfahren hängig") zwar nicht ausgeschlossen, hätte aber zur Folge, dass die zwingend vorgeschriebene Kompetenzattraktion zugunsten des Ausweisungsrichters kaum zum Tragen käme. Denn nach Art. 273 Abs. 1 OR sind Kündigungen innert dreissig Tagen nach deren Empfang bei der Schlichtungsbehörde anzufechten; innert der gleichen Frist ist bei der Schlichtungsbehörde um Erstreckung eines unbefristeten Mietverhältnisses zu ![]() | 7 |
b) Schon der Gesetzeszusammenhang zeigt, dass die von den Beklagten geforderte Auslegung, welche die Kompetenzattraktion zugunsten des Ausweisungsrichters von diesem Regelfall ausnehmen und praktisch auf die fristlos zulässigen Kündigungen wegen vorsätzlicher Schadenszufügung (Art. 257f Abs. 4 OR) und wegen Konkurs (Art. 266h Abs. 2 OR) einschränken würde, nicht zutreffen kann. Gemäss Abs. 3 von Art. 274g OR ist die mit einer Kündigungsanfechtung bzw. mit einem Erstreckungsbegehren befasste Schlichtungsbehörde nämlich verpflichtet, die Begehren des Mieters an den nach Abs. 1 und 2 für deren Beurteilung zuständigen Ausweisungsrichter zu überweisen. Diese Regelung zeigt klar, dass das Gesetz davon ausgeht, der Mieter werde die dreissigtägige Anfechtungsfrist des Art. 273 OR zu wahren haben und daher zuerst bei der Schlichtungsbehörde die Kündigung anfechten und eventuell die Erstreckung verlangen, bevor der Vermieter überhaupt in die Lage komme, sich an den Ausweisungsrichter zu wenden.
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c) Der vom Gesetzgeber mit Art. 274g OR verfolgte Zweck bestätigt die Unhaltbarkeit der von den Beklagten vertretenen Auffassung. Die Vereinigung der Kompetenz zur Ausweisung mit derjenigen zum Entscheid über Kündigungsanfechtungen bei ein und derselben Behörde soll im Interesse der beförderlichen Erledigung mietrechtlicher Auseinandersetzungen (Art. 274d Abs. 1 OR), die bei ausserordentlichen Kündigungen besondere Bedeutung erlangt, vermeiden, dass mehrere Verfahren vor verschiedenen Behörden durchgeführt werden müssen (vgl. Botschaft in BBl 1985 I S. 1465; SVIT-Kommentar Mietrecht, N. 14 zu Art. 274g OR; ![]() | 9 |
Das Kantonsgericht hat daher zu Recht erkannt, der Einzelrichter des Bezirks Höfe sei als Ausweisungsrichter für den Entscheid über die vor Einreichung des Ausweisungsbegehrens angefochtene Kündigung zuständig.
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d) Nicht verkannt werden darf, dass das in den Kantonen für Ausweisungen übliche Summarverfahren die Gefahr birgt, die mit der Gesetzesrevision ausgebauten Mieterrechte wieder zu verkürzen, wenn der Ausweisungsrichter gestützt auf Art. 274g OR im gleichen summarischen Verfahren endgültig und ohne Möglichkeit nachträglicher Überprüfung in einem ordentlichen Verfahren über Kündigungsanfechtungen und Erstreckungsbegehren zu befinden hat (ZIHLMANN, a.a.O. S. 113). Besonders ausgeprägt ist diese Gefahr in Kantonen, die den Ausweisungsentscheid der Schlichtungsbehörde übertragen (BBl 1985 I S. 1465) und für diese Behörde ausserdem ein Summarverfahren mit einschneidenden Beweismittelbeschränkungen vorsehen (E. 2c). Damit sich diese Gefahr nicht verwirklicht, ist der endgültig entscheidende Ausweisungsrichter bzw. die für den Ausweisungsentscheid zuständige Schlichtungsbehörde von Bundesrechts wegen gehalten, Kündigungsanfechtungen und Erstreckungen trotz des summarischen Verfahrens sowohl in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht umfassend ![]() | 11 |
Der angefochtene Entscheid hält auch in dieser Hinsicht vor Bundesrecht stand, hat doch das Kantonsgericht die Gültigkeit der streitigen Kündigung auf den 1. Dezember 1990 einlässlich überprüft, obwohl nur die Zuständigkeit des Ausweisungsrichters Gegenstand der Rekursvorbringen war. Nachdem der Einzelrichter die Beklagten vergeblich aufgefordert hatte, Beweismittel dafür beizubringen, dass die ausstehenden Mietzinse bis zum angesetzten Termin des 22. Oktober bezahlt worden waren, stand im übrigen ausser Zweifel, dass das Mietverhältnis seit anfangs Dezember 1990 aufgelöst war (Art. 259d OR), zumal sich die Frage der Erstreckung nicht stellte (Art. 272a OR) und die Auflösung des Mietverhältnisses wegen des unstreitig nicht zustande gekommenen Vergleichs einzig von der Gültigkeit der Kündigung abhing.
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