BGE 117 II 560 | |||
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103. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 19. November 1991 i.S. Z. gegen T. und I. F.-D. (Berufung) | |
Regeste |
Fristlose Entlassung. Treuepflicht des Arbeitnehmers. | |
Sachverhalt | |
A.- Im Zermatter Hotelbetrieb des Z. arbeiteten seit dem 16. Mai 1987 T. F. als Küchenchef und seine Lebensgefährtin I. D. als Geschäftsführerin. Das Arbeitsverhältnis sollte fest bis Mitte Mai 1989 dauern. Am 23. und 25. Juni 1987 erschien im "Walliser Bote" bzw. in der Hotelrevue aber je ein Inserat, mit dem T. F. und I. D. unter Chiffre "für sofort oder nach Übereinkunft" eine Stelle als Hotelier-Ehepaar suchten, worauf sie Z. am 20. Juli 1987 fristlos entliess.
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B.- Die beiden Entlassenen bestritten einen wichtigen Grund für die fristlose Vertragsauflösung und erhoben beim Kantonsgericht Wallis gegen ihren ehemaligen Arbeitgeber u.a. Klage auf Ersatz von entgangenem Lohn, die das Kantonsgericht am 29. November 1990 für insgesamt Fr. 57'734.45 schützte. Mit Berufung beantragt der Beklagte beim Bundesgericht erfolglos, das Urteil des Kantonsgerichts aufzuheben und festzustellen, dass er den inzwischen verheirateten Klägern nichts mehr schulde.
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Aus den Erwägungen: | |
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a) Eine Verletzung der Arbeitspflicht steht nicht zur Beurteilung, sondern allein der Vorwurf der Treuepflichtverletzung, die der Beklagte darin erblickt, dass die Kläger bereits kurze Zeit nach Beginn ihrer für die Dauer von zwei Jahren vereinbarten Tätigkeit als Küchenchef bzw. Geschäftsführerin "für sofort oder nach Übereinkunft" eine andere Stelle gesucht hätten.
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Die Treuepflicht gebietet dem Arbeitnehmer, die berechtigten Interessen des Arbeitgebers zu wahren (Art. 321a Abs. 1 OR); der Arbeitnehmer hat insbesondere alles zu unterlassen, was den Arbeitgeber wirtschaftlich schädigen könnte (BGE 117 II 74 E. 4a). Im zitierten Entscheid verneinte das Bundesgericht eine Treuepflichtverletzung des Arbeitnehmers, der im Hinblick auf eine selbständige Tätigkeit während des bestehenden und ungekündigten Arbeitsverhältnisses eine Einzelfirma gegründet hatte. Dabei war ausschlaggebend, dass es dem Arbeitnehmer, der das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der Kündigungsfrist jederzeit einseitig auflösen kann, auch freistehen muss, eine neue Beschäftigung für die Folgezeit vorzubereiten, solange durch diese Vorbereitungen keine berechtigten Interessen des Arbeitgebers beeinträchtigt werden (BGE 117 II 76 E. 4b).
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Von diesen Erwägungen lässt sich auch das Kantonsgericht leiten, wenn es den Klägern zubilligt, ihre Inserate seien als Stellenbewerbung zu qualifizieren, die namentlich in einem befristeten Arbeitsverhältnis stets zulässig sein müsse und nicht als wichtiger Grund für eine fristlose Entlassung betrachtet werden dürfe. Damit verkennt die Vorinstanz jedoch den grundlegenden Unterschied zwischen dem in BGE 117 II 72 beurteilten und dem vorliegenden Sachverhalt. Hier ging es nicht um vorbereitende Massnahmen, die erst nach ordentlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses wirksam werden sollten. Mit ihren Inseraten bekundeten die Kläger vielmehr unmissverständlich ihre Absicht, möglichst sofort eine neue Stelle anzutreten und den bestehenden Arbeitsvertrag, der noch fast zwei Jahre gedauert hätte, zu brechen. Dieses Verhalten war durchaus geeignet, berechtigte Interessen des Beklagten zu beeinträchtigen, und zwar unbekümmert darum, dass im Zeitpunkt der fristlosen Entlassung am 20. Juli 1987 die Stellensuche noch keinen Erfolg gezeitigt hatte. Denn aufgrund der Inserate konnte der Beklagte nicht mehr darauf vertrauen, die Posten des Küchenchefs und des Geschäftsführers seien während der nächsten beiden Jahre besetzt, sondern hatte damit zu rechnen, dass die Kläger ihre Stellen bei der ersten Gelegenheit verlassen würden.
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b) Haben die Kläger ihre Treuepflicht gegenüber dem Beklagten somit verletzt, bleibt zu prüfen, ob die Schwere des Fehlverhaltens die fristlose Entlassung ohne vorgängige Verwarnung rechtfertigte.
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Als ultima ratio ist die fristlose Entlassung erst dann zulässig, wenn dem Vertragspartner auch nicht mehr zugemutet werden darf, das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung aufzulösen oder bei fester Vertragsdauer deren Ende abzuwarten (STREIFF, Leitfaden zum Arbeitsvertragsrecht, 4. A. 1986, N. 2 zu Art. 337 OR; BRÜHWILER, Handkommentar, N. 6 zu Art. 337 OR). Bei schweren Verfehlungen des Arbeitnehmers wie insbesondere Straftaten zum Nachteil des Arbeitgebers ist diese Voraussetzung in der Regel ohne weiteres zu bejahen, da ein solches Verhalten das gegenseitige Vertrauensverhältnis sogleich und endgültig zerstört. Dagegen machen weniger schwere Pflichtverletzungen wie unkorrektes oder illoyales Verhalten gegenüber dem Arbeitgeber (STREIFF, a.a.O. N. 5 zu Art. 337 OR) die Fortsetzung regelmässig erst unzumutbar, nachdem sie trotz Verwarnung wiederholt worden sind, weil vorher noch Anlass zur Erwartung besteht, das Vertrauensverhältnis sei lediglich gestört und die Verwarnung werde den Arbeitnehmer von weiteren Pflichtverletzungen abhalten (FRITZ RAPP, Die fristlose Kündigung des Arbeitsvertrages, in: BJM 1978 S. 172 f.; JÜRG BRÜHWILER, Die fristlose Auflösung des Arbeitsverhältnisses, in: SJZ 81 (1985) S. 72).
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In Anbetracht der Kaderposition der Kläger im Hotelbetrieb des Beklagten erscheint ihre Treuepflichtverletzung nicht leicht, zumal sie ihre Entschlossenheit zum sofortigen Stellenwechsel völlig unerwartet kurz nach Aufnahme ihrer zweijährigen Tätigkeit und dazu noch bei beginnender Hochsaison kundgetan haben. Für die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses spricht an sich auch die erhebliche Restdauer des Vertrags von knapp zwei Jahren (BRÜHWILER, N. 6 zu Art. 337 OR). Nicht zu berücksichtigen sind die in der Berufungsantwort vorgebrachten, im angefochtenen Urteil jedoch nicht festgestellten Tatsachen (Art. 61 Abs. 1 OG), mit denen die Kläger ihr Verhalten zu rechtfertigen versuchen.
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Indessen hätte für den Beklagten trotzdem Anlass zur Erwartung bestanden, eine Verwarnung werde die Kläger davon abhalten, ihre mit den Inseraten bekundete Absicht in die Tat umzusetzen. Aufgrund des vom Kantonsgericht verbindlich festgestellten Sachverhalts (Art. 63 Abs. 2 OG) ist im Berufungsverfahren davon auszugehen, dass sich die Kläger bis zur Aufgabe ihrer Inserate keine Pflichtverletzungen haben zuschulden kommen lassen. Nichts weist im angefochtenen Urteil darauf hin, dass eine Verwarnung ohnehin wirkungslos geblieben und nicht geeignet gewesen wäre, die Vertragstreue wieder herzustellen. Es war daher keineswegs ausgeschlossen, dass bereits eine knappe Verwarnung durch den Beklagten genügt hätte, um den Klägern die angesichts ihrer Stellung weitreichenden Konsequenzen eines Vertragsbruches klar zu machen und sie dadurch für den Rest der Vertragsdauer zu pflichtgemässem Verhalten zu veranlassen. Demzufolge stand die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht fest, als der Beklagte ohne vorgängige Verwarnung kurzerhand die fristlose Kündigung aussprach.
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