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111. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 12. November 1991 i.S. X. Versicherungs-AG gegen K. A. (Berufung) | |
Regeste |
Selbstunfall einer Ehefrau mit dem Fahrzeug ihres Ehemannes, schwere Invalidität der Lenkerin, Haftung. |
2. Art. 48ter Satz 2 AHVG. Die darin enthaltene Haftungsbeschränkung zu Gunsten der in Art. 44 Abs. 1 UVG erwähnten Familienangehörigen ist ein Regress- und kein Haftungsprivileg (Präzisierung der Rechtsprechung; E. 4c/aa). |
Aus dem in Art. 44 UVG statuierten Haftungsprivileg von Familienangehörigen lässt sich kein allgemeines Prinzip im Haftpflichtrecht herleiten (E. 4c/bb). |
3. Art. 43 Abs. 1 OR. Das Überlassen des Fahrzeugs an ein Familienmitglied zum Besuch von Verwandten stellt keine Gefälligkeit des Halters dar, die eine Herabsetzung des Schadenersatzes rechtfertigt (E. 5c). |
4. Art. 62 Abs. 3 SVG. Leistungen aus der Insassenunfallversicherung sind anzurechnen, wenn der Versicherungsvertrag nichts anderes vorsieht (E. 6a). Auslegung vorgeformter Versicherungsbedingungen (E. 6c). |
5. Ersatz für Dauerschaden ist grundsätzlich in Form einer Kapitalsumme zuzusprechen (E. 10). | |
Sachverhalt | |
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B.- K. A. klagte daher am 24. August 1984 beim Amtsgericht Solothurn-Lebern gegen die X.-Versicherungs-Aktiengesellschaft ![]() | 2 |
Auf Appellation beider Parteien verwarf das Obergericht des Kantons Solothurn mit Urteil vom 8. November 1988/15. März 1990 die Einwände der X.-Versicherungs-Aktiengesellschaft gegen eine grundsätzliche Haftung, mithin die Behauptungen, die Geschädigte sei Mithalterin des Fahrzeugs gewesen, sie habe die Betriebsgefahr selbst verwirklicht und zudem gelte zwischen Ehegatten das Haftungsprivileg naher Verwandter. Hingegen erachtete das Obergericht die von der Versicherungsgesellschaft geltend gemachten Herabsetzungsgründe im Umfange von 20% als ausgewiesen, nämlich 10% für ein leichtes Selbstverschulden sowie 10% für das Nichttragen der Sicherheitsgurten; eine weitere Reduktion wegen unentgeltlicher Überlassung des Fahrzeugs wurde abgewiesen. Bei der Berechnung des Schadens wurde die Arbeitsunfähigkeit als Hausfrau mit 50%, jene als Serviertochter mit 100% bewertet. Den von der Geschädigten für die Erschwerung des wirtschaftlichen Fortkommens zusätzlich geltend gemachten Betrag sowie Nachteile der Besteuerung schützte das Gericht nicht. Abgewiesen wurde ferner das Begehren der Versicherungsgesellschaft, neben den Leistungen der IV jene aus der Insassenunfallversicherung an die Haftpflichtansprüche anzurechnen. Hingegen verneinte auch das Obergericht einen Genugtuungsanspruch der Fahrzeuglenkerin.
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In teilweiser Gutheissung der Appellation von K. A. und in Abweisung derjenigen der X.-Versicherungs-Aktiengesellschaft verpflichtete daher das Obergericht letztere, der Verunfallten bis zum Urteilstag für den bisherigen Erwerbsausfall Fr. 180'574.80 nebst Zins zu 5% seit 8. September 1984 zu bezahlen. Für ![]() | 4 |
C.- Die Beklagte führt eidgenössische Berufung gegen das Urteil des Obergerichts und beantragt, die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin schliesst auf Abweisung der Berufung, eventuell auf Rückweisung an die Vorinstanz zur Aktenergänzung und neuen Entscheidung. Das Obergericht beantragt, die Berufung abzuweisen. Das Bundesgericht heisst die Berufung teilweise gut und verpflichtet die Beklagte, der Klägerin für den zukünftigen Invaliditätsschaden eine Kapitalabfindung von Fr. 493'718.-- anstelle einer Rente zu bezahlen.
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Aus den Erwägungen: | |
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b) Dem Strassenverkehrsgesetz liegt nicht ein formeller, sondern ein materieller Halterbegriff zugrunde. Danach ist als Halter derjenige aufzufassen, auf dessen eigene Rechnung und Gefahr der Betrieb des Fahrzeuges erfolgt und der zugleich über dieses und allenfalls über die zum Betrieb erforderlichen Personen die tatsächliche, unmittelbare Verfügung besitzt (BGE 92 II 42; BGE 101 II 136; OFTINGER/STARK, Bd. II/2, S. 59 f., Rz. 90; GIGER, Strassenverkehrsgesetz, 4. Aufl., S. 167; SCHAFFHAUSER/ZELLWEGER, Grundriss ![]() | 8 |
c) Das Obergericht hält in tatsächlicher Hinsicht für das Bundesgericht verbindlich fest (Art. 63 Abs. 2 OG), dass V. A. das Auto regelmässig für die Fahrt zur Arbeit benützt und es als Feuerwehrkommandant von Rüttenen dem Pikettdienst zur Verfügung gestellt habe. Er sei für den eigentlichen Betrieb des Fahrzeugs verantwortlich gewesen und habe dessen Unterhalts- und Betriebskosten bestritten. Seine Ehefrau habe den Wagen nur benützen können, wenn er ihn nicht benötigt habe; im übrigen sei K. A. im Zeitpunkt des Unfalls erst kurze Zeit im Besitze des Führerausweises gewesen und habe den Wagen bis dahin nur wenige Male allein gefahren, so dass nicht von einer regelmässigen Benützung gesprochen werden könne.
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Soweit die Beklagte in ihrer Berufungsschrift das Beweisergebnis in Abweichung von der Vorinstanz würdigt, kann darauf nicht eingetreten werden (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG; BGE 116 II 93 mit Hinweisen). Materiell ist ihr Einwand abzuweisen, kann doch die Klägerin nach dem Gesagten weder als Halterin noch als Mithalterin des Unfallwagens bezeichnet werden. Ob sie Mithalterin wäre, wenn sie gemäss KELLER (Haftpflicht im Privatrecht, Bd. II, S. 32) oder BUSSY/RUSCONI (a.a.O., S. 324, Ziff. 2.5, 2.6) nach Bedarf über das Fahrzeug ihres Ehemannes hätte verfügen können, ist nicht zu prüfen, da die Vorinstanz klar das Gegenteil festgehalten hat. Offen bleiben auch alle Fragen, die sich stellen, wenn etwa in einer Familie zwei Fahrzeuge vorhanden sind, die mehrheitlich von derselben Person gefahren werden, oder wenn Kinder, die mit ihren Eltern zusammenwohnen, das Fahrzeug eines Elternteils benützen. Generell gültige Antworten können nicht gegeben werden, muss doch in jedem Einzelfall auf die konkreten Umstände abgestellt werden. Dabei ist jeweils vom Halterbegriff auszugehen, der von Lehre und Rechtsprechung seit Jahren gleichbleibend umschrieben wird.
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b) Die Vorinstanz hat das von der Beklagten geltend gemachte absolute Haftungsprivileg abgelehnt. Nach ihrer Meinung lässt sich das Ergebnis von BGE 112 II 167 ff. unterschiedlich interpretieren. Aus dem Ingress könne abgeleitet werden, dass das für die obligatorische Unfallversicherung geltende Haftungsprivileg der Familienangehörigen auch auf Geschädigte anwendbar sei, die bei der AHV und IV versichert sind. Aus dem Inhalt des Urteils hingegen könne der Schluss gezogen werden, dass sich die Privilegierung der nahen Verwandten auf dem Gebiet der AHV und IV nicht auf die Haftung, sondern bloss auf den Regress beziehe. Das Obergericht vertritt die zweite Auffassung.
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c) In BGE 112 II 167 ff., in welchem die Frage zu beantworten war, ob die in Art. 44 Abs. 1 UVG vorgesehene Einschränkung der Haftpflicht auch einer Regressforderung der Sozialversicherung gemäss Art. 48ter AHVG entgegengehalten werden könne, wenn es um Ansprüche unter Familienangehörigen gehe, ist das Bundesgericht davon ausgegangen, dass der Gesetzgeber nicht die Absicht gehabt haben könne, einen Schadensverursacher von einem dem Art. 129 Abs. 2 KUVG bzw. Art. 44 Abs. 1 UVG identischen Haftungsprivileg profitieren zu lassen, weil die Leistungen von AHV/IV den Schaden im allgemeinen bei weitem nicht decken würden. Selbst wenn der Geschädigte nicht bei der SUVA versichert sei, könne das Regressrecht von AHV/IV gegenüber Familienangehörigen des Geschädigten nicht ausgeübt werden.
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aa) Streitig ist im vorliegenden Fall, ob die in Art. 48ter Satz 2 AHVG enthaltene Haftungsbeschränkung zu Gunsten der in ![]() | 15 |
Gemäss Art. 44 Abs. 1 UVG steht dem obligatorisch Versicherten und seinen Hinterlassenen ein Haftpflichtanspruch gegen den Ehegatten, einen Verwandten in auf- und absteigender Linie oder eine mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebende Person nur zu, wenn der Belangte den Unfall absichtlich oder grobfahrlässig verursacht hat. Nach dieser zugunsten der genannten Personen statuierten Beschränkung der Haftpflicht verliert der Versicherer seinen Rückgriff und der Geschädigte seinen Restanspruch gegenüber dem Haftpflichtigen, wenn der Schädiger den Unfall ohne Verschulden oder bloss leichtfahrlässig verursacht hat (BGE 104 II 261 ff. zu Art. 129 Abs. 2 KUVG; KELLER, a.a.O., S. 202; MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, S. 567, Ziff. 4). Art. 44 Abs. 1 UVG enthält demnach gegenüber Familienangehörigen ein Haftungs- und ein Regressprivileg.
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Aus der Begründung in BGE 112 II 167 ff. kann entgegen der Auffassung der Beklagten richtigerweise nur ein Regressprivileg abgeleitet werden. Dies geht zwar weder aus der Regeste noch aus dem Wortlaut der Begründung klar hervor. Das Bundesgericht betont aber, dass die Sozialversicherungen den Versorgerschaden in den wenigsten Fällen ausreichend decken, da sie nur das notwendige Mindesteinkommen sicherstellen wollen. Es könne daher nicht der Sinn des Gesetzes sein, den Geschädigten durch eine weiterreichende Haftungsbeschränkung noch mehr zu benachteiligen; ![]() | 17 |
bb) Die Beklagte behauptet unter Hinweis auf verschiedene Lehrmeinungen, das Haftungsprivileg von Familienangehörigen gelte heute als allgemeines Prinzip im Haftpflichtrecht. Die Beklagte verschweigt, dass sich die zitierten Autoren (KELLER, Bd. II, S. 201 f.; MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, S. 566 ff., sowie derselbe, Ergänzungsband, S. 82; SCHAFFHAUSER/ZELLWEGER, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Bd. II, Rz. 1848) vorab mit dem Haftungsprivileg gemäss Art. 129 Abs. 2 KUVG bzw. Art. 44 UVG auseinandersetzen und die Regressansprüche von AHV/IV ohne zu differenzieren nur am Rande erwähnen (MAURER, a.a.O., S. 567, Ziff. 4; SCHAFFHAUSER/ZELLWEGER, a.a.O., Rz. 1848). Einzig SCHAER (Grundzüge des Zusammenwirkens von Schadenausgleichssystemen, Rz. 964 ff., ![]() | 18 |
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Die Beklagte rügt die Festsetzung der Haftungsquote als bundesrechtswidrig. Nicht nur das Selbstverschulden, sondern auch die unentgeltliche Überlassung des Fahrzeugs aus Gefälligkeit sowie die Selbstverwirklichung der Betriebsgefahr durch die Lenkerin mit nachfolgender Selbstschädigung seien als Herabsetzungsgründe zu berücksichtigen. Dabei würden bereits das Selbstverschulden und die Gefälligkeit für sich allein, auf jeden Fall aber ![]() | 20 |
b) Nicht einzutreten ist auf den Vorwurf, das Obergericht habe das Selbstverschulden zufolge unangepasster Fahrweise mit 10% zu gering gewichtet, sowie auf die Bemerkung, ein Abzug müsse auch zufolge Nichttragens der Sicherheitsgurten erfolgen. Es fehlen jede Substantiierung und Begründung der Rügen (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG).
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c) aa) Vor der Revision des SVG vom 20. März 1975 bestimmte Art. 59 Abs. 3 SVG, dass der Richter die Entschädigung ermässigen oder bei besonderen Umständen ausschliessen konnte, wenn der Verletzte oder Getötete aus Gefälligkeit unentgeltlich mitgeführt oder ihm das Fahrzeug aus Gefälligkeit unentgeltlich überlassen worden war. Erfasst wurden mithin die beiden Tatbestände des "Mitführens" sowie des "Überlassens". Bei der erwähnten Gesetzesrevision wurde diese Bestimmung ersatzlos gestrichen. Das Gesetz schweigt sich also heute über die Folgen von Gefälligkeitsfahrten aus. Die im Parlament vorgetragenen Gründe waren rechtstatsächlicher und rechtspolitischer Natur - so etwa das Argument, das Mitführen anderer sei heutzutage eine Selbstverständlichkeit, allenfalls eine soziale Pflicht oder energiepolitische Notwendigkeit -, ferner versicherungspolitischer sowie rechtsdogmatischer Natur (GEISSELER, Haftpflicht und Versicherung im revidierten SVG, Diss. Freiburg 1980, S. 13 ff. mit Hinweisen auf die einschlägigen Stellen in den Amtl.Bull. sowie Kommissionsprotokollen). Seit der Revision wird diskutiert, ob die Berücksichtigung der Gefälligkeit des Halters gegenüber Fahrgästen oder Fahrzeugentlehnern als Umstand im Sinne von Art. 43 Abs. 1 OR zur Ermässigung der Ersatzpflicht führt. Gegen eine solche Möglichkeit der Reduktion spricht sich uneingeschränkt KELLER aus (Haftpflicht im Privatrecht, Bd. I, 4. Aufl., S. 245). Die Mehrheit der Autoren plädiert - allerdings in unterschiedlichem Umfang und mit zahlreichen Differenzierungen sowie Einschränkungen - für eine Ermässigung bei Gefälligkeit, so etwa SCHAFFHAUSER/ZELLWEGER (Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Bd. II, Rz. 1301), OFTINGER (Schweizerisches Haftpflichtrecht, Bd. I, 4. Aufl., S. 275 f.), OFTINGER/STARK (Schweizerisches Haftpflichtrecht, Bd. II/2, § 25 Rz. 601 ff.), BUSSY/RUSCONI (N 4.6 zu Art. 59 SVG), BREHM (N 56 zu Art. 43 OR), ![]() | 22 |
bb) Das Obergericht schliesst sich der mehrheitlichen Lehrmeinung an, lehnt im vorliegenden Fall jedoch den Reduktionsgrund der Gefälligkeitsfahrt ab mit der Begründung, das Überlassen des Autos an die Ehefrau stelle einen Ausfluss der ehelichen Beistandspflicht dar. Zudem habe die Fahrt der Pflege verwandtschaftlicher Beziehungen gedient.
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Die Beklagte sieht Art. 43 sowie Art. 44 OR verletzt. Die These der Vorinstanz schliesse bei Annahme einer solchen Beistandspflicht eine Gefälligkeitsfahrt unter Ehegatten aus, weil sich diese gegenseitig das Auto zu überlassen hätten. Verfüge nun aber bald der eine, bald der andere über das Auto, so liege Mithalterschaft vor, was das Obergericht verneint habe. Die Geschädigte habe in einem fremden Wagen eine Gratisreise angetreten, sei also von der Pflicht entbunden worden, die öffentlichen Verkehrsmittel zu benützen. Somit habe eine Gefälligkeitsfahrt vorgelegen, die eine Kürzung des Schadenersatzes um mindestens 50% bedinge.
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cc) Die ganze Tragweite der Abschaffung von Art. 59 Abs. 3 SVG ist hier nicht zu erörtern. Das Problem beschränkt sich auf die Gefälligkeit des Halters gegenüber seinen Familienangehörigen, im speziellen gegenüber seiner Ehefrau. Dass vorliegend die Klägerin Mithalterin gewesen sei, ist bereits in E. 3 verneint worden. Gemäss den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz hat die Klägerin das Auto benutzt, um ihre Eltern zu besuchen und ihnen auf ihrem Landwirtschaftsbetrieb zu helfen. Kein Mensch käme im Ernst auf die Idee, von seinem Lebenspartner für ein solches Entgegenkommen ein Entgelt zu verlangen. Das Überlassen des Fahrzeugs zur Pflege von verwandtschaftlichen Beziehungen ist eine Selbstverständlichkeit, selbst dann, wenn die betreffende Fahrt ausschliesslich dem einen Partner dient. Eine solche Gefälligkeit gegenüber Verwandten oder nahestehenden Personen, die das Alltägliche, das unter Menschen übliche Mass an Grosszügigkeit, an Freundlichkeit nicht übersteigt (GEISSELER, a.a.O., S. 42), stellt keinen Reduktionsgrund im Sinne von Art. 43 Abs. 1 OR dar.
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e) Die Überlegungen der Vorinstanz zur Haftungsquote erweisen sich somit als bundesrechtskonform. Damit bleibt es bei der von ihr vorgenommenen Reduktion von insgesamt 20%.
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Diese Bestimmung beruht auf dem Gedanken, dass die Verpflichtung des Halters zur Schadensdeckung getilgt ist, soweit er durch den Abschluss einer privaten Versicherung, für die er die Prämien bezahlt hat, für eine solche Deckung gesorgt hat. Damit will eine doppelte Schadensdeckung verhindert werden, ohne dass sich dies zum Nachteil des Geschädigten auswirkt, der unter allen Umständen den Betrag erhalten soll, auf den er Anspruch hat. Der Grundsatz der Kumulation von Art. 96 VVG hat keine Berechtigung mehr, wenn der Schadenersatzpflichtige identisch ist mit demjenigen, der die Unfallversicherung zugunsten des Geschädigten abgeschlossen und die entsprechenden Prämien aus eigenen Mitteln bezahlt hat (BGE 97 II 273 E. 4a mit Hinweisen; OFTINGER/STARK, a.a.O., S. 273 f., Rz. 615-620 mit Hinweisen). Daran ist unverändert festzuhalten, gehen doch seit Jahren die Bestrebungen dahin, durch Regress- und Subrogationsbestimmungen Doppelzahlungen und Überentschädigungen im Haftpflichtrecht auszuschliessen bzw. einzuschränken.
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b) Die Beklagte bezahlte der Geschädigten aus der bei ihr vom Ehemann der Klägerin abgeschlossenen Insassenunfallversicherung mit Einschluss des Lenkers insgesamt Fr. 265'180.--. Sie verlangt nun gemäss Art. 62 Abs. 3 SVG die Anrechnung ihrer Leistungen für Spitaltaggeld, Taggeld und Invaliditätsentschädigung, jedoch mit Ausschluss der Heilungskosten, im Umfange von Fr. 220'680.-- an die Ersatzforderungen aus der Haftpflichtversicherung. Art. 29 der AVB der Beklagten bestimmt:
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Werden infolge Unfalls eines Mitfahrers gegen den Halter oder Lenker des
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deklarierten Fahrzeuges Entschädigungsansprüche aufgrund gesetzlicher oder
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vertraglicher Haftpflichtbestimmungen geltend gemacht, so werden die
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bezahlten Leistungen aus der Unfallversicherung an solche
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Haftpflichtentschädigungen angerechnet, für die der Halter oder Lenker
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selbst aufzukommen hat, sei es direkt dem Geschädigten gegenüber oder auf
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dem Weg des Rückgriffes des Haftpflichtversicherers."
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Das Obergericht ist durch Auslegung dieser Klausel zum Ergebnis gelangt, dass die Zahlung aus der Insassenunfallversicherung nur auf jene Haftpflichtentschädigung angerechnet werden solle, für die der Halter oder Lenker persönlich aufzukommen habe. Für die Haftpflichtansprüche des Lenkers dürfe nichts anderes gelten als für jene der übrigen Fahrzeuginsassen. Unter den Begriff "Mitfahrer" falle nämlich auch der Lenker. Diese Auslegung sei nicht nur vom Wortlaut her möglich, sondern ergebe sich zudem aus der französischen Fassung der AVB der Beklagten, welche von "occupant" sprächen, worunter auch der Lenker falle.
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Die Beklagte sieht in dieser Betrachtungsweise eine Verletzung von Art. 62 Abs. 3 SVG und eine falsche Auslegung ihrer Allgemeinen Versicherungsbedingungen. Die Anrechnung der Versicherungsleistungen entspreche sowohl der Bundesgerichtspraxis als auch dem allgemeinen Prinzip der Vorteilsanrechnung. Eine Unterscheidung zwischen direkter Belangung des Halters und Belangung der Versicherung sei weder den AVB noch dem SVG zu entnehmen. Die Interpretation des Begriffes "Mitfahrer" durch die Vorinstanz sei unhaltbar. Es sei nicht unüblich, den Lenker versicherungsrechtlich anders zu behandeln als den Mitfahrer; gerade bei der Insassenunfallversicherung könne der Lenker ausgeschlossen werden.
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c) Die Auslegung vorgeformter Bestimmungen ist nach den gleichen Grundsätzen vorzunehmen wie die Auslegung anderer Vertragsbestimmungen (JÄGGI/GAUCH, Rz. 464 zu Art. 18 OR). Kann der wirkliche Parteiwille nicht ergründet werden, ist auf den mutmasslichen Willen abzustellen. Letzterer ist nach dem Vertrauensgrundsatz aufgrund aller Umstände des Vertragsschlusses zu ermitteln (BGE 113 II 51; BGE 107 II 418 und 476). Dabei hat der Richter zu berücksichtigen, was sachgerecht ist, weil nicht anzunehmen ist, dass die Parteien eine unangemessene Lösung gewollt haben. Da das dispositive Recht in der Regel die Interessen der Parteien ausgewogen wahrt, hat die Partei, die davon abweichen will, dies mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck zu bringen.
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aa) Die Bestimmung steht im Abschnitt "Unfallversicherung der Insassen". Sie sagt klar, dass Leistungen an Mitfahrer nur auf Ansprüche angerechnet werden, die gegenüber dem Halter persönlich erhoben werden oder die dieser aufgrund eines Regresses dem Haftpflichtversicherer erbringen muss, sowie auf solche, die die Versicherungsdeckung übersteigen. Keine Anrechnung soll erfolgen bezüglich der Ansprüche, die die Haftpflichtversicherung des Halters deckt. Zu prüfen bleibt damit die Frage, ob die Klägerin, die das Fahrzeug als einzige Insassin gelenkt hat, unter den Begriff "Mitfahrer" von Art. 29 AVB subsumiert werden kann.
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bb) Haben wie hier zwei Begriffe, die unter einen gemeinsamen Oberbegriff (Insassen) fallen, eindeutig Unterscheidungsfunktion, kann nicht leichthin angenommen werden, es solle an einer bestimmten Stelle der allgemeine (Insasse) und nicht der spezielle Ausdruck (Mitfahrer) gedacht sein, denn der Wortlaut ist primäres Willensindiz (KRAMER, N 22 zu Art. 18 OR). Eine isolierte Interpretation einzelner Vertragselemente ist jedoch unstatthaft (KRAMER, N 26 zu Art. 18 OR); die einzelne Vertragsbestimmung ist anhand des Vertrages in seiner Gesamtheit auszulegen (JÄGGI/GAUCH, N 351 und 430 zu Art. 18 OR). Gemäss Art. 25 AVB gelten als "versicherte Personen die Insassen des deklarierten Fahrzeuges, mit oder ohne Einschluss des Lenkers, je nach der getroffenen Vereinbarung". Der Lenker kann somit von der Unfallversicherung ausgeschlossen werden. Daraus ist indessen noch nicht zu folgern, wie die Beklagte meint, sie könne nach Art. 29 AVB einem wie hier unfallversicherten Lenker die Leistungen aus der Insassenversicherung anrechnen, mithin diesen von der für die Mitfahrer geltenden Regelung ausschliessen, ohne dies auch klar zu sagen. Vom Wortsinn her ist eindeutig, dass der Lenker Insasse (franz. "occupant") ist. Das Obergericht hat aus den französischen AVB der Beklagten, wo der Begriff "Mitfahrer" mit "occupant" wiedergegeben werde (Art. 29: "Lorsque, en cas d'accident d'un occupant ..."), geschlossen, es erscheine undenkbar, dass die Beklagte einen Unterschied zwischen deutsch- und französischsprechenden Versicherungsnehmern habe machen wollen. Ein vernünftiger ![]() | 44 |
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b) Die Beeinträchtigung der Klägerin in der Haushaltführung berechnet das Obergericht in Anlehnung an BGE 108 II 434 konkret mit der Begründung, es mache für die Bewertung der Hausfrauenarbeit keinen Unterschied aus, ob es wie dort um einen Versorgerschaden oder wie hier um eine Invaliditätsentschädigung gehe. Zur Ermittlung des Zeitaufwandes für den Haushalt sei auf das Modell "Haushalt IV" der Studie von ANNA REGULA BRÜNGGER, Die Bewertung des Arbeitsplatzes in privaten Haushalten, abzustellen. Gestützt darauf ergebe sich vorliegend ein Aufwand der Geschädigten für den Haushalt von 36 Stunden pro Woche. Entsprechend der Arbeitsunfähigkeit von 50% betrage der zu entschädigende Ausfall 18 Stunden. Der Wert einer Arbeitsstunde belaufe sich heute auf Fr. 22.70.
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Es kann offenbleiben, ob die Behauptung der Beklagten, das Obergericht habe bundesrechtswidrig eine Schadenminderung von rund 25% nicht vorgenommen, überhaupt nach Art. 55 Abs. 1 lit. c OG genügend substantiiert ist, denn es wird mit keinem Wort dargelegt, weshalb die Reduktion gerade einen Viertel ausmachen sollte. Die Rüge ist auf jeden Fall abzuweisen, wird doch im Sonderfall des Hausfrauenschadens von Lehre und Rechtsprechung nicht übersehen, dass die weiteren Familienangehörigen im Haushalt mithelfen (BREHM, N 118 zu Art. 46 OR; BGE 101 II 261 E. 1b). Diese Mithilfe ist nun aber in der Studie BRÜNGGER, welche der Ermittlung der Wochenstunden im angefochtenen Urteil zugrunde liegt, bereits erfasst (BRÜNGGER, a.a.O., S. 21 f., S. 32 f.). Ein doppelter Abzug indessen ist ausgeschlossen.
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d) Der vom Obergericht bis zum Urteilstag berechnete Schaden aus Beeinträchtigung in der Haushaltführung im Betrag von Fr. 200'237.80 ist somit zu bestätigen.
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Nach schweizerischer Lehre und Rechtsprechung ist der Invaliditätsschaden konkret zu berechnen. Ausgehend vom abstrakten Invaliditätsgrad sind dessen Auswirkungen auf die Verminderung der Erwerbsfähigkeit oder die Erschwerung des wirtschaftlichen Fortkommens zu bestimmen. Aus dem wirtschaftlichen Schadensbegriff folgt, dass eine bei Teilinvalidität theoretisch verbleibende Erwerbsfähigkeit haftpflichtrechtlich unberücksichtigt bleiben muss, wenn sie wirtschaftlich nicht mehr nutzbar ist, der Geschädigte ![]() | 52 |
Das Bundesgericht hat im zitierten Entscheid eine theoretisch verbleibende Restarbeitsfähigkeit für die Erwerbstätigkeit von 15% als wirtschaftlich nicht nutzbar qualifiziert. Zum gleichen Ergebnis kommt man im vorliegenden Fall. Nach verbindlicher Feststellung des Obergerichts beträgt die Arbeitsfähigkeit der Klägerin auf dem Arbeitsmarkt 20%. Eine solch geringe Arbeitsfähigkeit wäre allenfalls in einem hochspezialisierten Beruf noch realisierbar. Die Klägerin war indessen in früheren Jahren im Service und nach der Geburt ihres Kindes als Heimarbeiterin beschäftigt. In diesen Wirtschaftszweigen ist eine Einsatzmöglichkeit von 20% schwerlich umzusetzen. Das gilt umsomehr, als die Klägerin nach wie vor unter sporadisch auftretenden Bewusstseinsstörungen, die zwei bis drei Tage dauern, sowie unter aggressiven Phasen leidet.
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b) Unter Hinweis auf die in der Literatur und in einem Urteil des Zivilgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 12. August 1985 (BJM 1986, S. 148 ff.) aufgezeigten überwiegenden Vorteile der Kapitalabfindung rügt die Beklagte eine weitere Bundesrechtsverletzung. Demgegenüber hält die Klägerin an der Zusprechung einer indexierten Rente fest.
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c) Das Obergericht setzt sich weder mit den Vor- und Nachteilen der Kapital- oder Rentenlösung im allgemeinen noch mit der gefestigten Bundesgerichtspraxis und der mit dieser übereinstimmenden überwiegenden Lehrmeinung im speziellen auseinander, sondern schliesst sich kritiklos dem klägerischen Antrag auf Zusprechung einer indexierten Rente an. In der Tat äussert sich das Gesetz nicht darüber, in welcher Form der Schaden ersetzt werden ![]() | 55 |
Es kann nicht bestritten werden, dass die beiden Schadenersatzformen sowohl Vor- als auch Nachteile aufweisen (vgl. die Zusammenstellungen bei STAUFFER/SCHAETZLE, a.a.O., Rz. 583 ff., und bei BREHM, N 8 ff. zu Art. 43 OR). Die Frage, in welcher Gestalt dem Geschädigten der Schadenersatz zuzusprechen ist, muss daher konkret, unter Abwägung aller Umstände, beantwortet werden. Vorliegend macht die Klägerin mehrfach geltend, es liege ein Ausnahmefall vor, welcher nach einer indexierten Rente rufe. Sie führt aber mit keinem Wort aus, welche Besonderheit die zu beurteilende Streitsache aufweist, die die Zusprechung einer Rente rechtfertigen würde. In der Tat ist denn auch nicht ersichtlich, welche Gründe für eine Ausnahme sprechen.
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Wird an der bisherigen Bundesgerichtspraxis festgehalten, so muss nicht entschieden werden, ob im Falle einer Rente auch der Antrag auf deren Indexierung gutgeheissen werden könnte, spricht sich doch die Klägerin ausdrücklich gegen eine nicht indexierte Rente aus.
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d) Damit ist die Berufung in diesem Punkt gutzuheissen, und der zukünftige Hausfrauenschaden sowie der zukünftige Erwerbsausfall sind in Form einer Kapitalsumme abzugelten.
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Unter Berufung auf Art. 48quater Abs. 1 AHVG, der nach Art. 52 IVG für die Invalidenversicherung gilt, bringt die Vorinstanz für den Rückgriff der IV das sogenannte Quotenvorrecht zur Anwendung. Ein Vergleich der Haftpflichtansprüche mit den ![]() | 59 |
b) Die Beklagte rügt eine Verletzung von Art. 59 SVG sowie Art. 43 und 44 OR. Die Nichtberücksichtigung des Selbstverschuldens während der Zeit der IV-Leistungen verstosse gegen die Grundsätze der Schadensberechnung. Das Quotenvorrecht habe begrifflich nichts mit dem Selbstverschuldensabzug oder andern Kürzungsfaktoren zu tun, sondern sei ein Institut der Rückgriffsbeschränkung.
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c) Der Vorwurf ist - sofern er überhaupt als genügend substantiiert entgegengenommen wird - haltlos. Wird einem Geschädigten durch Versicherungsleistungen der Schaden nicht voll gedeckt, so können Versicherer ihre Rückgriffsrechte gegen den Haftpflichtigen oder dessen Haftpflichtversicherer gemäss Art. 88 SVG nur geltend machen, soweit dadurch der Geschädigte nicht benachteiligt wird. Gemäss Art. 88 SVG steht dem aus einer Versicherung anspruchsberechtigten Geschädigten, der den haftpflichtigen Dritten oder dessen Haftpflichtversicherer belangt und dabei seinem eigenen, kraft Subrogation vorgehenden Versicherer in Konkurrenz tritt, bis zur Höhe seines vollen effektiven Schadens die Priorität zu, und zwar selbst im Falle eines leichten oder schweren Selbstverschuldens (BGE 93 II 407 ff., 423 E. 6). Dieses vom Bundesgericht aus Art. 88 SVG abgeleitete Quotenvorrecht des Geschädigten wurde später aus dem Bereich des SVG gelöst und auf das ganze Haftpflichtrecht angewendet (für Einzelheiten vgl. KELLER, Bd. II, S. 191 ff.; OFTINGER/STARK, a.a.O., § 26 Rz. 428 f.). Dieses Privileg will den Geschädigten nicht bereichern, sondern vor ungedecktem Schaden bewahren. Von einer Bereicherung kann aber keine Rede sein, solange die Leistungen des Sozialversicherers und des Dritten oder dessen Haftpflichtversicherung den Schaden nicht voll decken; das lässt sich erst sagen, wenn ihre Leistungen über den zu ersetzenden Schaden hinausgehen (BGE 113 II 91 E. 2; vgl. ferner 113 II 330 E. 2b). Dies ist vorliegend - wie das Obergericht verbindlich (Art. 63 Abs. 2 OG) festgestellt hat - nicht der Fall.
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b) Zu prüfen bleiben lediglich zwei vorsorglich erhobene Einwendungen der Klägerin.
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aa) Nicht einzutreten ist auf die Rüge, bei der herkömmlichen Kapitalwertberechnung aufgrund eines Kapitalisierungszinses von 3 1/2% würden zukünftige Reallohnerhöhungen nicht ausgeglichen. Ob die Klägerin mit einer realen Erhöhung ihres Lohnes hätte rechnen können, ist ein Element der Schadensermittlung und damit Tatfrage. Das Obergericht führt aus, die Geschädigte hätte kein wesentlich höheres Erwerbseinkommen erzielt. Mit dieser für das Bundesgericht verbindlichen Feststellung (Art. 63 Abs. 2 OG) werden auch Reallohnerhöhungen verneint. Zudem ist die klägerische Behauptung offensichtlich neu und deshalb unzulässig, wurde doch im kantonalen Verfahren lediglich geltend gemacht, die Geschädigte hätte einmal die Leitung eines Tea-Rooms übernehmen wollen.
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bb) Abzuweisen ist die Behauptung, es müsse mit einem niedrigeren Kapitalisierungszins als 3 1/2%, nämlich mit 0% oder sogar mit einem Negativzins, gerechnet werden.
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Gemäss konstanter Rechtsprechung des Bundesgerichts ist die zukünftige Teuerung bei einer Kapitalabfindung nicht zu berücksichtigen (BGE 113 II 332 mit Hinweisen; ebenso die herrschende Lehre gemäss STAUFFER/SCHAETZLE, a.a.O., Rz. 653). Der Grundsatz, die Geldentwertung bei der Schadensberechnung ausser acht zu lassen, wird insofern relativiert, als das Bundesgericht im Schadenersatzrecht seit 1946 einen Kapitalisierungszinsfuss von 3 1/2% anwendet, welcher die Geldentwertung teilweise berücksichtigt ![]() | 65 |
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