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52. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 2. Juli 1992 i.S. C. gegen Kanton Zürich (Zivilklage) | |
Regeste |
Fürsorgerische Freiheitsentziehung; Haftung des Kantons aus ungerechtfertigter fürsorgerischer Freiheitsentziehung, Zwangsbehandlung und Fixierung (Art. 3, Art. 5, Art. 13 EMRK; Art. 397a und Art. 429a ZGB). |
2. Art. 429a ZGB gewährt der betroffenen Person eine wirksame Beschwerde im Sinne von Art. 13 EMRK. Die Zulässigkeit einer Feststellungsklage, mit der eine Verletzung von Art. 3 und Art. 5 EMRK festgestellt werden soll, beurteilt sich demnach ausschliesslich nach schweizerischem Recht (E. 1c). |
3. Frage offengelassen, ob zwischen Art. 5 Ziff. 5 EMRK und Art. 429a ZGB Anspruchskonkurrenz besteht (E. 2c). |
4. Zur Anwendbarkeit von Art. 5 Ziff. 2 EMRK im Verfahren der fürsorgerischen Freiheitsentziehung (E. 5). |
5. Art. 5 Ziff. 1 lit. e EMRK und Art. 397a ZGB regeln, unter welchen Voraussetzungen eine Person in eine Anstalt eingewiesen und ihr dadurch die Freiheit entzogen werden darf. Diese Bestimmungen äussern sich jedoch nicht zur Art der Betreuung. Weder Art. 5 Ziff. 5 EMRK noch Art. 429a ZGB bilden demnach Haftungsnorm für die in der Anstalt erfolgte Zwangsbehandlung oder für die zu diesem Zweck bzw. zur Beruhigung vorgenommene Fixierung der eingewiesenen Person (E. 6a, E. 6b). | |
Sachverhalt | |
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Im Verlaufe der folgenden Monate verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand zusehends. Es trat erneut erhöhte Suizidalität ein, die eine Einweisung in die Psychiatrische Universitätsklinik Zürich unumgänglich werden liess. In dieser Klinik war H. C. vom 2.-31. Oktober 1990 untergebracht. Im Anschluss an ![]() | 2 |
Am 20. Januar 1991 wies dieser Arzt H. C. wegen einer zunehmend manischen Phase bei Selbstgefährdung notfallmässig in die Psychiatrische Klinik Rheinau ein, aus der sie auf ihr schriftliches Gesuch vom 22. Januar 1991 hin mit Beschluss der Psychiatrischen Gerichtskommission des Kantons Zürich vom 2. Februar 1991 entlassen wurde.
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B.- Am 13. März 1991 hat M. C. Klage beim Bundesgericht eingereicht mit dem Begehren, es sei festzustellen, dass im Zusammenhang mit ihrem letzten Klinikaufenthalt Art. 3 und 5 EMRK gebrochen worden seien. Im übrigen verlangt sie, den Kanton Zürich zu verpflichten, ihr Fr. 51'000.-- zu bezahlen.
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Der Kanton Zürich hat auf vollumfängliche Klageabweisung geschlossen.
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C.- Die Parteien haben auf eine mündliche Vorbereitungsverhandlung verzichtet.
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D.- Anlässlich der Hauptverhandlung wurde seitens der Parteien keine Ergänzung des Beweisverfahrens verlangt. Der Beklagte hat auf Abweisung des Antrages der Klägerin geschlossen, wonach sämtliche ärztliche Gutachten und Verlautbarungen aus den Akten zu weisen seien, soweit sich diese nicht auf die beanstandete Einweisung vom 20. Januar bis zum 2. Februar 1991 bezögen. Im übrigen sind beide Parteien bei ihren Rechtsauffassungen geblieben.
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Das Bundesgericht hat die Klage abgewiesen
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aus folgenden Erwägungen: | |
1. a) Die Klägerin hat einen Haftpflichtprozess gegen den beklagten Kanton Zürich angestrengt. Weder Art. 5 Ziff. 5 EMRK noch Art. 429a ZGB sehen vor, nach welchem Verfahren und in welcher Zuständigkeit Schadenersatzansprüche geltend gemacht und entschieden werden müssen (vgl. BGE 118 Ia 103 E. b), so dass die Regelung dieser Fragen den einzelnen Ländern und Kantonen vorbehalten bleibt. Gemäss § 19 Abs. 1 des zürcherischen Gesetzes über die Haftung des Staates und der Gemeinden sowie ihrer Behörden und Beamten (nachfolgend Haftungsgesetz) entscheiden die Zivilgerichte über Ansprüche Dritter gegen den Staat, soweit nicht das Bundesgericht zuständig ist. Gegen den Staat gerichtete Begehren auf Schadenersatz und Genugtuung sind beim Regierungsrat ![]() | 9 |
Auf die Klage ist daher grundsätzlich einzutreten.
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b) Die Klägerin beantragt, es seien sämtliche ärztliche Verlautbarungen und Berichte aus den Akten zu entfernen, soweit sich diese nicht auf den Klinikaufenthalt vom 20. Januar bis zum 2. Februar 1991 bezögen. Mit der Einreichung der strittigen Unterlagen über die anderen Klinikaufenthalte sei das Berufsgeheimnis der einweisenden bzw. behandelnden Ärzte verletzt worden, weshalb diese Tatsachenvorbringen und Unterlagen im vorliegenden Verfahren nicht berücksichtigt werden dürften.
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Diese Auffassung ist unzutreffend: Die angesprochenen Einweisungen und Behandlungen erfolgten nicht aufgrund privatrechtlicher Auftragsverhältnisse. Die damit befassten Ärzte handelten vielmehr in amtlicher Eigenschaft und in Verrichtung hoheitlicher Befugnisse (vgl. STEFAN MATTMANN, Die Verantwortlichkeit bei der fürsorgerischen Freiheitsentziehung, Diss. FR 1988, S. 86/4. mit Hinweisen; vgl. BGE 115 Ib 179 E. 2 mit Hinweisen), unterstanden somit nicht dem Berufs-, sondern allenfalls dem Amtsgeheimnis (Art. 320 StGB) und wurden davon entbunden, als der Regierungsrat des Kantons Zürich als vorgesetzte Behörde die einschlägigen Unterlagen ins Recht legte. Entgegen der Ansicht der Klägerin spricht daher nichts gegen eine Verwendung der vom Beklagten vorgebrachten ![]() | 12 |
c) Die Klägerin leitet die Zulässigkeit ihres Feststellungsbegehrens aus Art. 13 EMRK ab, wonach der Verletzte berechtigt ist, eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz einzulegen, wenn die in der Konvention festgestellten Rechte und Freiheiten beeinträchtigt worden sind. Art. 13 EMRK ist indessen nicht unmittelbar anwendbar, falls im innerstaatlichen Recht bereits eine wirksame Beschwerdemöglichkeit besteht (BGE 111 Ib 72 E. 3; THOMAS WETZEL, Das Recht auf eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz (Art. 13 EMRK) und seine Ausgestaltung in der Schweiz, Diss. BS 1983, S. 63/5.4). Dies trifft für die Schweiz aufgrund von Art. 429a ZGB zu, weshalb sich nach schweizerischem Recht beurteilt, ob der Klägerin die Feststellungsklage offensteht. Zulässigkeitsvoraussetzung bildet demnach ein schutzwürdiges Interesse tatsächlicher oder rechtlicher Natur an sofortiger Feststellung, welches in der Regel fehlt, wenn über eine blosse Feststellung hinaus eine vollstreckbare Leistung verlangt werden kann, das hingegen insbesondere zu bejahen ist, falls die Rechtsbeziehungen der Parteien ungewiss sind und die Ungewissheit durch richterliche Feststellung über Bestand und Inhalt des Rechtsverhältnisses beseitigt werden kann. Ferner greift die Feststellungsklage in den Fällen Platz, wo die Verletzung andauert, wo der Schaden noch wächst, der Geschädigte aber an sofortiger Feststellung der Verletzung interessiert ist und die Leistungsklage deshalb vorläufig auf einen Teil des Schadens beschränken muss (BGE 114 II 255 E. 2a mit Hinweisen). Vorliegend ist kein derartiges besonderes Interesse nachgewiesen oder sonstwie ersichtlich; namentlich wird die Feststellung einer Verletzung der EMRK nicht als Form der Genugtuung verlangt (vgl. Art. 49 Abs. 2 OR; MATTMANN, a.a.O., S. 41/2. und 177/I). Es fehlt zudem die Voraussetzung von Art. 28a Abs. 1 Ziff. 3 ZGB zur Feststellung der Widerrechtlichkeit einer Verletzung in der Persönlichkeit, nämlich dass sich diese weiterhin störend auswirke.
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Auf das Feststellungsbegehren ist folglich nicht einzutreten.
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a) Gemäss Ziff. 5 von Art. 5 EMRK hat jeder, der entgegen den Bestimmungen dieses Artikels von Haft oder Festnahme betroffen worden ist, Anspruch auf Schadenersatz, der auch einen solchen auf Genugtuung umfasst (BBl 1977 III S. 44/25; MATTMANN, a.a.O., S. 41/2. mit Hinweisen). Diese Bestimmung stellt unmittelbar ![]() | 16 |
b) Art. 429a Abs. 1 ZGB gewährt seinerseits jenem, der durch widerrechtliche Freiheitsentziehung verletzt worden ist, einen Anspruch auf Schadenersatz und, wo die Schwere der Verletzung es rechtfertigt, auf Genugtuung. Er beinhaltet bundesrechtlich eine staatliche Kausalhaftung (MATTMANN, a.a.O., S. 60/2. und 62/II mit Hinweisen), insbesondere auch für Handlungen der vom kantonalen Recht als "geeignete Stelle" (Art. 397b Abs. 2 ZGB) bezeichneten Personen, welche hoheitliche Verrichtungen ausüben (MATTMANN, a.a.O., S. 86/4. mit Hinweisen). Widerrechtlichkeit des Freiheitsentzugs als deren erste Voraussetzung ist bei jedem Verstoss gegen Normen des Bundesrechts einschliesslich der EMRK und des kantonalen Rechts gegeben, soweit diese Bestimmungen die Voraussetzungen, die Zuständigkeit und das Verfahren zur fürsorgerischen Freiheitsentziehung regeln (MATTMANN, a.a.O., S. 105/1.).
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c) Ob zwischen Art. 5 Ziff. 5 EMRK und Art. 429a ZGB Anspruchskonkurrenz besteht (MATTMANN, a.a.O., S. 234/III), kann offenbleiben, sofern es an den Voraussetzungen des einzelnen Anspruchs gebricht.
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a) Gemäss Art. 397b Abs. 1 ZGB ist für den Entscheid über die Unterbringung in einer geeigneten Anstalt eine vormundschaftliche Behörde am Wohnsitz oder, wenn Gefahr im Verzug liegt, eine solche am Aufenthaltsort der betroffenen Person zuständig; für die Fälle, wo Gefahr im Verzug liegt oder die Person psychisch krank ist, können die Kantone gemäss Abs. 2 diese Zuständigkeit ausserdem andern geeigneten Stellen übertragen. Gestützt auf diese Bestimmung erklärt § 117a Abs. 3 EGZGB/ZH bei psychisch kranken ![]() | 20 |
b) Mit Bezug auf die behauptete Verletzung von Ausstandsregeln gilt, dass die Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes des Kantons Zürich über den Ausstand der Justizbeamten zwar auf das Verfahren der Verwaltungsrechtspflege ergänzend anwendbar sind (§ 71 des zürcherischen Gesetzes über den Rechtsschutz in Verwaltungssachen), jedoch im vorliegenden Fall keine Geltung beanspruchen können: Denn der einweisende Arzt ist kein Justizbeamter; zudem enthält § 117c EGZGB/ZH bezüglich der "andern geeigneten Stellen" des Art. 397b Abs. 2 ZGB eine eigene, abschliessende Ausstandsregel, womit weder eidgenössisches noch kantonales Recht die Zuständigkeit des behandelnden Arztes zur Anstaltseinweisung ausschliesst. Ein derartiger Ausschluss wäre im übrigen auch sachlich überhaupt nicht zu rechtfertigen, da der behandelnde Arzt dank seiner zusätzlichen Kenntnisse über seine Patienten weit besser als ein erstmals zugezogener Arzt in der Lage ist, über die Zweckmässigkeit eines Klinikaufenthalts zu entscheiden. In der Botschaft des Bundesrates über die Änderung des ZGB werden denn auch ausdrücklich der behandelnde Haus-, Spezial- oder Spitalarzt als Beispiele einer geeigneten anderen Stelle genannt (BBl 1977 III S. 31/222).
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c) Da auch der behandelnde Arzt die betroffene Person vor einer Einweisung persönlich untersuchen muss, trifft es auch nicht zu, dass dieser zufolge der Bindung an das Berufsgeheimnis keine Einweisung vornehmen kann. Von einem insoweit ungesetzlichen Freiheitsentzug kann demnach keine Rede sein.
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a) Gemäss Art. 5 Ziff. 1 lit. e EMRK darf die Freiheit einem Menschen auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise u.a. wegen Geisteskrankheit entzogen werden. Art. 397a ZGB bestimmt, eine mündige ![]() | 24 |
b) Wie sich aus den Dossiers bezüglich der beiden früheren Anstaltsaufenthalte, aus den Wahrnehmungen Dritter, dem von Dr. med. X. genannten Einweisungsgrund, dem Aufnahmestatus, dem Résumé, dem Behandlungsbericht und der Diagnose "manisches Zustandsbild im Rahmen einer Mischpsychose" ergibt, erfüllten Zustandsbild und Verhalten der Klägerin vor der strittigen Anstaltseinweisung und während des Anstaltsaufenthalts diese Voraussetzungen ohne jeden Zweifel. Zudem beweisen diese Unterlagen, dass der Klägerin die nötige persönliche Fürsorge anders nicht hätte erwiesen werden können (Art. 397a ZGB), womit sich der Vorwurf gesamthaft gesehen als haltlos erweist.
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a) Obwohl die erwähnte Bestimmung ihrem Wortlaut nach einzig auf das Strafverfahren zugeschnitten zu sein scheint, ist sie auf den Fall der fürsorgerischen Freiheitsentziehung anwendbar (vgl. Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte i.S. van der Leer in Revue Universelle des Droits de l'Homme, 1990 vol. 2 No 2, S. 63 II.). Das ändert jedoch nicht das Geringste daran, dass die Klägerin für ihre vom Beklagten bestrittene Behauptung, über die Gründe der Anstaltseinweisung nicht unterrichtet worden zu sein, keine Beweismittel anerboten, geschweige denn den Beweis für die Richtigkeit der Aussage erbracht hat. Die Behauptung muss daher als unbewiesen gelten. Abgesehen davon erweist sich die Annahme, ein Arzt, der wie hier auch behandelnder Arzt ist, ordne die ![]() | 27 |
b) Inwiefern im Zusammenhang mit der Anstaltseinweisung Beschuldigungen gegen die Klägerin hätten erhoben werden können oder effektiv erhoben worden wären, ist nicht ersichtlich. Sie konnte daher über solche auch nicht unterrichtet werden. Das dürfte bei der fürsorgerischen Freiheitsentziehung denn auch kaum je aktuell werden (BBl 1977 III S. 34/232.1).
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a) Art. 5 EMRK kommt als Haftungsnorm nicht in Frage, da sein Anspruch ausdrücklich nur auf einem den Bestimmungen von Art. 5 Ziff. 1-4 widersprechenden Freiheitsentzug gründet. Ein Freiheitsentzug im Sinne von Art. 5 Ziff. 5 EMRK kann aber weder in der medikamentösen Zwangsbehandlung noch in einer zu diesem Zweck oder auch bloss zur Beruhigung vorgenommenen Fixierung liegen, da eine solche Massnahme zwar die persönliche Freiheit der betroffenen Person vorübergehend weiter einschränkt als eine fürsorgerische Freiheitsentziehung, jedoch Teil der Betreuung und Behandlung im Rahmen der Freiheitsentziehung bildet.
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b) Auch Art. 429a Abs. 1 ZGB erfasst nur den Entzug der Bewegungsfreiheit, nicht aber Eingriffe in die körperliche oder psychische Integrität der betroffenen Person. Das ergibt sich zum einen besonders deutlich aus dem französischen und italienischen Wortlaut der Gesetzesbestimmung, in dem das Rechtsgut mit "Freiheit" und die Verletzungshandlung mit den Begriffen "unterbringen" oder "zurückbehalten" umschrieben wird, und lässt sich ferner zweifelsfrei ![]() | 31 |
c) Selbst bei gegenteiliger Ansicht könnte die Klägerin nichts zu ihren Gunsten ableiten; denn in diesem Fall wäre § 61 der Verordnung über die kantonalen Krankenhäuser vom 28. Januar 1981 zu beachten, der körperlichen Zwang in Notfällen ausdrücklich zulässt. Dass solch ein Notfall angesichts der mehrfachen Weigerung der Klägerin, sich behandeln zu lassen, aber auch wegen ihrer körperlichen Gegenwehr bejaht werden müsste, steht ausser Frage.
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