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58. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 5. Mai 1992 i.S. I. gegen S. (Berufung) | |
Regeste |
Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR. Irrtum in bezug auf einen künftigen Sachverhalt. | |
Sachverhalt | |
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Am 2. April 1986 übte I. sein Kaufsrecht an den 148 Namenaktien aus. Mit Schreiben vom 24. April und vom 25. Juni 1986 stellte sich S. auf den Standpunkt, er sei an den Vertrag nicht gebunden. Im September 1986 klagte I. daher gegen S. auf Übertragung der 148 Namenaktien gemäss Art. 3 des Vertrages gegen Bezahlung des in der Zusatzvereinbarung festgelegten Kaufpreises. Der Beklagte hielt der Klage entgegen, er habe sich in einem wesentlichen Irrtum über die Eignung des Klägers als Geschäftsführer befunden. In dieser Funktion habe der Kläger seine Pflichten verletzt und völlig versagt. Er habe das Unternehmen so schlecht geführt, dass es in die ![]() | 2 |
Auf Berufung des Klägers heisst das Bundesgericht die Klage gut.
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Aus den Erwägungen: | |
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Das Kantonsgericht ist zum Schluss gelangt, der Irrtum, auf den sich der Beklagte berufe, erfülle alle Merkmale eines Grundlagenirrtums. Der Kläger bringt in seiner Berufung demgegenüber vor, von einem wesentlichen Irrtum könne nicht die Rede sein. Dass sich die Hoffnungen und Erwartungen des Beklagten nicht erfüllt hätten, lasse sich nach Rechtsprechung und Lehre nicht als Irrtum ausgeben. Ob der Irrtum des Beklagten als wesentlich im Sinne von Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR anzusehen ist, ist eine Rechtsfrage, die das Bundesgericht im Berufungsverfahren frei prüft.
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a) Die Vorinstanz ist bei ihrer Beurteilung von einem Irrtum über einen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht gegebenen, künftigen Sachverhalt ausgegangen. Nicht nur der Misserfolg des Klägers als Geschäftsführer, sondern auch die Ursache seines Scheiterns habe in der Zukunft gelegen. Es treffe nicht zu, dass der Kläger aufgrund seiner vorbestandenen Eignung und Veranlagung zwar den Anforderungen an einen beaufsichtigten Mitarbeiter in leitender Stellung, nicht aber der Aufgabe eines auf sich gestellten alleinigen ![]() | 6 |
b) Ob und wieweit ein Grundlagenirrtum auch der falschen Vorstellung über einen künftigen Sachverhalt entspringen kann, ist umstritten (Übersicht über die hauptsächlichsten Lehrmeinungen in GAUCH/SCHLUEP, Allgemeiner Teil des schweizerischen Obligationenrechts, Band I, 5. Auflage, Rz. 799 f. und bei KLAUSBERGER, Die Willensmängel im schweizerischen Vertragsrecht, Diss. Zürich 1989, S. 59 Fn. 282-284). Die bundesgerichtliche Praxis mündet in BGE 109 II 109 ff., wo ihre Entwicklung ausführlich dargestellt wird. In diesem Entscheid schliesst das Bundesgericht einen Irrtum über einen künftigen Sachverhalt dann nicht aus, wenn beide Vertragsparteien die Verwirklichung als sicher angesehen haben, verwirft ihn jedoch von vornherein gegenüber blossen Hoffnungen, übertriebenen Erwartungen und Spekulationen.
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Kritik hat die Rechtsprechung nicht nur seitens grundsätzlicher Gegner der Mitbeachtung eines zukünftigen Sachverhalts erfahren (GAUCH/SCHLUEP, a.a.O., Rz. 801). Selbst Befürworter beanstanden das Erfordernis, dass eine beiden Parteien gemeinsame sichere Vorstellung bestanden haben muss, dass also die Anerkennung des Irrtums der einen Partei vom Irrtum auch der andern abhängig sein soll (GUHL/MERZ/KOLLER, a.a.O., S. 132 und 134; KLAUSBERGER, a.a.O., S. 61). Der Einwand ist insofern berechtigt, als das Bundesgericht diesbezüglich in verschiedenen Entscheiden (BGE 109 II 110 f., 324, BGE 113 II 27) den Eindruck erweckt hat, beide Parteien müssten sich über den betreffenden Sachverhalt geirrt haben. Ein Grundlagenirrtum kann jedoch auch dann vorliegen, wenn zwar nur die sich auf den Irrtum berufende Partei fälschlicherweise annahm, ein zukünftiges Ereignis sei sicher, aber auch die Gegenpartei nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr hätte erkennen müssen, dass die Sicherheit für die andere Partei Vertragsvoraussetzung war (BGE 117 II 224; BUCHER, a.a.O., S. 204 Fn. 40).
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c) Unerlässliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Berufung auf einen Grundlagenirrtum bleibt indes, dass es sich dabei um einen Irrtum über eine objektiv wesentliche Vertragsgrundlage und nicht bloss um eine auf Hoffnung gründende spekulative Erwartung gehandelt ![]() | 9 |
aa) Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Dass sich eine Person in einer ihr übertragenen Funktion bewähren werde, kann hier wie andernorts nicht als unumstösslich feststehendes Ereignis angesehen werden. Auch wenn Vorabklärungen und betriebliches Umfeld zu einer günstigen Prognose berechtigen, steht der tatsächliche Erfolg nie mit Gewissheit fest. Ein mehr oder minder grosser Unsicherheitsfaktor musste bei objektiver Betrachtung auch vom Beklagten in seine Beurteilung einbezogen werden. Aufgrund ähnlicher Überlegungen hat das Bundesgericht beispielsweise die Annahme, eine Erfindung werde sich gewinnbringend verwerten lassen, oder ein Fabrikgebäude bleibe weiterhin einer rationellen Produktion zugänglich, nicht als unumstösslich feststehende Vertragsgrundlage gelten lassen. Die Irrtumsanfechtung steht nicht als Versicherung gegen eine unvorhergesehen schlechte Entwicklung zur Verfügung (GUGGENHEIM, le droit suisse des contrats, Band I, 1991, S. 156).
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bb) Nicht anders verhielte es sich, wenn man den für die Vertragschliessenden massgeblichen Sachverhalt entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht in einer zukünftigen, sondern in einer bereits aktuellen Gegebenheit erblicken wollte, nämlich in der schon vorhandenen, aber erst später offenbar gewordenen Nichteignung des Klägers. Mit dem Umstand, dass er nicht optimal für alle höheren Aufgaben geeignet sein könnte, war als Möglichkeit von Anfang an zu rechnen. Das Gegenteil konnte daher vernünftigerweise nicht eine notwendige Vertragsgrundlage bilden.
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cc) Bei der Annahme, die massgebliche Vorstellung des Beklagten knüpfe an das unerwartete künftige Ereignis einer Charakterwandlung an, gilt es schliesslich folgendes zu bedenken: Der vom Kantonsgericht offensichtlich nicht aufgrund des Beweisergebnisses, sondern der allgemeinen Lebenserfahrung gezogene Schluss, die Nichteignung des Klägers stehe endgültig fest, der Erfolg des Unternehmens lasse sich unter seiner Leitung daher nicht mehr herbeiführen, lässt sich gerade bei Annahme einer charakterlichen Entwicklung nicht aufrechterhalten. Hat eine Entwicklung in die eine Richtung stattgefunden, so ist sie auch in die andere möglich. Der Sachverhalt, über den sich der Beklagte geirrt haben will, stünde diesfalls noch gar nicht fest und könnte nicht zur Begründung eines Irrtums herangezogen werden (BGE 109 II 112).
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