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12. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 16. Februar 1993 i.S. R. und B. G.-W. gegen G. AG (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Einsichtsrecht des Gläubigers (Art. 704 aOR i.V.m. Art. 85 aHRegV, Art. 697h Abs. 2 OR; Art. 1 und 2 SchlT ZGB). | |
Sachverhalt | |
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B.- Nachdem R. und B. G.-W. am 5. Oktober 1992 gegenüber dem Handelsgericht erklärt hatten, sie hielten an der Zuständigkeit des Departements des Innern des Kantons Aargau zur Beurteilung ihres Begehrens fest, reichten sie dem Bundesgericht am 7. Oktober 1992 eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag ein, es sei die Verfügung des Departements des Innern des Kantons Aargau vom 1. September 1992 aufzuheben und die Sache zur materiellen Entscheidung an diese Instanz zurückzuweisen.
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Das Departement des Innern des Kantons Aargau beantragt kostenfällige Abweisung der Beschwerde. Das Eidgenössische Amt für das Handelsregister hat auf Vernehmlassung verzichtet. Das Bundesgericht heisst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gut und weist die Sache zur Behandlung des Gesuches um Einsichtnahme im Sinne von Art. 704 aOR an das Departement des Innern zurück.
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a) Nach Art. 1 der Schlussbestimmungen zum 26. Titel über die Revision des Aktienrechts sind die im Schlusstitel des Zivilgesetzbuches aufgestellten Regeln über die Anwendung bisherigen und neuen Rechts massgebend. Gemäss Art. 2 SchlT ZGB finden die Bestimmungen dieses Gesetzes, die um der öffentlichen Ordnung und Sittlichkeit willen aufgestellt sind, mit dessen Inkrafttreten auf alle Tatsachen Anwendung, soweit das Gesetz eine Ausnahme nicht vorgesehen hat (Abs. 1). Demgemäss finden Vorschriften des bisherigen Rechtes, die nach der Auffassung des neuen Rechtes der öffentlichen Ordnung oder Sittlichkeit widersprechen, nach dessen Inkrafttreten keine Anwendung mehr (Abs. 2). Aufgabe dieses Vorbehalts ist es, dem überwiegenden entgegengesetzten öffentlichen Interesse zum Durchbruch zu verhelfen, was ein Abwägen der entgegenstehenden Vertrauens- und öffentlichen Interessen voraussetzt (VISCHER, Die allgemeinen Bestimmungen des schweizerischen intertemporalen Privatrechts, Diss. Zürich 1986, S. 96, 98, 101, 103). Die Bestimmung von Art. 2 SchlT ZGB sollte jedoch nur dann herangezogen werden, wenn es tatsächlich um die Verletzung grundsätzlicher sozialpolitischer und ethischer Anschauungen geht (BROGGINI, SPR I, S. 451).
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b) Sowohl das alte wie das am 1. Juli 1992 in Kraft getretene revidierte Aktienrecht gewähren den Gläubigern von Aktiengesellschaften, die ihre Gewinn- und Verlustrechnung und die Bilanz bzw. ![]() | 6 |
Das Departement des Innern beruft sich auf die Kommentatoren zum Schlusstitel des Zivilgesetzbuches bzw. die Schluss- und Übergangsbestimmungen zum Obligationenrecht. Gemäss MUTZNER (N. 20 zu Art. 2 SchlT ZGB) fallen unter den Begriff der öffentlichen Ordnung alle Rechtssätze, die die Organisation und den Geschäftskreis der Behörden und Ämter regeln. Wo also der Träger eines vor dem Inkrafttreten des ZGB begründeten Rechts zur Verwirklichung desselben der Mitwirkung staatlicher Organe bedarf, sind nach Meinung des Autors sowohl für die Frage der Zuständigkeit als auch für das Verfahren die Vorschriften des neuen Rechts massgebend. Gerade diese Voraussetzung ist aber, wie dargelegt, mit dem neuen Aktienrecht nicht mehr gegeben. Aber auch die Auffassung von STAUFFER, wonach der Vorbehalt des ordre public am ehesten auf prozessualem Gebiet Bedeutung haben kann, da prozessrechtliche Vorschriften als um der öffentlichen Ordnung und Sittlichkeit willen aufgestellt zu erachten sind, ist hier nicht massgeblich (N. 49 zu Art. 1 Schluss- und Übergangsbestimmungen zum Obligationenrecht). Der Hinweis auf den Richter in Art. 697h Abs. 2 OR wurde nicht um der öffentlichen Ordnung und Sittlichkeit willen aufgestellt. Er ist an sich überflüssig, weil grundsätzlich jeder privatrechtliche Anspruch - und um einen solchen handelt es sich beim zur Diskussion stehenden Einsichtsrecht des Gläubigers - im Streitfall gerichtlich durchgesetzt werden kann. Die ausdrückliche Erwähnung des Richters in der neuen Gesetzesvorschrift kann daher ihren Sinn nur darin haben, allfällige Zweifel wegen des Dahinfallens der bisherigen Regelung zu verhindern.
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Die frühere wie die geltende Bestimmung gewähren dem Gläubiger ein materiell gleiches Einsichtsrecht in bestimmte Unterlagen.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts würde es für die Anwendung des neuen Rechts zudem nicht genügen, dass dieses allein um der öffentlichen Ordnung und Sittlichkeit willen erlassen worden ist; vielmehr müsste auch die Abweichung von der bisherigen Regulierung einem Gebote der öffentlichen Ordnung oder Sittlichkeit entsprechen, oder anders ausgedrückt, die weitere Anwendung des alten Rechts auf altrechtliche Tatbestände müsste mit der öffentlichen Ordnung oder Sittlichkeit unvereinbar sein (BGE 116 III 124 E. 3b; BGE 84 II 184; BGE 43 II 8). Niemand wird im Ernst behaupten, die bisherige Regelung der Streitschlichtung durch die kantonale Aufsichtsbehörde über den Handelsregisterführer erfülle diese Bedingung. Deshalb kommt vorliegendenfalls die altrechtliche Zuständigkeitsordnung zur Anwendung.
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c) An diesen Überlegungen ändert der Umstand nichts, dass nach Meinung von STAUFFER (N. 54 zu Art. 2 Übergangsbestimmungen OR) dem Art. 704 aOR ein statutarisch nicht festsetzbares Verhältnis zugrunde liegt, so dass sofortiges Inkrafttreten des neuen Rechts anzunehmen sein dürfte. Wie bereits erwähnt, enthalten Art. 704 aOR und Art. 697h Abs. 2 OR die gleiche Aussage. Die Situation präsentiert sich zudem offensichtlich anders als beim Inkrafttreten von Art. 704 aOR (vgl. dazu BÜRGI, N. 4 f. zu Art. 704 aOR).
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