BGE 119 II 86 | |||
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19. Urteil der I. Zivilabteilung vom 5. Januar 1993 i.S. B. Corp. gegen N. AG (Berufung) | |
Regeste |
Art. 35 OG. Wiederherstellung einer Frist. | |
Erwägungen: | |
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Am 14. September 1992 teilte der Anwalt dem Bundesgericht mit, er sei infolge einer notfallmässigen Hospitalisierung an der Wahrung der an diesem Tage (gemäss BGE 79 I 245 Nr. 44 am 15. September) ablaufenden Berufungsfrist verhindert und behalte sich deshalb ein Wiederherstellungsgesuch nach Art. 35 OG vor. Dieses reichte er namens der B. Corp. am 15. Oktober 1992 zusammen mit einer Berufung auch ein und führte unter Verweis auf zwei ärztliche Zeugnisse aus, er sei wegen einer schweren Blutvergiftung in der Zeit vom 12. bis zum 17. September 1992 hospitalisiert und anschliessend bis zum 5. Oktober 1992 vollumfänglich arbeitsunfähig gewesen. Die N. AG beantragt, die Wiederherstellung zu verweigern und auf die Berufung zufolge Fristversäumnisses nicht einzutreten, eventuell sie abzuweisen.
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a) Die Wiederherstellung gegen die Folgen der Fristversäumung setzt voraus, dass der Gesuchsteller oder sein Vertreter durch ein unverschuldetes Hindernis abgehalten worden ist, innert der Frist zu handeln, und binnen zehn Tagen nach Wegfall des Hindernisses unter Angabe desselben die Wiederherstellung verlangt und die versäumte Rechtshandlung nachholt (Art. 35 Abs. 1 OG).
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Krankheit kann nach der Rechtsprechung ein unverschuldetes Hindernis sein, sofern sie derart ist, dass sie den Rechtsuchenden oder seinen Vertreter davon abhält, innert der Frist zu handeln oder dafür einen Vertreter beizuziehen. Demzufolge dauert das Hindernis nur solange an, als der Betroffene wegen seiner körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung weder selbst die Rechtshandlung vornehmen noch einen Dritten beauftragen kann, wobei im zweiten Fall erforderlich ist, dass der Betroffene trotz seiner Beeinträchtigung die Notwendigkeit einer Vertretung überhaupt wahrnehmen kann. Sobald es für den Betroffenen objektiv und subjektiv zumutbar wird, entweder selbst tätig zu werden oder die Interessenwahrung an einen Dritten zu übertragen, hört das Hindernis auf, im Sinne von Art. 35 Abs. 1 OG unverschuldet zu sein (zum gesamten BGE 112 V 255 f.).
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Für die Frage des unverschuldeten Hindernisses macht es grundsätzlich keinen Unterschied, ob die Verhinderung den Anwalt oder seinen Klienten trifft, hat sich doch der Anwalt so zu organisieren, dass die Fristen im Falle seiner Verhinderung trotzdem gewahrt bleiben (BGE 99 II 352 E. 4). Das geschieht durch umgehende Bestellung eines Substituten oder bei fehlender Substitutionsvollmacht dadurch, dass der Klient sogleich veranlasst wird, selbst zu handeln oder einen anderen Anwalt aufzusuchen (LEUCH, N. 5 zu Art. 288 ZPO/BE; vgl. auch die in JdT 1988 IV 153ff. publizierte E. 2 von BGE 114 Ib 56). Daher endet die unverschuldete Verhinderung des Anwalts und beginnt die zehntägige Wiederherstellungsfrist zu laufen, sobald der Anwalt in die Lage kommt, entweder die versäumte Prozesshandlung selbst nachzuholen oder damit einen geeigneten Substituten zu beauftragen oder aber den Klienten auf die Notwendigkeit der Fristeinhaltung aufmerksam zu machen. In diesem einschränkenden Sinne ist auch BGE 51 II 450 zu verstehen, wo einem infolge schwerer Lungenentzündung gänzlich arbeitsunfähigen Anwalt die binnen zehn Tagen nach erfolgter Genesung verlangte Wiedereinsetzung gewährt wurde.
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b) Die Wiederherstellung beurteilt sich nach Massgabe der Gesuchsbegründung (BGE 92 I 216 E. 2b; POUDRET, COJ, N. 3.2 zu Art. 35 OG). Aus ihr geht in Verbindung mit dem Zeugnis des Regionalspitals Horgen hervor, dass der Anwalt der Gesuchstellerin wegen einer schweren Blutvergiftung vom 12. bis zum 17. September 1992 hospitalisiert werden musste. Damit ist zwar belegt, dass eine unverschuldete Verhinderung bestanden hat (POUDRET, COJ, N. 3.4 zu Art. 35 OG). Für die Frage der Rechtzeitigkeit des Gesuchs ist indessen entscheidend, dass der Anwalt bereits am 14. September 1992 und damit noch während seines Spitalaufenthalts in der Lage war, das Bundesgericht von seiner Erkrankung schriftlich zu benachrichtigen. Dass er während seiner an den Spitalaufenthalt anschliessenden und bis zum 5. Oktober 1992 dauernden gänzlichen Arbeitsunfähigkeit ausserstande gewesen wäre, sei es die Berufung selbst zu verfassen, sei es in Übereinstimmung mit der Vollmacht einen Substituten beizuziehen oder wenigstens seine - nicht verhinderte - Klientin auf die ihr obliegende Pflicht zur Wahrung der Berufungsfrist (BIRCHMEIER, N. 2 zu Art. 35 OG) aufmerksam zu machen, wird im Gesuch nicht einmal behauptet und ist auch nicht durch das Arztzeugnis belegt, das bloss Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Fehlt es aber am Nachweis, dass der Zustand des Anwalts bis zum 5. Oktober 1992 sogar die wenig arbeitsintensive Bestellung eines Vertreters oder die blosse Benachrichtigung der Klientschaft ausgeschlossen hätte, kann bis zu diesem Datum kein unverschuldetes Hindernis im Sinne von Art. 35 Abs. 1 OG fortbestanden haben. Das erst am 15. Oktober 1992 gestellte Wiederherstellungsgesuch ist daher verspätet. Das hat zur Folge, dass auf die gleichzeitig eingereichte Berufung nicht einzutreten ist.
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