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32. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 23. März 1993 i.S. Marcel W. gegen H. Transport AG (Berufung) | |
Regeste |
Bemessung der Entschädigung nach Art. 336a OR. | |
Sachverhalt | |
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Die Arbeitgeberin suspendierte W. am 14. Januar 1991 mit sofortiger Wirkung vom Dienst und eröffnete ihm, dass damit auch seine Teilnahme an der auf diesen Tag angesetzten Sitzung der Stadtbus-Chauffeure dahinfalle. Am 29. Januar wurde W. auf Ende April gekündigt. Am gleichen Tag fand unter dem Vorsitz des Stadtammanns eine Besprechung zwischen der Arbeitgeberin und dem VPOD statt. Die schriftliche Kündigungsbegründung folgte am 7. März, die Einsprache des Arbeitnehmers (Art. 336b Abs. 1 OR) am 12. März 1991.
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B.- Am 12. Juni 1991 klagte W. beim Bezirksgericht F. gegen die H. Transport AG auf Zahlung von Fr. 28'087.-- Entschädigung wegen missbräuchlicher Kündigung (Art. 336a OR). Das Bezirksgericht bejahte die Missbräuchlichkeit und schützte die Klage im Umfang von zwei Monatslöhnen. Auf kantonale Berufung beider Parteien hin erhöhte das Thurgauer Obergericht die Entschädigung auf vier Monatslöhne oder Fr. 18'111.-- nebst Zins.
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C.- Beide Parteien fechten das obergerichtliche Urteil vom 30. Juni 1992 mit eidgenössischer Berufung an. Der Kläger fordert die Erhöhung der zugesprochenen Entschädigung auf Fr. 26'979.-- nebst Zins, entsprechend der höchstmöglichen Entschädigung von sechs Monatslöhnen (Art. 336a Abs. 2 OR).
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Aus den Erwägungen: | |
2. Auch für die klägerische Berufung gilt das Begründungserfordernis des Art. 55 Abs. 1 lit. c OG und der Grundsatz der Bindung des Bundesgerichts an den vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt. Auf sie ist deshalb einmal insoweit nicht einzutreten, als die zugesprochene ![]() | 5 |
a) Gemäss Art. 336a Abs. 1 OR hat diejenige Partei, welche das Arbeitsverhältnis missbräuchlich kündigt, der anderen Partei eine Entschädigung auszurichten. Der zweite Absatz bestimmt, dass die Entschädigung vom Richter unter Würdigung aller Umstände festgesetzt wird, jedoch den Betrag nicht übersteigen darf, der dem Lohn des Arbeitnehmers für sechs Monate entspricht, wobei Schadenersatzansprüche aus anderen Rechtstiteln vorbehalten werden (zweiter Satz). Die Entschädigungshöhe ist somit dem richterlichen Ermessen anheimgestellt, das nur insoweit eingeschränkt wird, als der Richter höchstens sechs Monatslöhne zusprechen darf (REHBINDER, N. 4 zu Art. 336a OR; STREIFF/VON KAENEL, Leitfaden zum Arbeitsvertragsrecht, N. 3 zu Art. 336a OR; BRUNNER/BÜHLER/WAEBER, Kommentar zum Arbeitsvertrag, N. 4 zu Art. 336a OR). Für die vom Kläger unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien geforderte Auslegung (vgl. RONALD PEDERGNANA, Überblick über die neuen Kündigungsbestimmungen im Arbeitsvertragsrecht, in: recht 1989 Heft 2 S. 40 f.), nach der regelmässig die maximale Entschädigung von sechs Monatslöhnen geschuldet wäre, bleibt in Anbetracht der klaren Vorschrift von Art. 336a Abs. 2 OR kein Raum (BGE 103 Ia 290 E. 2c). Sie wäre auch nicht mit Art. 337c Abs. 3 OR zu vereinbaren, der Entschädigungen zugunsten fristlos entlassener Arbeitnehmer auf sechs ![]() | 6 |
Wie bei allen Ermessensentscheiden setzt das Bundesgericht auch bei den vom kantonalen Richter aufgrund von Art. 336a OR zugesprochenen Entschädigungen nicht sein Ermessen an die Stelle desjenigen der Vorinstanz. Es greift nur zurückhaltend ein und prüft den kantonalen Entscheid insbesondere daraufhin, ob die Vorinstanz grundlos von den in Lehre und Rechtsprechung ermittelten Bemessungskriterien abgewichen ist oder Tatsachen berücksichtigt hat, die für die Entschädigungshöhe keine Rolle hätten spielen dürfen, oder umgekehrt Umstände unberücksichtigt gelassen hat, die zwingend zu beachten gewesen wären (BGE 118 II 55 E. 4).
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b) Die Bemessungskriterien bestimmen sich nach dem Zweck der Entschädigung. Diese soll den Arbeitgeber in erster Linie für das dem Arbeitnehmer durch die missbräuchliche Kündigung zugefügte Unrecht bestrafen. Trotz der missverständlichen Bezeichnung ist die Entschädigung hingegen nicht Schadenersatz und setzt daher auch keinen Schadensnachweis voraus; Schadenersatzansprüche, sollten sie aus anderen Rechtstiteln geschuldet sein, werden in Art. 336a Abs. 2 a. E OR vielmehr ausdrücklich vorbehalten (REHBINDER, N. 1 und 6 zu Art. 336a OR; BRUNNER/BÜHLER/WAEBER, N. 2 zu Art. 336a OR; STREIFF/VON KAENEL, N. 2 und 8 zu Art. 336a OR; KUHN, Arbeitsrecht für die betriebliche Praxis, Ziff. 7/2.5.3 S. 1; BRAND ET AL., Der Einzelarbeitsvertrag im Obligationenrecht, N. 1 zu Art. 336a OR; ANDREAS HEFTI, Der Schutz vor ordentlichen Kündigungen bei gesetzlichen Dauerschuldverhältnissen - insbesondere beim Arbeitsvertrag, Diss. St. Gallen 1992, S. 107 Fn. 265).
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Weil der Arbeitnehmer neben der Entschädigung Ersatz für den Schaden verlangen kann, der ihm als Folge der missbräuchlichen und damit widerrechtlichen Kündigung entstanden ist, darf sich die Entschädigungshöhe nicht an den finanziellen Einbussen des betroffenen Arbeitnehmers orientieren. Durch Schadenersatz abzugelten und ![]() | 9 |
c) Im Lichte dieser Kriterien erscheint die vom Obergericht zugesprochene Entschädigung von vier Monatslöhnen als Ergebnis vertretbarer Ermessensausübung:
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Bei der Entschädigungsbemessung ausser Betracht zu bleiben hatte nach dem Gesagten einerseits die kurze Dauer des Arbeitsverhältnisses (vgl. BGE 116 II 302 Nr. 53 E. 6) und anderseits die Tatsache, dass die Arbeitssuche des im Zeitpunkt der Kündigung bereits zweiundsechzigjährigen Klägers mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden war. Als Verfehlung anzulasten war der Beklagten, dass sie die Kündigung gegenüber einem Arbeitnehmer ausgesprochen hatte, dem in beruflicher Hinsicht nichts vorzuwerfen war und der sich in der Betriebskommission für berechtigte Anliegen der Arbeitnehmer eingesetzt hatte. Erschwerend wirkte sich auch das Vorgehen der Beklagten aus, das darauf abzielte, den Kläger bereits vor dem Kündigungstermin als Arbeitnehmervertreter auszuschalten. Diesen Tatsachen stand indessen das Mitverschulden des Klägers gegenüber, der als Mitglied der Betriebskommission nichts unternommen hatte, um das angespannte Verhältnis zu entschärfen. Indem das Obergericht das wenig kooperative und letztlich renitente Verhalten des Klägers (E. 2 vor a) als Reduktionsgrund berücksichtigte und von der Zusprechung des Höchstansatzes von sechs Monatslöhnen absah, überschritt es sein Ermessen umso weniger, als dem Kläger ja deswegen und nicht wegen seiner Kommissionszugehörigkeit als solcher gekündigt worden war. Art. 336 Abs. 2 lit. b OR gibt dem gewählten Arbeitnehmervertreter keinen Freipass für jedwelche gegen die Interessen des Arbeitgebers gerichtete Aktivitäten. Ihm ![]() | 11 |
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