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6. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. März 1994 i.S. Dr. M. gegen S. (Berufung) | |
Regeste |
Negative Feststellungsklage des Betreibungsschuldners. |
Voraussetzungen, unter welchen eine Klage des Betreibungsschuldners auf Feststellung des Nichtbestehens der Schuld zulässig ist (E. 3; Präzisierung der Rechtsprechung). | |
Sachverhalt | |
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Mit Zahlungsbefehl vom 20. Dezember 1991/6. Januar 1992 leitete S. gegen Dr. M. eine Betreibung über Fr. 77'000.-- nebst Zins ein, wobei er als Forderungsurkunde den Abschreibungsbeschluss des Bezirksgerichts Zürich vom 22. November 1991 bezeichnete. Dr. M. schlug Recht vor und teilte S. mit Schreiben vom 8. Januar 1992 mit, Schuldner der Forderung sei nicht er, sondern die von ihm vormals vertretene Partei; im übrigen sei der Betrag ![]() | 2 |
B.- Am 13. März 1992 klagte Dr. M. beim Bezirksgericht Bülach gegen S. auf Feststellung, dass die in Betreibung gesetzten Forderungen nicht bestehen und die Betreibungen ohne Schuldgrund angehoben worden sind. Das Bezirksgericht hiess die Klage mit Urteil vom 1. Oktober 1992 gut.
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Auf Berufung des Beklagten entschied indessen das Obergericht des Kantons Zürich am 24. Juni 1993, auf die Klage sei mangels eines hinreichenden Feststellungsinteresses nicht einzutreten.
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C.- Der Kläger beantragt dem Bundesgericht mit Berufung, das obergerichtliche Urteil aufzuheben und festzustellen, dass zwischen den Parteien kein Rechts- und Schuldverhältnis bestehe, dass demzufolge der Kläger dem Beklagten den Betrag von Fr. 77'000.-- nebst Zins sowie den Betrag von Fr. 14'706.20 nebst Zins nicht schulde und dass der Beklagte dem Kläger die Betreibungen vom 20. Dezember 1991/6. Januar 1992 und vom 17. Januar 1992 ohne Schuldgrund habe zustellen lassen.
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Der Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Entscheids.
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Aus den Erwägungen: | |
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a) Der Feststellungsprozess dient der autoritativen Klärung einer Rechtslage. Gegenstand der Feststellungsklage kann daher insbesondere das behauptete - gegenwärtige - Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses sein (vgl. Art. 25 BZP [SR 273]). Von Bundesrechts wegen zulässig sind jedoch auch Feststellungsbegehren anderen Inhalts, soweit sie die Anwendung von eidgenössischem Recht betreffen und soweit ein ![]() | 8 |
b) Vorliegend geht es weder um Gültigkeit oder Ungültigkeit noch um Rechtmässigkeit oder Rechtswidrigkeit zurückliegender Betreibungen, sondern lediglich darum, ob der Beklagte den Kläger aufgrund einer Forderung oder grundlos betrieben hat. Auch das ist indessen eine Frage der Anwendung von Bundesrecht. Das Feststellungsbegehren 2 des Klägers erscheint daher - wie sein erstes Begehren - als zulässig, sofern daran ein hinreichendes Rechtsschutzinteresse besteht, was im folgenden zu prüfen ist.
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a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist die Feststellungsklage zuzulassen, wenn der Kläger an der sofortigen Feststellung ein schutzwürdiges Interesse hat, welches zwar kein rechtliches zu sein braucht, sondern - entgegen der Meinung des Beklagten - auch bloss tatsächlicher Natur sein kann, aber immerhin erheblich sein muss. Diese Voraussetzung ist namentlich gegeben, wenn die Rechtsbeziehungen der Parteien ungewiss sind und die Ungewissheit durch die richterliche Feststellung behoben werden kann. Dabei genügt nicht jede Ungewissheit; erforderlich ist vielmehr, dass ihre Fortdauer dem Kläger nicht mehr zugemutet werden darf, weil sie ihn in seiner Bewegungsfreiheit behindert (BGE 114 II 253 ff. E. 2a S. 255 f.; BGE 110 II 352 ff. E. 2 S. 357 mit Hinweisen).
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Namentlich bei negativen Feststellungsklagen ist zudem auch auf die Interessen des Beklagten Rücksicht zu nehmen. Wer auf Feststellung klagt, ![]() | 12 |
b) Vor dem Hintergrund dieses Interessengegensatzes zwischen Gläubiger und Schuldner ist auch die Zulässigkeit von negativen Feststellungsklagen, die durch eine Betreibung ausgelöst werden, zu beurteilen. In BGE 110 II 352 ff. (E. 2a, S. 358) hat das Bundesgericht dazu ausgeführt, das Betreibungsrecht stelle es ins Belieben des Gläubigers, ob und zu welchem Zweck er Betreibung einleiten wolle. Der Schuldner seinerseits könne Rechtsvorschlag erheben mit der Wirkung, dass die Betreibung einstweilen nicht fortgesetzt werden dürfe und der Gläubiger auf den Rechtsweg verwiesen werde. Mache der Gläubiger vom Rechtsweg keinen Gebrauch, so sei nicht zu ersehen, inwiefern sich bereits aus der Zustellung des Zahlungsbefehls ein schutzwürdiges Interesse des Schuldners daran ergeben solle, das Nichtbestehen der Schuld richterlich feststellen zu lassen. Die Tatsache der Betreibung vermöge deshalb für sich allein keinen Feststellungsanspruch des Betriebenen zu begründen. Ein hinreichendes Feststellungsinteresse sei vielmehr nur zu bejahen, wenn aufgrund weiterer Umstände, die zur Betreibung hinzutreten, das Interesse des Schuldners an der Klärung der Rechtslage dasjenige des Gläubigers daran überwiege, sich ungehindert der Rechtsbehelfe des Betreibungsrechts zu bedienen.
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An diesen Ausführungen kann nicht uneingeschränkt festgehalten werden. Richtig ist zwar, dass die Betreibung zunächst nur den ersten Schritt zur Einleitung eines Zwangsvollstreckungsverfahrens darstellt. In der ![]() | 14 |
Auf der anderen Seite bleibt aber zu beachten, dass die Betreibung für den Gläubiger ein legitimes Mittel darstellt, seine Forderung durchzusetzen, den Verzug des Betriebenen zu bewirken und die Verjährung zu unterbrechen (Art. 135 Ziff. 2 OR). Dem Interesse des Schuldners an einem Feststellungsurteil, das die Grundlosigkeit der Betreibung festhält, steht ![]() | 15 |
c) Vorliegend legt der Kläger überzeugend dar, dass ihn die Betreibungen des Beklagten in seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit behindern. Da es sich bei den in Betreibung gesetzten Forderungen nicht etwa um Bagatellbeträge, sondern um namhafte Summen handelt, muss der Kläger damit rechnen, dass Dritte aufgrund der entsprechenden Einträge im Betreibungsregister an seiner Kredit- und Vertrauenswürdigkeit zweifeln. Davon gehen zutreffend auch beide kantonalen Instanzen aus. Nicht zu folgen ist hingegen dem Obergericht, wenn es weiter ausführt, der Kläger bedürfe dennoch keines Feststellungsurteils, weil er Dritten die Grundlosigkeit der Betreibungen ebensogut auf andere Weise darlegen könne. Der Kläger macht mit Recht geltend, dass ihm nicht zugemutet werden darf, Dritten die Rechtslage selbst auseinanderzusetzen. Erklärungsversuche des Betroffenen selbst können bei Dritten Glauben finden oder im Gegenteil Misstrauen hervorrufen - qui s'excuse s'accuse -, jedenfalls aber vermögen sie auch bei klarer Rechtslage ein richterliches Urteil nicht zu ersetzen.
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Demgegenüber ist weder dargetan noch ersichtlich, weshalb dem Beklagten die Führung des Prozesses über seine Ansprüche im jetzigen Zeitpunkt nicht zuzumuten sein soll. Der Beklagte hat, statt die ihm aufgrund eines Prozessvergleichs zustehende Summe bei der Gegenpartei einzufordern, deren früheren Rechtsvertreter - den heutigen Kläger - betrieben. Dass dieser den ![]() | 17 |
Entgegen der Meinung der Vorinstanz ist demnach auf die Klage einzutreten. Das gilt hinsichtlich beider Feststellungsbegehren des Klägers. Um die Gefährdung seiner Kredit- und Vertrauenswürdigkeit abwenden zu können, bedarf der Kläger eines Urteils, das nicht nur das gegenwärtige Nichtbestehen einer Schuld, sondern auch das Fehlen einer Forderung des Beklagten im Zeitpunkt der Betreibungen gerichtlich feststellt. Denn allein schon die Tatsache, dass gegen jemanden Betreibungen erfolgt sind, deren Grundlosigkeit nicht in jeder Hinsicht feststeht, kann das Vertrauen Dritter in seine Zahlungsmoral und -fähigkeit belasten.
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d) Was der Beklagte in seiner Berufungsantwort gegen die Zulässigkeit der Feststellungsklage einwendet, hält einer Prüfung nicht stand. Das gilt insbesondere auch in den folgenden Punkten:
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aa) Wie gerade der vorliegende Fall zeigt, kann ein hinreichendes Feststellungsinteresse des Betriebenen durchaus auch dann gegeben sein, wenn der vermeintliche Gläubiger von sich aus den Rechtstrieb nicht weiterführt. Denn solange sich der Gläubiger weigert, das Nichtbestehen der in Betreibung gesetzten Forderung anzuerkennen, bleibt die Rechtslage - jedenfalls aus der Sicht Dritter - ungewiss und kann deshalb der Betriebene der kreditschädigenden Wirkung des Betreibungsregistereintrages kaum Einhalt gebieten.
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bb) Eine "uferlose Klagenprovokation" steht nicht zu befürchten. Denn sieht ![]() | 21 |
cc) Wie schon BGE 110 II 352 ff. (E. 2a, S. 357) festhält, schliessen die Rechtsbehelfe des Betreibungsrechts eine negative Feststellungsklage des Schuldners nicht aus (ebenso im übrigen bereits ZR 83/1984 Nr. 78, E. 2, S. 187 f.). Insofern kann entgegen den Ausführungen des Beklagten von einer abschliessenden betreibungsrechtlichen Regelung keine Rede sein.
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dd) Wird der Betriebene mit einer negativen Feststellungsklage zugelassen, steht dies durchaus nicht im Widerspruch zu den Grundsätzen des Betreibungsrechts, wie der Beklagte glauben machen will. Das System des Rechtsbotes bleibt unangetastet. Jedermann bleibt es grundsätzlich unbenommen, zu beliebigem Zweck Betreibungen anzuheben (vgl. BGE 115 III 18 ff. E. 3a, S. 21 mit Hinweisen). Wer wie der Beklagte eine Betreibung anhebt, die den Betriebenen in seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit empfindlich beeinträchtigt, soll sich jedoch einem negativen Feststellungsbegehren nicht entziehen können, ohne den Nachweis triftiger Gründe zu erbringen, aus welchen ihm die Beweisführung gegenwärtig nicht zuzumuten ist. (...)
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 24. Juni 1993 wird aufgehoben und in Gutheissung der Klage wird festgestellt,
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a) dass zwischen dem Kläger und dem Beklagten kein Rechts- und Schuldverhältnis besteht und dass demzufolge der Kläger dem Beklagten den Betrag von Fr. 77'000.-- nebst Zins zu 9% seit dem 6. Dezember 1991 sowie den Betrag von Fr. 14'706.20 nebst Zins zu 9% seit dem 1. Dezember 1991 nicht schuldet;
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