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17. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. Februar 1994 i.S. H. gegen Fachverband Elektroapparate für Haushalt und Gewerbe in der Schweiz (FEA) (Berufung) | |
Regeste |
Unlauterer Wettbewerb durch die Veröffentlichung eines wissenschaftlichen Forschungsergebnisses (Art. 1, 2, 3 lit. a UWG). |
Wissenschaftliche Äusserungen sind im Sinne von Art. 3 lit. a UWG unlauter, wenn sie nicht gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entsprechen oder wenn ein unmissverständlicher Hinweis auf den Meinungsstreit fehlt (E. 5b). Grundrechtlichen Schutz geniessen nur lautere Aussagen (E. 5c). | |
Sachverhalt | |
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Im Jahre 1992 erschienen mehr oder weniger vollständige, durch redaktionelle Einführungen begleitete Veröffentlichungen des Forschungsrapportes, namentlich im "JOURNAL Franz Weber", in "RAUM & ZEIT" und im "VITA SANA MAGAZIN". Die Publikation des Forschungsrapportes im "JOURNAL Franz Weber" wurde bereits auf dem Titelblatt mit der Überschrift: "Mikrowellen: Gefahr wissenschaftlich erwiesen!" und mit der Abbildung eines den Tod darstellenden Sensemannes, der einen Mikrowellenherd trägt, angekündigt; unter dem Titel "Der vollständige Rapport der Untersuchung" wurde der Forschungsbericht abgedruckt.
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B.- Am 7. August 1992 reichte der Fachverband Elektroapparate für Haushalt und Gewerbe in der Schweiz (FEA) beim Handelsgericht des Kantons Bern Klage gegen H. ein. Mit Urteil vom 19. März 1993 verbot das Handelsgericht dem Beklagten unter anderem, "die Behauptung aufzustellen, im Mikrowellenherd zubereitete Speisen seien gesundheitsschädlich und führten zu Veränderungen im Blut ihrer Konsumenten, welche auf eine krankhafte Störung hinweisen und ein Bild zeigten, das für den Beginn eines kanzerogenen Prozesses gelten könnte".
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C.- Gegen das Urteil des Handelsgerichts erhebt der Beklagte Berufung, die das Bundesgericht abweist, soweit es darauf eintritt.
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Aus den Erwägungen: | |
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b) Wissenschaftliche Forschungen und die Publikation ihrer Ergebnisse sind an sich nicht wettbewerbsgerichtet, solange sie im akademischen Rahmen erfolgen (DAVID, a.a.O.). Sie werden es indessen, sobald die wissenschaftlichen Meinungskundgaben im objektiven Verständnis des Zielpublikums darauf ausgelegt sind, das Verhalten der Marktteilnehmer, namentlich der Abnehmer, zu beeinflussen. Dies bedarf jedenfalls dort keiner weiteren Erörterung, wo die Wissenschaft als getarnte Werbung eingesetzt wird, wo wissenschaftliche Erkenntnisse als Werbemittel gebraucht werden, um den Absatz eines Produkts zu fördern (BAUMBACH/HEFERMEHL, Wettbewerbsrecht, 17. Aufl., 1993, N. 238 der Einleitung und N. 28 zu § 1 DUWG). Nichts anderes aber kann gelten, wenn die als wissenschaftlich beanspruchte Aussage im Wettbewerbsbezug dazu verwendet wird, den Absatz eines bestimmten Produkts durch dessen Herabsetzung negativ zu beeinflussen. Auch solche Äusserungen stellen Wettbewerbshandlungen dar, die in den Regelungsbereich des UWG fallen und dessen Lauterkeitsgebot unterstehen (vgl. BAUMBACH/HEFERMEHL, a.a.O., N. 5 zu § 14 DUWG).
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Die dem Beklagten zur Last gelegten Äusserungen sind nach ihrer Aufmachung und ihrem Inhalt, namentlich aber mit Blick auf den Adressatenkreis der Presseerzeugnisse klarerweise marktgeneigt, da sie zumindest aus objektiver Sicht unmissverständlich darauf ausgerichtet sind, die Konsumenten vom Erwerb und der Benutzung von Mikrowellenherden abzuhalten. Sie sind damit auch geeignet, den Wettbewerb zu beeinflussen. Daher hat das Handelsgericht sie zu Recht dem UWG unterstellt und daraufhin überprüft, ob sie als unlauter im Sinne dieses Gesetzes zu qualifizieren sind.
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5. Das Verbot, "die Behauptung aufzustellen, im Mikrowellenherd zubereitete Speisen seien gesundheitsschädlich und führten zu Veränderungen im Blut ihrer Konsumenten, welche auf eine krankhafte Störung hinweisen und ![]() | 9 |
a) Das Handelsgericht hält für das Bundesgericht verbindlich fest (vgl. POUDRET, COJ, N. 4.2.1.5 zu Art. 63 OG), der Mitautor des Forschungsrapportes habe sich von den Veröffentlichungen des Beklagten förmlich distanziert. Dabei habe er darauf hingewiesen, die bisherigen Ergebnisse würden nicht den Schluss zulassen, dass die in Mikrowellenherden zubereitete Nahrung in Zusammenhang mit pathologischen Erscheinungen stehe. Die Untersuchungen, die er mit dem Beklagten durchgeführt habe, seien wissenschaftlich nicht erhärtet; es sei keine vollständige oder endgültige Studie, und die publizierten, lächerlichen Schlussfolgerungen des Beklagten würden sich auf eine so schwache Grundlage abstützen, dass ein Wissenschaftler nie gewagt hätte, sie zu formulieren. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt seien keine derartigen Gefahren bekannt, die von Mikrowellenöfen herrühren würden. Die Tendenz zur Abnahme der Hämoglobinwerte nach der Einnahme von Nahrungsmitteln, die in Mikrowellenöfen zubereitet worden seien, bewege sich im Rahmen dessen, was physiologisch normal sei. Zudem sei nicht gesagt, dass diese Tendenz langfristig aufrechterhalten bleibe. Der angebliche "Krebs im Vorstadium" beruhe auf einer unwissenschaftlichen Schlussfolgerung. Wenn der Cholesterinspiegel innerhalb von zwei Stunden nach dem Konsum von in Mikrowellenöfen zubereiteten Nahrungsmitteln ansteige, so handle es sich um "gutartiges" Cholesterin HDL. Diese Erkenntnis habe nichts mit einer Langzeitwirkung in bezug auf einen erhöhten Cholesterinspiegel zu tun, den man in gewissen Fällen von Krebs im Vorstadium beobachtet habe.
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Weiter übernahm das Handelsgericht in für das Bundesgericht wiederum verbindlicher Beweiswürdigung die von Professor M. T. als Experte dargelegte Auffassung, dass im Mikrowellenherd zubereitete Speisen nicht als wissenschaftlich nachgewiesenermassen gesundheitsschädlich bzw. krebserregend bezeichnet werden dürften. Für eine solche Beeinträchtigung gebe es in der Wissenschaft zum heutigen Zeitpunkt keine Anhaltspunkte. Die Behauptungen des Beklagten seien weder durch dessen, wissenschaftlichen Anforderungen allerdings nicht genügenden, noch durch Untersuchungen anderer, seriöser Wissenschaftler belegt.
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b) Wie bereits dargelegt, hat der Beklagte mit Blick auf den Adressatenkreis seiner Äusserungen, aber auch mit deren wissenschaftlich wenig differenziertem Gehalt den rein akademischen Rahmen verlassen und sich wettbewerbsbezogen verhalten. Damit untersteht er dem Lauterkeitsgebot des UWG.
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Nach Art. 3 lit. a UWG handelt unlauter, wer andere, ihre Waren, Werke, Leistungen, deren Preise oder ihre Geschäftsverhältnisse durch unrichtige, irreführende oder unnötig verletzende Äusserungen herabsetzt. Zwar ist dem Beklagten zuzugestehen, dass der wissenschaftliche Wahrheitsgehalt einer Behauptung nicht immer leicht zu ermitteln ist, da in diesem Erkenntnisbereich oftmals heute als wahr gilt, was morgen bereits überholt und übermorgen wiederum wahr ist (BAUMBACH/HEFERMEHL, a.a.O., N. 5 zu § 14 DUWG). Das heisst indessen nicht, dass als wissenschaftlich ausgegebene Urteile über die eigene oder fremde Leistung im Wettbewerbsbezug lauterkeitsrechtlich stets voraussetzungslos zulässig wären. Wird in der marktgeneigten Aussage eine fachlich umstrittene Frage übernommen und als objektiv richtig oder wissenschaftlich gesichert hingestellt, so übernimmt der Handelnde dadurch, dass er sich für eine bestimmte Aussage entscheidet, im Wettbewerbsbezug ebenfalls die Verantwortung für ihre Richtigkeit (vgl. BGH vom 23. Oktober 1971, in GRUR 1971 S. 153 ff. E. IV/2 S. 155). Positive wie negative Werbung mit wissenschaftlichen Angaben ist daher im Interesse der Allgemeinheit und des funktionierenden Wettbewerbs bloss zuzulassen, wenn diese Angaben gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entsprechen, oder wenn jedenfalls unmissverständlich auf den Meinungsstreit hingewiesen wird. Besteht keine volle Gewähr für die Richtigkeit der wissenschaftlichen Angaben, ist deren unkritische Weitergabe zum mindesten täuschend und damit irreführend im Sinne von Art. 3 lit. a UWG (BAUMBACH/HEFERMEHL, a.a.O., N. 5 ![]() | 14 |
c) Von einer der Bundesverfassung oder der Europäischen Menschenrechtskonvention widersprechenden Anwendung des UWG kann dabei nicht die Rede sein. Das Gesetz hat u.a. die Aufgabe, Grundrechtsinteressen und andere, gegenläufige Staatsaufgaben so gegeneinander abzugrenzen, dass beiden verfassungsrechtlichen Anliegen weitestmöglich Rechnung getragen wird (MÜLLER, Elemente einer schweizerischen Grundrechtstheorie, S. 104). Entsprechend diesem Regelungsgedanken und den ihm zugrundeliegenden Wertungen ist das Gesetz auch auszulegen. Funktionalität des Wettbewerbs, Wirtschafts-, Meinungsäusserungs-, Wissenschafts- und Pressefreiheit sind bestmöglich zu gewährleisten, gegenseitig aber auch im Interesse der praktischen Konkordanz der verschiedenen Verfassungsziele zu beschränken. Dabei ist zu beachten, dass das UWG bloss Ansprüche gegenüber unlauteren Äusserungen bietet, und Sinn und Zweck weder der Meinungsäusserungs- noch der Pressefreiheit sein kann, solche widerrechtlichen Kundgebungen zu legitimieren (vgl. HOTZ, Zur Bedeutung des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) für die Massenmedien, in SJZ 86/1990 S. 26 ff., S. 27). Wer sodann Wissenschaftsfreiheit für sich beansprucht, ist im akademischen Rahmen durchaus frei, seine Erkenntnisse darzulegen, darf im Wettbewerbsbezug dagegen nicht die Richtigkeit für sich in Anspruch nehmen, wenn die so vertretene Auffassung umstritten ist. Eine ungesicherte wissenschaftliche Meinung darf namentlich nicht missbraucht werden, um getarnte positive oder negative Werbung für eigene oder fremde Leistung zu betreiben. Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als das Handelsgericht dem Beklagten ausdrücklich unbenommen lässt, seine Thesen auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse abzustützen.
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