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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server, A. Tschentscher | |||
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47. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. Juli 1994 i.S. W. gegen F. (Berufung) | |
Regeste |
Vertragliche Arzthaftung; Beweis der Vertragsverletzung; natürliche Vermutung. | |
Sachverhalt | |
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Am 20. Februar 1991 reichte Frau F. beim Appellationshof des Kantons Bern Klage gegen W. ein. Der Appellationshof liess im Rahmen des Beweisverfahrens ein medizinisches Gutachten ausarbeiten und nahm mehrere, bereits vorprozessual erstellte Gutachten zu den Akten. Mit Urteil vom 11. Oktober 1993 verpflichtete er den Beklagten, der Klägerin Fr. 510'260.-- zu bezahlen. Der Beklagte focht dieses Urteil mit Berufung an, die vom Bundesgericht abgewiesen wird, soweit es auf sie eintritt.
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Aus den Erwägungen: | |
2. c) Mit den erwähnten Rügen wirft der Beklagte der Vorinstanz in Wirklichkeit vor, sie sei von einem falschen Begriff der Vertragsverletzung ausgegangen. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die vertragliche Sorgfaltspflicht des Arztes nach objektiven Kriterien zu beurteilen ist. Die Frage der Vertragsverletzung muss sodann unterschieden werden von jener des Verschuldens, das vermutet wird, falls der Arzt nicht den Exkulpationsbeweis erbringen kann. Die Anforderungen an die ärztliche Sorgfaltspflicht lassen sich nicht allgemeingültig festlegen; sie richten sich vielmehr nach den Umständen des Einzelfalles, namentlich nach der Art des Eingriffs oder der Behandlung, den damit verbundenen Risiken, dem Ermessensspielraum und der Zeit, die dem Arzt zur Verfügung steht, sowie nach Ausbildung und Leistungsfähigkeit, ![]() | 3 |
Als Beauftragter schuldet der Arzt dem Patienten nicht die Wiederherstellung der Gesundheit, sondern lediglich eine darauf ausgerichtete Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst. Eine durch die Behandlung verursachte neue gesundheitliche Beeinträchtigung ist indessen vom blossen Ausbleiben des Behandlungserfolgs zu unterscheiden (vgl. BGE 113 Ib 420 E. 2 S. 423 f.). Zwar kann ein solches Ergebnis nicht an sich schon als Vertragsverletzung qualifiziert werden, da medizinische Behandlungen und Eingriffe in einem gewissen Mass mit Risiken verbunden sind, die auch bei Anwendung aller notwendigen Sorgfalt nicht vermeidbar sind (HONSELL, die zivilrechtliche Haftung des Arztes, ZSR 1990 I S. 136 f.; FELLMANN, Berner Kommentar, N. 389 zu Art. 398 OR). Soweit die Möglichkeit negativer Auswirkungen der Behandlung aber erkennbar ist, muss der Arzt alle Vorkehren treffen, um deren Eintritt zu verhindern (GROSS, Haftung für medizinische Behandlung im Privatrecht und im öffentlichen Recht der Schweiz, S. 178). Deren Eintritt begründet dann eine tatsächliche Vermutung, dass nicht alle gebotenen Vorkehren getroffen worden sind und somit eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung vorliegt (RASCHEIN, Widerrechtlichkeit und Verschulden in der Arzthaftpflicht, Zeitschrift für Gesetzgebung und Rechtsprechung des Kantons Graubünden, 3/1989, S. 64). Diese Vermutung dient der Beweiserleichterung, hat aber keine Umkehr der Beweislast zur Folge (vgl. BGE 117 II 256 E. 2b S. 258 mit Hinweisen). Die daraus gezogenen Schlüsse stellen grundsätzlich Beweiswürdigung dar, weshalb sie im Berufungsverfahren nicht überprüft werden. Die Vermutung kann vom Arzt erschüttert werden, indem er zum Beispiel dartut, welche konkreten Vorkehren er im einzelnen getroffen hat, und nachweist, dass nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft auch bei Anwendung aller Sorgfalt ein nicht beherrschbares Restrisiko verbleibt oder eine ernstzunehmende konkrete Möglichkeit eines atypischen Kausalverlaufs besteht (vgl. FELLMANN, Berner Kommentar, N. 389 zu Art. 398 OR; GIESEN, Arzthaftungsrecht, S. 219).
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Mit der Berufung wird eingewendet, das Einbringen von Staphylokokken-Keimen ins Gewebe könne bei jeder Injektion eines beliebigen Medikamentes auftreten. Dies ist jedoch nicht entscheidend. Um die natürliche Vermutung zu erschüttern, hätte der Beklagte dartun müssen, dass er alle Vorkehren getroffen hatte, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst bei der Vornahme peri- und intraartikulärer Injektionen von Cortison-Präparaten geboten sind, und dass selbst bei Anwendung dieser Sorgfalt eine Infektion solcher Art nicht vermieden werden konnte. Darüber enthält das angefochtene Urteil nichts, und der Beklagte macht auch keinerlei Hinweise auf entsprechende Vorbringen im kantonalen Verfahren. In der gerichtlichen Expertise wird zwar erwähnt, Komplikationen der aufgetretenen Art könnten sich mit einer Häufigkeit von etwa 1:10'000 ergeben. In ![]() | 6 |
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