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72. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 28. Oktober 1994 i.S. Firma S. gegen A. und Konsorten (Berufung) | |
Regeste |
Art. 697b OR, Art. 8 ZGB. Aktienrecht; Sonderprüfung. |
Intertemporalrechtliche Zulässigkeit der Sonderprüfung in bezug auf Sachverhalte, die sich vor dem Inkrafttreten des neuen Aktienrechts ereignet haben (E. 3). |
Voraussetzungen, unter denen ein gesetzes- oder statutenwidriges Verhalten der Organe und ein dadurch verursachter Schaden glaubhaft gemacht sind; Geltungsbereich von Art. 8 ZGB in diesem Zusammenhang (E. 4). | |
Sachverhalt | |
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Am 30. Juni 1993 hielt die Firma S. die ordentliche Generalversammlung über das Geschäftsjahr 1991/92 ab. Wiederum verlangten verschiedene Aktionäre Auskunft über den Geschäftsverlauf sowie die Durchführung einer Sonderprüfung, was die Versammlung ablehnte. In der Folge stellten 90 Aktionäre am 16. Juli 1993 beim Kantonsgerichtspräsidium Zug ebenfalls ein Begehren um Einsetzung eines Sonderprüfers.
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Das Kantonsgerichtspräsidium vereinigte am 17. August 1993 die beiden Verfahren und hiess die Gesuche am 22. Oktober 1993 teilweise gut. Es setzte die Treuhandgesellschaft C. AG als Sonderprüferin ein und beauftragte sie damit, bestimmte Fragen schriftlich zu beantworten.
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Die Firma S. focht diesen Entscheid mit Beschwerde an, die von der Justizkommission des Obergerichts des Kantons Zug mit Urteil vom 21. Januar 1994 abgewiesen wurde.
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Die Firma S. legte gegen den Entscheid der Justizkommission Berufung ein, die vom Bundesgericht abgewiesen wird, soweit es auf sie eintritt.
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Aus den Erwägungen: | |
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Beim Urteil der Justizkommission handelt es sich um einen letztinstanzlichen kantonalen Entscheid im Sinne von Art. 48 OG, womit die funktionale Berufungsfähigkeit gegeben ist. Nach Auffassung der Beklagten liegt sodann eine nicht vermögensrechtliche Zivilrechtsstreitigkeit im ![]() | 7 |
Entgegen den gesetzlichen Vorschriften (Art. 51 Abs. 1 lit. a und Art. 55 Abs. 1 lit. a OG) finden sich weder in der Berufungsschrift noch im angefochtenen Urteil Angaben zum Streitwert. Aus den Erwägungen der Justizkommission zur Höhe des mutmasslichen Schadens kann indessen abgeleitet werden, dass der Streitwert jedenfalls mehr als Fr. 8'000.- beträgt. Auf die Berufung ist daher grundsätzlich einzutreten.
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3. Die Beklagte hält eine Sonderprüfung in bezug auf Sachverhalte, die sich vor dem Inkrafttreten des neuen Aktienrechts ereignet haben, aus intertemporalrechtlichen Gründen für ausgeschlossen. Diese Auffassung ist rechtsirrtümlich. Die im vorliegenden Fall anwendbaren Schlussbestimmungen zum Bundesgesetz vom 4. Oktober 1991 über die Änderung des Obligationenrechts (AS 1992 781 ff.) verweisen vorab auf den Schlusstitel des Zivilgesetzbuches (Art. 1) und enthalten daneben eigenständige intertemporalrechtliche Regeln zum Verhältnis von Gesetz und Statuten (Art. 2 ff.). Dazu gehört der Vorbehalt, dass bestimmte statutarische Vorschriften, die mit dem neuen Recht unvereinbar sind, noch während längstens fünf Jahren in Kraft bleiben (Art. 2 Abs. 3). Das Recht auf Sonderprüfung ist indessen als gesetzlich gewährleistetes Informationsrecht ![]() | 9 |
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a) Die formellen Voraussetzungen für die Einsetzung eines Sonderprüfers (ablehnender Generalversammlungsbeschluss, Höhe der Kapitalbeteiligung, Klagefrist) sind im vorliegenden Fall unstreitig gegeben.
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b) Streitig ist dagegen das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen. In diesem Zusammenhang macht die Beklagte geltend, die Justizkommission habe bundesrechtliche Beweisanforderungen missachtet, indem sie an den Hauptbeweis der Kläger einen anderen, tieferen Massstab angelegt habe als an den Gegenbeweis; während sie beim Hauptbeweis statt des gesetzlich geforderten Glaubhaftmachens blosses Behaupten habe genügen lassen, habe sie von der Beklagten einen eigentlichen Beweis des Gegenteils verlangt.
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Ob die vom Gegenbeweis erfassten Tatsachen geeignet sind, den Hauptbeweis zu erschüttern, ist eine Frage der Beweiswürdigung, die vom Bundesgericht im Berufungsverfahren nicht geprüft wird. Das gilt auch im Fall, dass das Beweismass für den Hauptbeweis - wie hier - bundesrechtlich festgesetzt ist. Bundesrechtliche Beweisvorschriften sind dagegen dann verletzt, wenn der kantonale Sachrichter den Hauptbeweis als erschüttert betrachtet, aber dennoch auf die Sachdarstellung der beweisbelasteten Partei abstellt mit der Begründung, die Gegendarstellung des Beweisgegners sei ihrerseits unbewiesen geblieben. Davon kann jedoch im vorliegenden Fall keine Rede sein. Aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich vielmehr, dass die Justizkommission in Würdigung der im kantonalen Verfahren erhobenen Beweise zum Ergebnis gekommen ist, die Kläger hätten glaubhaft gemacht, dass der Verwaltungsrat gesetzeswidrig gehandelt und dadurch die Aktionäre oder die Gesellschaft geschädigt habe. Eine Verletzung von Art. 8 ZGB scheidet damit aus.
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c) In den soeben erwähnten Plausibilitätsvoraussetzungen liegt der Angelpunkt des Sonderprüfungsrechts, da es einerseits bei übertriebenen Anforderungen toter Buchstabe bleiben könnte, und anderseits bei grosszügiger Handhabung ein Widerspruch zum Regelungsgedanken des Gesetzgebers entstände, wonach die zwangsweise Sonderprüfung nicht leichthin zuzulassen sei (HIRSCH, a.a.O., S. 418). Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass das Glaubhaftmachen sowohl Tat- wie Rechtsfragen betrifft. In tatsächlicher Hinsicht sind bestimmte Handlungen oder Unterlassungen von Gründern oder Organen und der damit zusammenhängende Schaden glaubhaft zu machen. Es braucht somit nicht die ![]() | 15 |
Entsprechendes gilt in bezug auf die sich stellenden Rechtsfragen, namentlich jene im Zusammenhang mit den behaupteten Pflichtverletzungen von Organen oder Gründern. Auch hier hat das Gericht die Frage nach dem rechts- oder statutenwidrigen Verhalten und damit nach der Verantwortlichkeit nicht abschliessend zu beantworten, sondern es darf sich mit einer summarischen Prüfung begnügen (CASUTT, a.a.O., S. 99). Zu weit ginge allerdings, die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum vorsorglichen Rechtsschutz uneingeschränkt zu übernehmen, wonach einem Begehren bereits zu entsprechen ist, wenn es sich nach einer summarischen Prüfung der massgebenden Rechtsfragen nicht als aussichtslos erweist (BGE 108 II 69 E. 2a S. 72). Dem Gesuch auf Einsetzung eines Sonderprüfers ist aber jedenfalls dann zu entsprechen, wenn sich die rechtlichen Vorbringen zu den Anspruchsvoraussetzungen von Art. 697b Abs. 2 OR bei summarischer Prüfung als einigermassen aussichtsreich oder doch zum mindesten als vertretbar erweisen (vgl. in diesem Sinne für den vorsorglichen Rechtsschutz: DAVID, Schweizerisches Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, Bd. I/2, S. 189 f.).
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aa) Die Justizkommission hält für glaubhaft gemacht, dass der Verwaltungsrat der Beklagten die von der Sonderprüfung betroffenen ![]() | 17 |
Unter diesen Umständen kann sodann offenbleiben, ob der Verwaltungsrat auch darum gesetzes- oder statutenwidrig gehandelt hat, weil bestimmte Mitglieder nicht in den Ausstand getreten sind. Auf die mit der Berufung in diesen Zusammenhang erhobenen Einwände braucht deshalb nicht eingegangen zu werden.
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bb) Nach Auffassung der Justizkommission ist - wie bereits erwähnt - auch das Vorliegen eines Schadens von den Klägern glaubhaft gemacht worden. Im Berufungsverfahren gilt die Regel, dass die Ermittlung des Schadens grundsätzlich eine vom kantonalen Richter abschliessend zu beurteilende Tatfrage ist. Rechtsfrage und vom Bundesgericht in einem solchen Verfahren zu prüfen ist nur, ob der kantonale Richter den Rechtsbegriff des Schadens verkannt oder Rechtsgrundsätze der Schadensberechnung verletzt hat (BGE 119 II 249 E. 3a S. 251 mit Hinweisen). Solche Rügen werden mit der Berufung indessen nicht erhoben. Was die Beklagte vorbringt, erschöpft sich vielmehr in einer unzulässigen Kritik an der Beweiswürdigung der Justizkommission. Insoweit ist deshalb auf die Berufung nicht einzutreten.
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