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10. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 26. April 1995 i.S. Kujtim Budovic gegen Fremdenpolizei und Einzelrichter für Zwangsmassnahmen des Verwaltungsgerichts des Kantons Basel-Stadt (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 13b ANAG: Ausschaffungshaft; Art. 19 Abs. 1 und 13 AsylG. |
Bei Hängigkeit eines Asylgesuchs kann der Ausländer gemäss Art. 19 Abs. 1 AsylG nicht fremdenpolizeilich weggewiesen werden. Entgegen der Praxis des Bundesamtes für Flüchtlinge wird das Asylgesuch durch Vorsprache des Ausländers bei einer Empfangsstelle in einem Kanton hängig, selbst wenn er keine Papiere vorweist (E. 3b und c). Eine später verfügte Wegweisung ist rechtswidrig, und die zu deren Vollzug angeordnete Ausschaffungshaft ist nicht zulässig (E. 3d). | |
Sachverhalt | |
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Am 20. März 1995 abends nahm die Kantonspolizei Basel-Stadt Kujtim Budovic fest, als er, von Deutschland herkommend, die Grenze zur Schweiz überschritt.
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Die Fremdenpolizei des Kantons Basel-Stadt ordnete am 21. März 1995 an, dass Kujtim Budovic sobald als möglich nach Jugoslawien ausgeschafft werde.
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Kujtim Budovic hat gegen das die Ausschaffungshaft bestätigende Urteil Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut aus folgenden
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Erwägungen: | |
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b) Der Haftrichter hat sich im Rahmen der Prüfung, ob die Ausschaffungshaft rechtmässig ist, Gewissheit darüber zu verschaffen, ob ein kantonaler Weg- oder Ausweisungsentscheid oder ein Wegweisungsentscheid einer Bundesbehörde vorliegt. Nicht zu prüfen hat er jedoch, ob die Weg- oder Ausweisung selber rechtmässig ist. Will der Ausländer sich gegen eine solche Anordnung zur Wehr setzen, hat er dies im entsprechenden ausländerrechtlichen Verfahren zu tun, nicht im Haftprüfungsverfahren, wo es bloss darum geht, ob die Entfernung des Ausländers mit Hilfe der Zwangsmassnahme der Ausschaffungshaft durchgesetzt werden darf. Es kann insofern sinngemäss auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur altrechtlichen Ausschaffungshaft (BGE 119 Ib 193 E. 1c S. 196 f.) und zur Auslieferungshaft (BGE 111 Ib 147 E. 4 S. 149) verwiesen werden.
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c) Es stellt sich die Frage, ob der Haftrichter nicht dennoch unter bestimmten Umständen zu untersuchen hat, ob rechtliche Gründe der Vollstreckung eines Weg- oder Ausweisungsentscheides und damit der Ausschaffungshaft entgegenstehen. Eine derartige Infragestellung der Rechtmässigkeit der Weg- oder Ausweisung wird praktisch nie in Betracht kommen, wenn gegen die Entfernungsmassnahme trotz Anfechtungsmöglichkeit ![]() | 9 |
Das heisst nicht, dass der Haftrichter verpflichtet ist, Abklärungen über die Zustände im Heimatland des Ausländers zu treffen, um etwa eine diesem dort drohende konkrete Gefährdung im Hinblick auf die Zumutbarkeit der Heimschaffung zu gewichten. Er dürfte dazu in der Regel schon mangels Zugangs zu massgeblichem Informationsmaterial gar nicht in der Lage sein. Zudem ist er mit der Praxis der Ausländerrechtsbehörden und den in entsprechenden Verfahren geltenden Massstäben von seiner Funktion her nicht ohne weiteres vertraut. Schliesslich steht einem derartigen Verständnis der Prüfungsaufgabe des Haftrichters auch das für das Haftprüfungsverfahren geltende Beschleunigungsgebot entgegen, hat der Richter doch innert 96 Stunden seit Anordnung der Ausschaffungshaft durch die Fremdenpolizei eine Verhandlung durchzuführen und seinen Entscheid über die Rechtmässigkeit der Ausschaffungshaft zu fällen. Eine krass rechtswidrige Aus- oder Wegweisung, welche der Richter zwingend berücksichtigen muss, liegt von vornherein nie vor, wenn zu deren Feststellung noch Sachverhaltsabklärungen notwendig wären. In Frage kommen am ehesten offenkundige Formfehler, etwa wenn eine für eine Wegweisung klarerweise nicht zuständige Behörde eine derartige Massnahme angeordnet hat. Die Ausschaffungshaft darf sodann nicht bewilligt werden zur Durchsetzung der gegen einen Ausländer verfügten Entfernungsmassnahme, wenn diese wegen des fremdenpolizeilichen Status des Ausländers unzulässig ist.
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a) Gemäss Art. 19 Abs. 1 des Asylgesetzes (AsylG; SR 142.31) in der Fassung vom 22. Juni 1990 darf sich der Ausländer unter dem hier nicht in Betracht fallenden Vorbehalt von Art. 47 AsylG bis zum Abschluss des Verfahrens in der Schweiz aufhalten, wenn er ein Asylgesuch in der Schweiz gestellt hat. Die anlässlich der Befragung vom 21. März 1995 dem Beschwerdeführer durch die Fremdenpolizei eröffnete Wegweisung, eine formlose Wegweisung im Sinne von Art. 17 Abs. 1 ANAV, wäre wegen des fremdenpolizeilichen Status des Beschwerdeführers offensichtlich unzulässig und krass rechtswidrig, wenn der Beschwerdeführer zu jenem Zeitpunkt Asylbewerber gewesen sein sollte.
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Aktenmässig steht fest, dass der Beschwerdeführer sich zumindest am 17. März 1995, vermutlich aber auch schon früher, bei der Empfangsstelle des Bundesamtes für Flüchtlinge als Asylbewerber gemeldet hat. Ob bei diesem Sachverhalt ein Asylgesuch vorliegt, welches die Anordnung einer Wegweisung durch die Fremdenpolizei ausschliesst, ist als Rechtsfrage vom Bundesgericht frei zu prüfen.
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b) Das Bundesamt für Flüchtlinge hatte der Fremdenpolizei des Kantons Basel-Stadt am 21. März 1995 mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer "nicht Asylbewerber bei der Empfangsstelle in Basel" sei. Ein "Asylgesuch (sei) demnach bis heute nicht entgegengenommen" worden. In seiner Vernehmlassung hat es diesbezüglich ausgeführt, es handle sich "bei der von der Empfangsstelle des BFF angeordneten Beibringung von Ausweispapieren durch den Ausländer um eine Mitwirkung vor Hängigkeit des Asylgesuchs." Es ![]() | 15 |
Offenbar befolgt das Bundesamt für Flüchtlinge seit 1992 die Praxis, einen asylsuchenden Ausländer nicht in die Empfangsstelle "eintreten" zu lassen und kein Asylverfahren zu eröffnen, wenn er keine Reisedokumente vorlegen und nicht glaubhaft machen kann, dass er tatsächlich über keine Ausweise verfüge. Ob dies zulässig ist, muss sich aus den einschlägigen Bestimmungen der Asylgesetzgebung bzw. aus den sich darin ausdrückenden Zielsetzungen des Gesetzgebers ergeben.
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c) Mit dem Bundesbeschluss vom 22. Juni 1992 über das Asylverfahren wurden insbesondere Verfahrensbestimmungen des 1. und 2. Abschnittes des 2. Kapitels des Asylgesetzes revidiert. Die Zielsetzungen der Gesetzesrevision ergeben sich im wesentlichen aus der bundesrätlichen Botschaft vom 25. Mai 1990 zum Bundesbeschluss (BBl 1990 II 573 ff.).
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Bei der Neugestaltung des Asylverfahrensrechts sollten sämtliche Verfahrensstadien von der Einreichung des Gesuches bis zum Vollzug einer näheren Prüfung unterzogen werden (S. 586). Ganz besonderes Gewicht wurde den Mitwirkungspflichten des Asylbewerbers beigemessen; dies darum, weil dem Bewerber während der Dauer des Verfahrens ein Anwesenheitsrecht zusteht (S. 585). Dem Asylbewerber wurde im Gesetz (Art. 12b) u.a. ausdrücklich als Mitwirkungspflicht auferlegt, seine Identität offenzulegen (lit. a) und Reisepapiere und Identitätspapiere abzugeben (lit. b, was mit dem Bundesgesetz über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht dahingehend präzisiert wurde, dass die Abgabe der Papiere bereits bei der Empfangsstelle erfolgen müsse). Die vorsätzlich grobe Missachtung der Mitwirkungspflichten hat zur Folge, dass auf das Asylgesuch nicht eingetreten wird (Art. 16 Abs. 1 lit. e AsylG); als Nichteintretensgrund nennt das Gesetz noch gesondert das Verheimlichen der Identität (Art. 16 Abs. 1 lit. b AsylG).
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Dass die Verletzung der Mitwirkungspflichten mit einem Nichteintretensentscheid zu sanktionieren ist, setzt naheliegenderweise voraus, dass auch elementare und von Anfang an aktuelle Pflichten ![]() | 19 |
Die Praxis des Bundesamtes ist aber auch mit dem Wortlaut von Art. 13 AsylG offensichtlich nicht vereinbar. Nach dieser Bestimmung liegt ein Asylgesuch vor, wenn der Ausländer schriftlich, mündlich oder auf andere Weise zu erkennen gibt, dass er die Schweiz um Schutz vor Verfolgung ersucht. Die Eröffnung des Asylverfahrens ist damit vom Gesetzgeber an die einzige Bedingung geknüpft, dass erkennbar der Wunsch geäussert wird, ein Asylgesuch zu stellen. Dafür, dass der Gesetzgeber das Ingangsetzen des Asylverfahrens von weiteren Voraussetzungen abhängig machen wollte, bestehen keine Anhaltspunkte.
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Die in der Stellungnahme des Bundesrates vom 26. September 1995 zum Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates über die Inspektion Vollzugskonzept im Flüchtlingsbereich angeführten Gründe genügen nicht, um das Vorgehen des Bundesamtes für Flüchtlinge zu rechtfertigen. Eine Verwaltungspraxis, die den davon Betroffenen Rechte entzieht, ist nicht ![]() | 21 |
d) Es ist daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt, als gegen ihn die Wegweisung verfügt wurde, Asylgesuchsteller war, allenfalls seit dem 24. Februar 1995, spätestens aber seit seiner Vorsprache bei der Empfangsstelle Basel am 17. März 1995. Sein Versuch, nach Deutschland auszureisen, stellt keinen Verzicht auf das Asylgesuch dar. Damit aber verstösst die von der Fremdenpolizei des Kantons Basel-Stadt verfügte Wegweisung gegen klares Recht. Die zur Sicherstellung von deren Vollzug angeordnete Ausschaffungshaft entbehrt deshalb der Grundlage, unabhängig davon, ob der Haftgrund von Art. 13b Abs. 1 lit. c ANAG erfüllt gewesen wäre.
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